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Psychologie und Verhandlungsführung

Einkaufsverhandlungen, Teil 10
Psychologie und Verhandlungsführung

„. . . Er prüft den Gesichtsausdruck seines Partners aufmerksam und vergleicht ihn mit dem seiner Gegenspieler. Er beobachtet die Art, wie sie die Karten aufnehmen und ordnen, er liest ihnen von den Augen ab, welche Trümpfe und Honneurs sie in den Händen haben. Während des Spiels achtet er sorgfältig auf jede Veränderung ihrer Mienen, zieht jeden Ausdruck der Befriedigung oder Überraschung, des Triumphes oder Bedauerns in Rechnung, und sammelt so einen großen Fonds gut verwertbaren Wissens. Ein zufällig oder unbedacht hingeworfenes Wort . . . all das gewährt ihm einen scheinbar intuitiven Einblick …“

Günter Hirschsteiner, Betriebswirt VWA

So beschreibt Edgar Allan Poe einen Whist-Spieler in seiner psychologisch-phantastischen Erzählung „Der Doppelmord in der Rue Morgue“. Manchmal möchten auch Einkäufer die analytisch-kombinatorischen Fähigkeiten seines literarischen Freundes C. Auguste Dupin und den Einblick in die Psyche des Kontrahenten besitzen, besonders bei schwierigen Verhandlungen, natürlich um sie zu gewinnen.
Wer über wirtschaftliche Macht verfügen kann, braucht nicht zu verhandeln, um seine Absichten zu realisieren. Wer jedoch verhandelt, will überzeugen, motivieren. Dann am liebsten durch psychologische Überlegenheit. Max Weber hat soziale Macht als die Möglichkeit, den eigenen Willen innerhalb eines sozialen Verhältnisses auch gegen Widerstand durchzusetzen, definiert. Persönliche soziale Macht (social power) entsteht aus
íphysischer (brachialer),
íwirtschaftlicher (pretialer),
íverstandesmäßiger (intellektualer),
íseelisch-geistiger (psychischer)
Überlegenheit. Die erstgenannten Grundlagen (social pressure) sind in den Einkaufsverhandlungen unserer Zeit kaum aktivierbar und selten vorgegeben. Die beiden anderen schließen ein:
ísoziale Intelligenz: Kommunikationsfähigkeit,
íkreative Intelligenz: Schöpfungstalent,
íemotionale Intelligenz: Gefühlsorientierung,
ípraktisch-intuitive Intelligenz: Alltagsverstand.
Wer wie „Deep Blue“, der Schachcomputer, nach dem Prinzip cogito ergo sum – „ich denke, also bin ich“, seine Problemlösungsansätze nur auf die Mittel der Logik beschränkt, hat schon verloren, nicht nur gegen Computer.
•Psychologie ist Lehre vom menschlichen Erleben sowie Verhalten und deren Ursachen und Auswirkungen
Verhandlungen werden zwischen Menschen geführt und entschieden, die ihre eigenen Interessen und Absichten mit einbringen. Verkäufer und Einkäufer vertreten die Interessen ihrer Auftraggeber, dabei aber auch ihre eigenen, sachlichen und emotionalen Befindlichkeiten. Wer verhandelt, will maximale Vorteile realisieren, indem er einen Partner dazu gewinnt. Um andere durch Kommunikation motivieren zu können, muß man selbst zum Erfolg motiviert sein. Manche Menschen versuchen Verhandlungen auf die Sach-Ebene zu beschränken, weil ihnen der menschliche Aspekt einer Auseinandersetzung unberechenbar und schwierig erscheint. Beträchtliche Erfolgspotentiale werden so verschenkt.
•Verhandlungen werden angesetzt, wenn Interessensgegensätze bei gegebener Einigungsabsicht und Erfolgsaussicht kollidieren
Einkaufsverhandlungen sollen regelmäßig Konflikte lösen und Austauschbeziehungen unter freien Partnern begründen. Die Einigung muß so erreicht werden, daß jeder der Kontrahenten Vorteile für sich realisieren kann, zufrieden ist und die Vereinbarungen erfüllen will. Wer sich getäuscht fühlt, wird später Vergeltungspotentiale aktivieren. Der Wille zum Verhandeln wird vom Interesse der Kontrahenten und den eingeschätzten Erfolgsaussichten bestimmt. Jeder will etwas geben (möglichst wenig), um etwas zu erreichen (möglichst viel). Diese individuellen Zielsetzungen und Interessensgrenzen bilden das Spannungsfeld der Verhandlungen.
•Mehr als drei Viertel des beruflichen Erfolges hängen davon ab, wie man mit anderen umgehen kann
Einerseits. Andererseits sind (fast) alle Menschen beeinflußbar, wenn sie bei ihrer Motivationslage „abgeholt“ werden. Das zu erreichen ist die Aufgabe psychologisch-orientierter Gesprächsführung oder: den Humanfaktor des Geschäftserfolges zu aktivieren.
Psyche und Motivation
Psychologie als Disziplin definiert ihre Aufgaben unter anderem so:
íEigenes und fremdes Verhalten verstehen, steuern und kontrollieren können.
íBestimmtes Verhalten, situativ bezogen, voraussehen und so voraussetzen können.
íErwartungsstandards für wiederkehrende Situationen bilden und dazu einheitliche Verhaltens- und Reaktionsweisen anbieten.
íOrientierungshilfen für die Lebensgestaltung geben.
íFehlverhalten und Fehlleistungen revidieren helfen und Problemlösungsansätze aufzeigen.
Das Verhalten der Menschen wird von ihren bewußten und unbewußten seelischen Vorgängen und den geistigen, intellektuellen Funktionen ihrer Psyche bestimmt. Sie ist das Bezugssystem des menschlichen Handelns und Verhaltens. Psychologische Realitäten (Phänomene) werden von Menschen kaum objektiv wahrgenommen und bewertet. Ein individueller Erfahrungshorizont und persönliche Betroffenheit bewirken subjektive, auf die eigene Person bezogene Erkenntnisse. Aus diesen ichbezogenen, parteiischen Einsichten wird der Mensch seine Gedanken und Handlungen ausführen, die seine Bedürfnisse versorgen und seine Visionen realisieren sollen.
Damit ergeben sich Austausch- und Wechselwirkungen zu anderen Menschen. Die Erfahrungen daraus sind für die eigene soziale Entwicklung bestimmend. Die Konflikte, die dabei entstehen, müssen gedanklich reflektiert und mental in einem kontinuierlichen Prozeß des lebenslangen Lernens verarbeitet werden.
•Motivationen sind die orientierenden, aktivierenden, antreibenden und regulierenden Antriebe zu einem bestimmten Verhalten
Ausgehend von einem individuellen Bedürfnis oder einer Vision und einem zu realisierenden Sollzustand. Antriebe, die einen inneren physiologischen Ausgleich suchen, werden als homöostatische1 oder primäre bezeichnet (beispielsweise Hunger). Nichthomöostatische oder sekundäre Antriebe suchen den psychischen Anreiz in der Steigerung der Wechselbeziehungen mit anderen und der Außenwelt (beispielsweise Anerkennungsstreben, Sexualität). Sie sind an die Lernprozesse der individuellen Sozialisation und Enkulturation gebunden.
Ex nihilo nihil fit wußten schon die alten Römer und wahrscheinlich auch schon der Homo sapiens: „von nichts kommt nichts“. Von was etwas kommt, damit beschäftigten sich die Motivationspsychologen. Auf die nun obligate Bedürfnispyramide von Abraham Maslow soll hier aber verzichtet werden, weil sie Bedürfnisse hierarchisch ordnet, die sich jedoch auch untereinander verschieben und gegenseitig überlagern können.
Der Psychologe Kurt Lewin (1890 – 1947) hat treffender den Lebensraum des Individuums als ein System von persönlichen inneren und aus der Umwelt einwirkenden Bedingungen betrachtet. Nach seiner Feldtheorie des Handelns wird der Mensch von positiven und negativen Wertigkeiten (Valenzen) angezogen oder abgestoßen. Die Wahl unter unterschiedlich angenehmen und unangenehmen Handlungsalternativen führt zu inneren Konflikten. Durch deren Analyse kann seine Motivation verständlich gemacht werden.
Menschenkenntnis und Charakterkunde
Jeder Mensch steht in verschiedenartigen Beziehungen zu seinen Mitmenschen: man ist voneinander abhängig, mehr oder weniger für die Versorgung der eigenen Bedürfnisse und Absichten. Um dies erfolgreich zu realisieren bemüht man sich, seinen Mitmenschen
ímit eigenem freundlich stimmendem Verhalten,
ímit argumentativem Verhandeln und Überzeugen,
ídurch Anbieten und Gegengabe eigener Güter und Leistungen
entgegenzukommen.
Jemand zu überzeugen, daß es in seinem Interesse ist, sich einzuschränken und für die Absichten eines anderen zu engagieren, ist schwierig und aufwendig. Wenn man den Partner kennt, seine Gegebenheiten, Interessen und Ziele, kann man ihn dort ansprechen (abholen!) und seine voraussichtliche Reaktion einigermaßen einschätzen. Die Schwierigkeiten der Verständigung liegen in der Verschiedenheit der Menschen und ihrer Charaktere: äußerlich erkennbar, innerlich mehr oder weniger verborgen, auch verstellt.
•Menschenkenntnis setzt die Einsicht in die Individualität der Persönlichkeit voraus
Nur so kann das Gemeinsame und damit die Gestaltungsfähigkeit der (Geschäfts-) Beziehungen erkannt werden. Schon die alten Griechen haben versucht, den äußerlich sichtbaren Merkmalen der menschlichen Erscheinung (Konstitutionstypologie) charakteristische Verhaltensweisen (Aktionstypologie) zuzuordnen. Ausgehend davon, daß jeder körperliche Ausdruck eines Menschen auch sein inneres Wesen mitteilt. Die Alltagspsychologie nutzt die Typologie weniger zur Charakterisierung sondern mehr zur Klassifizierung. Eine auffällige Eigenschaft wird dabei zum Kennzeichen der ganzen Persönlichkeit gemacht. Zum Beispiel: Wer übergenau ist, ist ein Erbsenzähler. Mit Menschenkenntnis hat das weniger zu tun.
Zur praktischen Verwendung müssen für die Zuordnung der Charaktere Standards gebildet werden. Zum Verarbeiten wird Erfahrung, Verstand und emotionale Einsicht (Intuition) gebraucht. Das setzt die Erkenntnis des eigenen Wesens voraus, weil man von sich auf andere schließen muß. Wer sein Verhältnis zu seiner sozialen Umgebung als Auswirkungen des eigenen Verhaltens realistisch betrachtet, wird Aktion und Reaktion durchschauen und daraus lernen. Die Einschätzung, wie sich ein Mensch situativ verhalten wird, kann man studieren: Aussagen und ihre Bedeutung sorgfältig abwägen, sie gedanklich prüfen, korrigieren und eine einheitliche schlüssige Einsicht bilden. Dazu wird Selbstdisziplin gebraucht und interessierte Aufmerksamkeit, Empfänglichkeit für Sinneseindrücke (Rezeptivität), unbefangene Objektivität und uneingeschränkte physische und psychische Disposition.
Wenn menschliche Typologien einen praktischen Wert für die Charakterkunde haben sollen, müßten komplexe Systeme verstanden werden, weil Eigenschaften und deren Gesamtheiten nicht wie Gesetzmäßigkeiten, sondern als Elemente vieler Aspekte zu verstehen sind. Wohl jeder glaubt, daß er die Fähigkeit hat, Menschen treffend zu beurteilen. Trotzdem gibt es beim täglichen Umgang miteinander stetig unbeabsichtigte Konflikte.
Einfühlung und Einsicht in den Charakter und in die Absichten des Anderen können nicht nur Schwierigkeiten und Brüche vermeiden, sondern das eigene Streben verständlicher erscheinen lassen und verträglicher machen.
Wer als Einkäufer beim Verhandeln nur oberflächliches Preispokern praktiziert, muß sich mit dem Einblick in die Persönlichkeit des Verkäufers nicht besonders anstrengen. Wer diesen aber dazu bringen möchte, daß er
íseinen Handlungsspielraum bei Leistungen und Konditionen erschöpfend aufgibt,
ínach Vorteilen für seinen Geschäftspartner sucht und diese realisiert,
ísich selbst motiviert und außergewöhnlich engagiert,
íseine Betriebskollegen dazu positiv motiviert,
ímanchmal schier Unmögliches möglich macht,
ídauerhaft ein guter Partner ist, der nicht Probleme schafft, sondern mithilft, sie zu lösen,
muß ihn erkennen und einschätzen, um das eigene Verhalten darauf einzustellen. Das ist nicht neu, aber vielleicht gelegentlich aktivierungsbedürftig. Jeder mag selbst beurteilen, was diese Bonitäten wert sind sicherlich soviel wie manches Prozent Preisvorteil. Jeder Mensch will seinem Umfeld die Vorstellung mitteilen, die er von sich haben und als Wirklichkeit vermitteln möchte. Oder er will absichtlich über sich täuschen und verstellt sich.
•Damit ein gespielter willkürlicher Ausdruck beurteilt werden kann, müssen die Merkmale der Selbstdarstellung und die verbale Aussage gedanklich plausibilisiert werden
Zum Beispiel ein cooler Gesichtsausdruck erscheint unwahrhaftig bei unruhiger Körperhaltung. Oder formelle Haltung und phrasenhafte Artikulation wirken lächerlich zu einer banalen Aussage. Dem ersten Eindruck wird allgemein ein hoher Erkennungswert zugesprochen, wohl weil er eher intuitiv entsteht und die rationale Einschätzung zurückdrängt. Er wirkt wie ein (Wahrnehmungs-) Filter: alle Informationen, die das (Vor-) Urteil bestätigen, werden verarbeitet, die gegenteiligen ignoriert.
Viele Elemente der Körpersprache werden mehrdeutig auch durch Dauer und Tempo der Bewegungen. Die Wirkung des gesprochenen Wortes kommt ganz wesentlich nicht bloß aus seinem Inhalt sondern aus dem „Wie“ der Stimmgebung, der Lautstärke, der Modulation. So wird die körperliche und seelische Verfassung dem mitgeteilt, der sich darauf versteht. Anteilnahme, Begeisterung und Überzeugung können durch die Wortwahl alleine nicht vermittelt werden. Es braucht zum Sinn der Worte die unterstützenden und intuitiv erkennbaren Signale der Stimme, der Gebärden und der Haltung.
Serie zum Thema Techniken und Regeln der Auseinandersetzung um den wirtschaftlichen Vorteil
  • 1.Warum wird verhandelt
  • 2.Vorbereitung ist die halbe Strategie
  • 3.Verhandlungsbeginn: Wie man Kontrahenten behandelt
  • 4.Erfolg braucht Kommunikation
  • 5.Zuhören und die Dialektik des Verhandelns
  • 6.Strategien und Taktiken; der Weg zum Verhandlungsziel
  • 7.Abschluß: Ergebnis, Vereinbarung und Bewertung
  • 8.Unfaire Techniken: Anwendung und Abwehr
  • 9.Sonderthema: Aushandeln von Verträgen
  • 10.Psychologie und Verhandlungsführung
  • 11.Verhandlungskunst – was man lernen muß
  • 12.Checklisten zur Verhandlungsvorbereitung
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