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Safe Launch – wie Projekte ins Ziel kommen

Problemlösungswerkzeuge aus der Automobilindustrie
Safe Launch – wie Projekte ins Ziel kommen

Dem Anlaufmanagement kommt eine wachsende Bedeutung zuteil. Bei weiterhin unveränderten Meilensteinen und Start der Produktion muss das Design in teilweise sehr vielen Änderungsschleifen überarbeitet werden. Diese Schleifen wiederum lösen Kausalketten aus, die viel Zeit und Geld kosten. Das heißt, es gibt kaum noch ein Projekt bei einem Zulieferer, das streng nach Plan bearbeitet werden kann. Der Beitrag zeigt, wie gerade die Einkaufsorganisation des TIER1 diese Situation unter Kontrolle bringen kann.

Nach Nominierung des Direktzulieferers (TIER1) durch den Automobilhersteller (OEM) für eine Komponente geht es schnell: Entwicklung, Terminpläne und Meilensteine, Projektteam aufstellen. Der SOP liegt weit in der Zukunft, doch erfahrungsgemäß vergeht die Zeit schnell. Bereits Monate vor dem SOP müssen Kundenbedarfe bedient werden, die mit freigegebenen Serienteilen erfüllt werden müssen. Neben Projektleitung, Vertrieb, Entwicklung, Qualität, Industrialisierung und Logistik ist auch die Funktion des Einkaufs in einem Projekt-Kernteam vertreten. Aufgabe des Projekteinkäufers ist die Nominierung der Bauteile unter Berücksichtigung mehrdimensionaler Attribute wie Preis- und Qualitätsziele, Amortisierungsmodelle für Werkzeuge, Savings und vor allem die rechtzeitige Teileverfügbarkeit.

In einer idealen Umwelt erhält die Einkaufsfunktion frühzeitig eine Stückliste, Zeichnungen und 3D-Modelle, Logistikdaten und einen angemessenen Zeitvorlauf zur Nominierung der Einzelteile. Die Realität weicht in der dynamischen Automobilwelt oft sehr stark davon ab. Bei weiterhin unveränderten Milestones muss das Design in teilweise sehr vielen Änderungsschleifen überarbeitet werden, beispielsweise aufgrund fehlender Funktionserfüllung der Komponente, fahrzeugseitigen Schnittstellenänderungen, fehlendem Design-Freeze oder sonstigen Gründen. Diese Änderungsschleifen lösen Kausalketten aus, die viel Zeit und Geld kosten: Vorhandene Werkzeuge und Vorrichtungen müssen angepasst werden, an die Zulieferer kommunizierte Mengenszenarien und daraus abgeleitet die Serienpreise ändern sich, der APQP-Prozess wird beeinflusst. Erschwerend für die Einkaufsorganisation ist, dass die Vorserienbedarfe oft nicht mit Lieferabrufen bedient werden können, sondern auf Basis von Einzelbestellungen ohne systemseitige Bestandsführung gesteuert werden.
Je nach Dynamik des Projektes entsteht ein circulus vitiosus: Die Verfügbarkeit von Serienteilen wird verzögert, Bemusterungstermine können nicht gehalten werden. Der Druck vom OEM auf den TIER1 steigt mit zunehmender Nähe zum SOP, Mehrarbeit muss mit zusätzlichen Ressourcen kompensiert werden. In den letzten Monaten vor dem SOP müssen bereits die Komponentenbedarfe für eine stattliche Anzahl an Fahrzeugen geliefert werden. Wenn in dieser Phase beim TIER1 Bauteile nicht in Serienstand verfügbar sind, müssen oft Prototypen zu exorbitant höheren Preisen verbaut werden. Angefertigte Rotstiftzeichnungen mit den Prototypenständen sorgen beim TIER1 und TIER2 gleichermaßen für zusätzliche Abstimmungsbedarfe und nicht selten zu erheblichen Missverständen bis hin zu chaotischem Durcheinander beim Handling. Wenn diese Dynamik eingetreten ist, kann es durchaus möglich sein, dass sich selbst die Prototypenstände in hoher Frequenz ändern – was natürlich wiederum erhebliche Konsequenzen hat.
Ziel ist immer, die Teileversorgung des OEM in der Vorserienphase zu gewährleisten dabei die Projektkosten unter Kontrolle zu halten. Die Abwärtsspirale nimmt seinen Lauf und fordert immer noch mehr Kapazitäten und Ressourcen. Diese Spirale besteht oft noch Monate über den SOP hinaus. Die ohnehin schmale Marge kann häufig selbst über den Lebenszyklus des belieferten Fahrzeuges hinweg die in der Vorserie entstandenen Verluste nicht mehr kompensieren. Ab bestimmten Eskalationsebenen sperren OEMs dabei nicht nur einzelne Standorte des TIER1, sondern mitunter den gesamten Konzern zeitweilig für Neuanfragen. Sehr häufige Fehler im Management dieser kritischen Programme sind
  • zu langes Abwarten und Hoffen auf Besserung des Zustandes „per Selbstheilung“
  • in Aktionismus werden Ressourcen gebündelt, die Budgets weiter belastet und andere Programme kannibalisiert
  • unvorteilhaft gesetzte Prioritäten
  • fehlende Kostenkontrolle
  • fehlende gesamtunternehmerische Strategie
  • realitätsfernes Lieferantenverständnis
  • falsch verstandene Kundenorientierung
  • nicht gelebte / aufgeblähte Prozesse und Bürokratie
  • zu spätes Involvement der Einkaufsorganisation
Bei Verzögerungen rückt die Einkaufsorganisation als Verursacher für entgleiste Kosten oder Termine in den Fokus. Diese Strategie ist für die anderen Fachbereiche komfortabel, denn „schlecht verhandelte Prototypenpreise“ finden in den höheren Managementebenen Gehör. Gelegentlich werden Forderungen laut, nicht termintreue Lieferanten mit Mehrkosten zu belasten. Leider liegt in diesen Fällen fast nie ein eindeutiges Verschulden des TIER2 vor, der oft ohne formale Dokumente „auf Zuruf“ des Einkäufers eine Änderung gestartet hat um Zeit zu sparen – dabei betragen die internen Durchlaufzeiten für Bestellungen oder Zeichnungen Tage bis Wochen. Verschiedene Stakeholder fordern nun einen härteren Umgang mit Lieferanten, was beim zuständigen Einkäufer regelmäßig zu Konflikten führt.
Die Beschaffung steht am Ende der Kette von technischen Änderungen und ist neben Input aus den hausinternen Fachabteilungen zudem von Antworten und wohlwollenden Aktionen der TIER2 abhängig. In dargestellter Situation steht auch die Einkaufsfunktion im Zeichen der Abwärtsspirale und muss Notfallbedarfe mit erheblichem Mehraufwand bearbeiten. So entsteht ein weiterer Engpass im Projektteam, bei dem sich die Projekteinkäufer in der Defensive befinden.
Es gibt verschiedene Safe-Launch-Ansätze, um präventiv im gesamten Projekt solche Situationen zu vermeiden. Primär mit engmaschigem Reporting sollen per Frühwarnsystem Meilensteine und Kundentermine sichergestellt werden. Auch in den Standards der Automobilindustrie sind solche Systeme vorgesehen, in denen beispielsweise bestimmte Bedingungen zur Erreichung der Meilensteine erfüllt sein müssen. Doch gerade in der beschriebenen, entgleisten Vorserienphase greifen diese Ansätze zu kurz.
Zwar muss das Problem weiterhin auf Gesamtprojektlevel gelöst werden, doch auch auf Ebene der Einkaufsfunktion muss spätestens zu diesem Zeitpunkt ein eigener Safe Launch Ansatz implementiert werden.
In der entgleisten Vorserienphase sind tägliche Statusreports an verschiedene Stakeholder ein notwendiges Übel, denn an verschiedensten Stellen finden Eskalationen statt und fast stündlich werden dieselben Fragen gestellt: Ein Status aller Einzelteile nach Verfügbarkeit, Bemusterung, Zeichnungsstand und Aktionsplan. Nicht nur zum OEM, sondern gerade intern wird ausgiebig reported, denn jeder Abteilungsleiter muss den Status an die eigene Managementlinie aufbereiten. Die redundante Beantwortung dieser Fragen und Darstellung der Aktionen ist ein echter Zeitdieb und verzögert die Lösung der eigentlichen Ursache.
Folgerichtig ist daher die Aufbereitung aller Safe-Launch-Elemente auf Basis der Einzelteile die wichtigste Aufgabe. Leider können die mehrdimensionalen Aufgaben nicht praktikabel in einer Standard-Software abgebildet werden. In der Praxis wird daher fast immer eine Office-Tabelle verwendet, um den vollständigen Teilegenerationsverlauf transparent mit allen Safe-Launch-Elementen zu kombinieren und darzustellen.
Im Idealfall wird diese Übersicht während der gesamten Projektphase im dargestellten Umfang (Tabelle) gepflegt. Gerade in der kritischen Vorserienphase fehlt oft die Zeit zur Erstellung der Liste und damit die Transparenz. Nach Aufbereitung der Übersicht erfolgt eine GAP-Analyse mit anschließender Priorisierung der Maßnahmen. Das Bild wird ergeben, dass die Mehrzahl der Einzelteile – Erfahrungswert 80 Prozent – unter Kontrolle sind. Diese Teile sind physisch im benötigten Baustand in ausreichender Menge verfügbar und bemustert. Bei 15 Prozent ist eine Lösung kurzfristig herbeizuführen, beispielsweise konnten die Teile bereits mit Auflagen freigegeben werden, es besteht eine Abweicherlaubnis des Kunden oder die Teileversorgung ist kontrollierbar (z. B. mit Vorserienteilen). Die verbleibenden 5 Prozent des Teileumfanges sind ursächlich für die vorliegende Situation: benötigter Baustand oder Serienteile nicht verfügbar, Bemusterung nicht möglich, Liefersituation kritisch.
Aus der genannten Übersichtsliste und GAP-Analyse kann ein Aktionsplan abgeleitet werden, der absteigend priorisiert nach Aufwand der Aktionen, Vorlaufzeit der erforderlichen Maßnahmen und Laufzeit bis zur Problemlösung, d. h. Verfügbarkeit der bemusterten Serienteile, aufgebaut werden kann. Die bevorzugte Bearbeitung der 15 Prozent würde zu schnellen Erfolgen führen, die positiv an das eigene Management und den OEM berichtet werden könnten. Durch diesen Ressourceneinsatz würden sich jedoch die 5 Prozent noch weiter verzögern, was letztlich zu noch größeren Problemen führen würde. Eine Kombination beider Strategien kann zielführender sein: Die dringlichen 5 Prozent mit längerer Umsetzungszeit werden im Wechsel mit den Teilen mit kürzester Änderungszeit abgearbeitet. Mit dieser Priorisierung von beiden Seiten zur Mitte der Liste werden Maßnahmen für längerfristige Probleme schnellstmöglich initiiert und gleichzeitig die „quick wins“ eingefahren.
Von Beginn des Projektes an sollte ein Sourcing-Kalender aufgestellt werden, der die erforderliche Zeitschiene für alle Warengruppen transparent aufzeigt. So müssen die Zeiten für Werkzeugerstellung, erste werkzeugfallende Teile, PPAP sowie interne Prozesse für Bedarfsanforderungen und Zeichnungen für alle relevanten Warengruppen dargestellt werden. Auf Basis der Einzelteile kann rückwärts vom erforderlichen Einsatztermin gerechnet werden, wann die entsprechenden Maßnahmen spätestens eingeleitet werden müssen. Die Ergebnisse dieses Tools müssen von Projektbeginn an transparent dem Projektteam und Management zur Verfügung gestellt werden. Die Einkaufsorganisation sollte zudem proaktiv eventuelle Lücken zu Kundenterminen im Projektteam und Management eskalieren. Bewährt hat sich ein wöchentliches GAP-Meeting, um diese Lücken darzustellen. Nur so können die anderen Projektfunktionen gezielt unterstützen, indem bspw. Prioritäten hausintern oder bei Zulieferern entsprechend gesetzt oder Investanträge für Werkzeugänderungen unbürokratisch freigegeben werden
Für das Programm erfolgskritisch ist jedoch das Schnittstellenmanagement der einzelnen Projektfunktionen. Die Tätigkeit des Projektteams im selben Raum oder Workshops führen nicht zwingend zu Teamarbeit. Regelmeetings des Kernteams werden in der operativen Hektik oft nicht zielführend moderiert. Gemeinsam geführte Excel-Listen, in die jeder seine Maßnahmen einträgt, erhöhen oft weder Projekterfolg noch Zufriedenheit. Nur mit einem fundierten Verständnis der Tätigkeiten und Aufgaben der anderen Projektfunktionen, deren Terminvorgaben und Ziele ist echter Projekterfolg möglich. Dabei muss allen Beteiligten das Gesamtziel bewusst sein: Der OEM möchte Fahrzeuge verkaufen! Trotz Notwendigkeit von Regularien und Prozessen darf der OEM nicht von Abteilungsegoisten oder Bürokraten davon abgehalten werden.

Die einzelnen Safe-Launch-Elemente auf Basis der Einzelteile sind …

Übersicht

  • 1. part requirements
  • 2. supplier release
  • 3. feasibility study
  • 4. quality agreement
  • 5. logistic agreement
  • 6. delivery concept
  • 7. packaging
  • 8. capacity confirmation
  • 9. supplier nomination
  • 10. quality planning
  • 11. run @ rate
  • 12. delivery date for initial samples
  • 13. PPAP status
  • 14. delivery plan
  • 15. handover to commodity purchasing
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