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Technische und rechtliche Bewertung

Häufige Irrtümer und Fehleinschätzungen
Technische und rechtliche Bewertung

Dr.-Ing. E.h. Dipl.-Ing. C.O. Bauer, Wuppertal-Cronenberg

Bescheinigungen mit den Werten vereinbarter Prüfungen werden im Einkauf regelmäßig verlangt, vereinbart und den Bewertungen von Leistungen Produkten und deren Lieferanten zu Grunde gelegt. Sowohl über den Inhalt als auch die Verantwortung für Prüfbescheinigungen, ihren technischen und rechtlichen Wert im Streitfalle, bestehen aber höchst unterschiedliche, meist unzutreffende Vorstellungen.
Die Bedeutung von Prüfbescheinigungen ist in keinem Gesetz und keiner Norm ausführlich festgeschrieben und kann nirgendwo nachgelesen werden. Die Bewertung von Prüfbescheinigungen, ihrer technischen und rechtlichen Aussagefähigkeit und die Anforderungen an ihren Inhalt und ihr Zustandekommen sind ausschließlich durch die Rechtsprechungspraxis geprägt worden. Diese Grundlagen sind in den meisten Unternehmen unbekannt, weil nur mit Schwierigkeiten zu erstellen, und vor allem selten mit ihren technischen und rechtlichen Bewertungen ausgewertet und im täglichen Ablauf angemessen berücksichtigt.
Im Streit-/Schadensfall führt dies zu oft herben Enttäuschungen, wenn Prüfbescheinigungen unter die kritische Lupe der Rechtsprechung genommen werden. Dabei sollte das Wissen um Prüfbescheinigungen, ihre Verantwortung, ihren Inhalt und ihre technische wie rechtliche Bedeutung zum Grundwissen der Mitarbeiter nicht nur des Einkaufs gehören und in der täglichen Praxis sachgerecht angewandt und ausgewertet werden. Im Folgenden wird deshalb eine Darstellung der technischen wie rechtlichen Grundlagen gegeben und mit Hinweisen für Anwendung und Auswertung in den Unternehmen formuliert.
Bezeichnung als Aufgabenbeschreibung
Für Bescheinigungen mit der Wiedergabe von Prüfwerten sind zahlreiche Bezeichnungen im Umlauf. Wallisch hat in dieser Zeitschrift 1991 über 40 unterschiedliche Bezeichnungen aufgelistet, ohne dass die Unterschiede in den Bezeichnungen erläutert wurden oder für die Anwender erkennbar ausgewertet werden können.
In der Übernahme der inzwischen europäisch harmonisierten Bezeichnungen nach DIN EN 10 204 sollen im Folgenden alle Arten von Bescheinigungen mit Ergebnissen von Prüfungen gleich welcher Art einheitlich als Prüfbescheinigungen bezeichnet werden, wie diese Bezeichnung auch wichtigen richterlichen Entscheidungen zu Grunde gelegt wurde.
Zusätze beispielsweise „Qualitäts-/Leistungs-“ und ähnlicher Art sind entbehrlich und können keine zusätzlichen Aufklärungen oder Erläuterungen geben, weil unzureichend aussagefähig. Besonders gefährlich ist die Verwendung der Bezeichnung „Zertifikat“ an Stelle von Prüfbescheinigungen. Die häufige Verwendung dieser Bezeichnung entspricht unzureichenden Kenntnissen im Übersetzen des englischen „Certificate“. Diese Bezeichnung wird im Englischen unterschiedslos für Bescheinigungen höchst unterschiedlicher Inhalte verwendet. Die deutsche Sprache enthält im Gegensatz dazu vielfach unterschiedliche Bezeichnungen nach Inhalt und Aufgabe solcher Bescheinigungen, für die in der englischen Sprache nichts Vergleichbares verfügbar ist.
In der deutschen Sprache und vor allem im kaufmännischen Handelsverkehr wird unter Zertifikat stets eine Bestätigung zugesicherter Eigenschaften nach § 463 BGB verstanden mit der Wirkung einer bedingungslosen Haftung des Ausstellers/Lieferers für das Einhalten der in diesen Bescheinigungen enthaltenen Angaben für alle gelieferten Teile eines Loses. Echtheitszertifikat, Herstellzertifikat, Qualitätszertifikat usw. sind Beispiele, die durch die richterliche Rechtsprechung so vielfach ausgelegt und mit ihrer Haftungswirkung definiert sind. Diese Haftungswirkungen sind vom Aussteller der Prüfbescheinigungen meist weder beabsichtigt noch sachlich erforderlich. Eine Auslegung als bedingungslose Haftungserklärung als Folge der unzutreffenden Bezeichnung als Zertifikat sollte ihrer Folgen wegen möglichst vermieden werden.
Prüfbescheinigungen sollen Messwerte von Prüfungen wiedergeben, die als Grundlage für die Bewertung der zu erwartenden Leistungen der Konstruktionen/Bauteile unter den jeweiligen Einsatzbedingungen ausgewertet werden können oder rechtlich das Einhalten bei der Bestellung vereinbarter Leistungswerte bestätigen. Sie sind Beschreibungen und Nachweise für Vertragsgegenstände, ohne dass dadurch die Eigenschaften der Vertragsgegenstände oder ihre rechtliche Funktion geändert wird.
Irrige Auffassungen zu Inhalten und Wirkungen
Entgegen dieser vielfach gesicherten Auswertung der Rechtsprechung kursieren in den Unternehmen vielfach unzutreffende Auffassungen und Auslegungen. Prüfbescheinigungen werden nicht nur haftungsbegründende zugesicherte Eigenschaften untergeschoben, sondern daraus abgeleitet Haftungen für das vollständige und bedingungslose Einhalten der in Prüfbescheinigungen wiedergegebenen Werte durch jedes einzelne Stück eines nur stichprobenweise geprüften Loses angelastet.
Besonders häufig ist die Fehldeutung, das Mitliefern von Prüfbescheinigungen ersetze eine Wareneingangsprüfung durch den Käufer und diene an ihrer Stelle als Nachweis der Sorgfaltserfüllung durch den Käufer und dem Nachweis der bestimmungsgemäßen Lieferung aller gelieferten Teile eines Loses.
Alle diese Auslegungen sind sachlich und rechtlich unzutreffend. Keine Prüfbescheinigung ersetzt eine notwendige Wareneingangsprüfung nach § 377 HGB. Auf Grund der Mitlieferung einer Prüfbescheinigung eine Wareneingangsprüfung zu unterlassen ist eine grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht des Käufers und führt nach der in § 377,2 gesetzlich formulierten Bedingung zum Verlust aller Rechte auf Gewährleistung und Schadenersatz.
Keine Bescheinigung kann die erforderliche Wareneingangsprüfung als Beweis der Sorgfalt des Käufers beim Einsatz von Werkstoffen und Bauteilen ersetzen, noch vermag eine – rechtlich unzulässige – Übertragung der Pflicht zur Wareneingangsprüfung auf den Zulieferer dadurch bewiesen werden. Solche Übertragungen der Prüfung auf den Lieferer sind unzulässig und verstoßen gegen die allein dem Käufer obliegende Kardinalpflicht, deren Bedingungen durch die Rechtsprechung kodifiziert wurden. Das Urteil des OLG Hamm vom 28.10.86 erläutert unzweideutig die Rechtslage. Die beantragte Revision hat der BGH nicht angenommen; das Urteil sei vollständig und rechtsfehlerfrei und gebe die höchstrichterliche Rechtsprechung richtig wieder. Seine Kernaussage lautet:
„Die Annahme der Bestellung unter Wiederholung der WAZ 3.1B besagt auch nicht, dass die Beklagte eine Garantie für die Richtigkeit des Prüfzeugnisses übernommen hat. Die Beklagte hat sich verpflichtet, die Ware mit Prüfzeugnis zu liefern, mehr nicht“.
Nur beiläufig sei bemerkt, dass auch das Vorliegen eines Prüfzeugnisses oder eine Zusicherung des Verkäufers nicht unbedingt eine Untersuchung der Ware durch den Käufer überflüssig macht:
–Wenn ein hoher Mangelfolgeschaden bei Verwendung des Materials ohne hinreichende Untersuchung droht
–und die Untersuchung mit verhältnismäßig geringen Mitteln durchgeführt werden kann, ist sie geboten.
Verantwortungen für Prüfbescheinigungen
Die Verantwortung für Prüfbescheinigungen, ihre Inhalte und deren technische Aussagefähigkeit zum Nachweis der Eignung von Werkstoffen oder Bauteilen liegt ausschließlich als unabdingbarer Teil der Kardinalpflicht beim Besteller. Nur er kennt die genauen und vollständigen Einsatzbedingungen, nur er kann deshalb die Eignung der vereinbarten Prüfverfahren als Grundlage der technischen Bewertung für zu erwartende Leistungen der Werkstoffe/Bauteile beurteilen.
Nur soweit dem Lieferanten die vollständigen Einsatzbedingungen durch den Besteller übermittelt wurden, entsteht für ihn eine zusätzliche Prüfpflicht, die vorgeschlagenen Prüfverfahren darauf hin zu überprüfen, ob auf Grund ihrer Struktur ihre Ergebnisse diese erwarteten Leistungsnachweise liefern können. Ist dies nicht der Fall oder auch nur zweifelhaft, so hat der Lieferant die Pflicht, den Käufer auf Unterschiede zwischen den gewünschten Prüfverfahren und den zu erwartenden Beanspruchungen im Einsatz ausdrücklich hinzuweisen und erforderlichenfalls auf die Durchführung unzureichend aussagefähiger Prüfverfahren zu verzichten.
Die Verantwortung des Käufers für Inhalt und technische Aussagefähigkeit der in Prüfbescheinigungen mitgeteilten Werte kann nicht auf den Lieferer übertragen werden. Dies ist eine nicht delegierbare Kardinalpflicht des Auftraggebers. Dies gilt sowohl für den direkten Verkehr zwischen Lieferer und Abnehmer als auch beim Zwischenschalten einer Überwachungs- und Prüforganisation für das Ausstellen von Prüfbescheinigungen. Auch dort bestehen vielfach unzutreffende rechtliche Auffassungen über ihre Inhalte und Aussagen, die keine andere Wertung als die hier dargestellte erlauben.
Soweit Lieferer oder Prüforganisationen Erfahrungen und weitergehende Kenntnisse über ersatzweise einsetzbare aussagefähigere Prüfverfahren haben, sind sie verpflichtet, den Auftraggeber darauf hinzuweisen. Dies kann jedoch nicht in jedem Fall gefordert werden. Abhängig von den Kenntnissen zum Stand der Technik beim Lieferer oder der Prüforganisation bestehen hier nicht unerhebliche Unterschiede, die für Auswahl und Beauftragung von Lieferer und Prüforganisation im Einzelfall ausgewertet werden sollten.
Technische Aussagefähigkeit Voraussetzung rechtlicher Relevanz
Die Auswahl mitzuteilender Prüfwerte in Prüfbescheinigungen für eine Bewertung der voraussichtlichen Leistung und Eignung gelieferter Werkstoffe/Bauteile für die vorgesehene Verwendung liegt allein in der Verantwortung des Bestellers. Verweisungen auf einzelne allgemein anerkannte Regeln der Technik, z.B. Liefernormen und Werte in Werkstoffnormen reichen nicht aus. Der BGH hat dazu unmissverständlich erklärt:
–Tatsächlich durchgeführte Prüfungen sind nur dann rechtlich ausreichend, wenn die Aussagefähigkeit gewährleistet ist (BGH 8.2.1977) und damit die technische Aussagefähigkeit zur Voraussetzung jeglicher rechtlichen Relevanz erklärt.
Dasselbe gilt für die statistische Aussagefähigkeit nach der Zahl der durchzuführenden Prüfungen. Die Zahl der Prüfstücke für eine angemessene statistische Aussage zu bestimmen, ist ebenfalls nicht delegierbarer Teil der Kardinalpflicht des Bestellers. Hier wird oft gesündigt. Eine zu kleine Zahl von Prüfstücken führt dazu, dass das Abnehmerrisiko – international genormt als der LQ10-Wert – dadurch unzulässige Größen annimmt. DIN EN 2859 Teil 2 gibt dazu ausführliche Erläuterungen des Standes der Technik.
Wie bei anderen technischen Sachverhalten setzt die Rechtsprechung stets eine angemessene und nachweisbare technische Aussagefähigkeit voraus, bevor sie deren Ergebnisse rechtlich bewertet. Unzureichende technische Aussagefähigkeit verhindert jegliche rechtliche Relevanz solcher Bescheinigungen. DIN EN 10 204 hat in den Abschnitten 2.1 und 2.2 nicht spezifische Prüfungen als Werksbescheinigung und Werkszeugnis genormt, die mit allgemeinen Angaben aus der Fertigung begründet werden und nicht notwendigerweise Prüfwerte aus dem gelieferten Los enthalten.
Solchen Prüfbescheinigungen, die nicht an dem identifizierbaren Lieferlos gewonnen werden, fehlt deshalb jede Voraussetzung, um rechtlich relevant zu werden. Bescheinigungen auf dieser Grundlage sind das Papier nicht wert, auf dem sie festgehalten und weitergegeben wurden – unabhängig davon, ob möglicherweise in längst nicht mehr dem Stande der Technik entsprechenden allgemein anerkannten Regeln der Technik (DIN-Normen, DIN EN-Normen) solche Bescheinigungen noch gefordert werden oder als Lieferbedingung im Einkauf vereinbart wurden. Auf Bescheinigungen dieser Art sollte zum Vermeiden nicht aussagefähiger Ergebnisse ersatzlos verzichtet werden.
Diese allgemein anerkannten Regeln der Technik widersprechen dem seit langem gesicherten Stand der Technik und seiner rechtlichen Bewertung, selbst wenn die herausgebenden Gremien – seien dies Normenausschüsse oder Organisationen von Überwachungseinrichtungen – dies noch nicht zur Kenntnis genommen und entsprechend umgesetzt haben. Dies ist ein dringender – und kostenträchtiger – Nachholbedarf für Einsparungen bei allen Beteiligten.
Qualifikationen von Prüfstellen und Prüfern
Prüfstellen, unternehmenseigene oder solche von unabhängigen Organisationen, die Prüfbescheinigungen ausstellen, müssen über eine angemessene personelle und sachliche Qualifikation verfügen. Für die Bewertung von Prüfbescheinigungen ist dies eine notwendige Voraussetzung, die stets geprüft und nachgewiesen werden muss, um eine rechtlich ausreichende Bewertung zu erreichen. Eine solche Qualifikation umfasst die technische Ausstattung mit angemessen zuverlässigen maschinellen und Werkzeugeinrichtungen, um die vereinbarten Prüfungen sachgerecht durchführen zu können.
Darüber hinaus haben die Organisation und die Abläufe beim Durchführen der Prüfungen dem Stand der Technik zu entsprechen, so dass sie ein angemessenes Vertrauen in die in den Prüfbescheinigungen mitgeteilten Ergebnisse erlauben. Prüfstellen und deren Organisation sind Gegenstand von Zertifizierungen nach DIN EN ISO 9001. Diese Norm zum Zertifizieren von Qualitätsmanagementsystemen ist auf die besonderen Verhältnisse von Prüfstellen nicht angemessen ausgerichtet. Dies gilt sowohl für die Abläufe der Prüfungen als auch für das Bewerten der Ergebnisse, die sich in Prüfstellen nachhaltig von den Aufgaben produzierender Unternehmen unterscheiden.
Eine internationale Norm, DIN EN ISO/IEC 17 025 kodifiziert die „Allgemeinen Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien“. Diese Anforderungen gelten formal nach dem Anwendungsbereich nicht für „einfache“ Prüfstellen, die lediglich Prüfungen durchführen und darüber Prüfbescheinigungen ausstellen. Diese internationale Norm gilt für Prüf- und Kalibrierlaboratorien, die die Einrichtung und die Abläufe von solchen Prüfstellen überwachen und deren Ordnungsmäßigkeit überprüfen.
Solche Überprüfungen sollen nachweisen, „dass sie ein Qualitätsmanagement-System betreiben, technisch kompetent und fähig sind, um fachlich fundierte Ergebnisse zu erzielen“ (Einführung). Auch wenn die besonderen Anforderungen auf Prüf- und Kalibrierarbeiten abgestellt sind, gelten gleiche Grundsätze und dieselben Anforderungen auch für die Durchführung „einfacher“ Prüfungen, wie sie in Unternehmen und selbstständigen Prüfstellen als Grundlage für das Ausstellen von Prüfbescheinigungen eingehalten werden sollten.
Zu den Faktoren, die Richtigkeit und Zuverlässigkeit von Prüfungen durch ein Laboratorium bestimmen, gehören:
–menschliche Einflüsse,
–Räumlichkeiten und Umgebungsbedingungen,
–Prüf-, Kalibrierverfahren und Verfah-rensvalidierung,
–Einrichtungen,
–messtechnische Rückführung,
–Probennahme und
–die Handhabung von Prüf- und Kalibriergegenständen. (5.1.1).
Die Anforderungen, die unter diesen zusätzlichen Faktoren aufgeführt sind, gelten unverändert in gleicher Weise auch für „einfache“ Prüfstellen. Dies gilt besonders für die für Prüfergebnisse wichtigen Angaben zur Messunsicherheit:
–“Bei der Schätzung der Messunsicherheit müssen alle Unsicherheitskomponenten, die für den betreffenden Fall von Bedeutung sind, in Betracht gezogen werden, wobei angemessene Auswertungsverfahren zu verwenden sind.“ (5.4.6.3)
Hierzu gehört auch die notwendige Angabe der Messunsicherheit in den Prüfbescheinigungen:
–“Die von diesem Laboratorium ausgestellten Prüfbescheinigungen müssen die Messergebnisse einschließlich der Messunsicherheit und/oder eine Aussage über die Erfüllung einer bestimmten metrologischen Spezifikation enthalten.“ (5.6.2.1.1)
Im Weiteren heißt es dazu:
–“Ein Prüfbericht muss eine Angabe der geschätzten Messunsicherheit, Angaben zur Unsicherheit, wie sie für die Gültigkeit und die Anwendung der Prüfergebnisse von Bedeutung sind oder, wenn die Unsicherheit die Einhaltungen vorgegebener Grenzwerte in Frage stellt, enthalten.“ (5.10.3.1 c)
Diese Beispiele machen deutlich, dass ein Anwenden von DIN EN ISO/IEC 17 025 auf einfache Prüfstellen möglich und nützlich ist und sie unter Ändern der speziellen Bezeichnungen ohne Schwierigkeiten sinnvoll angepasst werden können und sollten.
Ein Bestätigen als Zertifizieren oder als Selbsterklärung der unabhängigen Prüfstellenorganisation oder die Anwendung und das regelmäßige Einhalten dieser internationalen Norm ist zum Bewerten der von ihnen ausgestellten Prüfbescheinigungen empfehlenswert und sollte innerhalb der handelsrechtlichen Vereinbarungen vor der Auftragserteilung gefordert werden.
Die Zuverlässigkeit von Prüfwerten in Prüfbescheinigungen ist – wie viele andere Arbeiten und deren Ergebnisse – vom Wissen, Können und der Zuverlässigkeit der sie durchführenden Mitarbeiter abhängig. Der Abschnitt 5.2 von DIN EN ISO/ IEC 17 025 listet ohne spezifische Angaben Anforderungen an die Kompetenz und Qualifikation der Prüfer auf. Verwiesen wird für die Anforderungen an Prüfer auf Vorgaben in Normen für bestimmte technische Gebiete oder die durch den Kunden geforderten Verfahren.
Die Rechtsprechung zur Produkthaftung hat allgemeine Anforderungen an die notwendige Qualifikation der Mitarbeiter definiert und spezifiziert:
–angemessen ausgebildet,
–ausreichend eingewiesen und
–regelmäßig überwacht.
Mit DIN EN 473 „Qualifizieren und Zertifizieren von Personal der zerstörungsfreien Prüfung“ steht eine europäisch harmonisierte Norm zur Verfügung, die nicht nur auf das Personal der zerstörungsfreien Prüfung anwendbar ist, sondern mit ihren allgemeinen Anforderungen Grundnormcharakter hat und auf andere Prüfverfahren angewendet werden kann und sollte.
Zum Durchführen und Auswerten verschiedener Prüfverfahren ist die körperlich ausreichende Leistung der Prüfer zwingende Voraussetzung. Deren „Nachweis zufriedenstellender Sehfähigkeit, die durch einen Augenarzt, Augenoptiker oder eine sonstige medizinisch anerkannte Person ermittelt wurde“, ist unverzichtbar. Sowohl für die Nahsehfähigkeit als auch für das Farbsehvermögen wurden speziell einzuhaltende Vorgaben entwickelt.
Abgeschlossen werden die Anforderungen an die einzelnen Prüfer mit detaillierten Vorgaben über die Prüfung des
–Grundwissens,
–der Werkstofftechnik und der
–Verfahrenstechnik
der einzelnen Prüfverfahren. Die Bestätigung der Qualifikation wird auf fünf Jahre begrenzt mit einer zusätzlichen Überprüfung danach und nach zehnjähriger Tätigkeit in den Prüfstellen.
Prüfbescheinigungen mit angemessener, aussagefähiger Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit setzen das Erfüllen der organisatorischen und ausrüstungsspezifischen Voraussetzungen nach DIN EN ISO/IEC 17 025 ebenso voraus wie die persönliche Qualifikation der Prüfer nach DIN EN 473. Sowohl von Überwachungsorganisationen als auch von Auftragnehmern ist deshalb als zu erfüllende Qualifikationsvoraussetzung vertraglich zu fordern, dass diese Nachweise bei Auftragserteilung geführt werden und in den jeweiligen Prüfbescheinigungen ausgewiesen werden.
Zum angemessenen Bewerten von Zertifizierungen ist auf DIN EN ISO/IEC 17 025 zu verweisen:
–“Zertifizierung allein nach DIN EN ISO 9001 bedeutet keinen Nachweis der Kompetenz des Laboratoriums, fachlich begründete Daten und Ergebnisse zu erzielen.“ (Einführung)
–“DIN EN ISO/IEC 17 025 enthält einige Anforderungen an die technische Kompetenz, die durch DIN EN ISO 9001 und DIN EN ISO 9002 nicht abgedeckt sind“ (1.6).
Diese normativen Festlegungen sind bei der Auswahl der Prüfstelle und der Bewertung der Aussagefähigkeit ihrer Prüfbescheinigungen angemessen zu berücksichtigen. Prüfbescheinigungen ohne diese verbindlichen Feststellungen sollten in Zukunft nicht mehr von Auftraggebern angenommen werden.
Kosten-/Nutzenanalyse von Prüfbescheinigungen
Wie alle anderen Arbeiten und Prozesse des Wirtschaftslebens unterliegen geforderte, vereinbarte Prüfbescheinigungen einer Kosten-/Nutzenanalyse. Die Kosten der einzelnen Prüfbescheinigungen sind nur durch projektbezogene Einzelkostenermittlung zu bestimmen. Sollten Prüfbescheinigungen über nicht spezifische Prüfungen gewünscht werden, so ist ihrer technisch mangelhaften Aussagefähigkeit und ihrer rechtlichen Irrelevanz wegen ein Ausstellen oder Vereinbaren nicht empfehlenswert.
Wie die Prüfungen durch externe Prüfstellen sind die Kosten je Prüfbescheinigungen zusätzlich zu den Preisen der einzelnen Produkte getrennt auszuweisen. Deshalb sind die Kosten z.B. der Abnahmeprüfzeugnisse 3.1 B auch durch keinen Standard, bereichsbezogen oder überbetrieblich festzulegen, da Art und Zahl wiedergegebener Prüfungen nach den anwendungsbezogenen Aufgaben variieren.
Für einen Wirtschaftlichkeitsvergleich besteht die größte Schwierigkeit in einem Erfassen und Spezifizieren eines Nutzens. Für Auftraggeber, die Prüfbescheinigungen auf Grund von allgemein anerkannten Regeln der Technik oder allgemeinen Regeln nachzuweisen haben, zählen diese Kosten zu den auftragsspezifischen Gemeinkosten. Wertvolle Maßstäbe für den Auftraggeber in Rechnung zu stellende Kosten sind von unabhängigen öffentlichen Prüfstellen, z.B. MPAs erstellte und veröffentliche Listen für einzelne Prüfungen.
Für die Bewertung der Kosten von Prüfbescheinigungen sind alle damit zusammenhängenden Gemeinkosten in Einkauf/Qualitätssicherung, Dokumentation angemessen zu erfassen. Über den Umfang dieser Zusatzkosten bestehen oft unzutreffende Vorstellungen. Sie sind jedoch konkret nur unternehmensspezifisch zu ermitteln.
Der Gesamtnutzen von Prüfbescheinigungen ist nur dann zu ermitteln, wenn die Anforderungen an Aussagefähigkeit und rechtliche Relevanz erfüllt sind, was für viele Prüfbescheinigungen in der täglichen Praxis nicht gegeben ist. Eine gezielte Untersuchung von Art, Umfang und Aussagefähigkeit der zur Zeit verwendeten Prüfbescheinigungen und ihres Nutzens in den einzelnen Unternehmen wird erstaunliche Rationalisierungsreserven aufdecken. Dies sollte vorbeugend geschehen und sich nicht erst aus dem im Schadensfall üblichen Nachweis der rechtlich mangelhaften Aussagefähigkeit ergeben.
Leitfaden für den Umgang mit Prüfbescheinigungen im Unternehmen
Unter Auswerten der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Standes der Technik ergibt sich aus diesen Erkenntnissen eine Reihe von Thesen, die in den Unternehmen beachtet werden sollten, um unnötige Kosten zu sparen, irrtümliche Vorstellungen über technische Wirksamkeiten zu vermeiden und die rechtliche Bedeutung und Wirksamkeit für Schadens- und Streitfälle zu erhalten oder wieder herzustellen. Im Einzelnen lauten diese Richtlinien:
–Die Verantwortung für Umfang, Inhalt, technische und statistische Aussagefähigkeit der in Prüfbescheinigungen wiedergegebenen technischen Werte trägt als Kardinalpflicht allein der Auftraggeber, da nur er die Übereinstimmung der Ergebnisse der Prüfungen mit allen voraussichtlichen Einsatzbedingungen kennt und bewerten kann.
–Den Aussteller von Prüfbescheinigungen trifft eine sekundäre Hinweispflicht, soweit er erkennen kann, dass die geforderten Prüfungen nach ihrer technischen oder statistischen Aussagefähigkeit für die ihm (vollständig?) bekannten Einsatzbedingungen keine zutreffenden technischen Erkenntnisse erbringen können. Änderungs- und Verbesserungsvorschläge sind empfehlenswert, aber nicht zwingend.
–Prüfbescheinigungen ersetzen keine Wareneingangsprüfung (§ 377 HGB) und auch keine Abnahme bei Werkverträgen. Diese sind in ausreichendem Umfang vom Käufer/Auftraggeber zusätzlich durchzuführen und mit ihren Ergebnissen reproduzierbar zu dokumentieren.
–Die Identität der geprüften Materialien/Bauteile mit den in Prüfbescheinigungen wiedergegebenen Werten ist nachzuweisen. Nicht spezifische Prüfungen (Abschn. 2.1 und 2.2, DIN EN 10 204) sind technisch nicht aussagefähig, weil nicht zuzuordnen, nicht an Prüfstücken aus der Lieferung durchgeführt, und damit rechtlich irrelevant.
–Damit Prüfstellen, sowohl unternehmenseigene als auch dritte, unabhängige, den Stand der Technik erfüllen, ist ein Überprüfen ihrer Abläufe und Handlungsweisen nach DIN ISO 17 025 erforderlich und nachzuweisen.
–Das Sicherstellen der persönlichen Qualifikationen der Prüfer, ihrer körperlichen und geistigen Eigenschaften (Wissensstand) gehört zur Verantwortung der jeweiligen Unternehmen/Prüfstellen. Der Nachweis des Erfüllens der Anforderungen nach DIN EN 473 ist erforderlich. Diese Qualifikationprüfung ist regelmäßig zu wiederholen und gilt auch über den formalen Geltungsbereich der DIN EN 473 hinaus.
–Der jeweilige Stand der Technik der Verfahren und verfügbaren Maschinen/Anlagen ist der allein notwendige und aussagefähige Maßstab für die auszuwählenden Prüfverfahren. Bestehen Schwierigkeiten nach Art oder Größe der dafür erforderlichen Anlagen, sind ausreichende Absprachen mit Organisationen zu treffen, die über solche Anlagen verfügen und die erforderlichen Prüfungen kurzfristig durchführen können.
–Die juristische Messlatte zum Bewerten von Aussagen von Prüfbescheinigungen liefert die Rechtsprechung. Was technisch für die vorgesehenen Einsatzbedingungen nicht angemessen aussagefähig ist, kann juristisch keinen Wert bekommen. Zur technischen Aussagefähigkeit gehört auch eine angemessene statistische Relevanz.
–Genormte QM-Systeme und Zertifikate über ihre Organisation und Abläufe sind kein Ersatz für ausreichend aussagefähige Prüfbescheinigungen.
–Prüfbescheinigungen sollen das vertragsgemäße Erfüllen von Aufträgen und/oder vertraglichen oder hoheitlichen Auflagen beweisen. Sie ändern nicht den rechtlichen Status der Vertragsgegenstände. Sie können in Sonderfällen Erklärungen zu einzelnen zugesicherten Eigenschaften bestätigen, soweit dies bei der Auftragserteilung vereinbart wurde. Solche Aussagen sollten gesondert gekennzeichnet werden.
–Die Angabe von Prüfwerten in Prüfbescheinigungen ist unzureichend, soweit nicht die dabei wirksame Messunsicherheit ausgewiesen und mit ihren Auswirkungen auf die bescheinigten Prüfwerte für den Anwender erkennbar wird.
–Prüfbescheinigungen ersetzen keine durch andere Rechtsnormen geforderten Erklärungen, z.B. Konformitätserklärungen oder Zulassungen dritter Stellen. Sie können jedoch von diesen zur Gesamtaussage über die von ihnen geforderten Erklärungen herangezogen werden.
–Fehlende Prüfbescheinigungen begründen keine vertragswidrige Lieferung unvollständiger oder fehlerhafter Produkte. Mitliefern von Prüfbescheinigungen ist eine zusätzliche Nebenpflicht ohne Gewährleistungsverpflichtung, ihre Nichterfüllung ist kein Grund zu anderweitigen rechtlichen Reaktionen.
–Prüfbescheinigungen sind handelsrechtlich vereinbarte Erklärungen und verlangen handelsrechtlich verbindliche Unterschriften, um rechtlich wirksam zu sein.
–Als vertragsrechtlich verbindliche Aussagen dürfen Prüfbescheinigungen nur von herstellenden und/oder verarbeitenden Unternehmen ausgestellt werden, die die geforderten Eigenschaften der Vertragsgegenstände herstellen oder verändern. Vertriebs-/Handelsunternehmen sind zum Ausstellen von Prüfbescheinigungen nicht berechtigt, es sei denn sie verfügen über Prüfstellen in eigener Verantwortung, die die Anforderungen an technisch angemessene Prüfstellen und deren Leistungen erfüllen.
–Die Aufbewahrungspflicht für Prüfbescheinigungen richtet sich nach den vertraglichen Vereinbarungen oder den Forderungen in technischen oder Rechtsnormen. Bei vertraglichen Pflichten erlischt die Aufbewahrungspflicht mit dem Ablauf der vereinbarten/gesetzlichen Gewährleistungs-/Verjährungsfristen.
–Zum Nachweis für das Erfüllen allgemeiner Sorgfaltspflichten sind die in Prüfbescheinigungen angegebenen Prüfwerte und deren statistisch gesicherte Aussagen vom Besteller/Auftraggeber einsatzbezogen auszuwerten. Erkenntnisse des Standes der Technik, aus der Produktbeobachtung und von Schadensanalysen der beteiligten Organisationen als Hersteller, Prüfstelle oder Betreiber sollten zusätzlich zielbezogen zum Bewerten herangezogen werden.
–Prüfbescheinigungen nach allgemein anerkannten Regeln der Technik oder angemessen begründeten Auflagen des öffentlichen Rechtes sind wirtschaftlich nur zu rechtfertigen bei einer produktspezifisch und anwendungsbezogen ausreichenden technischen und statistischen Aussagefähigkeit als Voraussetzung ihrer rechtlichen Relevanz. Die Anwendung dieses allein zu rechtfertigenden Maßstabes wird in Zukunft den Umfang von Prüfbescheinigungen drastisch einschränken und die beteiligten Unternehmen in erheblichem Umfange von nicht zu rechtfertigenden, weil nicht ausreichend begründeten Kosten, entlasten. Die jetzige Praxis und die Angaben in allgemein anerkannten Regeln der Technik und technischen Regelwerken noch enthaltenen anderen Vorgaben und Forderungen sind nach diesem Maßstab dringend überholungsbedürftig und den Wertungen dieser Maßstäbe schnellstmöglich anzupassen.
Schrifttum:
–Wallisch, F.: Beschaffung aktuell, 5/1991 S. 29
–DIN EN 10 204: Arten von Prüfbescheinigungen, August 1995
–Bauer, C.O.: Das Qualitätsprüfzertifikat, eine rechtlich gefährlich auslegbare Bescheinigung, QZ 35 (1990) H. 9, S. 507/510
–OLG Hamm vom 28.10.1986
–BGH-Urteil vom 7.2.1977 (Verkehrsschild)
–DIN EN ISO 17 025 Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien, April 2000
–DIN EN 473 Qualifizierung und Zertifizierung von Personal der zerstörungsfreien Prüfung, Juli 1993
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