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Top-Kennzahlen – eine kritische Würdigung

Einkaufscontrolling, Benchmarking, KPI & Co.
Top-Kennzahlen – eine kritische Würdigung

Führen mit Zahlen ist in der Wirtschaft ein beliebtes Instrument. Auch der BME misst jährlich die Effizienz der Prozesse und Organisation von Einkaufsabteilungen. Allerdings sollte man jede Kennzahlen kritisch betrachten und überlegen, wie und ob sie im eigenen Unternehmen angewendet werden kann.

Beim Führen durch Zielvereinbarungen werden über alle Hierarchiestufen hinweg bestimmte Ziele vereinbart, die unter Berücksichtigung der vorgegebenen Rahmenbedingungen zu erreichen sind. Die Ziele sind so auszuwählen, dass sie die Leistung der betroffenen Person/Einheit beschreiben und somit eine Veränderung sichtbar machen. Das Ziel soll für Transparenz sorgen und einen Anreiz zur Verbesserung geben. Richtig angewandt, kann man hier von KPIs (Key Performance Indicator) sprechen. Ziele und deren Erreichungsgrad spiegeln individuelle Leistung wider. Führende Unternehmen führen die einzelnen Ziele der Bereiche in einem unternehmensweiten Controlling zusammen.

Die Ziele (KPIs) des Einkaufs finden sich im Einkaufscontrolling wieder. Die Abteilungsziele werden auf Mitarbeiterebene heruntergebrochen bzw. von der Mitarbeiterebene auf die Abteilungsebene zusammengeführt.
Viele Unternehmen halten die Überwachung der Preisveränderung für den aussagefähigsten und wichtigsten Indikator, allenfalls gefolgt von der Lieferzuverlässigkeit der Lieferanten. Damit würde man sich aber auf ein operatives Controlling beschränken. Gefragt sind jedoch auch strategische Ziele wie
  • Lieferantenstruktur
  • Vertragsstruktur (z. B. Langfristverträge)
  • Global Sourcing
  • Bestandsoptimierung (z. B. JIT, VMI) usw.
Schließlich muss sich die Leistung und Leistungsfähigkeit nicht nur in Bezug auf einen kurzfristigen Zeitraum (Budget-Periode), sondern auch mittel- und langfristig bewähren. Hingegen macht das Messen (Zählen) von Bestellungen bzw. Bestellpositionen wenig Sinn.
Benchmarking. Beim Benchmarking geht es um einen unternehmensübergreifenden Vergleich von Prozessen oder Kosten. KPIs werden verglichen. Würde man einen solchen Vergleich nur zwischen Wettbewerbern der gleichen Branche durchführen, wären die Unterschiede zwischen dem Besten und dem Schlechtesten kaum interessant, da zu gering. Wird jedoch ein branchenübergreifendes Benchmarking gesucht, werden erhebliche Unterschiede deutlich.
Durch den Vergleich soll signifikantes Verbesserungspotenzial erkannt werden. Es gilt, besser zu werden. Diese Verbesserung bezieht sich sowohl auf die eigene Vergangenheit als auch den Vergleich zu anderen – innerhalb und außerhalb der eigenen Branche.
Viele Unternehmen versuchen herauszufinden, wie gut ihr Einkauf im Vergleich mit anderen ist. Dieses Streben ist durchaus nachvollziehbar, aber ein Ding mit Tücken. Eine entsprechende Studie hat der BME veröffentlicht. So werden zum Beispiel angeführt:
  • Einkaufskosten zum Einkaufsvolumen in %
  • Einkaufsvolumen je Einkäufer in Mio. Euro
  • Liefertermintreue in %
  • Reklamationsquote in %
  • Einkaufsvolumen durch langfristige Verträge in %
  • Aktive Lieferanten je Mio. Euro
  • Abrufquote aus Rahmenverträgen in %
Mancher Unternehmenscontroller mag glänzende Augen bekommen, wenn er diese Vergleichsmöglichkeiten sieht. Winkt hier nicht nur erhebliches Verbesserungspotenzial, sondern auch erhebliches Einsparungspotenzial? Das mag so sein, aber eine „heiße Nadel“ wäre hier sicher fehl am Platz.
Ist ein niedriges Gewicht automatisch ein Indiz für mehr Sportlichkeit oder größere Attraktivität? Auf der einen Seite von „schlank“ steht sicher „dick“. Aber steht auf der anderen Seite von „schlank“ nicht auch „dürr“ oder „ausgezehrt“? Wer sagt also, dass es das Beste ist, das niedrigste Gewicht zu haben?
Einkaufskosten im Verhältnis zum Einkaufsvolumen. Folgt man dem Benchmarking „Einkaufskosten“, so liegen die „Schlechten“ bei über zwei Prozent Anteil am Einkaufsvolumen und der Durchschnitt bei etwas mehr als einem Prozent. Der Beste kann man offenbar nur sein, wenn hier die Quote unter 0,5 % liegt. Viele Controller werden nun annehmen müssen, dass ihr Einkauf – wie erwartet – viel zu teuer ist. Auf den ersten Blick mag das so sein. Allerdings muss man dabei auch die Unternehmensgröße und die -struktur berücksichtigen. Es wäre sicher verfehlt, einen Handelsriesen mit einem mittelständischen Maschinenbauer zu vergleichen, der Spezialmaschinen nach Kundenwunsch baut. Ein Blick in die Details wird weiteren Aufschluss geben. Weiterhin ist der Kostenvergleich nicht alles: Ob der Verzicht auf Global Sourcing und intensives Lieferantenmanagement tatsächlich erstrebenswert ist, darf auch angezweifelt werden.
Einkaufsvolumen je Einkäufer. Ein „Best-in-Class“-Einkäufer kommt mit zehn Mio. Euro Einkaufsvolumen zurecht. Nur die „Schlechten“ liegen unter acht Mio. Euro. Auch hier spielen sicher Unternehmensgröße und -struktur hinein. Weiterhin stellt sich die Frage, welche Art von Einkäufern gezählt wurde, nur die strategischen oder auch die operativen? In einem Unternehmen, in dem erhebliche Teile des Einkaufsvolumens (z. B. durch E-Procurement) direkt von den Bedarfsträgern bestellt werden, bleibt dies nicht ohne Folgen auf die Anzahl der Einkäufer. Die Bedarfsträger sind in der Zahl sicher nicht enthalten.
Liefertermintreue. Ähnlich sieht es beim Benchmarking „Liefertermintreue“ aus. Was gilt als „termintreu“? Die Bemessung muss bei einem Automobilunternehmen, das mehrmals täglich mit Sitzen beliefert wird, anders aussehen als bei einem Unternehmen, das erhebliche Teile seines Einkaufsvolumens per Schiff aus Asien erhält.
Reklamationsquote. Wie wird die „Reklamationsquote“ im Benchmarking errechnet? Bei großen Losen werden die Fehler üblicherweise in ppm gerechnet. Oder wurden nur die fehlerhaften Lose gezählt. Wie wurde korrigiert, wenn nur ein Teil zu beanstanden war? Wurden nur die beim Wareneingang als fehlerhaft erkannten Lose gezählt, oder auch die später erkannten?
Langfristige Verträge. Das Benchmarking „langfristige Verträge“ weist für den „Besten“ deutlich mehr als 50 % aus, vielleicht gar 75 % oder mehr! Für ein Unternehmen, dass im Wesentlichen standardisiertes Material einkauft, mag diese Zahl passen – oder sogar recht niedrig sein, für den Spezialmaschinenbauer, bleibt sie mit hoher Wahrscheinlichkeit unerreichbar.
Aktive Lieferanten. Beim Benchmarking „Aktive Lieferanten“ spielt sicher auch die Unternehmensgröße und -struktur eine sehr wesentliche Rolle. Vielleicht ist das Einkaufsvolumen keine sonderlich passende Referenz. Die meisten Unternehmen leisten sich zu viele Lieferanten. Die allermeisten haben mehr Lieferanten als Mitarbeiter. – Warum eigentlich? Ist es einfacher Lieferant als Mitarbeiter zu werden?
Abrufquote aus Rahmenverträgen. Auch beim Benchmarking „Abrufquote aus Rahmenverträgen“ lohnt ein Blick in die Details. Wie wurde mit „Ladenhütern“ umgegangen? Welche Laufzeiten sind vorgesehen? Wie wurde mit Überlappungen umgegangen?
Auf den ersten Blick werfen die Benchmarking-Ansätze mehr Fragen auf als Antworten abzulesen sind. Ist das Benchmarking daher wertlos? Sicher nicht! Es gilt vielmehr, Antworten zu den Fragen zu finden.
Und am Ende? Schließlich bleibt festzustellen, dass Benchmarking nicht „mal eben“ zu machen und auszuwerten ist. Rückschlüsse sind möglich, aber erst nach eingehender Prüfung. Warum sollte es bei dieser Benchmarking-Studie anders sein? Schließlich haben – hoffentlich – alle gelernt, dass mit dem Kauf von Computer und Software nicht alles wie von selbst läuft. Mit dem Vorliegen von Benchmarking-Daten ist die Arbeit nicht getan, sie fängt vielmehr erst an.
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