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Scorecard Beschaffungslogistik

Einkaufs-Organisation in kleinen und mittelständischen Unternehmen
Scorecard Beschaffungslogistik

In Zeiten eines schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfelds bietet die Beschaffungsfunktion bekanntermaßen Potenziale, die zeitnah und ergebniswirksam ausgeschöpft werden sollen. Dabei steht immer noch die Einstandspreisreduzierung im Mittelpunkt; interne und externe Prozesse sind nur zu einem geringen Teil optimiert.

Michael Wagner arbeitet in der Abteilung Verpackungs- und Handelslogistik mit den Schwerpunkten Logistikkostenrechnung, Lieferantenintegration und E-Logistics; Jens Hoffmann arbeitet in der Abteilung Verpackungs- und Handelslogistik mit den Schwerpunkten Lieferantenintegration und E-Logistics; Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Dortmund E-Mail: Michael.Wagner@iml.fhg.de

Die Schnittstelle zwischen Beschaffung und Logistik bietet jedoch zahlreiche Ansatzpunkte für Verbesserungen. In diesem Artikel geht es um das Erkennen kostentreibender Zusammenhänge und die anschließende Reorganisation und Optimierung von Prozessen.
Aus den Ergebnissen aktueller Projekte hat das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) hierfür eine Scorecard Beschaffungslogistik entwickelt. Mit dem Konzept der Balanced Scorecard von Kaplan/Norton, welches auf die Steuerung des gesamten Unternehmens abzielt, teilt diese lediglich die Idee der bewussten Verknüpfung mehrerer Perspektiven zu einer ausgewogenen Übersicht. Die Scorecard Beschaffungslogistik fokussiert auf diejenigen Aktivitäten, die der Versorgung des Unternehmens mit Gütern dienen, also auf sämtliche Prozesse zwischen Bedarfsträger und Lieferant.
Inhaltlich konzentriert sich die Scorecard Beschaffungslogistik auf zehn Einzelkennzahlen. Sie richtet sich insbesondere an solche mittelständische Unternehmen, die Optimierungen ihrer Materialwirtschaft noch vor sich haben, die auf dem Weg zu einer neuen Beschaffungslogistik zunächst Orientierungspunkte suchen.
Mit dem Schwerpunkt auf den operativen Beschaffungsprozessen, aber auch unter Berücksichtigung des strategischen Einkaufs werden die vier Perspektiven der Scorecard Beschaffungslogistik beleuchtet.
Mitarbeiter
Zu den Aufgaben des strategischen Einkaufes sind insbesondere eine Bereinigung der Lieferantenstruktur und – in enger Absprache mit den Bedarfsträgern – des Artikelspektrums zu zählen. Durch diese Konzentration der Nachfrage lassen sich einerseits beinahe automatisch bessere Konditionen realisieren, andererseits können die internen Prozesskosten durch Standardisierung und Reduzierung der Bestellvorgänge sowie eine stärkere Integration der Lieferanten in die eigene Wertschöpfungsketten gesenkt werden.
Ziel ist eine Ausrichtung der Einkaufsabteilung auf strategische Aufgaben und eine Befreiung von operativen Tätigkeiten: Beschaffungsmarktforschung, gezielte Lieferantenentwicklung und das Abschließen von Rahmenverträgen tragen in ungleich höherem Maße zur Kostenreduktion durch die Beschaffungsfunktion bei als die operative Abwicklung von Bestellungen und Reklamationen oder das Versenden von Auftragsbestätigungen. Die Kennzahl „Anteil strategischer Aufgaben im Einkauf“ gibt Aufschluss darüber, inwieweit dieser Zusammenhang bereits erkannt wurde.
Ebenfalls in die Rubrik Mitarbeiter fällt die Kennzahl „Verbesserungsvorschläge pro Mitarbeiter“. Diese quantifiziert die von allen Mitarbeitern formal eingereichten und thematisch der Optimierung von Beschaffungsprozessen dienenden Verbesserungsvorschläge. Aufgrund des prozessorientierten Aufbaus der Beschaffungsfunktion von der Bedarfsmeldung über die Bestellauslösung bis zur Vereinnahmung der Ware und anschließenden Bereitstellung sind hier keinesfalls nur Mitarbeiter der Abteilung Einkauf angesprochen. Die Kennzahl gibt einerseits Aufschluss über die Bereitschaft, eigene Ideen und Gedanken seitens der Mitarbeiter in das Unternehmen einzubringen, und andererseits ist sie ein Indikator, inwieweit ein Unternehmen eben solche Aspekte durch ein entsprechendes Anreizsystem fördert. Große Unternehmen sensibilisieren und trainieren ihre Mitarbeiter seit langem für verantwortungsbewusstes Handeln.
Bestandsführung
Auf Grund der Artikelstruktur werden in mittelständischen Unternehmen für die Materialbeschaffung mehrere Wege beschritten. Ausgeprägt haben sich eine zumeist quartalsweise Beschaffung über Stücklisten auf Basis des Produktions-/Absatzplanes, eine häufig unorganisierte Wiederbeschaffung von Lagerartikeln sowie eine Beschaffung im akuten Bedarfsfall.
Hier zeichnet sich die quartalsweise Beschaffung über Stücklisten besonders in expandierenden Unternehmen mit Prognosefehlern von über 30 % als sehr fehleranfällig aus. Es sind zwei gegensätzliche Folgen feststellbar: Einerseits hohe, kapitalbindende Lagerbestände von unbenötigten Materialien mit einem sehr geringen Lagerumschlag sowie andererseits durch Materialmangel bedingte Leerläufe bzw. der personalintensive Versuch, durch Trouble-Shooting gerade diesen zu verhindern. Nicht selten werden Mitarbeiter selbst zum Kauf von Standardartikeln mit geringem Warenwert losgeschickt.
Die Lagerreichweite ist eine geeignete Kennzahl für das Erkennen von Optimierungspotenzialen – setzt zur sinnvollen Erhebung (Aufwand, Fehlerquote) jedoch EDV-Unterstützung voraus. Da diese in mittelständischen Unternehmen erfahrungsgemäß nicht immer gegeben ist, seien hier praxisnahe Alternativen genannt:
  • Als ein guter Indikator für Missstände und Planungsfehler in der Beschaffung können der Anteil Eillieferungen sowie der Anteil veralteter Lagerbestand herangezogen werden.
  • Zur Identifikation der Eillieferungen empfiehlt sich der Rückgriff auf den Bestellwert. Liegt dieser unter 100 Euro, so kann davon ausgegangen werden, dass diese Bestellung der Deckung eines akuten Bedarfs diente.
  • Unter veraltetem Lagerbestand können solche Lagerartikel zusammengefasst werden, für die länger als sechs Monate keine Entnahmen vorliegen.
Mit Hilfe von zwei Strategien kann die Bestandsführung optimiert werden: Bei den Materialien, deren Bedarf aus Absatzprognosen oder Produktionsplänen über Stücklisten ermittelt wird, führt eine Verringerung des Planungszeitraums unmittelbar zu einem überproportional niedrigeren Prognosefehler. Unabhängig davon sind Lagerregeln und Wiederbeschaffungsstrategien einzuführen. Hierunter fallen permanent zu aktualisierende Regeln, die festlegen, welche Artikel in welchem Umfang auf Lager gehalten werden (Festlegen von Bestellmengen sowie Melde- und Sicherheitsbeständen), genauso wie definierte Zuständigkeiten für Lagerentnahmen und Lagerbevorratung.
Den Glauben, durch Einsatz von Lagerverwaltungs- und ERP-Systemen den Mangel an definierten Regeln und Abläufen in der Materialwirtschaft allein beheben zu können, bezahlen viele Unternehmen teuer. In vielen Betrieben können Standardmaterialien durch den Einsatz von Kanban (zum Beispiel in Form eines Zwei-Behälter-Kanbansystems) mit wenig Aufwand und völlig ohne EDV-Unterstützung vorgehalten werden.
Interne Prozesse
Nicht alle Bedarfe können prognostiziert bzw. aus dem Lager gedeckt werden. Ad-hoc-Bestellungen gehören zum Alltag. Dabei sind vor allem bei Inhaber-geprägten Unternehmen bzw. solchen, die auf eine starke Wachstumsphase zurückblicken, in der Materialbeschaffung gewachsene Strukturen mit teilweise skurrilen Auswirkungen in der operativen Bestellabwicklung zu beobachten.
Nicht selten müssen Bestellungen durch den Inhaber abgezeichnet werden, bevor der Einkauf tätig werden kann. Ein häufig zu beobachtendes Phänomen ist, dass die interne Durchlaufzeit solcher Bestellungen weitaus größer ist als die eigentliche Lieferzeit des Lieferanten. Die stichprobenartige Messung der Durchlaufzeit Beschaffungsvorgang von der Bedarfsmeldung bis zum Eintreffen der Waren beim Bedarfsträger kann hierbei Probleme aufzeigen. Dabei steht nicht die Erfassung der Arbeitsleistungen der einzelnen Mitarbeiter im Vordergrund, sondern die Identifikation systembedingter Liegezeiten in den verschiedenen Abteilungen. Neben den Zwischenzeiten, die über alle Stufen hinweg erfasst werden sollten, fällt gleichzeitig auch jeder Medienbruch auf.
Ein Ansatzpunkt zur Lösung dieses Problems ist die Freigabe direkter Bestellungen durch die Bedarfsträger zumindest für leitende Mitarbeiter. Dabei kann der interne Bestellvorgang vollständig eliminiert werden. Dies ist besonders sinnvoll für Standardmaterialien, wobei hierfür Festbeträge, bis zu denen eine Direktbestellung zulässig ist, vereinbart werden können. Die Kennzahl „Anteil Direktbestellungen“ gibt Auskunft darüber, inwieweit dieser Gedanke schon umgesetzt wurde. Je höher der Anteil Direktbestellungen, desto kürzer fällt die durchschnittliche Durchlaufzeit aus. Dies verringert den Lagerbestand, senkt Beschaffungsprozesskosten und führt zu einer verbesserten Materialverfügbarkeit.
Direktbestellungen setzen voraus, dass der strategische Einkauf Rahmenverträge mit den entsprechenden Lieferanten von Standardmaterialien aushandelt und in Form von Katalogen bereitstellt. Dabei ist es zweitrangig, ob diese Kataloge via Internet, Intranet oder auf CD-ROMs bereitgestellt werden. Die Kennzahl „Rahmenvertragsquote“ befasst sich mit den internen Prozessen nicht aus dem Blickwinkel des Bedarfsträgers, sondern vielmehr aus der Sichtweise des Einkaufs. Dieser wird mit zunehmender Anzahl von Rahmenverträgen zu Gunsten strategischer Aufgaben entlastet.
Lieferantenintegration
Weitere Optimierungspotenziale liegen häufig im Wareneingang. Probleme treten hier durch lange Liegezeiten auf. Es fehlen zumeist klare Regeln für den Ablauf und Umfang einer Wareneingangskontrolle. Dabei ist diese Schnittstelle zum Lieferanten hinsichtlich eines Lieferantenmanagements und der Beurteilung der Zulieferer von hoher Bedeutung. Zur Messung dient hierbei die Kennzahl „Liefertreue“, die in die Aspekte Liefertermintreue und Liefermengentreue unterteilt werden kann. Bei guter Liefermengentreue bietet sich ein lieferantenindividueller Übergang zu Stichproben an.
ISO 2859–1 nennt hier Werte, um den Aufwand der Wareneingangskontrolle auf ein Minimum zu reduzieren und eine schnelle Verfügbarkeit der Materialien zu gewährleisten. Generell gilt auch hier wieder der Zusammenhang:
  • Kann sich das beschaffende Unternehmen im Hinblick auf Liefermenge und -zeitpunkt auf seinen Lieferanten verlassen, so führt das zu niedrigeren Lagerbeständen.
  • Durch die Standardisierung und den Übergang zu Stichproben sinkt der operative Aufwand im Wareneingang. Schließlich nimmt auch der administrative Aufwand im Einkauf durch Verzug oder Fehlmengen mit höherer Liefertreue ab.
Ein allzu oft vernachlässigter Punkt ist die Untersuchung der eingehenden Transportströme mit den damit verbundenen Transportkosten. Zu den Schwierigkeiten zählt hier insbesondere, dass viele Lieferanten Transportkosten nicht gesondert ausweisen wollen, sondern diese in den Einstandspreisen verschlüsseln. Dennoch lassen sich hier Einsparpotenziale realisieren, wenn man sich auf die Untersuchung großer Transportvolumina im Stückgutbereich konzentriert. Im Gegensatz zum Versand von Paketen über KEP-Dienste innerhalb Deutschlands sind die Transportkosten hier nämlich proportional von der Transportstrecke abhängig und bieten somit Optimierungspotenzial.
Die Kennzahl „Anlieferung Stückgut“ gibt den Anteil von Stückgutanlieferungen an der Gesamtheit aller eingehenden Sendungen (Pakete/Stückgut/Ganzladungszüge) wieder. Ordnet man die so ermittelten Stückgutsendungen den 95 zweistelligen PLZ-Gebieten zu, bieten sich zwei Ansätze für eine Optimierung:
  • zum einen kann es sich als günstig erweisen, isoliert gelegene Lieferanten in großer räumlicher Entfernung gegen solche in der unmittelbaren Umgebung auszutauschen (Entscheidungskriterium ist die Verrechnung von Einstandspreisvorteilen mit erhöhten Transportkosten);
  • zum anderen kann die Einführung eines Gebietsspediteur-Konzepts in solchen PLZ-Gebieten, aus denen regelmäßig eine hohe Anzahl Sendungen stammt, sinnvoll werden. Voraussetzung hierfür ist, dass mit den Lieferanten Preise ab Werk verhandelt werden können.
Eine letzter Aspekt ist der Zahlungsfluss. Hier soll es nicht um durchschnittliche Zahlungsziele gehen, sondern wiederum um Prozessoptimierungen. Im Vordergrund stehen Gedanken wie die gebündelte Rechnung oder die Einführung des Gutschriftverfahrens mit dem Ziel der Reduzierung des administrativen Aufwands. Die Kennzahl „Zahlungsabwicklung“ setzt die Anzahl der Rechnungen der zehn Lieferanten mit der höchsten Bestellfrequenz ins Verhältnis zur Gesamtzahl Rechnungen. Ein hoher Wert deutet darauf hin, dass Arbeitskraft im Einkauf mit unnötigen Routineaufgaben gebunden ist. Durch die Vereinbarung einer gebündelten, bspw. monatlichen Rechnungsstellung mit diesen Lieferanten wird der strategische Einkauf gestärkt.
Zusätzlich zur Rechnungsbündelung sollte geprüft werden, inwieweit mit einzelnen Lieferanten auch das Gutschriftenverfahren umgesetzt werden kann. Dieses wurde bereits vor mehr als zehn Jahren vom Verband der Automobilindustrie (VDA) in Zusammenarbeit mit der Zulieferindustrie erarbeitet und befindet sich seither im Einsatz. Bestätigt der Lieferant eine Bestellung, wird automatisch auf der Grundlage des im Rahmenvertrag fixierten Preises zum vereinbarten Zahlungsziel der Rechnungsbetrag gutgeschrieben. Dieses eignet sich besonders für Standardmaterial mit geringem Warenwert und sollte zusammen mit einer Obergrenze von zum Beispiel 1.000 Euro pro Bestellung eingeführt werden.
Fazit
Die vorgestellte Scorecard Beschaffungslogistik soll kleinen und mittelständischen Unternehmen die Annäherung an eine Optimierung ihrer Beschaffungsprozesse erleichtern. Dabei sucht sie bewusst nicht den Segen in der Einführung von Internet-Technologie in die Beschaffung (E-Procurement), sondern strebt eine Sensibilisierung in Richtung Prozessoptimierung an. Ihr Einsatz dient der Schwachstellenanalyse und dem Erkennen erster Ansatzpunkte auf dem Weg zu schlankeren und effizienteren Beschaffungsprozessen. Die in den Kennzahlen dargestellten Zusammenhänge sind bewusst klar und einfach gewählt. Auch ohne die Vorgabe von Sollwerten ist ein Unternehmen nach der einmaligen Anwendung in der Lage, seine dringlichsten Ansatzpunkte zu erkennen.
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