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PPS-Systeme – Ausprägungen bei unterschiedlichen Anforderungen und Zielsetzungen

Anforderungen aus der Sicht der Wissenschaft
PPS-Systeme – Ausprägungen bei unterschiedlichen Anforderungen und Zielsetzungen

Produktionsplanung und -steuerung ist die Aufgabe, für ein gegebenes Produktionssystem – ausgehend von gegebenen Daten – Solldaten für einen definierten, zielgerichteten Ablauf des Produktionsprozesses festzulegen, dem Produktionsprozeß vorzugeben und diesen auf Inkonsistenzen abzuprüfen. Die Produktionsplanung und -steuerung basiert auf Modellen der Produktion, die Informationen über augenblickliche und zukünftige Zustände in der Produktion enthalten. Ihr Funktionsumfang besteht darin, existierende und entstehende Inkonsistenzen zwischen diesen Zuständen der Produktion unter Beachtung der durch die Produktionsmodelle gegebenen Restriktionen und orientiert in Richtung definierter Ziele zu beseitigen.

Prof. Dr.-Ing. habil. Wilhelm Dangelmaier

Ein Produktionsplanungs- und -steuerungsverfahren ist eine festgelegte oder erzeugte Folge von Transformationen der Solldaten, so daß die durch die Produktionsplanungs- und -steuerungsaufgabe gestellten Anforderungen (Konsistenz, Restriktionen, Ziele) erfüllt werden.
Maßnahmen im Sinne der Produktionsplanung und -steuerung sind überall dort notwendig, wo es nicht gelingt, einen mit einheitlicher Geschwindigkeit fortschreitenden Materialfluß aufzubauen und z. B. Bedarfsanmeldungen aus nachfolgenden Produktionsstufen infolge begrenzter Kapazität zu temporären Nichtmachbarkeiten (z. B. Nichtverfügbarkeiten) führen können.
Planungs- und Steuerungsnotwendigkeit besteht demnach:
–beim Eintritt in das Produktionssystem,
–beim Austritt aus dem Produktionssystem,
–beim Aufteilen des Materialflusses (Mehrfach-Verwendung/Splittung),
–beim Zusammenführen des Materialflusses (nach einer Montage),
–ggf. bei Änderung der Arbeitsgeschwindigkeit (z. B. Wechsel von 2-Schicht- zu 3-Schicht-Betrieb).
In allen diesen Fällen lassen sich Puffer nicht vermeiden.
Merkmale der Produktion
Zur Klassifizierung von Unternehmen werden aufgrund der Vielfalt betrieblicher Erscheinungsformen, die eine vollständige Erfassung schwierig machen, Methoden der Typologie angewendet. Im folgenden wird die Struktur eines betriebstypologischen Modells zur Ermittlung betrieblicher Anforderungen von PPS-Systemen erläutert.
Zunächst werden durch Abstraktion und Kategorisierung einzelner Entscheidungsformen des Produktionsprozesses die für den Bereich der betrachteten Betriebe zielrelevanten Merkmale erfaßt und die anforderungsrelevanten Merkmalsausprägungen differenziert.
Entsprechend den festgelegten typologischen Merkmalen und Merkmalsausprägungen werden typologische Grundmuster angegeben, die als Grundlage für die Abbildung betrieblicher Erscheinungsformen verwendet werden.
  • 1:Das Merkmal Erzeugnisspektrum drückt den Standardisierungsgrad der Erzeugniskonstruktion aus.
  • 2:Die Erzeugnisstruktur beschreibt den konstruktionsbedingten Aufbau der Erzeugnisse. Eine Differenzierung des Merkmals erfolgt im Hinblick auf die Anzahl der Strukturstufen (Strukturtiefe) und die Zahl der einzelnen Positionen innerhalb der Erzeugnisstruktur (Strukturbreite).
  • 3:Die Auslösungsart beschreibt die Bindung der Produktion an den Absatzmarkt (Fertigung auf Bestellung, Fertigung auf Lager).
  • 4:Die Dispositionsart definiert den Umfang des kundenauftragsorientierten Sekundärbedarfs, der aus Kundenaufträgen resultiert.
  • 5:Die Beschaffungsart beschreibt den Umfang des Einsatzes von fremdbezogenen Materialien und Halbfabrikaten im Rahmen der betrieblichen Erstellung von Erzeugnissen.
  • 6:Die Fertigungsart charakterisiert die Häufigkeit der Leistungswiederholung im Produktionsprozeß.
  • 7:Die Fertigungsablaufart kennzeichnet die räumliche Anordnung und die kapazitätsmäßige Abstimmung der Produktionsmittel sowie deren Transportbeziehungen.
  • 8:Die Fertigungsstruktur beschreibt die Tiefe des Fertigungsprozesses.
Durch die Zusammenfassung der Merkmale und ihrer Ausprägungen kann ein typologisches Grundmuster erstellt werden. Auf Basis dieser typischen Verläufe lassen sich damit Betriebstypen definieren, die als Repräsentanten einer größeren Gruppe von Betrieben anzusehen sind.
lSerielle Fertigung
Hierunter sind Unternehmen zu verstehen, die Produkte in Serie herstellen und ab Lager verkaufen. Kundenspezifische Anpassungen der Erzeugnisse (Weiterentwicklungen) werden nur bei neu einzuführenden Serien durchgeführt.
Charakteristika:
–Die Aktivitäten des Engineering-Bereichs (Entwicklung, Konstruktion) sind vollständig von der Kundenauftragsabwicklung und der Fertigung entkoppelt.
–Die Erzeugnisse werden einschließlich der Baugruppen und Einzelteile kundenunabhängig aufgrund von Prognosewerten gefertigt und im Fertigwarenlager gelagert.
–Kundenaufträge können innerhalb kürzester Frist erledigt werden.
–Die Fertigwarenbestände verursachen eine hohe Kapitalbindung und das Risiko der richtigen Lagersortierung („Ladenhüter“).
–Der Prognose kommt große Bedeutung zu, da von ihren Werten die Höhe und Sortierung der Fertigwarenbestände abgeleitet wird.
lSerielle Fertigung mit Anpassungen
Im Unterschied zur rein seriellen Fertigung sind hier geringfügige Anpassungen je Kundenwunsch auch beim Einzelerzeugnis zugelassen (Beispiel: Elektromotor, dessen Wellenende nach Kundenangaben verändert wird).
Charakteristika:
–Die Erzeugnisentwicklung erfolgt wie bei serieller Fertigung. Bei einem Kundenauftrag kann es notwendig werden, einige auftragsspezifische Unterlagen nach einer Angebotsskizze zu erstellen.
–In der Montage der seriell gefertigten Erzeugnisse werden angepaßte Komponenten für Kundenaufträge eingesteuert.
–Der Verkauf erfolgt nach Verkaufslisten und angepaßten Komponenten im Rahmen der Möglichkeiten bei der technischen Auftragsbearbeitung.
lSerielle Baukastenfertigung
Bei diesem Betriebstyp werden die Endprodukte entsprechend den Kundenwünschen aus lagermäßigen Baugruppen und Teilen montiert. Große Variantenvielfalt ist zugelassen. Bedingung ist jedoch, daß die Baugruppen und Teile nicht kundenabhängig hergestellt werden (Beispiel: Automobilfertigung). Für diesen Betriebstyp ist die sogenannte kundenauftragsgesteuerte Endfertigung anzustreben.
Charakteristika:
–Entwickelt wird nach dem Baukastenprinzip.
–Die Endmontage wird über ein Montageprogramm geplant, das sich vornehmlich aus den Kundenbestellungen zusammensetzt. Baugruppen und Teile werden kundenunabhängig nach Prognosewerten vorgefertigt bzw. beschafft.
–Verkauft wird nach Verkaufslisten durch Zusammensetzen des Kundenauftrags aus Typen und Varianten.
–Durch Kombination von Varianten kann am Markt ein großes Spektrum von Erzeugnissen angeboten werden.
–Kurze Lieferzeiten für Kundenaufträge werden durch eine funktionale, straff organisierte Auftragsbearbeitung und kurze Durchläufe durch die Endmontage erreicht.
lEinzelfertigung
Wichtigstes Merkmal dieses Betriebstyps ist es, daß auf Kundenauftrag eine dem Kundenwunsch angepaßte Ausführung hergestellt wird. Hierbei kann die Auftragsstückzahl 1 sein (Beispiel: Großmaschinenbau, Anlagenbau).
Charakteristika:
–In Entwicklung und Konstruktion wird nach Pflichtenheft eine kundenspezifische Ausführung erstellt. Um den Aufwand und die Durchlaufzeit im Engineering-Bereich zu reduzieren, sollte versucht werden, auch hier Baukästen zu entwickeln.
–Außer Normteilen können nur wenige Teile auf Lager gehalten werden. Die Fertigung von Baugruppen und Teilen kann erst nach Vorliegen der auftragsspezifischen Fertigungsstücklisten und Arbeitspläne gestartet werden.
–Durch Kundenberatung und Angebotserstellung werden die technischen Merkmale für einen Kundenauftrag erarbeitet.
–Da hier praktisch alle Funktionen in Anspruch genommen werden, kann die Durchlaufzeit eines Kundenauftrags lang sein. Abhilfe könnte dadurch geschaffen werden, auch hier das Baukastenprinzip einzuführen.
Spannweite eines universellen PPS-Systems
Im folgenden wird die Spannweite aufgezeigt, die ein universelles System abdecken muß, daß daraus Anforderungen an dieses bzw. dessen Eigenschaften abgeleitet werden. Hinsichtlich der Erzeugnisstruktur müssen sowohl einstufige als auch mehrstufige Produktionen dargestellt werden können. Während eine einstufige Produktion sich im wesentlichen als „black box“ mit Input und Output darstellt, erfordert eine mehrstufige Produktion Elemente zur Darstellung einer einzelnen Produktionsstufe, die zur Modellierung der gesamten Produktion kombiniert werden können.
Die Auslösungsart unterscheidet zwischen verbrauchsorientiertem und bedarfsorientiertem Anstoß der Produktion. Eine verbrauchsorientierte Produktion kontrolliert Material, Teile, Baugruppen usw., deren Bestand die einen Auftrag auslösende Kontroll- und Steuergröße liefert. In der Regel setzt eine verbrauchsorientierte Produktion eine Fertigung in größeren Stückzahlen voraus, so daß es möglich wird, die Kontroll-/Steuergrößen a priori zu definieren, und außerdem vorausgesetzt werden kann, daß alle Produkt- und dispositiven Informationen der Produktion bekannt sind und zur Duchführung keine weiteren Vorgaben aus der Produktionsplanung und -steuerung erforderlich sind.
Eine bedarfsorientierte Produktion füllt Bestände nicht bis zu einem Maximalbestand auf, sondern versucht, für zukünftig anstehenden Bedarf (Kundenaufträge, Brutto- oder Nettobedarf), eine Produktion termingerecht (Just-in-time) anzustoßen, so daß Liefertreue mit minimalen Beständen erreicht wird. Voraussetzung für diese Art der synchronisierten Produktionsveranlassung ist aber, daß das (im Rechner vorhandene) Modell der Produktion sowohl die Relationen zwischen den Produktionsstufen als auch die dort zur Produktion bzw. Wiederbeschaffung erforderlichen Dauern kennt – sinnvollerweise in Form eines bewerteten Graphen – und dies in Produktionstermine umsetzen kann.
Betrachtet man ein Produktionssystem als geschlossenes System, dann kann eine bedarfsorientierte Produktionsplanung und -steuerung ein beliebiges Zeitmodell wählen, ein verbrauchsorientiertes Vorgehen immer nur den aktuellen Zeitpunkt betrachten. Wenn man einen Anschluß an die Umsysteme braucht, muß man sich auf ein allgemein anerkanntes Zeitmodell einigen.
Die Dispositionsart unterscheidet nach Kundenauftragsfertigung und kundenanonymer Fertigung. Kundenauftragsfertigung in äußerster Konsequenz bedeutet, daß einzelne Fertigungsaufträge zu einem Kundenauftrag verknüpft werden und diese Struktur (Strukturstückliste) nur einmal instanziiert wird. Ein Teil 4711 erhält automatisch die Kundenidentifikation und wird damit auch kundenspezifisch hergestellt und gelagert. Ein Kommissionieren findet nicht statt. Eine Bestandsführung kann sich jederzeit auf eine 0/1-Aussage reduzieren.
Dasselbe gilt für die Produktion. Auch hier gibt es nur die zwei Möglichkeiten „Arbeitsvorgang in Arbeit“/“Arbeitsvorgang nicht in Arbeit“ (noch nicht begonnen oder bereits beendet) zu unterscheiden. Kundenanonyme Fertigung definiert dagegen einen erzeugnisorientierten, kundenunabhängigen Ablauf, der über der Zeit mehrfach instanziiert wird. Die Mehrfachverwendung und das damit verbundene Kommissionieren wird ein wesentlicher Teil der Produktionsphilosophie. Bestände definieren, wieviele Nachfolgeprozesse beginnen können und da mehrere Nachfolgeprozesse konkurrieren können, muß diese Konkurrenzsituation auch ausgedrückt werden können (Gozintograph).
Damit ist aber bei kundenanonymer Fertigung mit Mehrfachverwendung der Durchlauf durch das Produktionssystem, z. B. für ein bestimmtes Teil, nicht mehr vollständig vorherbestimmt – ein wesentlicher Unterschied zur Kundenauftragsfertigung. Dafür kann jederzeit auf dem aktuellen Bestand aufsetzend umdisponiert werden: Bei Mischformen (z. B. Teilefertigung anonym – Montage kundenspezifisch) weist erst das Lager den Kundennamen zu. Vergleichbares gilt für die einzelnen Arbeitsvorgänge: Ein bestimmter Vorgang wird bei Kundenauftragsfertigung nur ein einziges Mal durchgeführt. Bei kundenanonymer Fertigung wird er dagegen über der Zeit immer wieder instanziiert.
Liegt als Fertigungsablaufart eine Fließfertigung vor, so muß sogar eine Aussage getroffen werden können, wie oft ein Arbeitsvorgang zum selben Zeitpunkt instanziiert wurde. Ein Produktionsplanungs- und -steuerungssystem kann nur dann eine korrekte – und damit ausführbare – Aussage machen, wenn alle Potentialfaktoren in ihrer begrenzten Verfügbarkeit beschrieben werden. Es bietet sich an, nach Material, Produktionsmittel und Information zu differenzieren, um hier Spezifika besser darstellen zu können.
Häufig ist im Produktionsprozeß eine Wahl zwischen Alternativen möglich: Für ein Erzeugnis können Teile alternativ verwendet, zur Herstellung eines Erzeugnisses Arbeitsvorgänge alternativ ausgelöst werden. Diese Wahl macht die Abbildung der Wahlmöglichkeiten erforderlich. Bei Kundenauftragsfertigung wird ein Modell erforderlich, das Möglichkeiten enthält, wie sie etwa GERT-Netzpläne anbieten. Für kundenanonyme Serienfertigung wird dagegen ein Modell, vergleichbar mit gefärbten Petri-Netzen erforderlich. Will man die Wahlmöglichkeiten kompakt darstellen, so werden je Wahlsituation einzelne Klassen zu definieren sein. Andernfalls könnte man sich eine Vielzahl von „GERT-Netzplänen“ vorstellen.
Eine wirtschaftliche Produktion macht kurze Durchlaufzeiten und intensive Nutzung der Produktionsmittel erforderlich. Voraussetzung dafür ist eine möglichst hohe Prozeßorientierung des Produktionsplanungs- und -steuerungssystems: Prozeßnahe Modellierung, Aktualität der Planung, flexible Strategien bei Kapazitätsengpässen bzw. -überangeboten und kurzfristiges Außerkraftsetzen langfristiger Zielsetzungen sind die entsprechenden Kenngrößen.
Trägt der Markt an ein Unternehmen Anforderungen in neuer Qualität heran, dann muß es Strategien ändern, neue Hilfsmittel einsetzen oder mit neuen Organisationsformen reagieren. Ein PPS-System kann davon natürlich nicht unberührt bleiben.
Zielorientierung – strategische Konzepte der PPS
Ein ausschließlich verbrauchsorientiertes Konzept wird bei einer Orientierung an der Vielfalt zu nicht finanzierbaren Beständen und Durchlaufzeiten führen. Alles immer aufzufüllen wird schon deshalb nicht funktionieren, weil nicht alles bekannt ist. Auslauf- und Kapazitätsprobleme werden nicht zu vermeiden sein.
Herkömmliche bedarfsorientierte PPS-Systeme basieren auf einem seriellen Ansatz und teilen in die beiden nacheinander ablaufenden Aufgabenblöcke Mengen- und Kapazitätsplanung auf (MRP II-Ansatz). Unter Mengenplanung wird dabei die Bereitstellung von Material zur richtigen Zeit und in der richtigen Menge zur Deckung des Bedarfs verstanden. Die Kapazitätsplanung stellt eine Verfeinerung der Mengenplanung dar: Die in der Mengenplanung errechneten Termine werden unter Berücksichtigung der Kapazitätskonkurrenz verbessert. Bestands- bzw. Material- und Kapazitätsaspekt werden demnach nacheinander und nicht gleichberechtigt abgearbeitet.
Die Mengenplanung verwendet als Modell des zu planenden/steuernden Bereichs Dispositionsstücklisten/Gozinthographen. Für alle Enderzeugnisse, Baugruppen, Eigen- und Fremdfertigungsteile und Rohmaterialien werden ausgehend vom Primärbedarf Bruttobedarfe über eine Stücklistenauflösung berechnet und zusammengefaßt, Bestände geführt und in der Nettobedarfsrechnung zum Abzug gebracht. Bearbeitungsvorgänge jeder Fertigungsstufe werden durch eine Vorlaufzeit ausgedrückt. Diese Vorlaufzeit ist losgelöst von der tatsächlichen Konkurrenzsituation vor der einzelnen Maschine und deren planerischen Lösung. Eine anschließende endgültige Zuordnung der Aufträge zu einzelnen Betriebsmitteln hat in diesem Spielraum zu erfolgen.
Kapazitätsplanungssysteme beschränken sich auf die Teilefertigung und berechnen für jeden Arbeitsgang eines teilespezifischen Arbeitsplans Termine. Ausgangspunkt ist der Wunschendtermin der Mengenplanung auf Teilebene. In der von diesem Termin bis zur Anlieferung durch den Lieferanten reichenden Zeitspanne muß ein zulässiger Plan für die Belegung der einzelnen Betriebsmittel/Zuordnung der Arbeitsgänge zu den einzelnen Maschinen gefunden werden. Dazu werden maschinen(gruppen-)weise Warteschlangen aufgebaut und nach Prioritätsregeln abgearbeitet.
Vor allem zwei Gründe sprechen für diese Konzeption:
lDie Bestellung von Rohmaterial erfolgt – da meist mit großen Vorlaufzeiten verbunden – weit vor Beginn der Fertigung. Ein kurzfristiger Abruf, basierend auf einer detaillierten Belegung der Teilefertigung, kann ausgeschlossen werden.
lIn der Montage ist eine Selbstkoordination ausreichend. Die aufwendige Kapazitätsplanung beschränkt sich mit der Teilefertigung auf den Bereich, in dem eine detaillierte Terminfestlegung notwendig ist. Bereits auf die eigentlich naheliegende Abstimmung der Bestelltermine des Rohmaterials und der Kaufteile auf die Kapazitätsplanung wird verzichtet, weil der Gewinn an Genauigkeit durch diese Abstimmung in den Unsicherheiten der langen Materialbeschaffungszeit untergehen würde.
Allerdings sind damit gravierende Mängel verbunden:
Die Mengenplanung muß auf jeder Fertigungsebene – insbesondere für die Teilefertigung – Dispositionsspielraum für die nachfolgende Kapazitätsplanung vorsehen. Die Durchlaufzeiten werden sich daher am schlechtesten Fall orientieren, wenn man Termintreue und Verfügbarkeit garantieren will. Damit entstehen zwangsläufig nicht genutzte Spielräume. Jede nachfolgende Planung versucht aber, genau diese in bezug auf Durchlaufzeit ungünstigen Termine über Prioritätsregeln einzuhalten – auch eine optimale Kapazitätsauslastung ist damit nicht erreichbar.
PPS-Systeme, die einen parallelen Ansatz (Simultanplanung) zugrunde legen, betrachten auf jeder Produktionsstufe gleichberechtigt Bedarfs-/Bestands- und Kapazitätsbelange, bevor im Ablauf zur nächsten Produktionsstufe fortgeschritten wird.
Voraussetzung für eine Simultanplanung ist der Aufbau einer spezifischen Planungsstruktur. Diese verbindet die (in konventionellen Systemen getrennte) Produkt- oder Dispositionsstruktur (Stücklisten) mit der Kapazitäts- oder Materialflußstruktur (Arbeitspläne) in einem nach kapazitiven und dispositiven Gesichtspunkten geordneten Gozintographen. Mengen- und Kapazitätsplanung können sämtliche in der konventionellen MRP-Vorgehensweise verwandten Verfahren fallspezifisch miteinander verknüpfen.
Eine Simultanplanung ist immer dann von Vorteil, wenn Bedarfs-/Bestands- und Kapazitätsbelegungsaspekte nicht aus Beschaffungsgründen getrennt werden müssen. Solche Gründe sind auf der einen Seite Bestellzeiten für Rohmaterial, die ggf. weit über den Horizont der Kapazitätsplanung hinausgehen. Auf der anderen Seite wird eine Simultanplanung immer dann fraglich sein, wenn wie z. B. bei Einzelfertigung denkbar, der Horizont der Kapazitätsplanung nur für eine Produktionsstufe eine Simultanplanung erlaubt und zur Schaffung eines Gesamtüberblicks über den Gesamthorizont ein MRP-Verfahren eingesetzt wird.
Ist aber der Planungshorizont, der für eine Kapazitätsbetrachtung möglich ist, für eine Betrachtung des gesamten Durchlaufs ausreichend, dann wird eine Simultanplanung unter der jeweiligen Zielsetzung bessere Ergebnisse als eine serielle Vorgehensweise liefern. Dabei zeigt sich, daß jede Verbesserung des Materialflusses und der Abstimmung der Kapazitäten den Zwang vermindert, Kapazitäten in einer aufwendigen Planung betrachten zu müssen – bei gleichzeitiger Verbesserung der Durchlaufzeiten.
Wendet man bei einem Simultanplanungskonzept eine Vorwärtsrechnung an, wird man die bestmögliche Kapazitätsnutzung bei vergleichsweise günstigen Durchlaufzeiten erhalten. Allerdings ist die Einhaltung eines vorgegebenen Kundentermins nur zufällig möglich. Im Prinzip geht diese Strategie ja gerade davon aus, daß man mehr Aufträge hat, als man bewältigen kann. Es werden die Engpässe verwaltet, und der Kunde hat den ihm mitgeteilten Liefertermin zu akzeptieren.
Simultanplanung und Rückwärtsrechnung wird dagegen zu einer bestmöglichen Einhaltung der Kundentermine bei gleichzeitig situationsabhängig minimaler Durchlaufzeit führen. Die Kapazitätsauslastung ist aber hier, wie im vorherigen Fall der Liefertermin, Ergebnis der Planungsrechnung.
Strebt man – ggf. mit einem Simultanplanungskonzept – minimale Liefer- und Reaktionszeiten an, dann darf die Verarbeitung im Computer keine zusätzliche Verzögerung bedeuten. Zyklische Verarbeitung – u.U. in nicht abgestimmter Form über mehrere Verarbeitungsschritte – schließt sich damit von selbst aus.
Spezielle Verarbeitungsformen werden erforderlich, wenn rund um die Uhr gefertigt werden soll: Es muß ereignisorientiert gerechnet werden, ohne durch diese Rechnung den Produktionsprozeß aufzuhalten. Bild 3 zeigt dazu einen Ansatz, der von einer ständigen Verfügbarkeit des PPS-Rechners ausgeht und die Bearbeitungszeit nutzt, im voraus unterschiedliche Rückmeldeergebnisse durchspielt und während der Bearbeitungszeit ggf. eine Optimierung vornimmt.
Ein solches PPS-System muß viergeteilt arbeiten:
  • 1.Bewertung der Rück-/ Störmeldung, ob eine (Änderungs-) Rechnung erforderlich ist oder ob die Abweichungen innerhalb eines tolerierbaren Bereichs liegen.
  • 2.Abhängig von der Bewertung des aktuellen Prozeßzustands sofortige Bereitstellung der zur Fortsetzung des Arbeitsprozesses erforderlichen Daten, z B. der Informationen zum nächsten Auftrag oder z.B. der Beschreibung des Ersatzwerkzeuges.
  • 3.Zwischenspeichern des Zeitpunkts des nächsten Ereignisses, zu dem eine Information an den Produktionsprozeß abgesetzt werden muß (z.B. Beginn eines weiteren Auftrages).
  • 4.Aktualisieren und „Optimieren“ des Planungshorizonts bis zum Ende unter Berücksichtigung des Sachverhalts, daß das nächsten Ereignis aktuelle Information erhalten muß, d. h. mit Schritt 1 aufzusetzen ist.
Selbstverständlich setzt dieses Konzept eine dezentrale Komponente voraus, auf der anderen Seite muß ständig auf Kollisionen mit anderen Organisationseinheiten abgeprüft werden.
Taktische Konzepte der PPS
Minimale Durchlaufzeiten, bestmögliche Kapazitätsnutzung und absolute Termintreue können nur mit einem zentralistischen Ansatz erreicht werden, der auf jede Änderung sofort und unter Kenntnis der Gesamtsituation optimierend reagiert – dies ist die Sicht der PPS. Alle heute aktuellen Ansätze wie die Einbeziehung der Mitarbeiter, Delegation von Verantwortung, Integration von Prüftätigkeiten in die Linie, Projektabruf/-belieferung (push-/pull-Prinzip) usw. führen aber letztlich zu einem vollständig dezentralisierten Simultanplanungskonzept (Bedarfsorientiertes KANBAN?), das
–ausgehend vom Kundenauftrag die Fertigung und die Beschaffung anstößt,
–alle PPS-Funktionen systematisch dezentralisiert,
–den aktuellen Plan als das Ergebnis einer Reihe von Verhandlungen ansieht.
Eine entsprechend dezentralisierte IT-Landschaft mit einer ausgeprägten Kommunikationskomponente ist hier die unabdingbare Voraussetzung. Routineaufgaben müssen unbedingt durch Workflow-Konzepte unterstützt, die Datenübertragung durch EDI/EDIFACT und Internet/www-Dienste unterstützt werden.
Jede dezentrale Konzeption erfordert dezentrale Spielräume – die Probleme sind dieselben wie bei der konventionellen seriellen Vorgehensweise. So ist z. B. der dispositive Horizont die eingefrorene Zone bzw. minimale Zeiteinheit jeder überlagerten zentralen Planung. Die hier gestellte Frage ist immer dieselbe: Installiert man die totale Planung mit dem großen Bruder, der zwar alles weiß, aber den Menschen zum frustrierten Sklaven macht, oder baut man auf die Kompetenz und Motivation des mündigen Mitarbeiters (Fraktale Fabrik). Zumindestens heute scheint es so, als ob die Betonung der Vielfalt – entgegen der reinen Lehre – eine mitarbeiterzentrierte Denkweise einem zentralistischen Ansatz auch hinsichtlich Durchlaufzeit- und Pufferminimierung überlegen macht.
Literatur
[1]Jacobs, F.R.: OPT uncovered: Many Production Planning and Scheduling concepts can be applied with or without the software. Industrial Engineering: Oktober 1984, S. 32-41.
[2]Dangelmaier, W.: Ansätze zur Fertigungsplanung und -steuerung bei Serienfertigung. wt – Z. ind. Fertig. 74 (1984), S. 341-344.
[3]Warnecke, H.-J.: Die Fraktale Fabrik. Revolution der Unternehmenskultur. Berlin; Heidelberg; New York; London; Paris; Tokyo; HongKong; Barcelona; Budapest: Springer Verlag, 1992.
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