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Supplier Lifetime Value statt Partnerschaftsromantik

Erfolgsfaktor und Wertbeitrag strategischer Lieferantenentwicklung
Supplier Lifetime Value statt Partnerschaftsromantik

Supplier Lifetime Value statt Partnerschaftsromantik
Eine Lieferantenbeziehung hat nichts mit Romantik zu tun, sondern misst sich an den zu tätigenden Auszahlungen und erwarteten Einzahlungen bzw. Rückflüssen aus der Entwicklungstätigkeit in Form des Supplier Lifetime Value (Foto: Picture Alliance)
„Partnerschaftsromantik“, die im Zweifel die Trennung erschwert, darf nicht sein. Unsere Autoren Alexander Batran und Michael Eßig stellen hier ein Modell vor, das eine Objektivierung des Lieferantenwerts auf der Basis von Risiko, Kosteneffizienz sowie dessen Umsatzwirkung auf das Endprodukt erlaubt. Die Erfolgsmessung basiert nicht nur auf dem Preis, sondern auf dem gesamten Wertbeitrag durch den Lieferanten (Supplier Lifetime Value).

Dr. Alexander Batran, Prof. Dr. Michael Eßig

In der aktuellen Krise ist der Einkauf zur Reduktion der Kosten besonders gefordert, so der derzeitige Tenor. Eine reine Fokussierung auf Kostensenkung birgt aber auch Risiken: Folgekosten aufgrund von Qualitätsmängeln, zum Beispiel, dürfen nicht unterschätzt werden, so die Aussage von Einkaufsexperten.
Entgegen der reinen kurzfristigen Kostensenkung aber liegen „die größten Defizite im Bereich strategischer Einkauf“, sagt Dr. Horst Wildemann, Professor an der Uni München. „Einkäufer jagen auf der ganzen Welt den günstigsten Preisen hinterher“, keiner macht sich aber die Mühe, „den wirklich wertvollsten Lieferanten auszurechnen.“ Welchen strategischen Wert ein Lieferant hat, zeigt sich anhand dessen mittel- bis langfristigen (Innovations- und Kostensenkungs-) Potenzials, d. h. wie gut er in der Lage ist, sich an ändernde Markt- und Kundenanforderungen dynamisch anzupassen. Dynamische Lieferantenpartnerschaften sollen gerade diese flexible Anpassung durch Lieferantenentwicklung erlauben. Wird ein Lieferant als entwicklungsfähig bewertet, entsteht dem Abnehmer ein Handlungsspielraum, der sich als strategische (Handlungs-) Option ausdrücken und bewerten lässt. Gerade für Bedarfe, bei denen eine geringe Substitutionsmöglichkeit bei hoher strategischer Bedeutung des Lieferanten vorliegt, stellt die Entwicklungsfähigkeit einen zentralen Wertbestandteil des Lieferanten dar.
Langfristige Wettbewerbsvorteile
In einer Studie des BME und der Universität der Bundeswehr geben über 50 Prozent der befragten Einkäufer an, dass Lieferantenintegration im Rahmen des Lieferantenmanagements genutzt wird. Die Lieferantenpartnerschaft wird nicht mehr nur mit dem „Total Cost of Ownership“-, sondern mit einem „Total Value of Ownership“-Ansatz bewertet, der die Entwicklungsfähigkeit eines Lieferanten als Wertbeitrag einschließt und quantifiziert. Gerade jetzt stellt sich die Frage für strategisch bedeutsame Lieferanten, welcher Lieferant tatsächlich entwicklungsfähig ist und damit die Allokation finanzieller Mittel im Rahmen der Lieferantenentwicklung zur Gewährleistung der mittel- bis langfristigen Innovationsfähigkeit und letztendlich Versorgungssicherheit mit am Markt geforderter Güter und Leistungen rechtfertigt.
Lieferantenentwicklung als Option des Abnehmers setzt die Unterscheidung in reaktive und strategische Lieferantenentwicklung voraus. Lieferantenentwicklung als lediglich reaktive Verbesserung der kurzfristigen Performance eines Lieferanten wird in der Regel veranlasst durch ein aktuelles, konkretes Problem im Leistungsaustausch mit dem Lieferanten (Schlechtleistung). Die Entwicklungsmaßnahme hat einen kurzfristigen Zeithorizont. Die Notwendigkeit ergibt sich aus Problemen des Lieferanten, zum Beispiel pünktlich zu liefern (Versorgungssicherheit im operativen Betrieb) sowie bei Qualitätsmängeln des Produktes selbst. Bei der reaktiven Lieferantenentwicklung rücken Lieferanten erst bei Auftreten von Problemen ins Bewusstsein des Abnehmers, so dass es sich um sehr kurzfristige Gegenmaßnahmen handelt. Häufig werden Lieferanten zur Einhaltung von Zielvereinbarungen (anhand von KPIs) angehalten, deren Defizite sich aus der Lieferantenbewertung ergeben haben („Eigenentwicklung“ durch Zielvorgaben des Abnehmers).
Der strategische Ansatz der Lieferantenentwicklung hat die langfristige, bewusste und kontinuierliche (Weiter-) Entwicklung der Leistungsfähigkeit (Potenziale) des Lieferanten zum Ziel. Strategische Lieferantenentwicklung wird proaktiv zum langfristigen Erhalt der Wettbewerbsvorteile initiiert. Ein wesentlicher Unterschied zur lediglich reaktiven Lieferantenentwicklung liegt in der bewussten Suche und Auswahl von Feldern für Entwicklungsmaßnahmen. Die strategische Lieferantenentwicklung erfolgt grundsätzlich durch eine direkte Partizipation des Abnehmers, der in Lieferantenentwicklungsmaßnahmen und somit auch in den Lieferanten selbst investiert. Wesentliches Merkmal zur Anwendung der direkten Lieferantenentwicklung ist eine strategische Partnerschaft mit dem Lieferanten, da eine Amortisation der Entwicklungstätigkeit über den Beziehungslebenszyklus erforderlich wird. Entwicklungsfähigkeit eines Lieferanten im strategischen Sinn bedeutet den Aufbau eines Handlungsspielraums durch Handlungsoptionen für den Abnehmer.
Eine Lieferantenentwicklungsoption erlaubt die vorhandenen Lieferantenpotenziale für zukünftige Anforderungen aktiv weiterzuentwickeln. Ein möglicher Ausgangspunkt der Weiterentwicklung ist ein Lieferant, der als In-Supplier die heutigen Anforderungen mit seinem Potenzial erfüllt (z. B. laufende Serie), eine Weiterentwicklung aufgrund der dynamischen Marktveränderung für die zukünftige Zusammenarbeit jedoch erforderlich ist. Ist in einem aktuellen Trend absehbar, dass die derzeitige Leistungsfähigkeit/-potenziale des Lieferanten für zukünftige Anforderungen nicht mehr ausreichend sind, um wettbewerbsfähig am Markt zu bestehen, bildet die Lieferantenentwicklungsoption eine strategische Handlungsmöglichkeit des Abnehmers und ist Grundlage einer dynamischen, anpassungsfähigen Lieferantenpartnerschaft. Dem Problemdruck von Lieferantenpartnerschaften im Sinne einer als „Partnerschaftsfalle“ mangels Wechselmöglichkeiten (Switching Costs) wird durch die Anpassungsfähigkeit der Partnerschaft proaktiv entgegengewirkt.
Bei der Quantifizierung des Lieferantenwerts drückt der statische Lieferantenwert dabei jenen Wert des Lieferanten aus, den er ohne Entwicklungsoption umfasst (siehe Grafik 1). Der statische Lieferantenwert lässt sich somit auch als passiver Lieferantenwert bezeichnen, d. h. die aktive Handlungsmöglichkeit des Abnehmers einer späteren Anpassung der Potenziale des Lieferanten an nicht-antizipierte Veränderungen wird nicht erfasst.
Zukunftsgerichtete Bewertung
Dagegen schließt der erweiterte Lieferantenwert die Anpassungsfähigkeit durch den Handlungsspielraum, ausgedrückt als Lieferantenentwicklungsoption, explizit mit ein und quantifiziert diese Option als dynamischen Lieferantenwert. Wird das dynamische Element der Lieferantenentwicklung zusätzlich zur statischen Basisstrategie berücksichtigt, entstehen dem Abnehmer Optionen, den Status quo der Lieferantenleistungsfähigkeit aktiv und gezielt innerhalb der Partnerschaft zu verändern und diese positiv zu beeinflussen.
Herkömmliche Lieferantenbewertungsverfahren basieren in der Regel auf aktuell messbaren Leistungsmerkmalen (Qualität, Zeit, Kosten, Logistik) und leisten eine prospektive Wertermittlung nur unzureichend. Für Einmaltransaktionen mag dies ausreichend erscheinen, jedoch erfordern langfristige strategische Partnerschaften z. B. im Rahmen der frühzeitigen Lieferanteneinbindung eine zukunftsgerichtete, potenzialorientierte Bewertung, da einerseits der Wert aus der Beziehung erst in der Zukunft, z. B. im konkreten Fall nach SOP, realisiert werden kann, andererseits die Entwicklungsfähigkeit des Lieferanten eine notwendige Bedingung für die Existenz von Lieferantenentwicklungsoptionen ist. Die Entwicklungsfähigkeit ist Ausdruck dafür, dass Lieferanten nicht nur die derzeitigen Anforderungen erfüllen, sondern auf der Grundlage eines vorhandenen Basispotenzials entsprechend zukünftigen Marktanforderungen weiterentwickelt werden können. Die beschränkte Fokussierung auf das gegenwärtige Leistungsvermögen spiegelt nur einen begrenzten Teil des Beziehungswertes wider (statische Basisstrategie) und erfasst nicht die Entwicklungsfähigkeit des Lieferanten (erweiterter Lieferantenwert). Lieferanten müssen sowohl anhand von Vergangenheitsdaten, als auch bezüglich ihres Zukunftspotenzials bewertet werden. Eine ganzheitliche potenzialorientierte Bewertung findet insbesondere dann statt, wenn es um „strategisch wichtige, komplexe, innovative Beschaffungsobjekte“ und Beziehungen mit langfristigem Zeithorizont geht. Optionen sind nur bewertbar, wenn sie real existieren, weshalb sich folgende Vorgehensweise empfiehlt:
1. Notwendige Bedingung für die Existenz einer Lieferantenentwicklungsoption oder „Verfügt der Lieferant über das nötige Basispotenzial, um überhaupt entwicklungsfähig zu sein?“
Die Prüfung der notwendigen Bedingung erfolgt durch die Beurteilung und Gewichtung der Lieferantenpotenziale hinsichtlich deren Entwicklungsfähigkeit. Zunächst wird ein Zielwert auf der Basis von in der Zukunft erwarteten Marktanforderungsszenarien für die erforderlichen Leistungspotenziale/-merkmale festgelegt und die aktuelle Leistungsfähigkeit für einen konkreten Lieferanten mit diesem Sollwert verglichen. Die Lücken spiegeln dann Ansatzpunkte zur Lieferantenentwicklung wider (Entwicklungsdelta), wenn es zur prognostizierten Marktveränderung kommt. Als notwendige Bedingung für Lieferantenentwicklungsoptionen sind die vom zukunftsgerichteten Zielwert abgeleiteten und geforderten Mindestanforderungen entscheidend. Nur wenn das Lieferanten(basis)potenzial innerhalb des Korridors von Mindest- und Sollanforderungen liegt, ist der Lieferant als entwicklungsfähig einzustufen und eine Lieferantenentwicklungsoption in einem zweiten Schritt quantifizierbar. Die Mindestanforderungen werden normativ aus der Praxiserfahrung abgeleitet.
2. Hinreichende Bedingung für die Ausübung einer Lieferanten- entwicklungsoption oder „Welche Rückflüsse sind aus der Lieferantenentwicklungsoption zu erwarten?“
Für die Ausübung der Option interessiert der Kapitalwert, der mit der Lieferantenentwicklungsmaßnahme verbundenen Zahlungsströme. Die Lieferantenentwicklungsmaßnahme kann demnach sowohl die Kosten- als auch Leistungsseite umfassen (Kostenreduktion und/oder Umsatzsteigerung beim Abnehmer).
Die Option der Lieferantenentwicklung wird nur dann ausgeübt, wenn der damit verbundene Kapitalwert aus den diskontierten Ein- und Auszahlungen die Auszahlung für die Lieferantenentwicklungsmaßnahme übersteigt. Hierfür wird der Supplier Lifetime Value SLV (Lieferantenkapitalwert) herangezogen, der ein geeignetes Instrument darstellt, den Wert einer Lieferantenpartnerschaft nicht nur als Momentaufnahme zu verstehen, sondern vielmehr den gesamten Beziehungszyklus in die Wertermittlung einfließen zu lassen. Eine reine Kostenfokussierung kommt hierbei zu kurz, ändern sich durch die Lieferantenentwicklung auch die Markt-/Absatzchancen des Abnehmers, wenn die Leistungsseite ebenfalls beeinflusst wird. Aus einem traditionell isolierten Kostendenken wird eine umfassende Wertorientierung. Die Erfolgsmessung erfolgt nicht mehr nur nach dem Gesichtspunkt der „cost reduction“ sondern als ein „Value Sourcing“. Es geht um die Frage, wie der „objektive Wert“ einer Beziehung aus Abnehmersicht gemessen werden kann. Und zwar der Wert von entwicklungsfähigen versus nicht-entwicklungsfähigen Lieferanten als Grundlage strategischer Lieferantenentscheidungen.
Eine kapital- und optionswertorientierte Lieferantenentwicklung liefert die Bewertungsgrundlage für ein prospektives, tatsächlich strategisches Management von Lieferantenbeziehungen. Das hier entwickelte Modell erlaubt eine Objektivierung des Lieferantenwerts auf der Basis dessen Risikos, Kosteneffizienz (Lernkurven eingeschlossen) sowie dessen Umsatzwirkung auf das Endprodukt.
Kapital- und options- wertorientiert
Die Einbeziehung der Umsatzwirkung erlaubt eine am Kundennutzen ausgerichtete Lieferantenentwicklung. In der Automobilindustrie zeigt sich derzeit, wie stark neue Technologien gefordert sind, die auch an Lieferanten neue Anforderungen stellen. Eine dynamische Anpassung stellt dann einen strategischen Mehrwert dar, womit eine leistungsseitige Lieferantenentwicklung zum Erfolgsfaktor wird und quantitativ abgebildet werden muss.
Lieferantenentwicklung ist nicht durch „Partnerschaftsromantik“ motiviert, sondern misst sich an den zu tätigenden Auszahlungen und erwarteten Einzahlungen bzw. Rückflüssen aus der Entwicklungstätigkeit in Form des SLV. Der strategische Wert des Lieferanten wird über die Option explizit erfasst. So hat sich in einem Beispiel gezeigt, dass der dynamische Lieferantenwert (Optionswert) abhängig vom Entwicklungsertrag bis zu 70 Prozent des gesamten (erweiterten) Lieferantenwerts ausmachen kann (siehe Grafik 2), die durch eine klassische Bewertung nicht erfasst werden würden. Für strategische Lieferantenentscheidungen bedeutet dies unmittelbar, dass nicht nur die aktuelle Leistungsfähigkeit, sondern auch der langfristige, dynamische Beziehungs- bzw. Lieferantenwert entscheidend ist.
Literatur:
  • Batran, A.: Lieferantenentwicklung als Realoption, Wiesbaden 2008
  • Eßig, M.: Supplier Value Management: Strategien und Konzepte zur Wertermittlung und Werterhaltung, in: Hausladen, I. (Hrsg.), Management am Puls der Zeit: Strategien, Konzepte und Methoden, Festschrift für Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Wildemann zum 65. Geburtstag, Band 2: Produktion und Logistik, München 2007, S. 1481–1499

  • Die Autoren

    Prof. Dr. Michael Eßig, Universität der Bundeswehr München
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