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„Operation Einkauf“

Einsparpotenziale im Krankenhaus
„Operation Einkauf“

In Krankenhäusern sind Potenziale für Einsparungen und mehr Erlöse noch längst nicht ausgereizt. Unsere Autoren Christoph Joël, Christian Stiasni und Bünyamin Saatci beschreiben mit der „Operation Einkauf“ am Beispiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, wie die Potenziale besser auszuschöpfen wären.

Christoph Joel Christian Stiasni Bünyamin Saatci

Einkäufer in Krankenhäusern arbeiten im Spannungsfeld zwischen hohem Kostendruck von außen und großen internen Leistungserwartungen aus dem Klinikbetrieb. Maßnahmen zur Optimierung des Personaleinsatzes laufen und sind ein schmerzhaftes Reizthema in allen Häusern. In Zeiten knapper Kassen stecken aber auch Chancen: Beim effektiven Kostenmanagement und der Steigerung von Erlösen gewinnen gerade Beschaffungsmanager im Krankenhaus an Bedeutung. Dabei geht es um mehr als das Aushandeln günstiger Preise und Konditionen. Dem Beschaffungsmanagement traut man zu, in einer Klinik diejenigen Prozesse zu optimieren, die den Einkauf auch mittelbar beeinflussen, wie etwa die Verbrauchssteuerung. Daher ist ein professioneller Einkauf im Krankenhaus eine übergreifende Einheit. Über die gesamte Supply Chain kann der Einkauf in Kliniken einen Beitrag zur Ergebnisverbesserung von bis zu dreizehn Prozent leisten und zwar ohne das medizinische Niveau zu senken.
Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK S-H) ist ein positives Beispiel für diesen Veränderungsprozess. Es ist das größte Universitätsklinikum im Norden sowie einziger Maximalversorger und größter Arbeitgeber in Schleswig-Holstein. Es deckt campusübergreifend in Kiel und Lübeck das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. Auf dem Weg zur Stärkung seiner wirtschaftlichen Bedeutung hat der Vorstand ein Programm aufgesetzt, durch das mittels Einkaufsoptimierung und vollständiger Neuausrichtung des Bereichs bis zum Jahr 2009 rund 3,5 Millionen Euro eingespart werden konnten. Dabei wandelte sich der Einkauf zum Gestalter von Versorgungsprozessen. Das Beispiel dieses Klinikums zeigt die Erfolgsfaktoren für die Optimierung des Einkaufs im Krankenhaus.
Die Analyse der Ausgangslage zeigte rasch die Ansatzpunkte: Es gab bereits ein zentrales Dezernat „Beschaffung“, dennoch galt es, dort sämtliche Einkaufsaktivitäten stärker zu kanalisieren und die logistische Verantwortlichkeit zu integrieren. Dabei werden solche „Dezernate“ oft von externen Einkaufsspezialisten unterstützt, zum Beispiel von der Inverto AG, Köln, die das Projekt begleitete und die Umsetzung forcierte. Dazu wurde das Projekt in vier Pakete gegliedert, die interdisziplinären Teams aus Mitarbeitern des Dezernats „Beschaffung“, Vertretern der Kliniken aus Ärzteschaft und Pflege, Medizin Controlling, Justiziariat und Berater bearbeiteten (siehe Abb. 1).
Paket 1: Preise und Konditionen
Ziel des ersten Pakets war es, die Kosten für alle zu beschaffenden Waren und Dienstleistungen schnell und nachhaltig zu senken. Das jährliche Einkaufsvolumen für medizinischen und nicht-medizinischen Sachbedarf, Arzneimittel, Laborbedarfe sowie Dienstleistungen umfasst einen dreistelligen Millionen-Betrag (siehe Abb. 2). Um die Variantenvielfalt zu reduzieren und Volumenbündelung zu erreichen, hat das Projektteam gemeinsam mit Ärzten und Pflegern für ausgewählte Warengruppen zunächst die Plan-Bedarfe ermittelt, gebündelt und Spezifikationen erarbeitet. Das Projektteam reduzierte beispielsweise die Anzahl der OP-Abdecksets von vormals über 30 auf deutlich unter 20. Ein Großteil der Eingriffe kann somit über Standard-Sets abgedeckt werden.
Paket 2: Verbrauchssteuerung
Durch die Senkung des Verbrauchs an medizinischem Sachbedarf und Arzneimitteln wurden Kosten gesenkt (siehe Abbildung 2). Dazu nahm das zuständige Team des OP-Managements den Materialbestand im Zentral-OP auf. Der aus Gründen der Versorgungssicherheit hohe Bestand sollte durch Prozessoptimierung reduziert werden. Zur bedarfsgerechten Steuerung des Materialverbrauchs nahm das Team nun alle Bestellprozesse des Universitätsklinikums auf. Mit den Mitarbeitern der Institute und Kliniken wurden Bestellprozesse in Abhängigkeit von Wertgrenzen entwickelt und ein neues Bestellsystem implementiert. Für jeden Kostenstellenbereich wurden Bestellverantwortliche benannt. Zudem wurden für teure Sortimente, die technologisch schnell veralten, Konsignationsläger eingerichtet. In Abstimmung mit den Ärzten wurden Altbestände entweder verbraucht oder von Lieferanten zurückgenommen.
Paket 3: Supply Chain
Das dritte Paket umfasste die Optimierung des Materialstroms vom Lieferanten über das Lager hin zu den Verbrauchsstellen, um dadurch die Liefertreue auf die Stationen zu verbessern. Ein neuer Turnus mit einer Verbindlichkeit für die Belieferung der einzelnen Stationen unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen und Logistikkosten entstand und war Voraussetzung dafür, die Sicherheitsbestände zu reduzieren.
Paket 4: Neue Einkaufsorganisation
Das vierte Paket schuf die Basis dafür, dass der Einkauf die ehrgeizigen Projektziele durchsetzen konnte: Eine ganzheitliche Organisation für den neuen Bereich „Wirtschaft und Versorgung“ entstand, um das gesamte Einkaufsvolumen und die Versorgungslogistik zentral zu bündeln. Die Aufgaben des Bereichs wurden neu strukturiert: Er ist nun für die Optimierung aller Abläufe der Warenbeschaffung einschließlich der Materialbeschaffungssysteme verantwortlich. Klarer herausgearbeitet wurde die Unterscheidung zwischen strategischem und operativem Einkauf.
Um Umsetzungshürden zu überwinden, waren Ärzte und Pflegepersonal von Anfang an am Projekt beteiligt. Denn die angestoßenen Veränderungen im UK S-H waren tief greifend. Daher waren vor allem ein gutes Projektmanagement und Kommunikationsfähigkeit erfolgsentscheidend. Das Projektteam hat durch den engen Dialog zwischen Einkäufern und Anwendern Akzeptanz erreicht und die Basis für die umfangreichen und dauerhaften Einsparungen gelegt. Die Bildung von interdisziplinären Fachkommissionen für nahezu jede Artikelgruppe baute Umsetzungsbarrieren ab. Wie in der Industrie wurde in dem Projekt der Einkauf als Treiber von Kosteneffizienz wahrgenommen. Das Beispiel des UK S-H verdeutlicht, wo die Besonderheiten des Einkaufs in Krankenhäusern liegen. Vergleicht man dies etwa mit dem Einkauf in der Industrie, so wird zugleich klar, welche Hebel Beschaffungsmanager in Kliniken nutzen können:
  • Der Sachkostenanteil im Gesundheitswesen wächst stetig von derzeit rund 30 Prozent auf voraussichtlich mehr als 40 Prozent in den nächsten fünf Jahren. Dies ist deutlich geringer als in der Industrie, wo der Automatisierungs- und Standardisierungsgrad höher ist. Die Kürzung der Personalkosten in den Kliniken führt dazu, dass in zunehmendem Maß fehlende personelle Kapazitäten durch leistungsstärkere Materialien ersetzt werden und damit den Sachkostenanteil erhöhen.
  • Viele Kliniken haben die Bedeutung der Sachkostenoptimierung erkannt und bündeln einen Teil des medizinischen Sachbedarfes in Einkaufsgemeinschaften, auch wenn deren Fixkosten und Marge das Ergebnis wiederum schmälern. Eine schlagkräftige interne Einkaufsorganisation ersetzt dies nicht.
  • Das Einkaufsvolumen im Krankenhaus umfasst zu rund 60 Prozent Medikal-, Labor- und Apothekenbedarf. Doch gerade in größeren Organisationen sind für diese Bedarfe oft mehrere Stellen zuständig, z.B. Apotheke für Laboreinkauf und Arzneimittel, Drittmittelbewirtschaftung, einzelne Kliniken beschaffen am Einkauf vorbei, dezentrale Häuser mit eigenen Einkaufs-Organisationseinheiten etc. Selten gibt es eine zentrale Verantwortung mit einheitlichen stringenten Prozessen für die relevanten Bedarfssegmente, wie es in der Industrie Standard ist. Außerdem geht das Bündelungspotenzial verloren.
  • Gerade bei Verbrauchsmaterialien herrscht eine große Artikelvielfalt, vor allem in Universitätskliniken, die neue Materialien auch für Forschung und Lehre testen. In der Industrie beeinflusst der Einkauf stärker das Sortiment.
  • Ein Krankenkaus, insbesondere ein Haus der Maximalversorgung, ist durch den organisatorischen Aufbau von vornherein bei Bedarfen und Entscheidungsträgern stark fragmentiert, zum Beispiel durch Spezialisierung in der medizinischen Ausrichtung von der Unfallchirurgie bis zu Herzspezialisten. Dadurch sind viele Entscheidungsträger in die Prozesse einzubinden. Vergleichbar ist das mit einem diversifizierten Industriebetrieb mit zahlreichen Produkten und varianten.
  • Besonders bei Großgeräten wird der Einkauf noch zu selten in der entscheidenden Phase der Kostenbindung, nämlich bei der Spezifikation des Bedarfs, einbezogen. Derzeit bekommt der Einkäufer häufig nur die von den Kliniken vorverhandelte und teils auf einen Lieferanten zugeschnittene Spezifikation zur Abwicklung vorgelegt. Subjektive Entscheidungskriterien überwiegen, objektive Kriterien wie Preis, Qualität und Serviceleistungen spielen eine untergeordnete Rolle und schränken die Lieferantenauswahl ein. In der Industrie sitzen Einkäufer schon in der Entwicklungsphase mit am Tisch und können durch eine neutrale Spezifikation unter Wettbewerbsbedingungen breit am Lieferantenmarkt anfragen.
Der Krankenhauseinkauf wird in den nächsten Jahren enorm an Bedeutung gewinnen. Wie in der Industrie bereits üblich, wird auch der Einkauf eines Krankenhauses langsam als Wertschöpfungspartner wahrgenommen. Im Zusammenspiel mit Ärzten und Pflegepersonal kann der Einkauf an der Ergebnisverbesserung einzelner Abteilungen mitwirken und einen erheblichen Beitrag zum Klinikerfolg leisten. Das Potenzial für den Einfluss des Einkaufs in der gesamten Supply Chain von Krankenhäusern ist noch weitgehend unentdeckt (siehe Abb. 3).

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