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Qualitätsmanagement im Einkauf

Die Qualität der Beschaffungsfunktion bestimmt die Qualität des Endproduktes
Qualitätsmanagement im Einkauf

Schlanke Unternehmensstrukturen mit steigenden Zukäufen führen immer mehr dazu, daß die Qualität des Endproduktes und damit auch die Kundenzufriedenheit im wesentlichen von der Qualität der beschafften Waren und Dienstleistungen bestimmt wird.

Ulrich Mindach

Qualität und Kundenorientierung stehen heute mehr denn je im Mittelpunkt der Unternehmensphilosophie. Vor dem Hintergrund sinkender Fertigungstiefen wird deutlich, daß die Beschaffung von Gütern und Leistungen einen erheblichen Einfluß auf die Qualität des Endprodukts und damit auf die Kundenzufriedenheit hat. Bei einer durchschnittlichen Fertigungstiefe von weniger als 50 % ist über die Hälfte der Produktqualität fremdbestimmt, das heißt, abhängig vom Lieferanten. Hieraus ergibt sich für den Einkauf eine neue Situation. Neben der Preisverantwortung gewinnt zunehmend die Qualitätsverantwortung an Gewicht.
Dies benötigt ein System zur Überwachung der zu beschaffenden Produkte, die einen Einfluß auf die Qualität des Endproduktes haben können.
Im Bereich Einkauf fordert das Element „Beschaffung“ der QM-Normen DIN EN ISO 9001 und DIN EN ISO 9002 mindestens die Erfüllung der im folgenden beschriebenen Forderungen.
Beurteilung von Lieferanten
Zu einem funktionierenden QM-System gehört die zweckmäßige Überprüfung, Auswahl und Beurteilung von qualifizierten Zulieferern, die ein wesentliches Element der Qualitätssicherung in der Materialwirtschaft ist. Eine Lieferantenbewertung wird in der Regel im Einkauf in zwei unterschiedliche Richtungen vorgenommen:
•Vor Aufnahme von Geschäftsbeziehungen (Lieferantenaudit); sie dient in erster Linie der Lieferantenauswahl durch Beurteilung der Leistungsfähigkeit.
•Nach Aufnahme von Geschäftsbeziehungen; sie dient vor allem der Beurteilung der erfolgten Lieferungen, bzw. der Bewertung der Lieferleistungen.
Auswahl neuer Lieferanten: Die Lieferantenauswahl (vor Vertragsvergabe) sollte unter Betrachtung der nachfolgenden Kriterien durchgeführt werden:
–Bewertung der Fähigkeiten des Zulieferanten und/oder seines QM-Systems,
–Zertifizierung – DIN EN ISO 9000,
–Bewertung von Produktmustern,
–Abschätzung der Bereitschaft zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit,
–Vorgeschichte des Lieferanten,
–Prüfergebnisse von ähnlichen Produkten,
–Veröffentlichte Erfahrungen anderer Anwender,
–Bewertung des Preis-/Leistungsverhältnisses.
Die Auswahl und Beurteilung neuer Lieferanten durch den Einkauf soll sicherstellen, daß nur Lieferanten zugelassen werden, die alle aufbau- und ablauforganisatorischen Voraussetzungen für eine einwandfreie Auftragsabwicklung erfüllen, über die notwendigen technischen Einrichtungen und Verfahren zur Herstellung und Prüfung des zu beschaffenden Erzeugnisses verfügen, die notwendige Qualitätsfähigkeit besitzen,kaufmännisch positiv bewertet worden sind.
Bewertung bestehender Lieferanten: Für die laufende Beurteilung der Zulieferungen eignen sich z. B. folgende Kriterien: Funktion des QM-Systems des Zulieferanten, Reklamationsrate,Bedeutung der festgestellten Mängel, Servicegüte, kaufmännische Daten, Innovationsfähigkeit.
Im Bereich der Automobilhersteller wird die Erfassung von Qualitätswertzahlen nach den VDA-Verfahren durchgeführt. Bei der einfachsten Form (VDA-1) wird die Gesamtzahl periodenbezogener Wareneingänge – ohne Berücksichtigung der jeweils gelieferten Menge – zu fehlerhaften Wareneingängen in Beziehung gesetzt.
Bestellabwicklung
Die vertraglichen Spezifikationen, Zeichnungen und Einkaufsbestellungen bilden die Grundlage für die eindeutige Festlegung der Forderungen an die zu beschaffenden Zulieferungen. Die Einkaufsabteilung und die Unternehmensführung müssen geeignete „Methoden“ einführen und sicherstellen, daß die Anforderungen an die Zulieferer präzise und umfassend festgelegt, rechtzeitig übermittelt und die Inhalte auch von den Unterlieferanten verstanden werden.
Beschaffungsdokumente: Zu den „Methoden“ gehören Anweisungen für die Erstellung und Verteilung qualitätsrelevanter Beschaffungsdokumente wie Spezifikationen,Technische Zeichnungen,QM-Vereinbarungen,Technische Lieferbedingungen,Kataloge,Ein- kaufsbestellungen,andere Unterlagen oder Festlegungen mit Qualitätsbezug.
Die Beschaffungsdokumente sollten vor ihrer Freigabe auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft werden. Durch eine systematische „Lenkung der Beschaffungsdokumente“ muß sichergestellt werden, daß alle Unterlagen einschließlich deren Änderungen rechtzeitig und vollständig beim Lieferanten vorliegen.
Qualitätssicherungsvereinbarungen: Die rechtlichen Beziehungen zwischen Lieferant und Abnehmer werden durch Verträge geregelt. Vor allem die Festlegungen der Waren- oder Leistungsmerkmale sind von erheblicher Bedeutung, da sie die rechtlichen Ansprüche auf die Erfüllung der geforderten Eigenschaften begründen. Hierzu gehören u.a. Werkstoffkenndaten, Maße und Toleranzen,einzuhaltende Normen und Vorschriften, durchzuführende Prüfungen und mitzuliefernde Werkszeugnisse, Fehleranteile und Ausfallraten, Gewährleistungszeiträume.
Im Rahmen des Qualitätsmanagement gewinnen zunehmend Qualitätssicherungsvereinbarungen an Bedeutung zur Harmonisierung der Qualitätssicherungsmaßnahmen und der Qualitätsmanagement-Systeme von Lieferant und Abnehmer.
Prüfung von beschafften Produkten
Wareneingangsprüfung: Je nach Art und Umfang der bereits durchgeführten Prüfungen des Zulieferanten muß die Eingangsprüfung geplant, durchgeführt und überwacht werden. Der Umfang der Qualitätsprüfungen ist produktabhängig aufgrund verschiedener Einflußfaktoren festzulegen: Art und Umfang der Lieferung,
Prüfmerkmale,Folgen eventueller Qualitätsmängel,Vereinbarungen zwischen Zulieferer und Abnehmer, Prüfaufwand, Dokumentationsaufwand, Prüfkosten.
Darüber hinaus sind im Rahmen des QM-Systems geeignete Vorkehrungen zu treffen, die sicherstellen, daß sämtliche angelieferten Produkte durch die Eingangsprüfung kontrolliert werden (durch Qualitätsprüfung oder Überprüfung der Qualitätsaufzeichnungen des Zulieferanten), die versehentliche Verwendung von ungeeigneten Produkten durch die Einrichtung von gekennzeichneten Sperrzonen oder anderen Maßnahmen verhindert wird, entsprechend dem QM-Element „Lenkung der Qualitätsaufzeichnungen“ die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen notiert und aufbewahrt werden.
Im Wareneingang unterscheidet man zwischen Erstmusterprüfungen und laufenden Prüfungen. Erstmusterprüfungen müssen sowohl bei der Freigabe von Produkten für die Serienfertigung wie auch bei der Einführung eines neuen Lieferanten durchgeführt werden. Der Ablauf einer Erstbemusterung sowie die Freigabeprozeduren sollten im Rahmen des QM-Handbuches durch eine Verfahrensanweisung festgelegt werden.
Laufende Prüfungen stellen jedoch die Haupttätigkeit und damit den Hauptkostenblock im Rahmen der Wareneingangsprüfung dar. Es ist deshalb Aufgabe eines kostenbewußten Qualitätsmanagement, unnötige Wareneingangsprüfungen so weit wie möglich zu vermeiden und durch QS-Vereinbarungen zu ersetzen. Dem entgegen stehen jedoch
–die erforderliche Sorgfaltspflicht des Herstellers bei der Auswahl und Prüfung der Vormaterialien (Produkthaftung),
–die Pflicht des Abnehmers zu unverzüglicher Prüfung und Mängelrüge nach § 377 HGB,
–das Ziel, Folgekosten durch mangelhafte Vormaterialien so weit wie möglich zu vermeiden.
Prüfungen beim Lieferanten: Im Zuge der Einführung neuer Logistikkonzepte („ship to stock“ bzw. „ship to line“) zur Senkung der Wareneingangs- und Lagerhaltungskosten gewinnen die beim Lieferanten durchgeführten Prüfungen zunehmend an Bedeutung. Sie führen auch für den Lieferanten zu einer Senkung der Kosten, da Reklamationen, externe Nachbesserungsmaßnahmen und unnötige Rücklieferungen durch eine Kundenfreigabe vor dem Versand vermieden werden können.
Produktprüfungen: Produktprüfungen vor Ort, das heißt im Hause des Lieferanten, sind heute noch eher die Ausnahme, obwohl eine Reihe von Vorteilen nicht von der Hand zu weisen sind:Sofortmaßnahmen möglich,keine Prüfmittelkosten,keine unnötigen Transportkosten bei Reklamationen,Korrekturmaßnahmen können unmittelbar umgesetzt werden,Verringerung der Wartezeiten auf Ersatzlieferungen.
Die Prüfungen beim Lieferanten können durch eigenes Personal oder durch vor Ort ansässige unabhängige Prüfinstitute durchgeführt werden, wobei letzteres zusätzlich den Vorteil hat, daß Reisekosten vermieden und im Ausland Sprachbarrieren umgangen werden.In der Regel wird die Prüfung durch externe Prüfinstitute für die „Laufenden Prüfungen“ im Rahmen einer bestehenden Lieferanten-Abnehmer-Beziehung eingesetzt. Aber auch bei Erstmusterprüfungen kann es sinnvoll sein, diese beim Lieferanten vorzunehmen, da gerade bei der Erstbemusterung ein gemeinsamer Konsens über das Prüfergebnis und die Beurteilung von erheblicher Bedeutung für die späteren Lieferungen ist.
Prüfung der Qualitätssicherungsmaßnahmen: Der Einkauf sollte je nach Art des zu beschaffenden Produktes eine entsprechende Darlegung des QM-Systems mit dem Lieferanten vereinbaren. Die Beurteilung der QM-Maßnahmen sollte sowohl vor Auftragsvergabe als auch in zeitlichen Abständen während der laufenden Geschäftsbeziehung durchgeführt werden.
Es bieten sich hierzu folgende Möglichkeiten an: Akzeptanz des QM-Systems des Lieferanten,Vorlage des Ergebnisses externer Prüfungen,Prüfung durch den Lieferanten,losweise Annahmeprüfung beim Lieferanten,Einrichtung eines formellen Systems zur Darlegung des QM-Systems,Prüfung und Aussortierung im eigenen Hause,zertifiziertes QM-System nach DIN EN ISO 9000,eigene Lieferantenaudits.
Wenn es sinnvoll ist, sollte durch den Einkauf vertraglich vereinbart werden, daß auch die Qualitätssicherung etwaiger Unterlieferanten oder die Eingangsprüfung des Lieferanten überprüft werden können. Hierdurch darf der Lieferant aber nicht von seiner Verantwortung für die beschafften Produkte entbunden werden. Da für die Durchführung eigener Lieferantenaudits ausgebildete Auditoren notwendig sind, hat es sich in zunehmenden Maße eingebürgert, auf Zertifikate gem. DIN EN ISO 9000 von anerkannten und akkreditierten Zertifizierungsinstituten zurückzugreifen.
In keinem Fall sollte jedoch bei einem neuen Lieferanten das Zertifikat als Basis dafür hergenommen werden, auf Erstmusterprüfungen zu verzichten. Darüber hinaus ist es sinnvoll, solange eigene QS-Maßnahmen (in der Regel Wareneingangsprüfungen) vorzunehmen, bis die Geschäftsbeziehung die erforderliche Stabilität erreicht hat. Auch kann das Zertifikat Lieferantenbesuche nicht ersetzen.
Dipl.-Kfm. Dipl.-Ing. Ulrich W. Mindach war u.a. als Leiter der Eingangskontrolle der Drägerwerk AG sowie als Leiter des Investitionseinkaufs der Röhren- und Halbleiterwerke der Philips GmbH tätig.
Seit 1994 ist er selbständiger Unternehmensberater mit den Schwerpunkten „Qualität“ und „Materialwirtschaft“. Er ist Autor des Buches „Qualitätsmanagement im Einkauf“ und Vorstandsmitglied des BME-Bereichs Hamburg.
QKZ = 101 – WE0 x f0 + WE1 x f1 + WE2 x f2 + WE3 x f3 WE
WE: Summe der Wareneingänge
WE0: Wareneingänge ohne fehlerhafte Teile
WE1: Wareneingänge mit unbedeutenden Fehlern
WE2: Wareneingänge mit erheblichen Fehlern
WE3: Wareneingänge mir schwerwiegenden Fehlern
f0,…,f3: Firmenspezifische Gewichtungsfaktoren
QKZ: Qualitätskennzahl
  • A: von 96 bis 100 guter Lieferant
  • B: von 90 bis 95,9 akzeptabler Lieferant
  • C: von 0 bis 89,9 nicht akzeptabler Lieferant
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