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Systemlieferanten auf der Überholspur?

Entwicklungspartnerschaften
Systemlieferanten auf der Überholspur?

Systemlieferanten auf der Überholspur?
Hollander und Simons von Van Niftrik an einem neuen US-Schweißautomaten. Verfahren werden damit überaus präzise und reproduzierbar beherrscht. Roboter ermöglichen einen nahezu unbemannten Prozeßablauf.
Zahlreiche niederländische Zulieferbetriebe haben sich in den vergangenen Jahren den Herausforderungen gestellt, die hochwertige Systemlieferanten zu erfüllen haben. Durch die moderate Lohnkostenentwicklung hat sich ihre Konkurrenzposition im Vergleich zu den Nachbarländern verstärkt. Der Export beläuft sich inzwischen auf etwa 50% und steigt jährlich um etwa 10%.

Ing. Jan Oonk

Die neunziger Jahre haben den schnellen Aufstieg des Typs Systemlieferant bewirkt. Endproduzenten konzentrierten sich weiter auf ihre Kerntätigkeiten und nahmen auf der Suche nach Kostendämpfungsmöglichkeiten ihre Zuliefernetzwerke kritisch unter die Lupe. Die Lieferungen von Montagegruppen und Fertigmodulen kamen auf, weil sich Endproduzenten nicht mehr mit endlosen Scharen von Zulieferfirmen von Einzelteilen abgeben wollten. Der Begriff Systemlieferant wurde geboren.
Japan ist in diesem Bereich ein Vorläufer. Zu Beginn dieser Dekade durchgeführte Studien zeigten, daß in Japan 75% des Umsatzes von Zulieferfirmen aus Modulen bestand. In den Niederlanden belief sich dieser Satz damals noch auf etwa 40%. Hier haben sich inzwischen dramatische Änderungen ergeben.
Nevat, der Niederländischen Vereinigung für Zulieferfirmen, gehören etwa 200 der renommiertesten niederländischen Zulieferfirmen an. Die Nevat hält den Status des Systemlieferanten für eine hervorragende Basis, sich als Zulieferfirma von der aufkommenden Konkurrenz aus den Billiglohnländern zu unterscheiden. Auf Modulebene geht es insbesondere um technische Fertigkeiten, um logistische Organisation und um integrale Kostendämpfung, und nicht um den niedrigsten Preis für jedes Einzelteil.
Guter Ruf
Systemlieferanten schaffen und unterhalten ihre eigenen Netzwerke für die Lieferung einfacher oder spezieller Bestandteile, für die eine eigene Organisation zu teuer wäre oder nicht vorgesehen ist. In diesem Sinne haben Systemlieferanten eine starke Ausstrahlung auf die industriellen Unternehmenstätigkeiten in ihrer Umgebung. Sie nähren das Netzwerk der Spezialisten auf den niedrigeren Ebenen der Zulieferpyramide und sind damit unmittelbar an den Arbeitsplätzen im ganzen Land und an der Wirtschaftsentwicklung beteiligt.
Die bescheidene Lohnkostenentwicklung hat bewirkt, daß man im Vergleich zu den Nachbarländern äußerst konkurrenzfähig anbieten kann. Offiziellen Angaben zufolge lagen die Bruttostundenlöhne in der Metallindustrie im Jahre 1996 im Durchschnitt bei DM 32,24, ein im Vergleich zu DM 50,63 in Deutschland sehr bescheidener Betrag. Auch in der Schweiz und in Belgien liegen die Stundenlöhne höher.
Niederländische Zulieferfirmen machen gerne Geschäfte mit Deutschland, da die technologischen Ebenen eng aneinander anschließen und auch die Geschäftskulturen einander nahezu entsprechen. Aus dem Bericht zur internationalen Konkurrenzposition der niederländischen Systemlieferanten (Ende 1995 im Auftrag des niederländischen Wirtschaftsministeriums zusammengestellt) wurde ersichtlich, daß sich die Exportquote der niederländischen Systemlieferanten auf 48% belief und daß der Exportumsatz ein nie gekanntes Wachstum in Höhe von nahezu 10% pro Jahr verzeichnete. Es stellte sich heraus, daß Deutschland der größte Wachstumsmarkt für niederländische Systemlieferanten war.
In der Studie wurde festgestellt, daß niederländische Systemlieferanten einen guten Ruf in Europa haben. Sowohl bei den Endproduzenten als auch bei ihrer unmittelbaren Konkurrenz wurden sie auf den zweiten Platz nach den deutschen Systemlieferanten eingestuft.
Als kritische Note wies die Studie darauf hin, daß das, was der Auftraggeber als „Best Practise“ bezeichnet, und das, was die Systemlieferanten zu bieten haben, noch auseinanderklaffen. Dies gilt für alle sieben westeuropäischen Länder, die in dem Bericht miteinander verglichen wurden.
Systemorganisation
Wie hat ein moderner Systemlieferant auszusehen, über welche Einrichtungen und Möglichkeiten hat er zu verfügen und wie stellt er sich den Herausforderungen, mit denen ihn Endproduzenten konfrontieren? Die Hauptanforderungen, die ein Systemlieferant zu erfüllen hat, werden in der vom „Systemlieferantenforum“ von Nevat formulierten Definition genannt:
•Ein Systemlieferant ist eine Zulieferfirma, die kundenspezifische Produkte liefert und sowohl alleine als auch in Kooperation mit anderen Unternehmen oder als aus mehreren Unternehmen bestehender Cluster für mehrere Produkttechniken sorgen kann und
•einen Beitrag zu Design, Entwurf und Engineering leistet.
Die Kombination verschiedener Fertigungstechniken liegt bei jedem Systemlieferanten vor, wenn auch die Akzente jeweils abweichen können. Im übrigen gilt, daß ein Systemlieferant nicht unbedingt im eigenen Haus über alle Disziplinen zu verfügen hat. Dies sollte eigentlich auch nicht der Fall sein, denn Randtätigkeiten beschweren die Organisation unnötig und Systemlieferanten begehen dann denselben Fehler, den die Endproduzenten in der Vergangenheit begangen haben.
Für Systemlieferanten gilt außerdem, daß sie klein und flexibel bleiben müssen. Sie haben jedoch angrenzende Disziplinen ausreichend zu beherrschen, um zu wissen, was auf dem Markt lieferbar ist, und über das Organisationstalent zu verfügen, diese Möglichkeiten in die eigenen Spezialdisziplinen integrieren zu können. Mit diesem Punkt wird der wohl wichtigste Aspekt der Rolle des Systemlieferanten zusammengefaßt: Die Ausfüllung des logistischen Bereichs. Es muß ein Netzwerk aus Zulieferfirmen geschaffen und unterhalten werden. Wer die Einkaufsfunktion nicht optimal beherrscht, ist in jedem Fall zu teuer.
„Systemlieferant zu sein, ist insbesondere eine Frage der Organisation.“ Dieser Ansicht ist auch Geschäftsführer Jack J. Poeth von der Frencken Group in Eindhoven. „Der Kunde möchte überzeugt werden, daß man schlagfertig genug ist, um Trends, die sich auf dem Markt abzeichnen, wie zum Beispiel niedrigere Selbstkostenpreise und einem schnelleren Time-to-Market, entsprechen zu können.“ Im Jahre 1993 entschied man bei Frencken, daß sich das Unternehmen zu einem Systemlieferanten entwickeln sollte.
Die verschiedenen Disziplinen (Maschinen-, Spritzgußfabrik und Werkzeugbau) wurden in zwei Divisionen eingegliedert: Frencken Mechatronics und Frencken Megaplastics, die jeweils über eigene Vertriebs- und Engineering-Einrichtungen verfügten. Zur Verwirklichung der zusammengestellten Produkte und Module wurde eine neue Abteilung Frencken Technical Projects und Assembly (FTPA) eingerichtet.
Von einer Montageabteilung hat sich FTPA zu einer Dachorganisation entwickelt, die die untergeordneten Abteilungen ansteuert und ihnen Aufträge erteilt. Dem ständigen Druck, der auf niedrigere Preise ausgeübt wird und dem auch der Systemlieferant nicht entgehen kann, wurde entsprochen, indem in der Tschechischen Republik (Anfang 1995) und in Malaysia (Anfang 1996) Tochtergesellschaften gegründet wurden.
Als Systemlieferant stellt Frencken derzeit unter anderem Transportsysteme für den „Advanced component mounter“ her. Dabei handelt es sich um eine Maschine, die bei der Fertigung von PCBs (Leiterplatten) für Verbraucher und für autoelektronische Zwecke eingesetzt wird. Das Transportsystem ist in diesem Rahmen für die Zufuhr und Positionierung der PCBs verantwortlich. Bei diesen Vorgängen sind Präzision, Geschwindigkeit und Betriebssicherheit Schlüsselfaktoren.
Die Anordnungspräzision der Bauteile ist eine Frage von Mikrometern, und dies bei einer Geschwindigkeit von 4.000 Bauteilen pro Stunde! Bezeichnend ist außerdem die Kombination verschiedener Techniken, die eingesetzt wird. Elektronik, Pneumatik, Fühler, mechanische Teile: Alle Bestandteile müssen zu einem fließenden Ganzen zusammengefügt werden.
Entwicklungsleistung
Ein Aspekt, mit dem ein Systemlieferant unvermeidlich konfrontiert wird, ist die Frage nach Entwicklungs- und Engineeringskapazitäten. Wenn der Endproduzent seinem Systemlieferanten die Verantwortung für ein Modul überträgt, erwartet er, daß dieser den Auftrag dem neuesten Stand der Technik gemäß ausführt. Dies spielt zum Beispiel bei den Außenplatten aus Thermoplast (Deckenplatten, Grille, Türverlängerungen und Abdeckungen), die Van Niftrik aus Putte für ein Lkw-Fahrerhaus entwickelt hat, eine große Rolle. Doch auch Aspekte wie Schwingungsverhalten und die Aufhängung sind bei diesem Auftrag übernommen worden.
Ausgangspunkt war ein Tonmodell in Originalgröße. Der gesamte Auftrag vom Tonmodell bis zur Präsentation im Frühjahr 1997 wurde innerhalb von zwei Jahren erledigt; für ein Projekt eines solchen Umfanges ein kurzer Zeitraum. „Und zwar um 30 bis 50% kürzer als es bei herkömmlichen Verfahren der Fall gewesen wäre“, schätzte Marketing-Manager Wijnand Hollander. Darüber hinaus belaufen sich die Kosten lediglich auf einen Bruchteil der Kosten für vorhergehende Entwurfsaufgaben.
Aufgrund der frühzeitigen Auswahl mehrerer Systemlieferanten, die die Verantwortung für die Entwicklung und Fertigung des kompletten Moduls tragen, wird die Time-to-Market erheblich verkürzt. Gleichzeitig können Qualität und Kosten durch den frühzeitigen Einsatz spezialistischer Fachkenntnisse besser gedämpft werden: Bei Einfachwerkzeugen im Wert von etwa 22.000 DM, bei denen das Heißkanal-Werkzeug bereits etwa 90.000 DM kostet, ist es unerläßlich, daß der Fachmann bereits im Anfangsstadium angeben kann, was möglich ist und was nicht.
Ständige Innovationsfähigkeit
Eine solche intensive Form der Zusammenarbeit erfordert bei Systemlieferanten eine andere Art der Organisation. Dazu Hollander: „Wir waren ein rein zweckmäßig eingerichtetes Unternehmen. Vertrieb, Einkauf, Kalkulation, Fertigung, jeder hatte seine abgegrenzten Verantwortungsbereiche. Schrittweise wurde ein neuer Auftrag von der einen Abteilung zur anderen weitergereicht. Dabei handelte es sich um einen zeitaufwendigen Prozeß, in dem niemand den gesamten Auftrag übersehen konnte. Heute wird eine projektorientierte Vorgehensweise gehandhabt.“
Doch es hat sich noch etwas Wesentliches verändert: „Als Systemlieferant müssen wir ständig an Innovationen arbeiten und im Prinzip Anforderungen erfüllen, die unter Umständen in Zukunft vom Markt gestellt werden können. Früher waren wir ein auf Aufträge ausgerichtetes Unternehmen. Wenn kein Auftrag vorlag, wurde auch nicht gearbeitet. Doch so funktioniert das heute nicht mehr.“
Auch bei diesem Beispiel fallen die logistischen Fertigkeiten auf. Von den 146 Einzelteilen, aus denen die genannten Module bestehen, werden 74 von Van Niftrik selbst gefertigt; die übrigen 72 (insbesondere Teile aus Metall und PUR) werden Spezifikationen gemäß eingekauft.
Projektteams
Eingedenk der Überzeugung, daß die Organisation über den Erfolg eines Projektes entscheidet und daß durch gemeinsame Überlegungen die besten Ergebnisse erzielt werden, wird in der Praxis meistens ein Projektteam zusammengestellt, das die Marschroute auszuarbeiten hat. „Gemeinsam mit dem Kunden und den Zulieferfirmen suchen wir die besten Lösungen“ lautet dabei der Ausgangspunkt.
Beim Transportsystem von Frencken für den „Advanced component mounter“ waren im Projektteam die Disziplinen Einkauf, Engineering, Qualität und Kalkulation vertreten. Frencken FTPA stellte Mitarbeiter aus den Abteilungen Engineering, Fertigung, Montage, Einkauf und Kalkulation. Darüber hinaus waren auch Vertreter der wichtigsten Zulieferfirmen von FTPA am Team beteiligt. „Es war tatsächlich ein ziemlich großes Team“, gibt Vertriebsleiter Ronald Provoost zu. „Doch es hat funktioniert. Jeder konnte seine spezifischen Kenntnisse beitragen und man wußte, was vereinbart worden war und warum. Der Kunde selbst wurde ebenfalls mit bestimmten Vereinbarungen und den Kostenkonsequenzen bestimmter Lösungen konfrontiert.“
Provoost nennt weitere Vorteile: „Jede Abteilung war über die ausstehenden Aufträge auf dem laufenden und wurde nicht plötzlich von einem neuen Auftrag für ein bestimmtes Büro überrascht. Alle konnten sehen, mit welchen Problemen die anderen zu kämpfen hatten und konnten ihre Gedanken im Hinblick auf Verbesserungen ausarbeiten. Materialien konnten im voraus eingekauft werden und die Zeit konnte geplant werden, bevor alle Zeichnungen detailliert ausgearbeitet worden waren.“ Techniker der verschiedenen Parteien, Kostenexperten, Mitarbeiter für Qualitätskontrollen, kommerzielle Mitarbeiter: Alle Sachkenntnisse wurden im Projektteam vereint.
Nevat ist auf die Profilierung von Systemlieferanten bedacht. Denn die Zukunft der Niederlande liegt in komplexen Produkten mit hohem Mehrwert. Dafür ist eine umfassende Kombination aus Fachkenntnissen und technischen Möglichkeiten unerläßlich.
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