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Schwarze Autos für alle reichen nicht

Automobillogistik
Schwarze Autos für alle reichen nicht

Die deutschen Automobilhersteller gelten als Pioniere der Internationalisierung ihrer Produktion und der damit verbundenen Wertschöpfungsketten. Doch zeitversetzte Produktzyklen, volatile Märkte und komplexe Versorgungsnetzwerke stellen hohe Anforderungen an die Unternehmen. Der Schlüssel für ein effizientes Supply Chain Management liegt in der Kostentransparenz in gleichem Maße wie in der Fähigkeit zur flexiblen Reaktion.

Eine gute Nachricht kommt gleich zum Jahresanfang: Die deutschen Automobilhersteller fahren auch im neuen Jahr weiter auf der Erfolgsspur. So ist Europas größter Autobauer mit seiner Marke Volkswagen Pkw erstmals in der Geschichte mit über einer halben Million Auslieferungen am Monatsende Januar über die Ziellinie gerauscht, immerhin noch einmal 4,8 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Modellpalette habe „genau das richtige Angebot, das Kunden weltweit nachfragen“, so die Erklärung von Christian Klingler, Vorstand für Vertrieb und Marketing des Volkswagen Konzerns und der Marke Volkswagen Pkw. Doch was den Vertriebschef sicher freut, setzt die Supply Chain eher zusätzlich unter Strom. Denn die Verkaufserfolge des Konzerns in vielen Teilen der Welt machen die Sicherstellung der Produktionsversorgung nicht gerade leichter. Das richtige Bauteil, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, in der richtigen Menge, in der richtigen Qualität und zu den richtigen Kosten, vor dem Hintergrund der sehr volatilen Märkte verfügbar zu haben, bleibt eine Herkules-Aufgabe. Allein der Blick auf den Monat Januar 2014 bei Volkswagen zeigt, dass ein gelungenes Gesamtkunstwerk auch durchaus hässliche Ecken haben kann: Während die Auslieferungen in Westeuropa mit 9,1 Prozent und in China sogar um 13,9 Prozent zulegten, ging es in Russland mit -13,7 Prozent, in den USA mit –19,0 Prozent, in Brasilien mit -22,1 Prozent und in Indien mit -26,6 Prozent deutlich abwärts. Vor diesem Hintergrund müssen viele Stellschrauben in Bewegung gebracht werden, damit auf operativer Ebene die Prozesse in den internationalen Netzwerken friktionsarm funktionieren.

Die erhöhten Anforderungen werden besonders offensichtlich, wenn Modelle an weltweit neu gebauten Standorten in relativ kleinen Stückzahlen produziert werden. Für einen Volumenhersteller wie Volkswagen bedeuten solche Losgrößen von 1000 oder 2000 Einheiten „eine Herausforderung, die uns vor ganz andere Logistikprozesse stellt, als das, was wir mit großvolumigen Stückzahlen an europäischen Standorten kennen“, betonte daher Stefanie Hegels, Leiterin Logistikplanung Standards und Regionen, Volkswagen AG, Wolfsburg, im Rahmen des Forums Automobillogistik, das der Verband der Automobilindustrie (VDA) und die Bundesvereinigung Logistik (BVL) Anfang Februar in Frankfurt a.M. veranstalteten. Allerdings wäre es ein Trugschluss, aufgrund vermeintlich geringerer Ansprüche in Übersee-Regionen an die Individualität eines Fahrzeugs auf eine geringere Komplexität zu schließen. „Ein schwarzes Auto für alle reicht nicht“, brachte es Hegels auf den Punkt. Für die OEM bedeute dies, sich der Herausforderung stellen und auch in kleinen Stückzahlen Fabriken fahren zu müssen. Große Entwicklungsanforderungen in Richtung optimaler Lokalisierungsgrad bestehen weiterhin über die vorhandene Automotive-Kompetenz und entwickelte Zulieferstrukturen hinaus.
„Dabei stehen die Zulieferer vor den gleichen Aufgaben wie wir“, sagte die VW-Logistikplanerin. Die in vielen Werken nach wie vor geringe Fertigungstiefe ist der hohen Komplexität geschuldet. Daher wird seitens Volkswagen der Versuch, dort gleich möglichst viel in allen technischen Einzelheiten zu realisieren, tunlichst unterlassen. Die Konsequenz: Ein hohes Anliefervolumen für die Versorgung eines solchen Fahrzeugwerks. Allerdings werden von den Verpackungsvolumina her, bei Überseetransporten, ganz andere Quoten erreicht, als innerhalb Europas möglich wären.
Als konkretes Beispiel nannte Stefanie Hegels das Werk Pekan in Malaysia, in dem seit März 2012 vier verschiedene Modelle gefertigt werden, darunter der „Jetta“ und der „Polo“. Die Bauteile kommen aus denjenigen Standorten, an denen diese Modelle ohnehin gebaut werden. Malaysia wird daher sowohl aus Mexiko als auch aus Indien, Südafrika und nicht zuletzt aus Deutschland beliefert. Im Hafen treffen sich demnach vier CKD-Ströme in den Containern, die von dort aus in das Werk gehen. Allein in Pekan müssen also vier große Lieferketten und -prozesse gesteuert werden, die noch ein kleinerer Volumenstrom von lokalen Lieferanten ergänzt. Zu einer im Vergleich zu europäischen Standorten erhöhten Komplexität und damit einhergehend auch steigenden Logistikkosten führen zusätzliche Faktoren, die bei der Versorgung eines solchen malaysischen Werkes eine Rolle spielen. Bestellungen und Lieferabrufe müssen an die Überseestandorte weitergeleitet werden. Diese Lieferanten liefern an CKD-Verpackungsbetriebe. Dort wird verpackt, gestufft und in Containern verschickt. Hinzu kommt, dass in einer solchen Prozesskette mehr Verantwortliche beteiligt sind, als im europäischen Rahmen. Daraus folgt für die VW-Managerin: „Gerade an diesen Standorten spielt Logistik eine immer größere Rolle.“ Mehr als ein Nebeneffekt: Auch die Logistikkosten spielen dort eine größere Rolle als an etablierten europäischen Standorten.
Die Logistikkosten können dabei sogar über den Fabrikkosten liegen. „Wir transportieren mittlerweile größere Teile, mehr Teile, über längere Distanzen zu teureren Preisen“, beschreibt Marzell Bandur, Director Supply Chain Planning, Adam Opel AG, Rüsselsheim, den Trend der letzten Jahre. Mittlerweile könnten die Supply-Chain-Kosten durchaus mit den Entwicklungs- und Fertigungskosten mithalten. Outsourcing, die Verlagerung der Wertschöpfungskette in den Zuliefererbereich, die Entwicklung von ganzen Modulen, die Öffnung von Low-Cost-Ländern, die einen neuen Lieferanten-Footprint ermöglichen, gepaart mit der CO2-Diskussion und der Besteuerung von Transportwegen haben ihren Preis. Kostensenkungspotenziale im Inventory oder in der Delivery Frequency zu nutzen, gehört daher ebenso zum Pflichtprogramm wie der Versuch, wo immer möglich Distanzen zu verkürzen. Für Opel geht es laut Bandur eher darum, mit der Supply Chain in die vorausschauende Planung zu gehen und diese so zum Bestandteil des Entwicklungsprozesses zu machen. Schon während die Komponentenstrategie entwickelt wird und die Teiledimensionen festgelegt werden, bevor die Design-Reviews und die Lieferantenauswahl stattfinden, sind die Supply-Chain-Mitarbeiter in den Prozess mit eingebunden. Die Supply Chain bekommt eine Integrator-Funktion, die auch Analyse-Tools nutzen kann, die es so vor einigen Jahren noch nicht gegeben hat. Im Rahmen ihrer Total-Enterprise-Cost-Strategie (TEC) rechnet die GM-Tochter verschiedene Einkaufsszenarien durch, um am Ende zu optimalen Total Landed Costs zu kommen. Im Zusammenspiel eines „generischen Front Loading“ entwickeln Manufacturing/Engineering, Supply Chain/Logistik, und Einkauf für jede Teilegruppe eine Strategie. Auf der Basis der Stammdaten ist der gewünschte Supplier-Footprint hinterlegt. Wichtig ist, dass für jedes Werk nur ein Zulieferstrom für Sequenz-Teile entsteht.
Ein klassischer Stellhebel für Kostensenkungen sind vor allem die Frachtraten. Mindestens ebenso interessant ist aber die Frage, inwieweit es gelingt, insbesondere die logistisch relevanten Teile stärker zu lokalisieren. Bei diesem Thema liegen die Vorstellungen von Logistik und Beschaffung häufig über Kreuz. Letztere folgt dem Ansatz, einen bestimmten Wert der Produktion oder des Fahrzeugs zu lokalisieren. Diese Schwelle wird vor allem dann schnell erreicht, wenn es gelingt, möglichst teure Teile zu lokalisieren. In der Regel sind die teuren Teile eher klein, aber hoch komplex. Im Gegensatz dazu geht aus logistischer Perspektive das Interesse eindeutig in die Richtung, möglichst großvolumige oder schwere Teile zu lokalisieren. Die Volkswagen-Logistik hat daher einen Lokalisierungsindex entwickelt und mit der Beschaffung abgestimmt, so dass jedes Bauteil nach einer Clusterung im Hinblick auf seine Lokalisierungseignung bewertet werden kann. Wichtige Kriterien sind hier die Existenz leistungsfähiger Lieferanten vor Ort oder eine ausreichende Stückzahl. So stellt sich bei 10 000 Stück pro Jahr die Frage, ob der entsprechende Werkzeugsatz überhaupt lokalisierbar wäre.
Außerdem können Veränderungen in der Teilegeometrie zu signifikanten Einsparungen auch bei den Logistikkosten beitragen, wenn große und schwere Teile so in der Transportkette leichter zu handeln werden. „Wenn sich an der Verpackung nicht wirklich kostengünstig etwas machen lässt, dann muss man etwas am Bauteil ändern“, erklärt Stefanie Hegels. Bei VW durchlaufen diese Teile in solchen Fällen eine Art „zweite Entwicklungsschleife“ mit dem Ziel der logistischen Optimierung. Weitere Ansatzpunkte sind die Anliefervolumina, die Auslastung der Behälter sowie die Zollabwicklung. Gerade für entwöhnte Mitteleuropäer sind zeitraubende Zollaufwände nicht gerade leicht vorhersehbar und entsprechend schwer in die Prozesse einzutakten.
An Fertigungsstandorten wie Brasilien spielt die Zollfreiheit in Lokalisierungsstrategien eine zentrale Rolle, wenn mehr als 60 Prozent des Volumens nicht nur nach Gewicht, sondern auch nach Wert lokal erzeugt bzw. beschafft werden müssen. Hier können sich in einzelnen Produktbereichen Sachzwänge ergeben, wenn lokale Hersteller nicht verfügbar sind und die Teile aus anderen Standorten bezogen werden müssen, wie Dominik Köberle, Leiter Logistikplanung, ZF Friedrichshafen AG, am Beispiel automatisierter Schaltgetriebe erläuterte. Aufgrund der hohen Einfuhrzölle ist eine Lokalisierung der Produktion aus Rentabilitätsgesichtspunkten notwendig, bedingt allerdings hohe Anfangsinvestitionen. ZF zielt aber nicht allein auf Design-to-market-Lösungen. Zwar erlaubt die Fertigung vor Ort Anpassungen, die den Einsatz eines Getriebes in Fahrzeugen lokaler Hersteller ermöglichen. Jedoch beliefert ZF in Brasilien teilweise dieselben Kunden wie in Europa, sodass auch die Produktspezifikationen ähnlich oder sogar identisch sind. Weltweit stehen baugleiche Teile auf demselben qualitativen Niveau und mit der gleichen Zuverlässigkeit zur Verfügung, was nicht nur Einkauf, Produktion und Service vereinfacht. Auch Liefervolumen lassen sich zwischen den Standorten austauschen, um optimal auf unterschiedliche Nachfragesituationen reagieren zu können. „Die Herausforderung liegt hier im Bereich der Transit-Bestände. Wenn nicht alle Teile aus Brasilien bezogen werden können, dann besteht in der Zollabwicklung eine Unberechenbarkeit durch das gebundene Kapital.“ Zudem müsse „für das gleiche Maß an Qualität mehr investiert werden als in Europa“, so Köberle.
Die Quintessenz für die existierenden Ansätze der Supply-Chain-Optimierung und der damit verbundenen Lokalisierungsstrategien sowohl an etablierten, als auch an neuen Standorten ist, dass große Teile der Logistikkosten nicht alleine von der Logistik zu beeinflussen sind. Wichtig sind modulare Standards, um den unterschiedlichen Voraussetzungen in den verschiedenen Regionen gerecht zu werden. Dabei darf ein Standard allerdings nicht einschränken, sondern muss das abbilden, was jeder Standort für seine eigene Optimierung braucht und so die nötige Flexibilität gewährleisten.
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