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Nicht nur das Preisschild zählt

Gesamtkosten von Maschinen und Anlagen über deren komplette Laufzeit
Nicht nur das Preisschild zählt

Die Idee der Lebenslaufkostenrechnung (Life Cycle Costing) leuchtet sofort ein. Die reinen Investitionskosten eines Produkts treten in der Regel gegenüber seinen Betriebskosten über den gesamten Lebenslauf in den Hintergrund. Im Industrie-Alltag wird jedoch das Life Cycle Costing noch zu selten in der strategischen Investitionsplanung eingesetzt und zu einem Controllingsystem ausgebaut. Es steuert und überwacht das die Einhaltung der kalkulierten Konditionen.

Jörg Niemann Dipl.-Ing. Jörg Niemann ist Projektleiter im Bereich Life Cycle Management am Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart www.iff.uni-stuttgart.de

Die heutigen Märkte sind durch ein hohes Maß an Turbulenz gekennzeichnet. Kundenwünsche und Präferenzen verändern sich innerhalb kürzester Zeit, was Unternehmen zu immer kürzeren Innovationszyklen zwingt. Neue Produkte ziehen aber stets auch Änderungen der Produktionsstrukturen nach sich.
Heutige Maschinen und Anlagensysteme besitzen eine durchschnittliche Lebensdauer von 15 bis 25 Jahren. Der Modellwechsel von Produkten, die auf diesen Investitionsgütern gefertigt werden, erfolgt aber in wesentlich schnelleren Zyklen.
Eine erst kürzlich beschaffte Anlage ist dann nicht mehr in der Lage, eine wettbewerbsorientierte, wirtschaftliche Fertigung zu gewährleisten. Ziel der Investitionsplanung muss es also sein, die zu beschaffenden Anlagen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit und Rentabilität schon im Voraus zu beurteilen und flexiblen Systemen den Vorzug geben.
Anlagen unterscheiden sich beispielsweise in den Investitionskosten, der Wartungsintensität, Energieaufnahme oder Fertigungsgeschwindigkeit. Diese Faktoren führen zu unterschiedlich hohen Kosten und Nutzen über den Anlagenlebenslauf und beeinflussen damit die zu beurteilende Kenngrößen (z. B. Stückkosten) zum Investitionszeitpunkt. Ein strategisch ausgerichtetes Produktions- und Technologiemanagement muss diese Faktoren berücksichtigen und die Investitionsalternativen auf einer gemeinsamen Basis vergleichbar machen.
Eine lebenslauforientierte Erfolgsbetrachtung teilt die entstehenden Kosten in Anfangs- und Folgekosten ein. Die Anfangskosten umfassen dabei die Planungs- und Realisierungskosten für die Anlage. Diese Kosten drücken sich dann im Preis bzw. in den Investitionskosten aus. Analysiert man die verursachten Kosten über den gesamten Lebenslauf, so nehmen sie die Form eines Eisbergs an. Auf den ersten Blick sichtbar sind nur die direkten Beschaffungskosten, während die implizit mit dieser Investition festgelegten Folgekosten weithin verborgen bleiben oder tendenziell eher unterschätzt werden. Die Konsequenzen der Investitionsentscheidung treten erst im weiteren Lebensweg in Form von unvorhergesehenen Betriebskosten zutage, siehe Grafik.
Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass die Kosten für den Betrieb und die Entsorgung eines Produktes die Anfangskosten (= Investitionskosten) um ein Vielfaches übersteigen. Die Gründe hierfür liegen in der langen Lebensdauer der Produkte, in der die Kosten für den Betrieb und die Instandhaltung der Anlagen periodisch wiederkehren.
So betragen die Anschaffungskosten für langlebige Investitionsgüter je nach Produkt gemessen an den gesamten Lebenslaufkosten heute nur noch 10 bis 30 Prozent. Der größte Teil der Kosten wird dabei in der Betriebsphase verursacht. Das traditionelle Rechnungswesen greift hier zu kurz, da die Kosten und der Systemnutzen über einen langen Zeitraum der Anlagennutzung anfallen.
Die Kostenrechnung kann nur durch eine Evaluation optimiert werden, die den gesamten Lebenslauf umfasst. Ziel ist dabei die aktive Gestaltung der Entscheidungskriterien Leistung, Zeit und Kosten eines Systems über einen Zeitraum, in dem ein Objekt entwickelt, geplant, erstellt, erworben, genutzt, aufgearbeitet und entsorgt wird. Die Grafik zeigt, dass die Betriebskosten bereits nach sechs Jahren die Investitionskosten der Anlage im Beispiel übersteigen.
Life Cycle Costing (LCC)
Das Life Cycle Costing umfasst eine ganzheitliche Lebenslauf-Erfolgsrechnung. Die Methodik zielt auf die Maximierung des Gesamtnutzens über den Produktlebenslauf. Grundsätzlich werden dazu Kosten und Nutzen in allen Phasen des Produktlebenslaufes dargestellt und monetär bewertet. Eine strukturierte Gliederung hilft hierbei, einen möglichst vollständigen Katalog von Positionen zu ermitteln. Es ist klar, dass ein Katalog, der die komplette Lebensdauer eines Produktes abdecken soll, nicht vollständig sein kann und mit ungenauen Schätzungen leben muss.
Durch die langfristige Lebenslaufbetrachtung werden für die Gesamtsaldierung Verfahren der dynamischen Investitionsrechnung zugrunde gelegt. In der Praxis hat sich hierbei die Kapitalmethode durchgesetzt, bei der die Investition auf den heutigen Barwert abgezinst wird. Auf diese Weise kann der Vorteil etwa gegenüber alternativen Investitionsentscheidungen (z. B. andere Anlage) beurteilt werden. Eine Zeitreihendarstellung von erwarteten Kosten und Nutzen kann zudem für spätere Abweichungsanalysen im Controlling hinterlegt werden. Durch die langfristige Sichtweise decken LCC-Analysen versteckte Kostentreiber, aber auch Nutzenpotenziale über den Lebenslauf auf. Die Analyse liefert dadurch auch Kennzahlen für Outsourcing-Strategien bis hin zur Kalkulation von modernen Full-Service-Konzepten und Komplettvergaben. Die Identifikation von Kostentreibern ermöglicht es, diese Prozesse gezielter zu analysieren und innerhalb der Wertschöpfungspartner durch Umverteilung von Leistungsbündeln zu einer insgesamt größeren Effizienz zu gelangen. LCC-Analysen können für folgende Zwecke genutzt werden:
  • vollständige Investitionsrechnung für das Anlagevermögen (Investitionskosten sowie laufende Kosten),
  • proaktive Bugdetplanung,
  • Cash-flow-Analysen, Return on Investment (ROI),
  • Planung und Bewertung von Outsourcing-Entscheidungen,
  • Identifikation von Kosten- und Nutzenpotenzialen,
  • Prognostik: Analyse von Zukunfts-Szenarien,
  • Bestimmung von optimalen Maschinenersatzzeitpunkten,
  • Gestaltung von Life-Cycle-Cost-Verträgen.
Die Analysen eignen sich nicht nur zur Darstellung der Gesamtwirtschaftlichkeit, sondern auch zur detaillierten Analyse der kritischen Erfolgsgrößen. Durch Sensitivitätsanalysen kann dabei die Hebelwirkung bei der Veränderung einzelner Kostenpositionen über den Lebenslauf aufgedeckt werden. Die zukunftsbedingte Prognoseunsicherheit kann in der Praxis durch die Abbildung alternativer Szenarien (z. B. worst-case; best-case) abgefangen werden. Die daraus gewonnenen Ergebnisse geben Aufschluss über den Risikograd der Investition. Möglicherweise können besonders risikobehaftete Positionen durch langfristige Verträge mit Fremdleistern eingekauft werden. Das Life Cycle Controlling unterstützt damit die Finanzplanung und erlaubt eine vorausschauende Budgetplanung. Für ein konsequentes Controlling muss diese Kalkulation in der Nutzungsphase des Systems permanent aktualisiert werden, damit Abweichungen früh erkannt und Gegenmaßnahmen ergriffen werden können.
Kooperative Systempartnerschaft
Kunden wollen wissen, was auf sie zukommt, sie verlangen Sicherheiten bezüglich der Folgekosten ihrer Investitionsgüter. Dazu erwarten sie von den Anlageherstellern in zunehmendem Maße vertraglich fixierte Garantien über einen großen Teil der maximal zu erwartenden zukünftigen Betriebskosten. Diese Life-Cycle-Cost-Verträge (Blockgarantien) begrenzen das Kostenrisiko der Kunden und binden den Anlagenhersteller in die Produktverantwortung ein. Derzeit stehen der großen Nachfrage nach derartigen Liefervereinbarungen nur wenige konkrete Angebote der Hersteller gegenüber.
Eine Studie des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart zeigt heute schon, dass Liefern alleine in der Zukunft nicht mehr ausreichen wird, um mit den Kunden auch langfristig eine Geschäftsverbindung zu etablieren. Der Weg bei einem Hersteller bis zur Abgabe derartiger „abgesicherter“ Angebote ist jedoch lang und schwierig: In der Praxis hat sich gezeigt, dass Hersteller das Betriebsverhalten ihrer Güter zu wenig kennen, um den Kunden die Lebenswegkosten vertraglich garantieren zu können. Das IFF entwickelt daher gemeinsam mit den Industriepartnern die Kalkulationsgrundlagen für derartige Leistungsangebote und entsprechende Geschäftsmodelle. Die Verträge nehmen aber auch den Nutzer in die Pflicht, der den Betriebsbedingungen nachkommen muss (z. B. Einhalten fester Wartungszyklen).
Insgesamt führt dies zu einer engeren Zusammenarbeit beider Partner, in der sich das klassische Kunden-Lieferanten-Verhältnis zu einer kooperativen Systempartnerschaft wandelt. „Der Nutzen für beide Partner liegt in der Ausschöpfung dieser Synergien“, so Professor Engelbert Westkämper, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb der Universität Stuttgart. Erste Beispiele zeigen bereits, dass Unternehmen, die diese Modelle als lebenslauforientierte Partnerschaften konsequent umsetzen, mit strategischen Wettbewerbsvorteilen im Markt gegenüber ihren Kunden operieren. Langfristig zahlt sich das für beide Seiten aus.
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