Rolle und Funktion der zentralen Einkaufsorganisationen zahlreicher international tätiger Unternehmen stehen derzeit auf dem Prüfstand, da sie sich erheblich wandeln werden.
Dr. Christopher Jahns, Konrad P. Bänziger
In der Vergangenheit war der zentrale Einkauf das Beschaffungsorgan für alle wesentlichen Produkte und Dienstleistungen, die insbesondere für die Wertschöpfung benötigt wurden. Eine starke Verwaltungslastigkeit der zentralen Einkauforganisationen war die Folge und eine Fokussierung auf dispositive Bestellabwicklungsfunktionen häufig anzutreffen. So konzentrierte sich der Einkauf auf Themen wie Erzielung günstiger Konditionen, Bedarfsbündelung und Durchführung von Ausschreibungen für die Ermittlung der günstigsten Lieferanten.
Rolle des Einkaufs der Zukunft
Der Wandel der regionalen, nationalen und vor allem der globalen Absatzmärkte zu immer stärker ausgeprägten Nachfragermärkten erfordert im Rahmen der notwendigen Flexibilisierung von Konzernstrukturen auch eine weitreichende Neupositionierung des Einkaufs. Ganzheitliche, strategische Beschaffungskonzepte sind gefragt.
Die Funktion des Konzerneinkaufs wird sich weg von einer reinen Zentralfunktion mit Durchgriffsrecht hin zu einer netzwerkartig verknüpften, in die operativen Einheiten integrierten Querschnittsfunktion und zu einem Partner für die Entwicklung, die Produktion und das Marketing in den Konzernsparten und Konzerntochtergesellschaften entwickeln. Dieser Ansatz der einkaufsseitigen Neupositionierung erhöht die Anforderungen an die Qualifikation des Einkäufers, denn nicht mehr der rein fachlich, sondern der ganzheitlich hochqualifizierte Einkäufer wird intern als auch extern von innovativen Lieferanten als der kompetente Partner für die zukünftige Unternehmensentwicklung anerkannt.
Insbesondere in entwicklungsintensiven und in kundennahen Geschäftsbereichen werden die absolut notwendigen und gerade in stagnierenden Zeiten klassisch einzusetzenden Einkaufsthemen wie die Erzielung von Bündelungseffekten oder die Realisierung von günstigen Konditionen höchste Bedeutung haben. Diese müssen allerdings in Zukunft gepaart sein mit einer tiefreichenderen Ausrichtung der gesamten Aktivitäten des Einkaufs an den Anforderungen der internen Einkaufskunden. Modernes Einkaufsmanagement erfordert daher nicht nur ein hohes Maß an Fachkenntnis, sondern auch ein verkäuferisch ausgeprägtes Gespür für die Anforderungen und Wünsche der internen Kunden.
Wie können diese Herausforderungen der Zukunft durch den Einkauf bewältigt werden? Welche Managementmethoden und Techniken muss der Einkäufer der Zukunft beherrschen, welche Tools muss er effektiv anwenden, um sowohl die Beschaffungsseite als auch seine internen Kunden im Unternehmen effektiv unterstützen zu können? Wie kann sich der zentrale Einkauf erfolgreich als Partner der Lieferanten und seiner wichtigen internen Schlüsselkunden positionieren ?
Zur Beantwortung dieser strategischen Fragestellungen kann vor allem eine neue Einkaufsfunktion einen entscheidenden Beitrag leisten: Das Key-Account-Management im Einkauf.
Grundlagen des Key-Account-Managements
Key-Account-Management als Teil der Vertriebsorganisation ist heute in allen marktorientierten Unternehmen fest etabliert; es entwickelte sich als besondere Ausprägung der Vertriebsorganisation mit dem Wandel von Verkäufer- zu Käufermärkten quer durch alle Branchen in allen marktwirtschaftlich orientierten Ländern. Dieser Wandel des Marktumfeldes zwang die Unternehmen insbesondere, intensive Beziehungen zu den wichtigen Kunden, den Key-Accounts, aufzubauen, zu unterhalten und zu pflegen, um bestehende Umsätze und Erträge abzusichern und neue Marktpotenziale besser zu erschließen. Das produktionsorientierte Inside-Out-Denken wurde durch ein alle Funktionen betreffendes marktorientiertes Outside-In-Denken ersetzt.
Durch den gezielten Einsatz spezieller Arbeitsmethoden und Techniken und durch eine zielgruppenorientierte Kommunikation werden die Anforderungen der Schlüsselkunden rechtzeitig erkannt und in ein geeignetes Problemlösungsverhalten des eigenen Unternehmens transformiert. Potenziale der Schlüsselkunden werden besser und rechtzeitiger erkannt, ausgeschöpft und für die Zukunft gesichert, latente Entwicklungspotentiale für das eigene Unternehmen und für die Kunden werden permanent beobachtet und realisiert.
Key-Account-Management ist ein wesentlicher Faktor zur Entwicklung strategischer Wettbewerbsvorteile und zum Ausbau der formalen und informellen Kundenbeziehungen; Kundenzufriedenheit wird erhöht, Kundenbindung verstärkt. Key-Account-Management ist die Grundlage für zukünftigen Markterfolg, denn es fördert die konsequente Outside-In-Betrachtung der eigenen Organisation und die Lösung von Kundenproblemen unter ganzheitlicher marktorientierter Sichtweise.
Notwendigkeit des Key-Account-Managements im Einkauf
Rolle und Selbstverständnis der zentralen Einkaufsorganisation zahlreicher Unternehmen stehen vor einem grundlegenden Wandel.
Es bestätigt sich der Trend, dass die konditionenorientierte Beschaffung wichtiger denn je ist; sie muss jedoch zwingend kombiniert werden mit einem ausgeprägten Verständnis des internen Bedarfsträgers als internen Kunden und einem Selbstverständnis des Einkaufs als Partner von Entwicklung, Produktion und Marketing und den Lieferanten.
Insbesondere erfordert die Reorganisation ehemals zentralisierter Konzerne in kleine, dezentrale und unabhängige Unternehmenseinheiten eine Umorientierung der Einkaufsaktivitäten. Wo eben noch die verantwortlichen Linienmanager der Konzernbereiche genau wussten, welche Einkäufer für welche Produktbereiche zuständig waren, herrscht heute nicht selten Intransparenz über die einkaufseitigen Zuständigkeiten. Häufig wurden die Konzerne in zahlreiche Tochtergesellschaften zergliedert, neue Gesellschaften hinzugekauft. Es fällt demzufolge den operativen Managern immer schwerer genau zu erkennen, welcher Ansprechpartner im Zentraleinkauf sich für die einzelne Gesellschaft zuständig erklärt.
Müssen sich die operativ Verantwortlichen beim Konzerneinkauf mehrmals durchfragen, entsteht ein konfuser Eindruck, der in der Praxis vermehrt zu selbständigem Einkaufshandeln der Tochtergesellschaften führt, ohne dass der Konzerneinkauf noch einbezogen wird. Der zentrale Konzerneinkauf, ein aufgrund der vielfältigsten Faktoren sinnvolles Gebilde, verliert so zusehends an Macht, Einfluss und Aufgabenhoheit, wird andererseits jedoch vom Top-Management permanent auf Synergien, Bündelungseffekte und Einsparpotenziale verpflichtet.
Die Voraussetzungen für die erfolgreiche Bewältigung dieser neuen Herausforderungen sind zu schaffen: Die Einführung eines neuen Einkaufskonzeptes, das Key-Account-Management im Einkauf.
Organisationsvarianten für das Key-Account-Management im Einkauf
Grundsätzlich hat das im klassischen Key-Account-Management geprägte Prinzip One-Face-to-the-Customer auch im Einkauf Gültigkeit. In Anwendung auf die Organisationsstrukturentwicklung des Key-Account-Managements im Einkauf bedeutet dies eine Ergänzung oder sogar eine Abkehr von der zur Zeit häufigsten Strukturierung des Einkaufs nach Produktbereichen. One-Face-to-the-Customer bedeutet, den wichtigen internen Kunden des Einkaufs einen Ansprechpartner in der zentralen Einkaufsorganisation zuzuordnen, der für die ganzheitliche Betreuung des Kunden verantwortlich zeichnet.
Anzumerken ist hierbei, dass eine Key-Account-Betreuung im Einkauf nur in den wichtigen Produktgruppen Sinn macht. Die Disposition allgemeiner Verbrauchsartikel, wie Büroartikel sollte zweckmäßigerweise nicht über das Key-Account-Management gesteuert, sondern direkt über E-Procurementlösungen vom Bedarfsträger abgerufen werden können. Für die organisatorische Umsetzung sind zwei einkaufsorganisatorische Strukturvarianten denkbar und in verschiedenen Konzernen bereits erprobt.
Für die erste einkaufsorganisatorische Strukturvariante werden besonders qualifizierte Einkäufer von ihren bisherigen Einkaufsaufgaben entbunden und in ein neues Key-Account-Management-Team eingebunden. Die Aufgabe der Team-Mitglieder besteht zukünftig in der umfassenden ganzheitlichen Betreuung der den einzelnen Key-Account-Managern zugeordneten internen Schlüsselkunden. Unterstützung erhält dieses Key-Account-Team durch die Einkaufsorganisation, die zusätzlich die Aufgabe des Back-Offices für das Key-Account-Management-Team zu übernehmen hat.
Die zweite einkaufsorganisatorische Strukturvariante bildet matrixartig gestaltete Verantwortungsbereiche der ersten und zweiten Führungsebene der zentralen Einkaufsorganisation ab. Die Mitglieder der ersten und zweiten Führungsebene erhalten neben ihrer fachseitig, meist produktbezogen abgegrenzten Verantwortung für bestimmte Einkaufsbereiche die zusätzliche Verantwortung für das Management definierter interner Schlüsselkunden. Diese Variante führt auf den ersten Blick sicherlich zu einer erheblichen Doppelbelastung der Führungskräfte der zentralen Einkaufsorganisation. In der Praxis lässt sich diese Doppelbelastung jedoch durch Bildung von Key-Account-Gruppen mit homogenen und fachseitig schwerpunktmäßig abzubildenden Bedürfnisstrukturen reduzieren. Die Zuordnung der Gruppen nach der fachlichen Spezialisierung der jeweiligen Führungskräfte hat sich bewährt.
Anforderungen an den Einkaufs-Key-Account-Manager
Die Rekrutierung der Einkaufs-Key-Account-Manager aus der zentralen Einkaufsorganisation wird im Regelfall von einer Reihe von Personalentwicklungsmaßnahmen zu begleiten sein. Die Erfahrung zeigt, dass zentrale Einkaufsorganisationen meist über relativ wenig Mitarbeiter verfügen, die eine Ausbildung oder praktische Erfahrung im Management von Kundenbeziehungen vorweisen können. Trotz bereits etablierter Supply-Chain-Ansätze unter der Berücksichtigung einer partnerschaftlichen Beziehung zu den Lieferanten ist festzustellen, dass auch heute noch Lieferantengespräche nach anderen Regeln und somit auch mit anderen Methoden geführt werden, als dies in Kundengesprächen und somit auch in Gesprächen des Einkaufs mit seinen internen Schlüsselkunden der Fall sein sollte.
Einkäuferbezogene Personalentwicklungsmaßnahmen in der zentralen Einkaufsorganisation sollten deshalb insbesondere an die Themenfelder Management der Kundenbeziehungen, wirkungsvolle Kommunikation und erfolgreiche interne Verkaufsgespräche anknüpfen, um die Umsetzung des Key-Account-Managements im Einkauf vom Start weg optimal zu gestalten.
Im Themenfeld des einkaufsseitigen Managements der Kundenbeziehung muss sich der zukünftige Key-Account-Manager mit der Wirkungskette der Kundenzufriedenheit, mit den kontaktorientierten, ergebnisorientierten und einstellungsorientierten Erfolgskriterien des Kundenbeziehungsmanagements sowie den hierfür relevanten Marketinginstrumenten auseinandersetzen und vertraut machen.
Im Schulungsmodul „Wirkungsvolle Kommunikation“ werden Themen wie die Grundlagen der Kommunikationstheorie, die Maximen erfolgreicher Kommunikation, die Grundgesetze der Kommunikation, die vier Seiten einer Nachricht, die Analyse von Kommunikationsstörungen sowie die Anforderungen an einen guten Kommunikator dem zukünftigen Key-Account-Manager den Start in den neuen Verantwortungsbereich erheblich erleichtern und seine soziale Kompetenz erweitern.
Im Weiterbildungsmodul „Erfolgreiche Verkaufsgespräche“ werden die Voraussetzungen erfolgreicher Kundengespräche, Gesprächsvorbereitung, Aufbau des Kontaktes zum Kunden, Analyse der Kundenbedürfnisse, Fragetechnik, Grundregeln für aktives Zuhören, Konfliktgründe im Kundengespräch, Behandlung von Einwänden und Abschluss von Kundengesprächen behandelt.
Möglichkeiten und Grenzen des Key-Account-Managements im Einkauf
Bei einigen internationalen Großunternehmen wurde die neue Funktion Key-Account-Management im Einkauf in den letzten Jahren erfolgreich eingeführt und umgesetzt. Die im Vorfeld dieser Einführungen durchgeführten Kundenanalysen und Interviews mit potenziellen internen Key-Accounts ergaben aufschlussreiche Anforderungsprofile an den Einkauf der Zukunft.
Entgegen der bisher eher produktgruppenspezifisch gegliederten Einkaufsorganisation bevorzugen die internen Schlüsselkunden inzwischen einen Ansprechpartner im Zentraleinkauf, der in der Einkaufsorganisation quasi als Anwalt der Fachseite und deren Interessen agiert. Erwartet werden vom Key-Account-Manager neben übergreifendem Fach-Know-how die genaue Kenntnis der Resultate der Beschaffungsmarktforschung und die weitgehende Entlastung der Fachbereiche von allen Abwicklungsfragen, insbesondere die Fähigkeit des Denkens in ganzheitlichen Systemen. Zudem sind Anstöße für alternative Problemlösungen und alternative Lieferanten gefragt. Dieses persönliche Anforderungsprofil verdeutlicht, dass im Key-Account-Management des Einkaufs der Typus des Beziehungsmanagers vermehrt gefordert wird.
Key-Account-Management erfordert eine permanente konsequente Kommunikation zwischen Einkauf und internen Schlüsselkunden. Hierdurch wird der Einkauf frühzeitig in den Bedarfs- und Informationsfindungsprozess in den Fachabteilungen bzw. Tochtergesellschaften eingebunden. Der Key-Account-Manager ist somit zum einen das Ohr des Konzerneinkaufs bei den Sparten und zum anderen der Anwalt der Sparten beim Konzerneinkauf.
Durch den institutionalisierten permanenten Kontakt werden Konflikte und Reibungsverluste zwischen Einkauf und internen Kunden im Sinne des Gesamterfolges minimiert. Die Erkenntnisse der Beschaffungsmarktforschung durch den Zentraleinkauf werden auf der Informationsdrehscheibe Key-Account-Management optimal genutzt und unterstützen vor allem die frühzeitige Erkennung potenzieller Aktivitätsfelder des Zentraleinkaufs.
Die unterstützende Funktion des Key-Account-Managers bei der Bedarfsplanung und der Bedarfskoordination der internen Schlüsselkunden verbessert die Standardisierungs- und Bündelungschancen des Zentraleinkaufs und ermöglicht ein indirektes Controlling in Form der Einhaltung von Rahmenvereinbarungen durch die Sparten- und Tochtergesellschaften.
Key-Account-Management im Einkauf als ein Erfolgsfaktor
Diese neue Funktion leistet einen wesentlichen Beitrag zur Absicherung des langfristigen Erfolges des strategischen Einkaufs in Großunternehmen und Konzernen, wenn die neue Funktion Key-Account-Management im Einkauf mit den Zielen der durchgängigen Kundenorientierung der gesamten Einkaufsorganisation und der Schaffung nachhaltigen Kundennutzens etabliert, umgesetzt und konsequent gelebt wird.
Die frühzeitige Einbindung des Einkaufs in Beschaffungsprojekte der Sparten- und Tochtergesellschaften sichert die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung und der Beschaffungsprozesse. Die Schnelligkeit in der operativen Abwicklung durch den Zentraleinkauf steigt, ebenso die interne und externe Markttransparenz. Standardisierungsmöglichkeiten und Chancen werden rechtzeitig und mit ausreichender Vorlaufzeit erkannt und können so im Sinne des Konzerns genutzt werden. Dadurch wird die Bindung der internen Kunden an ihren ganzheitlichen Problemlöser, ihr Key-Account-Management im Einkauf, erhöht.
Für die Kommunikation der Leistungsfähigkeit und der Leistungsmöglichkeit des Zentraleinkaufs ist das Key-Account-Management im Einkauf deshalb die Marketingplattform der Zukunft.
Literaturverzeichnis:
–Jahns, Christopher: Integriertes strategisches Management. Neue Perspektiven zur Theorie und Praxis des strategischen Managements, Sternenfels, Berlin 1999.
–Jahns, Christopher: Komplexität und Wettbewerb, in: Das Wirtschaftsstudium, 30. Jg. (2001), S. 690-694.
–Jahns, Christopher et al.: Neupositionierung des Einkaufs im Unternehmen. In: Beschaffung Aktuell. Nr. 2, 2001, S. 38-43.
–Jahns, Christopher: Das St. Gallener Beschaffungsmanagement. In: Materialwirtschaft und Logistik in der Praxis. Band 2. Hrsg. Otto Dück. Augsburg 2001.
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