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Sichere Mensch-Roboter-Kollaboration

Mit Robotersystemen wirtschaftlich automatisieren
Sichere Mensch-Roboter-Kollaboration

Je enger Mensch und Roboter zusammenarbeiten, desto effizienter können Arbeitsabläufe werden – Mensch und Roboter arbeiten praktisch in einen Arbeitsraum. So werden die Stärken bzw. Vorteile der Maschine wie Zuverlässigkeit, Ausdauer und Wiederholgenauigkeit mit den Stärken des Menschen, also Geschicklichkeit, Flexibilität und Entscheidungsvermögen kombiniert. Doch zuvor sind wichtige Sicherheitsbestimmungen zu beachten. Viele Unternehmen sind damit überfordert. Experten für Sicherheit wie das Unternehmen Pilz stellen ihr Know-how als Dienstleister zur Verfügung.

Laut Maschinenrichtlinie dürfen nur sichere Maschinen in den Verkehr gebracht werden. Das heißt, jede Maschine, die man Mitarbeitern in der Produktion zur Verfügung stellt, muss dem Stand der Technik und allen Sicherheitsvorschriften entsprechen. Dafür gibt es verschiedene Normen und Standards, die laut der Maschinenrichtlinie Anwendung finden sollen. Diese sollen den Herstellern von Maschinen und Anlagen helfen, sichere Maschinen zu realisieren. Insbesondere die Norm EN ISO 12100 „Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung“ beschreibt einen dreistufigen iterativen Prozess, der gewährleisten soll, dass Maschinen sicher werden: In einem ersten Schritt des Risikoanalyseprozesses wird versucht, über eine inhärent sichere Konstruktion die Maschine schon auf mechanischem Weg so sicher wie möglich zu gestalten. Ist das nicht möglich, wird versucht durch technische Schutzmaßnahmen, wie Lichtgitter, Schutzzaun, Schutztür und so weiter, die Risiken zu mindern. Wenn auch dadurch die vorgesehene Risikominderung nicht erreicht wird, versucht man im letzten, im dritten Schritt über Benutzerinformationen, zum Beispiel Warnhinweise wie Leuchtsignale, Anbringen von Piktogrammen sowie die Unterweisung des Bedienpersonals in Bezug auf die bestehenden Restgefahren.

Die inhärent sichere Konstruktion beherrschen Maschinenbauer bzw. Roboterhersteller oftmals relativ gut allein. Aber je nach Maschine gelten unterschiedliche Normen und Standards. Schon bei den technischen Schutzmaßnahmen oder bei der Gefahrenidentifizierung ist es geraten, sich professionelle Unterstützung zu holen. Und genau das ist die Expertise von Dienstleistern wie Pilz. Die Ingenieure dort haben ein breites Normen- und Erfahrungswissen: Sie wissen genau, zu welcher Maschine welcher Standard oder welche Norm angewendet werden muss und sie können diese Normen richtig interpretieren.
Risiken bei der Mensch-Roboter-Kollaboration
Der Leiter des Customer Support bei Pilz, Arndt Christ, erklärt dazu: „Wir bieten dem Maschinenbauer unser Know-how an und können auf Basis von Normen, Vorgaben und Richtlinien und durch unsere Expertise Hilfestellungen und Lösungen benennen.“
Prinzipiell ähneln sich Roboter und andere Maschinen in der Produktion mit Blick auf die Sicherheitstechnik. Allerdings gibt es für Roboter zusätzlich eine spezielle Norm, die EN ISO 10218–2, die es zu berücksichtigen gilt. Ein Unterschied liegt in der Bewegungsfreiheit: Werkzeugmaschinen bewegen sich entlang von Linearachsen, ihre Bewegungen sind absehbar. Die Bewegungen des Roboters sind dagegen nicht eingeschränkt. Der Roboter bewegt sich in allen Achsrichtungen gleichzeitig und das meist unvorhersehbar. Deswegen steckt man die Robotik in der Regel hinter Schutzzäune.
Bei Mensch-Roboter-Kollaborationen (MRK) agiert der Roboter ohne Schutzzaun. Deswegen ist es möglich, dass es zwischen Mensch und Roboter zu einer Kollision kommen kann, wodurch der Mensch unter Umständen Verletzungen davontragen könnte. Deswegen braucht man entsprechende Systeme, die den Menschen schützen können. Das heißt, man muss die gesamte Applikations-Situation inklusive des Menschen betrachten.
Für den Roboter beschreibt die technische Spezifikation ISO/TS 15066 mit wie viel Kraft an welcher Stelle des Körpers ein Roboter einen Menschen berühren darf (Schmerzschwellenwerte): Berührungen am Arm dürfen mit einer Kraft X geschehen, im Gesicht nur mit einer Kraft Y. Konkrete Werte und Schmerzgrenzen wurden durch Versuche festgelegt.
Aber man muss auch das spontane, unvorhergesehene Verhalten des Menschen berücksichtigen. Ein Beispiel aus der Praxis: Der Mensch bückt sich intuitiv, um einen heruntergefallenen Gegenstand wie etwa einen Kugelschreiber aufzuheben. Durch dieses Verhalten kommt es zu einer Kollision und der Roboter trifft den Menschen nicht am Oberkörper, sondern am Kopf. Einer Körperstelle, die im „normalen“ Arbeitsablauf nicht betroffen wäre.
Aber wie schafft man die Voraussetzungen für ein verletzungsfreies Miteinander zwischen Mensch und Roboter?
Arndt Christ, Leiter Customer Support bei Pilz, erläutert das Vorgehen: „Es kann keinen sicheren Roboter per se geben, sondern nur eine sichere Roboterapplikation. Auch hier muss man bereits während der Konstruktionsphase mit dem Hersteller erörtern, was dies bedeutet. Denn in einer Applikation muss nicht nur der Roboter, sondern auch das Werkzeug, das er möglicherweise führt, in das Sicherheitskonzept einbezogen werden. Hinzu kommt die Einsatzumgebung: Ist ein Betonpfeiler in unmittelbarer Nähe, besteht die Gefahr, dass der Mensch zwischen Roboter und Pfeiler gerät, wenn er einen ungeplanten Weg geht. Zusätzlich zu den Gefahren, die vom Roboter ausgehen, müssen also die Bewegungen des Menschen berücksichtigt werden. Diese sind jedoch nicht immer kalkulierbar mit Blick auf Geschwindigkeit, Reflexe oder plötzlichen Zutritt zusätzlicher Personen.
In der Risikobeurteilung sowie im Sicherheitskonzept wird auf alle diese Faktoren eingegangen. Das heißt, ich betrachte die gesamte Applikation.“
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur sicheren Roboterapplikation ist die Erstellung einer Risikobeurteilung. Normativ unterscheidet man dabei vier Methoden bei Roboterapplikationen (siehe Kasten S. 44):
  • 1. Sicherheitsgerichteter Stopp
  • 2.  Handführung
  • 3. Geschwindigkeits- und
     Abstandsüberwachung
4. Leistungs- und Kraftbegrenzung
Roboter haben – analog der bekannten Maschinen – entsprechende Schutzmaßnahmen schon integriert: Sie können langsamer oder schneller fahren. Wie schnell oder langsam, muss jedoch über eine Kraft-Leistungs-Begrenzung als weitere Sicherheitsmaßnahme definiert werden: Erst dann hält der Roboter so in der Bewegung inne, dass er bei einer Berührung den Menschen nicht verletzt. Grundsätzlich darf – je nach Applikation auch muss – also eine Berührung stattfinden, sie darf nur nicht zu einer Verletzung führen. Ein Roboter darf in einer Applikation die Schmerzgrenzen nicht überschreiten, nur so können Knochenbrüche oder andere Verletzungen verhindert werden.
„Bei MRK kommen oft Kombination aus Methode 3 und 4 zum Tragen: Solange kein Mensch in der Nähe ist, lässt man den Roboter so schnell wie möglich arbeiten. Wenn der Mensch dazu kommt, geht er in die reduzierte Geschwindigkeit. Kommt der Mensch dem Roboter zu nahe, schaltet die Leistungs- und Kraftbegrenzung ein. Dann kann der Roboter den Menschen gegebenenfalls auch treffen, aber nicht verletzen“, schildert Christ.
Roboter-Integration früher planen
Prinzipiell ist es empfehlenswert, den Sicherheitsexperten so früh wie möglich mit ins Boot zu holen. „Je früher wir mit der Dienstleistung dabei sind, desto einfacher wird es für die gesamte Applikation.
Am besten wäre es, wenn der Kunde gleich mit seiner ersten Idee für seine Roboterapplikation auf uns zukommt. Denn dann kann man besser planen. Wir haben auch schon Kunden gehabt, die am Schluss gesagt haben: ‚Hätte ich das früher gewusst, dann hätten wir nachträglich weniger Aufwand gehabt‘.
MRK-Roboter sind meist kleine Roboter. Sie haben eine Tragkraft bis 35 Kilogramm und sehen fast schon niedlich aus. Dadurch werden sie oft unterschätzt. Um hier die Gefahren zu erkennen, haben Anwender noch einen erheblichen Nachholbedarf.
Robotics-Life-Cycle bei Pilz
Christ hat einen weiteren Tipp für alle, die sich an MRK versuchen wollen: „Fangen Sie erst mit kleineren, überschaubaren Applikationen und Produktionsschritten an. Damit Sie sich an das Thema herantasten und langsam eigene Erfahrungen machen können.“
Für den Schutz von Mensch, Maschine und Umwelt stellt der Automatisierungsexperte Pilz ein breites Portfolio an Dienstleistungen über den gesamten Lebenszyklus einer Maschine zur Verfügung. Die Dienstleistungen des Customer Supports umfassen die Risikobeurteilung über das Sicherheitskonzept bis zu Sicherheitsdesign, Systemintegration und Validierung.
Zuerst wird bei Risikobeurteilung die Maschine in Übereinstimmung nach den geltenden Normen beurteilt und nach bestehenden Gefahren untersucht.
Danach erfolgt ein Sicherheitskonzept: Aufgrund der identifizierten Risiken werden technische Lösungsvorschläge ausgearbeitet, wie vorhandene Gefahrenstellen beseitigt oder zumindest Risiken reduziert werden können.
Im Anschluss werden im Sicherheitsdesign die erarbeiteten Sicherheitskonzepte detailliert ausgearbeitet und konkrete Pläne erstellt, beispielsweise Schaltplanvorschläge, Design von Lichtgittern usw.
Die komplette Inbetriebnahme der Maschine beim Kunden, inklusive Programmierung der Sicherheitssteuerung unter Berücksichtigung aller Normen und Sicherheitsvorschriften, erfolgt während der Systemintegration.
Schlussendlich werden in der Validierung die Risikobeurteilung und das Sicherheitskonzept durch das kompetente Fachpersonal von Pilz gespiegelt und überprüft. Bei MRK heißt das u. a., dass man die Kraft messen muss, mit der der Roboter einen Menschen trifft. Diese Messungen müssen vor Ort erfolgen. Dazu gibt es ein spezielles Kollisionsmess-Set PROBms, das Kraft und Druck an bestimmten Stellen feststellt. Das Ergebnis ist eine Maschine bzw. eine Roboterapplikation, die Pilz im Namen des Herstellers mit der CE-Kennzeichnung versieht. Dafür übernehmen die Sicherheitsexperten alle Aktivitäten und Prozesse für das notwendige Konformitätsbewertungsverfahren und die erforderliche technische Dokumentation.
Viele Unternehmen möchten sich im Bereich MRK betätigen. Allerdings wissen sie oft nicht, was da auf sie zukommt. Mit Unterstützung eines Profis kann der Start für eine Mensch-Roboter-Kollaboration gelingen. sas

Vier Methoden der Kollaboration
Methode 1 – Sicherheitsgerichteter Stopp
Der Roboter arbeitet und der Mensch bewegt sich in seine Nähe. Das wird durch einen optoelektronischen Sensor – wie zum Beispiel dem sicheren 3D-Kamerasystem SafetyEye, das den Raum um den Roboter dreidimensional überwacht – erkannt. Sobald ein Mensch von SafetyEye* im Schutzraum erfasst wird, bleibt der Roboter stehen (sicherheitsgerichteter Stopp).
Methode 2 – Handführung
Der Roboter kann bei reduzierter Geschwindigkeit manuell geführt werden. Diese Roboter haben einen speziellen Hand-Guiding-Modus, der meist von den Herstellern schon eingebaut wurde. Zusätzlich müssen eine Zustimm- und eine Not-Halt-Einrichtung leicht erreichbar sein.
Methode 3 – Geschwindigkeits und Abstandsüberwachung
Der Roboter arbeitet mit der vollen Geschwindigkeit. Eine Sicherheitstechnologie wie SafetyEye überwacht den Raum. Sobald sich der Abstand zwischen Mensch und Roboter verringert, passt der Roboter seine Arbeitsgeschwindigkeit an und wird langsamer. Erst wenn der Mensch dem Roboter zu nahe kommt, bleibt der Roboter stehen. Entfernt sich der Mensch wieder, setzt der Roboter seine Bewegung automatisch fort.
Methode 4 – Leistungs- und Kraftbegrenzung
Diese Leistungs- und Kraftbegrenzung ermöglicht eine echte Mensch-Roboter-Kollaboration. Dazu toleriert man eine Kollision von Mensch und Roboter, wenn bestimmte Belastungskenngrößen eingehalten werden. Neben den obligatorischen Sicherheitsfunktionen ist eine sichere Überwachung von Drehmoment, Kraft, Leistung und Geschwindigkeit erforderlich.
*Anm. Red.: SafetyEye ist ein 3D-basierendes Kamerasystem, das zur Überwachung von Räumen eingesetzt wird. Die „sehende Sicherheitstechnologie“ erfasst, inwieweit sich z. B. ein Mensch in einem definierten Bereich befindet oder nicht. Ein dreidimensionaler Schutzkokon umgibt dabei den Gefahrenbereich und das zu überwachende Objekt. Gefahrbringende Arbeitsprozesse – wie sie vor allem auch bei Roboterapplikationen vorliegen – werden sicher überwacht und gesteuert.
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