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Professioneller Umgang mit Risiken

Erfolgsfaktoren eines Risikomanagements in Supply-Netzwerken
Professioneller Umgang mit Risiken

Die zunehmende Verlagerung von Wertschöpfungsanteilen und eine intensive Vernetzung mit Zulieferern in Supply-Netzwerken gelten einerseits als Erfolgsmodell für eine zeitgemäße Organisation der industriellen Beschaffung. Andererseits stehen sie aber auch für eine besonders anspruchsvolle und damit risikobehaftete Strukturform.

Dr. Arndt Präuer, Dr. Tobias Bernecker

Ein professioneller Umgang mit diesen Risiken bildet daher einen wesentlichen Bestandteil des erfolgreichen strategischen Beschaffungsmanagements und damit der Performancefokussierung von Supply-Partnerschaften. Im Anschluss an eine Systematisierung von typischen Beschaffungsrisiken stehen im vorliegenden Beitrag Gestaltungsfelder und Infrastrukturen für ein Risikomanagement in der Beschaffung im Mittelpunkt, das insbesondere auf die strukturellen Spezifika von Beschaffungskooperationen Bezug nimmt.
Die Beherrschung von Beschaffungsrisiken bildet eine strategische Herausforderung, die grundlegend für den Erfolg des Beschaffungsmanagements ist. Wie die nachfolgenden Beispiele zeigen, gilt dies insbesondere für Original Equipment Manufacturer (OEM):
– Mehrere weltweit führende Autohersteller sahen sich im Jahr 2002 gezwungen, gemeinsam dem Zulieferer Peguform ein Massedarlehen zu gewähren, um einen Stillstand der eigenen Produktion aufgrund der Insolvenz von Peguform und gleichzeitig mangelnder Alternativen in der Beschaffung zu vermeiden. Zu spät in ihrer Wirkung registrierte Kapitalabflüsse zur Muttergesellschaft hatten die Insolvenz des Zulieferers zur Folge gehabt. Peguform stellt für die Automobilindustrie Kunststoffteile und Module für die Innen- und Außenausstattung her.
– In einer ähnlichen Single-Sourcing-Beschaffungskonfiguration hatte Ford bereits 1998 einen mehrtägigen Produktionsstopp in Kauf nehmen müssen, nachdem Lieferungen von Türschlössern durch Kiekert aufgrund von Softwareproblemen ausblieben.
– In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre war der Markt für Halbleiter-Speicherbausteine weitgehend gesättigt. Es existierten überschüssige Produktionskapazitäten, und die Hersteller standen teilweise vor dem Ruin. Ende der Neunzigerjahre führten dann allerdings eine anziehende Nachfrage bei Endprodukten und die Zerstörung vieler Produktionsstätten durch Erdbeben in Taiwan bei zahlreichen Unternehmen der Elektronikindustrie zu großen Lieferengpässen und steigenden Stückpreisen.
– Nissan musste 2004 den Import von teurem europäischem Stahl – und damit die Unhaltbarkeit der eigenen Kostenkalkulation – in Kauf nehmen, um einen Stillstand zu vermeiden, da der chinesische Stahlmarkt nicht mehr in der Lage war, die Nachfrage zu befriedigen.
Häufig sind die OEM allerdings auf den Eintritt derartiger Risiken nicht ausreichend vorbereitet. Dann verbleibt nur die Möglichkeit, nachträglich über ein teures Krisenmanagement zu intervenieren. Um einen nachhaltigen Unternehmenserfolg sicherzustellen ist hingegen ein professioneller Umgang mit Beschaffungsrisiken gefordert. Ein gestiegenes Risikobewusstsein steht dabei für den steigenden Stellenwert des Risikomanagements in Theorie und Praxis. Allerdings erschweren tief greifende Veränderungen der Märkte und von unternehmerischen Wertschöpfungsstrukturen die Risikoschätzung. So lassen sich turbulente ökonomische Entwicklungen in global vernetzten Märkten zunehmend schwer prognostizieren. Die strategische Neuorientierung vieler Unternehmen, insbesondere die Konzentration auf Kernkompetenzen, führt zur Reduzierung der Leistungstiefe durch Verlagerung der Wertschöpfung auf Partner. Dies geht teilweise so weit, dass die OEM die Verantwortung für die Durchführung umfassender Geschäftsprozesse bis zum (End-)Kunden im Rahmen eines Solutions Sourcing an Zulieferpartner übertragen.
Eine einseitige Risikoabwälzung auf die Zulieferer oder die grundsätzliche Risikovermeidung stellen allerdings wenig realistische Szenarien für das Risikomanagement dar. Zur Sicherstellung der nachhaltigen Wirtschaftlichkeit komplexer Abnehmer-Zulieferer-Beziehungen bzw. zur Früherkennung von Chancen- und Risikopotenzialen in Supply-Netzwerken ist vielmehr eine unternehmensübergreifende effiziente und effektive Organisation des Risikomanagements erforderlich. Dabei handelt es sich um eine Gestaltungsaufgabe, für die zumeist das Strategische Beschaffungsmanagement als strukturelles Bindeglied zwischen Unternehmung und Beschaffungsmarkt verantwortlich ist.
Risiko-Klassifikation in Supply-Netzwerken
Um ein Risikomanagementsystem für die Beschaffung zu entwerfen ist es zunächst erforderlich, sich einen Überblick über das Risikopotenzial von Supply-Netzwerken zu verschaffen. Hierfür eignet sich zunächst die gängige Unterteilung in strategische und operative Risiken. Die strategischen Risiken erfassen dabei insbesondere Mängel in der Effektivität (d. h. die Gefahr, die falschen Dinge zu tun), die operativen Risiken die fehlende Effizienz (d. h. die Gefahr, zwar die richtigen Dinge zu tun, diese aber falsch zu machen). Während bei den strategischen Risiken also der Aufbau und die langfristig planbaren Aspekte von Zuliefer-Abnehmer-Beziehungen in den Fokus rücken, stehen bei den operativen Risiken die mit dem einzelnen Beschaffungsvorgang – bei gegebener Struktur – verbundenen Risiken im Mittelpunkt.
Die auf den Zeithorizont bezogene Unterscheidung von operativen und strategischen Risiken reicht für das Risikomanagement in komplexen Strukturen jedoch nicht aus. Vielmehr sind die Risikofaktoren auch über den Zeitverlauf zu differenzieren. So können Risiken entweder vor Vertragsschluss (Ex-ante-Risiko) oder aber nach Vertragsschluss (Ex-post-Risiko) entstehen (siehe Abbildung).
Das in der Abbildung skizzierte Risikoportfolio findet dabei nachfolgend weniger für eine eindeutige Priorisierung verschiedener Risiken oder Risikoklassen Verwendung als vielmehr für die strukturierte und pragmatische Risikoerfassung.
Drum prüfe, wer sich …
Unter die Klasse der Setup-Risiken fallen alle strategischen Ex-ante-Risiken, die bei der Anbahnung von langfristigen Partnerschaften mit Zulieferern eintreten können. Sie werden relevant, noch bevor eine (rechts-)verbindliche Rahmenvereinbarung zur Kooperation bzw. Zusammenarbeit zwischen potenziellen Partnern entlang der Supply Chain getroffen und umgesetzt wird. In dieser Phase finden u. a. die Alternativenbewertung im Rahmen der Beschaffungsmarktforschung und die Auswahl möglicher Partner durch die strategische Beschaffung statt. Am Ende steht dann die Konfiguration einer Wertschöpfungspartnerschaft. Zu typischen Setup-Risiken in Supply-Netzwerken zählen:
Lieferantenabhängigkeit:
Ein wichtiges strategisches Ziel vieler OEM ist die Reduzierung der Lieferantenzahl, wobei in zahlreichen Fällen derartige Bemühungen in einer Konzentration auf einen oder zwei Partner münden (Single bzw. Dual Sourcing). Das Risiko einer derartigen Strategie liegt in der Zunahme der Abhängigkeit des OEM von eben diesen Lieferanten. Diese steigt insbesondere, wenn nur unvollständige Dokumentationen vorhanden sind, sowie bei vielen Schutzrechten und bei einem hohen Anteil an Erfahrungswissen des Zulieferers.
Global Sourcing:
Zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit sind Unternehmen zunehmend gezwungen, ihre Beschaffungsaktivitäten auf globale Beschaffungsmärkte auszudehnen. Dabei werden sie mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, wie beispielsweise Risiken aufgrund von sprachlichen und kulturellen Unterschieden, Währungsrisiken und Risiken aufgrund der Verschiedenheit nationaler Rechtssysteme. Weitere Risiken auf den Beschaffungsmärkten stellen faktische Wettbewerbsbeschränkungen durch die Lieferantenkonsolidierung in reifen Industriebranchen sowie durch die geringe Zahl neuer Anbieter aufgrund oftmals hoher Markteintrittsbarrieren dar.
Umfeldinduzierte Risiken:
Risiken des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfelds entstehen in erster Linie aus dem Wandel der Rahmenbedingungen. Hierunter fallen beispielsweise die Erhöhung von Steuern und Abgaben, Veränderungen von bestehenden Rechtsordnungen, politische Einflussnahmen und konjunkturelle Schwankungen.
Regelungen für Partnerschaften
Anders als die Setup-Risiken treten die – ebenfalls strategischen – Partnering-Risiken erst dann auf, wenn OEM und Zulieferer bereits eine Vereinbarung über eine strategische Supply-Partnerschaft getroffen haben. Partnering-Risiken sind also ex post angesiedelt und somit Bestandteil einer bestehenden Geschäftsbeziehung mit strategischen Zulieferern. Zumeist wird daher versucht, diese Ex-post-Risiken über formale Vertragsstrukturen zu regeln. Allerdings setzen die Gefahren eines übertriebenen Formalismus und von langwierigen rechtlichen Durchsetzungsverfahren dem auch enge Grenzen. Zu wichtigen Partnering-Risiken in Supply-Netzwerken zählen beispielsweise:
Know-how-Abfluss:
Die eigenen Lieferanten stellen eine wichtige Innovationsquelle für den OEM dar. Allerdings birgt eine enge strategische Zusammenarbeit mit einem Zulieferer immer auch Risiken von Know-how-Abflüssen. Besonderes Augenmerk hat hierbei dem Schutz der Kernkompetenzen zu gelten, damit kein Wissen über Lieferanten zu den Konkurrenten gelangt. Gleichzeitig ist zu verhindern, dass die eigenen Kernfähigkeiten nicht weiterentwickelt werden, weil zu viele Kompetenzen für komplette Geschäftsprozesse oder Module an Lieferanten ausgelagert werden.
Fehlende Stabilität:
Insbesondere bei strategischen Zulieferern sind Risiken mangelnder Stabilität und Solidität zu berücksichtigen. Mangelnde Stabilität resultiert in erster Linie aus einer instabilen finanziellen Ressourcenausstattung, beispielsweise in Form einer hohen Verschuldung, aus der Gefahr von Übernahmen oder aus zu geringen (Neu-)Investitionen in Forschung und Entwicklung. Mangelnde Solidität bezieht sich auf Managementaktivitäten und steht für das Fehlen einer schlüssigen Strategie, für eine hohe Fluktuation von Schlüsselpersonal, für unklare Verantwortlichkeiten und für unterentwickelte Managementsysteme.
Ausstieg von Partnern:
Aufgrund der Spezifität des Leistungsbeitrags insbesondere strategischer Partner bzw. Zulieferer ist mit großem Aufwand bei einem Lieferantenwechsel zu rechnen. Neben diesem vornehmlich finanziellen Risiko, das bis hin zur Insolvenz führen kann, droht hier insbesondere auch Gefahr aus einem Know-how-Transfer zu Wettbewerbern, wenn sich der ausscheidende Lieferant einem neuen Netzwerk anschließt.
Dreieckskonstellationen:
In komplexen Beschaffungsnetzwerken ist darauf zu achten, dass nicht durch eine Überbetonung kooperativer Elemente zu wenig Anreize zur Sicherstellung einer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit der Kooperation gegeben werden. Vielmehr müssen Ansätze netzinterner Korruption frühzeitig erkannt und bekämpft werden. Auch ist darauf zu achten, dass die Zusammenarbeit nicht zu Lasten eines Akteurs erfolgt, beispielsweise indem ein 1st-tier Supplier vom OEM und einem Vorlieferanten in die Zange genommen wird und in der Folge kaum mehr handlungsfähig ist.
Anbahnungs- und Abwicklungsrisiken
Anders als die auf den Aufbau von langfristigen strategischen Vereinbarungen fokussierten Setup-Risiken nehmen die Anbahnungsrisiken zwar ebenfalls eine ex-ante-Perspektive ein, beziehen sich aber auf den operativen Beschaffungsprozess. Sie entstehen bei der Anbahnung konkreter Aufträge für einen Zulieferer, d. h. im Rahmen der Auftragsvergabe. Zu den Anbahnungsrisiken in Supply-Netzwerken zählen:
Bedarfsrisiken:
Die Verhandlungen mit Lieferanten bei der Anbahnung von Geschäftsbeziehungen werden häufig durch Bedarfsrisiken belastet. Dabei handelt es sich um Ungewissheiten in Bezug auf Menge, Termin, Qualitätsmerkmale und die Bedarfsentwicklung der Beschaffungsgüter.
Preisrisiken:
Preise bedürfen der Fixierung durch Aushandlung. Der dabei zur Verfügung stehende Spielraum birgt eine Reihe an spezifischen Risiken. Diese äußern sich unter anderem in Preisnachteilen gegenüber Konkurrenten, in der Volatilität der erzielten Preise, in opportunistischem Preisverhalten seitens der Anbieter oder in Währungskursschwankungen.
Kapazitätsrisiken:
Änderungen in der benötigten Kapazität werden durch kurzfristige Terminverschiebungen und Bedarfsschwankungen hervorgerufen. Das Ausmaß der damit einhergehenden Risiken hängt häufig eng mit der Bedeutung eines Abnehmers für den Lieferanten zusammen. Insbesondere der Status als Präferenzkunde kann dabei helfen, trotz genereller Lieferengpässe bei einem Zulieferer die Belieferung sicherzustellen.
Kurzfristige Wettbewerbsbeschränkungen:
Die Verhandlungen mit Zulieferern werden in vielen Unternehmen immer wieder durch kurzfristige Wettbewerbsbeschränkungen erschwert. Darunter fallen Beschaffungssituationen, bei denen die Wahl eines bestimmten Zulieferers durch den Kunden vorgenommen wird oder bei denen die Festlegung eines Zulieferers durch die Notwendigkeit von Gegengeschäften zur Unterstützung von Vertriebsaktivitäten erfolgt.
Bei operativen Beschaffungsprozessen treten nicht nur in der Anbahnung sondern auch nach Vertragsschluss, d. h. ex post, eine Reihe von auf die einzelne Transaktion fokussierten Risiken auf, die den Erfolg von Supply-Partnerschaften in Frage stellen können. Von vielen OEM werden gerade diese Abwicklungsrisiken aufgrund ihrer Offensichtlichkeit besonders bewusst wahrgenommen. Daher gelten sie in vielen Fällen auch als die beherrschbarsten Risiken. Zu den Abwicklungsrisiken zählen insbesondere:
– Liefer- und Qualitätsrisiken: Wenn die Materialien von den Geschäftspartnern nicht in der richtigen Menge, nicht zum richtigen Zeitpunkt, nicht am richtigen Ort und nicht in der geforderten Qualität geliefert werden, liegen Liefer- oder Qualitätsrisiken vor. Gerade bei der Auflösung von Geschäftsbeziehungen ist ihnen besonderes Augenmerk zu schenken. Es ist darauf zu achten, dass in derartigen Übergangsphasen ein abnehmendes Geschäftsinteresse des Zulieferers nicht zu Lasten des OEM geht.
– Finanzielle Engpässe und Insolvenzen: Ist ein Zulieferer aufgrund von Liquiditätsproblemen nicht mehr in der Lage, seinen Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen, führt dies für den OEM rasch zu einem Versorgungsrisiko, das in der Phase der Abwicklung oder der Beendigung einer Transaktion verortet ist. Versorgungsrisiken erfordern schnelle Reaktionen des OEM, der entweder einen Lieferantenwechsel beschleunigt vollziehen kann oder den Zulieferer stützen kann.

Risiken im strategischen Beschaffungsmanagement

Serie

  • Teil I: Einführung und Risiko-Klassifikation in Supply-Netzwerken (2/06)
  • Teil II: Gestaltungsfelder des Risikomanagements (3/06)

  • Die Autoren

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