Startseite » Allgemein »

Neu heißt fabrikneu

Investitionsgüter
Neu heißt fabrikneu

Bei jedem Kauf einer neuen Sache kann vom Verkäufer verlangt werden, dass diese bei der Übergabe eine fabrikneue Beschaffenheit aufweist. Näheres dazu von unserem Autor Karlheinz Schmid.

Ein neues Urteil des Achten Senats des Bundesgerichtshofs vom 6.2.2013 (VIII ZR 374/11) ist nicht nur für den Autokauf, sondern für das gesamte Gewährleistungsrecht von besonderer Bedeutung. In aller Kürze: Der Anspruch des Käufers auf Fabrikneuheit der Ware wird durch sein geltend gemachtes Verlangen auf Nachbesserung der beschädigt gelieferten Ware in keiner Weise beeinträchtigt.

Sachverhalt: Der Kläger hatte im November 2009 bei der beklagten BMW-Vertragshändlerin einen BMW 320d zum Preis von 39 000 Euro als Neuwagen gekauft. Bei der Auslieferung wies der Wagen Schäden an der Lackierung und der Karosserie auf, weshalb der Käufer die Annahme des Fahrzeugs verweigerte und unter Fristsetzung Nachbesserung verlangte. Nach der daraufhin vorgenommenen Nachbesserung des Wagens lehnte der Käufer — gestützt auf ein Sachverständigenurteil — die Übernahme des Fahrzeugs erneut ab und trat vom Vertrag zurück, nachdem sich die Vertragshändlerin darauf berufen hatte, dass sich das Fahrzeug nunmehr in einem einwandfreien Zustand befinde.
Der Kläger nahm die Beklagte auf Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung in Höhe von 10 000 Euro, Freistellung von den zur Fahrzeugfinanzierung eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten sowie Ersatz der Sachverständigenkosten in Anspruch. Das Landgericht Bochum gab in erster Instanz der Klage statt. Das Oberlandesgericht Hamm wies als Berufungsgericht jedoch die Klage mit folgenden Argumenten ab: Bei der ersten Übergabe sei das Fahrzeug an der hinteren linken Seitenwand und der Stoßfängerverkleidung beschädigt gewesen und habe Eindellungen und Kratzer aufgewiesen. Darüber hinaus wurden Lackkratzer am gesamten Pkw sowie Lackeinschlüsse festgestellt. Der Käufer eines Neufahrzeugs könne ein völlig unbenutztes und unbeschädigtes Fahrzeug erwarten, so dass jede nicht ganz unerhebliche Beschädigung einen Mangel darstelle, der die vereinbarte Beschaffenheit der Fabrikneuheit aufhebe. Die Beurteilungsgrundlage habe sich allerdings nachfolgend dadurch geändert, dass der Kläger Nachbesserung verlangt habe. Zwar möge das Fahrzeug aufgrund der hierbei durchgeführten Arbeiten nicht mehr „fabrikneu“ gewesen sein. Verzicht auf Neuwagenqualität? Die fehlende Neuwagenqualität könne jedoch nicht mehr als Mangel gewertet werden; zumindest sei eine Berufung des Klägers auf die mangelnde Fabrikneuheit treuwidrig und deshalb nicht zu berücksichtigen, nachdem er die Beklagte in Kenntnis der Tatsache, dass umfängliche Arbeiten erforderlich seien, dahingehend selbst zur Nacherfüllung aufgefordert habe. Er könne deshalb nicht nachträglich geltend machen, dass die von ihm verlangte Reparatur die Neuwagenqualität beseitigt habe. Eine Rückabwicklung des Kaufvertrags scheitere auch daran, dass die Pflichtverletzung der Beklagten gemäß § 323 Abs.5 Satz 2 BGB als unerheblich anzusehen sei. Sämtliche Mängel seien lediglich optischer Natur und auch für den sorgfältigen Betrachter kaum wahrnehmbar, so dass sie bei einer Gesamtbetrachtung nicht derart unzuträglich seien, dass sie eine Rückabwicklung begründen könnten. Die vom Bundesgerichtshof zugelassene Revision des Käufers hatte Erfolg.
Was heisst fabrikneu? Der u. a. für das Kaufrecht zuständige Achte Senat des Bundesgerichtshofs entschied wie folgt: Das Berufungsgericht hatte festgestellt, dass an dem als Neuwagen verkauften Fahrzeug auch noch bei dem zweiten Übergabeversuch Oberflächenverkratzungen und Lackschäden gegeben waren, die von dem zu erwartenden gewöhnlichen Zustand eines Neufahrzeugs abweichen. „Damit fehlte dem Fahrzeug die mit dem Vertragsschluss konkludent vereinbarte, dem Begriff „Neuwagen“ innewohnende Beschaffenheit „fabrikneu“. Denn Fabrikneuheit verlangt, dass sich das Fahrzeug bei Übergabe an den Käufer in dem unbenutzten und unbeschädigten Zustand befindet, wie es vom Hersteller ausgeliefert worden ist. Dieser Zustand war nach den festgestellten Oberflächenverkratzungen und Lackschäden nicht mehr gegeben.“
Zu Unrecht sei das Berufungsgericht der Ansicht, der Kläger könne aufgrund des von ihm erhobenen Nachbesserungsverlangens die fehlende Fabrikneuheit des Fahrzeugs nicht mehr als Mangel geltend machen. Vielmehr gilt folgendes: „Die in § 439 Abs.1 BGB geregelte Nachbesserung zielt darauf ab, die gekaufte Sache in einen vertragsgemäßen Zustand zu versetzen. Der Verkäufer schuldet deshalb nicht nur bloße Verbesserung eines bestehenden Mangelzustands, sondern eine vollständige und nachhaltige Beseitigung des Mangels. Zwar steht es einem Käufer frei, Nachbesserung auch dann zu verlangen, wenn eine Behebung des Mangels nicht vollständig möglich ist und er – wenn auch gegebenenfalls unter Ausgleich eines dadurch verbleibenden Minderwerts – bereit ist, sich mit einem Zustand der Sache im Umfang einer möglichen Nachbesserung zu begnügen. Dass er bei Stellung eines Nachbesserungsverlangens aber bereit ist, einen Nachbesserungserfolg unterhalb des Möglichen als noch vertragsgerecht hinzunehmen und dadurch auf einen Teil der zu beanspruchenden Leistung zu verzichten, kann – da ein Verzicht auf Rechte im Allgemeinen nicht zu vermuten ist, sondern eindeutiger Anhaltspunkte bedarf (BGH-Urteil vom 9.5.2012, VIII ZR 327/11, NJW 2012 S. 2270) — nicht ohne Weiteres angenommen werden. Dies hat das Berufungsgericht nicht bedacht.“
Erwartungen bei Nachbesserungsverlangen: Der Kläger konnte grundsätzlich erwarten, dass ihm ein einem Neuwagen entsprechendes mangelfreies Fahrzeug übergeben würde, der herbeizuführende Nachbesserungserfolg also jedenfalls in technischer Hinsicht den Fahrzeugzustand wiederherstellen würde, wie er werkseitig bei Auslieferung des Fahrzeugs in unbeschädigtem Zustand vorgelegen hätte. Das gelte umso mehr, als der Kläger bei seinem Nachbesserungsverlangen auf die ihm zustehende Fabrikneuheit des Fahrzeugs hingewiesen und das Erfordernis einer Makellosigkeit der Lackierung noch einmal eigens hervorgehoben habe. Den danach geschuldeten „fabrikneuen“ Fahrzeugzustand habe die Beklagte auch bei ihrem zweiten Übergabeversuch durch die vorgenommenen Nachbesserungsarbeiten nicht erreicht.
Nach § 323 Abs.5 Satz 2 BGB ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn die in der Mangelhaftigkeit der Kaufsache liegende Pflichtverletzung unerheblich ist, das heißt, wenn der Mangel geringfügig ist (BGH, Urteil vom 29.6.2011, VIII ZR 202/10). Der Senat führte hierzu aus: Dem Berufungsgericht könne nicht darin gefolgt werden, dass eine auf die festgestellten Mängel gestützte Rückabwicklung des Kaufvertrags gemäß § 323 Abs.5 Satz 2 BGB an der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung scheitere, weil die Mängel lediglich optischer Natur und kaum wahrnehmbar seien. Die Beurteilung, ob eine Pflichtverletzung unerheblich im Sinne des § 323 Abs.5 Satz 2 BGB ist, erfordere nach der Rechtsprechung des Senats eine umfassende Interessenabwägung, in deren Rahmen ein Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung aber die Erheblichkeit der Pflichtverletzung in der Regel indiziere (BGH, Urteil vom 17.2.2010, VIII ZR 70/07). Ein solcher Fall liege hier vor. Hieran gemessen erweise sich die Erwägung des Berufungsgerichts, sämtlich Mängel seien trotz der für ihre Beseitigung aufzuwendenden Kosten im Bereich von 2000 Euro bis maximal 3000 Euro geringfügig im Sinne des § 323 Abs.5 Satz 2 BGB , weil sie lediglich optischer Natur und auch für den sorgfältigen Betrachter kaum wahrnehmbar seien, als rechtsfehlerhaft.
Abgesehen davon, dass mit der Entscheidung für den Kauf eines Neuwagens für den Käufer gerade typischerweise auch optische Gesichtspunkte, insbesondere eine verarbeitungstechnische Makellosigkeit der Karosserie, eine zumindest mit entscheidende Rolle zu spielen pflegen, komme dieser Kaufentscheidung zugleich eine wirtschaftliche Bedeutung zu. Denn Fahrzeuge, die diesen Karosseriestandard – wie hier – nicht oder nicht mehr annähernd aufweisen, würden üblicherweise mit deutlichen Preisabschlägen gehandelt, da sie in der Wertschätzung des Verkehrs nur noch zweite Wahl seien und deshalb allenfalls noch als bereits in Gebrauch genommene Vorführwagen abgesetzt werden könnten.
Fassen wir zusammen:
  • Bei jedem Kauf einer neuen Sache kann vom Verkäufer verlangt werden, dass diese bei der Übergabe eine fabrikneue Beschaffenheit aufweist. Dies bedeutet, dass sich diese Sache bei der Übergabe an den Käufer in dem vollkommen unbenutzten und umfassend unbeschädigten Zustand befinden muss, wie sie vom Hersteller ausgeliefert worden ist.
  • Die einwandfreie Beschaffenheit der neuen gekauften Sache muss grundsätzlich auch dann gegeben sein, wenn diese wegen vorhandener Mängel zunächst vom Käufer zurückgewiesen und Nachbesserung verlangt wurde.
  • Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Käufer dem Verkäufer mit aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben hat, dass er auf die Fabrikneuheit verzichte und sich mit einer geminderten qualitativen Beschaffenheit begnüge. Ein Indiz für einen solchen Verzicht auf die Fabrikneuheit der gekauften Sache ist in aller Regel das Verlangen einer deutlichen Preisreduzierung.
  • Hat der Verkäufer den Kaufgegenstand nicht in einem einwandfreien Zustand geliefert, kann der Käufer gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung des Verkäufers unerheblich ist. Verstößt der Verkäufer jedoch gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne von § 434 BGB („fabrikneu“), so ist in der Regel von einer erheblichen Pflichtverletzung auszugehen.
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 3
Ausgabe
3.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de