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Open-Book – Hype oder Trend?

Dienstleistungseinkauf
Open-Book – Hype oder Trend?

Das Verhandeln um Preise und liebgewonnene, tradierte Rituale zwischen Einkäufern und Verkäufern haben mit Open-Book einen einfachen und effizienten Gegenpol. Beschaffung aktuell spricht mit Nikolaus Reuter, Vorstandsvorsitzender der Etengo (Deutschland) AG. Als spezialisierter Personaldienstleister rekrutiert Etengo im Kundenauftrag freiberufliche IT-Spezialisten für zeitlich begrenzte Projekteinsätze. Open-Book war von Anfang an Eckpfeiler der Unternehmensstrategie.

Beschaffung aktuell: Traditionelle Preisverhandlungen mit geschlossenen Büchern machen in der Realität immer noch den Löwenanteil aus. Herr Reuter, ist Open-Book nicht die Ausnahme?

Nikolaus Reuter: Sie haben zunächst recht. Open-Book ist noch nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Dennoch sehen wir einen starken Trend. Das Stadium des Hypes liegt weit hinter uns und Open-Book wird immer öfter zur präferierten Alternative der Einkäufer bzw. der einkaufenden Unternehmen. Eigentlich auch klar, denn der Einkäufer kann damit häufig die ihm gesteckten Einsparziele erreichen. Außer dem Erreichen besserer Preise steigt erfahrungsgemäß auch die Qualität spürbar an. Nicht nur beim Open-Book-Lieferanten, sondern bei allen Lieferanten dieser Kategorie. Als Nebenprodukt entsteht fast immer ein Wettbewerbsimpuls mit positiven Folgen für alle Beteiligten.
In vielen Einkaufsgesprächen sehen wir aber dennoch Fragezeichen in den Augen der Einkäufer. Auf den ersten Blick ist das Konzept nicht so eingängig. Manche Kunden sind ganz verblüfft, wenn sie plötzlich schwarz auf weiß in Angebot oder Vertrag den Einstandspreis, in unserem Fall den Stundensatz, den der Freelancer erhält, sehen. Das ist schlicht ungewohnt. Und im ersten Moment fehlt die Vergleichbarkeit. Ist der Einstandspreis nun hoch oder niedrig? Am einfachsten und überzeugendsten ist daher zu Beginn ein Kostenvergleich auf Ebene des Endpreises. Hier kann der Einkauf dann A mit B vergleichen und entdeckt unserer Erfahrung nach enorme Potenziale für Einsparungen.
Beschaffung aktuell: Werden Dienstleistungslieferanten nicht versuchen, die Offenlegung der Kalkulation zu verhindern? Im Servicegeschäft schlummern attraktive Margen.
Reuter: Ja natürlich, denn eins ist klar: Open-Book ist für den Verkäufer knochenhart. Man lässt bildlich gesprochen die Hosen runter. Ein Unternehmen, das Open-Book anbietet, muss, um im Wettbewerb bestehen zu können, eine sehr schlanke Kostenstruktur aufweisen. Nur niedrige Kosten, gepaart mit schnellen und effizienten Prozessen, erlauben es, im Dienstleistungsbereich ein Open-Book-Konzept anzubieten. Kein Einkauf würde ohne massive Einwände hohe, zweistellige Margen akzeptieren, wenn die Begründung z. B. auch in einem exorbitant hohen Kostenblock der Verwaltung liegt. Dann hat der Lieferant schlicht seine Hausaufgaben nicht gemacht. Das geht nur noch im Monopol oder einer monopolähnlichen Konstellation.
Sind wir ehrlich: Insbesondere in jungen, aber eben auch in reifenden Märkten haben wir teils noch atemberaubend hohe Margen. Das ist prinzipiell nicht verkehrt und auch keine Fehlentwicklung. Oft sogar notwendig, um hohe Investitionen in F &E zu rekapitalisieren. Das Problem beginnt ganz woanders. In guten Zeiten verleiten die hohen Margen leider fast immer dazu, dass die Unternehmen Ihre Kostenstrukturen an die hohen Einnahmen anpassen. Wird dann der Wettbewerb stärker oder lahmt plötzlich der Absatz in einer Kategorie, dann wird es schnell eng und man geht nun mal ungern an liebgewonnene Privilegien und Annehmlichkeiten mit dem Rotstift ran. Also ist der Weg Open-Book schlicht nicht gangbar. Daher versuchen viele Unternehmen, diesen Trend möglichst lange zu ignorieren. Diejenigen Lieferanten, die Open-Book anbieten, lassen aber im Endeffekt einen positiven Preisdruck im Markt entstehen, der mittel- bis langfristig eine Verschlankung der Kostenstrukturen nahezu aller Marktakteure mit sich bringt. Damit verbessert sich auch international die Wettbewerbsfähigkeit der Branche. Das ist doch schlussendlich für alle ein Gewinn.
Beschaffung aktuell: Sie praktizieren mit Ihrem Unternehmen schon immer Open-Book. Was für Vorteile haben Sie für sich und Ihre Kunden realisiert und wie sind Ihre Erfahrungen in der Rückschau?
Reuter: Durch Open-Book werden Kostensenkungen möglich, die ansonsten oft nicht identifiziert und auch nicht realisiert würden. Wir haben es in der Praxis mit sehr erstaunten Einkäufern zu tun, die das von der Größenordnung nicht für möglich gehalten hätten. Außerdem bringt Open-Book eine enorme Objektivierung und Vereinfachung der Preisverhandlungen mit sich. Man darf ja nicht verhehlen, dass langwierige Preisverhandlungen, komplexe Lieferantenauswahlen und zum Beispiel die zugehörigen Schulungen der Einkäufer letztlich auch Kosten verursachen. Kostentransparenz führt aber ganz automatisch zu schnellerem, einfacherem Einkaufen und insgesamt zu vertrauensvolleren Lieferanten-Kunden-Verhältnissen. Zusammenfassend sind sowohl unsere Erfahrungen, als auch die unserer Kunden – so bestätigen diese uns immer wieder – durchweg sehr positiv.
Beschaffung aktuell: Ist Open-Book überhaupt für den Einkauf von Dienstleistungen geeignet? Seinen Ursprung hat es ja im industriellen Bereich.
Reuter: Im Dienstleistungsbereich sind die Transaktionskosten auf Seiten des Lieferanten fast zu vernachlässigen, da eine Erhebung und Aufschlüsselung der Kostenbestandteile um ein vielfaches einfacher sind als zum Beispiel im industriellen Bereich. Von daher ist es sicher auch für den Bereich der Dienstleistungen ein ganz probates Modell, mit dem man sich als Lieferant auch einen echten und relevanten Vorteil im Vergleich zu anderen Marktakteuren schaffen kann.
Beschaffung aktuell: Sollte man als Dienstleistungseinkäufer Open-Book für die Beschaffungsstrategie auf der Agenda haben?
Reuter: Auf jeden Fall. Ich glaube fest daran und beobachte es tagtäglich, dass wir hier einen langfristigen Trend haben. Das Internet mit seinen positiven wie negativen Auswirkungen wird ja viel zitiert. Aber auch hier lohnt ein kurzer Blick: Preisvergleichsportale und Hotel- bzw. Urlaubsbewertungsplattformen erleben derzeit einen unglaublichen Zuspruch und erzeugen im Kern das gleiche wie Open-Book, nämlich Transparenz. Transparenz ist ja in vielen Bereichen der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zum Megatrend avanciert. Von daher aus meiner Sicht ein Muss auf der Einkäufer-Agenda.
Beschaffung aktuell: Ganz konkret. Können Sie uns sagen wie Kunden und Freelancer das Etengo-Modell annehmen und in welcher Höhe tatsächlich Einsparungen erzielt werden?
Reuter: Ein ganz konkretes Beispiel. Bei einem DAX-Konzern haben wir in Kooperation mit dem Einkauf in den Jahren 2010 und 2011 erhebliche Einsparungen realisiert. Dabei wurde derselbe Freelancer zeitgleich von Etengo und einem Mitbewerber angeboten. Die Differenz des Endpreises betrug für den Kunden 21 Euro pro Stunde. Und das, obwohl der Freelancer von Etengo einen etwas besseren Einstandspreis erhalten hat. Auf ein Jahr gerechnet, brachte die Zusammenarbeit – bei gleicher Leistung – Sofort-Einsparungen von über 40 300 Euro. Und das schon beim Einsatz eines einzelnen Freelancers. Bei 20 Freelancern – und das ist keine Seltenheit – sprechen wir also schon über mehr als 800 000 Euro Einsparpotential pro Jahr.

Das Unternehmen

Die Etengo (Deutschland) AG ist ein Personaldienstleister für die Vermittlung von freiberuflichen IT-Experten. Als Partner identifiziert und rekrutiert Etengo passende IT-Spezialisten für Kunden und bringt hochqualifizierte Freelancer in interessante Projekte. Dabei hat Etengo eine komplett offengelegte Stundensatz-Kalkulation (Open-Book) zum Geschäftsmodell erhoben. Mit einem Umsatz von 24 Mio. Euro im Jahr 2011 lag das Umsatzwachstum mit +175 % im Vergleich zum Vorjahr erneut im dreistelligen Bereich. Im Jahr 2012 strebt Etengo einen Umsatz von ca. 40 Mio. Euro an. Vorstandsvorsitzende sind Nikolaus Reuter und Andreas Nader. Etengo beschäftigt derzeit 30 festangestellte Mitarbeiter am Unternehmenssitz in Mannheim.
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