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Unter einem Dach vereint

Integration von Logistik und Einkauf in das Supply Chain Management
Unter einem Dach vereint

Die deutsche Betriebswirtschaftslehre und Managementforschung hat – überspitzt ausgedrückt – die Globalisierung verschlafen. Sie hat es bis heute versäumt zusammenzuführen, was zusammen gehört: Logistik, Einkauf und Supply Chain Management (SCM). Das belegt der Autor Stefan Walter im folgenden Beitrag.

Prof. Dr. Stefan Walter

Die Forschungsergebnisse deutscher Wissenschaftler in den Disziplinen Logistik, Einkauf und Supply Chain Management sind international nicht ausreichend präsent. – Was wie ein selbstverliebtes Versehen im akademischen Elfenbeinturm anmutet, hat nichtsdestotrotz harte Konsequenzen für die internationale Praxis deutscher Unternehmen – und die Chancen deutscher Nachwuchswissenschaftler auf dem internationalen Markt.
Die Kombination der drei Disziplinen könnte Manager und Forscher jedoch in die Lage versetzen, die Herausforderung der strategischen Vernetzung von globalen wie regionalen Wertschöpfungsketten besser zu verstehen und die richtigen Maßnahmen abzuleiten, die dauerhaft den Erfolg sichern.
Die größten Logistik-Dienstleister im internationalen Business kommen aus Deutschland, ebenso wie gut ausgebildete Supply Chain Manager in Industrie und Handel. Doch wenn diese erklären sollen, woher sie ihre strategischen Konzepte haben, können sie (noch) nicht auf ihre heimische Alma Mater verweisen: Die Literatur der Globalisierung ist englisch.
Seit Jahren bemühen sich Wissenschaftler darum, Einkauf und Logistik getrennt voneinander als eigenständige wissenschaftliche (Teil-) Disziplinen zu etablieren und inhaltlich wie methodisch auszudifferenzieren. Die Anerkennung innerhalb der Betriebswirtschaftslehre ist bisher nicht vollständig erfolgt und der Nachweis einer „eigenständigen Theorie“ ist bisher nicht gelungen. Etablierte Disziplinen wie Produktion, Marketing/Sales, Organisation und Unternehmensführung, Finance oder Controlling reklamieren ihren Führungsanspruch. Die Vehemenz der damit verbundenen Abgrenzungsprozesse wirkt jedoch über die Aus- und Weiterbildung der Manager mit einer gewissen Zeitverzögerung mittelbar – und durch den Kosten- und Effizienzdruck des internationalen Wettbewerbs unmittelbar auf die Organisationsschemata und Entscheidungsgremien der Unternehmen und ihre Fähigkeit zu Kooperation und Vernetzung. Dieser Richtungsstreit wird teilweise bis hinauf in Vorstandsebenen erbittert ausgetragen.
Globale Präsenz erfordert eine globale Logistik – und einen weltweit optimierten Einkauf. Logistik und Einkauf beschäftigen sich in Unternehmen häufig mit analogen Aufgaben, z. B. in Fragen der Lieferantenanbindung, bei der Umsetzung des Pull-Prinzips in der Supply Chain, beim Outsourcing oder beim Entwurf von optimierten Sourcing-Strategien.
Logistik & Einkauf – zwei Seiten derselben Medaille?
Gemeinsam mit der Bundesvereinigung Logistik hat das Supply Management Institute der European Business School einen Arbeitskreis gegründet, der als Kommunikationsplattform für den Erfahrungsaustausch zwischen Praktikern beider Disziplinen funktioniert. Ein wesentliches Ergebnis dieses Arbeitskreises ist, dass Logistik und Einkauf bzw. Supply Management zwei wesentliche Säulen der Entwicklung zum SCM sind.
Zwar existieren getrennte Communities in Logistik und Einkauf mit teilweise eigenem Vokabular, an den „Schnittmengen“ ist jedoch die Verzahnung der jeweils fortgeschrittensten Konzepte beider Disziplinen,entscheidend für den Erfolg von SCM. Bereits bei der Frage, ob und wie Logistik als eine von vielen Categories/Warengruppen innerhalb des Einkaufs behandelt werden sollte, zeigt sich, dass im Falle eines (Out-)Sourcings von Logistikaufgaben diese Teil der eigenen Supply Chain werden. Damit muss SCM – hier als weiteste Entwicklungsstufe des Einkaufs bzw. Supply Managements – den Güter- und Leistungsfluss im Unternehmen und im Netzwerk effizient gewährleisten. Der Einkauf müsste logistische Fachkenntnisse integrieren.
Was in der Category „Einkauf von Logistik-Dienstleistungen“ zutrifft, gilt grundsätzlich für die Organisation von Einkauf und Logistik: Beide Unternehmensbereiche stehen oft in Konkurrenz, die Lösungen zur Auflösung oder Minderung der organisatorischen Problemfelder und Kompetenzfriktionen sind jedoch genauso heterogen wie die Unternehmen: Sie reichen von der Über- oder Unterordnung der einen oder anderen Disziplin bis zur Gleichordnung mit und ohne ein SCM-Dach.
Untersuchungen in den Disziplinen zeigen regelmäßig, dass eine höhere hierarchische Aufhängung die jeweilige Performance nachhaltig verbessert. Die Frage der Vorteilhaftigkeit der Gleich- oder Unterordnung in Abteilungen ist jedoch nicht empirisch belegbar. Intuitiv scheint jedoch eine abgestimmte Koordination „unter einem Dach“ z. B. des SCM beim Chief Operating Officer (COO) eine geeignete und zunehmend gewählte Lösung, um gemeinsam den Einfluss und die Durchgriffsmöglichkeiten (Power & Reach) zu optimieren.
Eine ebenso intuitive Alternative wäre die Spezialisierung und hierarchische Aufhängung bei getrennten Verantwortlichen – z. B. Einkauf beim Chief Financial Officer (CFO), Logistik beim COO. Dies würde dann jedoch mit einer konzeptionellen Einschränkung einhergehen. Zu Ende gedacht hätte das Supply Management dann die Aufgabe, die einkaufsseitigen Kosteneinsparungen innerhalb des gesamten Unternehmens durch eine geeignete Performance-Messung mit klaren Finanz-Kennzahlen und ein durchgängiges Monitoring der Einsparungen zu realisieren. Bei Verhandlungen mit Lieferanten wäre der Einkauf dann zwar gemeinsam mit der Logistik „mit am Tisch“, jedoch in einer anderen Rolle als heute, wo Logistik und Einkauf die „Lieferantenintegration“ für sich reklamieren. Die Logistik hätte in diesem Fall zwar weiterhin die Koordinationsaufgabe für Güter- und Informationsfluss, müsste sich in Bezug auf Kooperations- oder Outsourcing-Entscheidungen dann aber vom Einkauf „messen lassen“. Die Gesamtverantwortung für die Effizienz des – übergreifenden – SCM wäre damit konzeptionell im obersten Unternehmsgremium verankert. Auf die damit jeweils verbundenen Aufgaben sind Einkäufer, Logistiker und Supply Chain Manager jedoch bisher oft nicht professionell genug vorbereitet: Konzepte müssen von hervorragend ausgebildeten, motivierten Menschen getragen werden, die mit geeigneten Tools und Daten ausgestattet sind.
Supply Chain Management (SCM) ist heute ein weit verbreiteter Begriff. Fast jedes Unternehmen betreibt SCM, zahlreiche Forscher analysieren reale Phänomene mit vielfältigen Methoden. Dennoch: Eine tiefere Betrachtung von Wissenschaft und Praxis zeigt, dass bei Weitem kein Konsens darüber besteht, was SCM ist und, vor allem, wie es erfolgreich umgesetzt wird.
Eine umfassende Analyse von internationalen Publikationen zum SCM zeigt, dass Einkauf und Logistik als zwei wesentliche Wissenschaftsdisziplinen unter einem Dach vereint sind. Sie können als zwei von neun Denkschulen innerhalb des Supply Chain Managements bezeichnet werden.
Konzeptionell hat Supply Chain Management das Potenzial, sich zur „Königsdisziplin“ für wissenschaftlich fundierte und praxisdienliche Forschung und Lehre zu entwickeln.
Denn in der globalisierten Unternehmenspraxis geht es längst nicht mehr um Einkauf und Logistik. Es geht um nichts weniger als die Global Supply Chain Leadership. Der Topmanager von morgen muss in Netzwerken denken und kann es sich nicht leisten, in alten Denkmustern zu verharren. Er muss in Zusammenhang setzen, was unter der normativen Kraft des global Faktischen längst im Zusammenhang steht: Einkauf und Logistik sind keine Gegenspieler oder konkurrierende Ansätze zur Erklärung der Welt. Sie sind vielmehr zwei wesentliche Elemente zur Erklärung und Steuerung einer ganzheitlichen Supply Chain.
Supply Chain Management – Irrweg oder Ausweg?
SCM hebt dabei die klassische Trennung einzelner Funktionen im Unternehmen in Teilen auf. Während es früher darum ging, Prozesse und Strukturen in den wichtigsten Unternehmensfunktionen zu optimieren, schlägt SCM eine ganzheitliche und integrative Sichtweise vor, bei der es gilt, die einzelnen Funktionen gesamthaft zu optimieren und dabei die Schnittstellen zu jeweils anderen Bereichen aufzudecken. Nur so kann ein Verständnis für die Schnittstellen zwischen einzelnen Bereichen, ihr jeweiliges Zusammenspiel und Potenzial für weitere Optimierungen aufgedeckt werden. Die Auffassung des Managements dieser einzelnen Funktionen hat sich im Lauf der Zeit stark geändert.
Porters Beschreibung der Wertschöpfungskette illustrierte bereits zu Beginn der 1980er Jahre, dass die klassische Trennung zwischen Beschaffung, Produktion und Absatz weitgehend künstlich ist und so genannte Querschnittsfunktionen existieren, welche eine Verbindung dieser drei Elemente sichern, wie zum Beispiel Logistik, Marketing oder IT (Porter, 1985). Er definierte die „Wertkette“ als eigentlichen Ort der Wertschöpfung. Supply Chain Management führt diese Idee noch einen Schritt weiter, indem der Blickwinkel erweitert wird und weitere Organisationen wie Lieferanten und Kunden einbezogen werden. Damit wird der Grundgedanke des Supply Chain Management sichtbar: Es geht um die ganzheitliche Integration von Funktionen und Prozessen innerhalb eines Unternehmens und über Unternehmensgrenzen hinweg.
In diesem Sinne geht SCM weit über das hinaus, was in Deutschland üblicherweise darunter verstanden wird, denn es ist mehr als strategisches Logistikmanagement, das darauf abzielt, den Fluss von Gütern, Informationen, Finanzmitteln und Dienstleistungen innerhalb eines Unternehmens und zwischen Organisationen zu optimieren. Dies ist nur eine der neun Denkschulen bzw. eine der zahlreichen Aufgaben, die unter SCM zusammengefasst werden. Denn während Logistikmanagement im Wesentlichen eine Koordinationsfunktion übernimmt, gehen die Aufgaben des SCM in diesem Sinne deutlich weiter.
Eine literaturbasierte Klassifizierung der Denkschulen und Funktionen, die einen Beitrag zu erfolgreichem SCM leisten, zeigt die Schnittmengen und die konzeptionellen Kombinationsmöglichkeiten. So ist die Formulierung einer Supply Chain Vision und entsprechender Strategie eine Kernaufgabe des strategischen Managements auf Vorstandsebene. Auch bei der Umsetzung der Supply Chain Strategie ist die oberste Führungsebene involviert, indem sie den Aufbau von Kooperationen mit strategischen Partnern initiiert und fördert. Für die Umsetzung der Supply Chain Strategien und zur Einbindung der Partner in die Supply Chain kommen zwei weitere Funktionen ins Spiel, die sich mit konzeptionellen Fragen der Ausgestaltung einer Supply Chain Organisation und dem Management und der Koordination der einzelnen Supply Chain Partner auseinandersetzen. Diese drei zentralen Funktionen Strategisches Management, Organisation und Netzwerk-Koordination bilden den Rahmen, ohne den Supply Chain Management nicht realisiert werden könnte. Damit wird deutlich, dass Logistik oder Supply Management diesen Management-Rahmen ebenfalls benötigen, wenn sie als ganzheitliche Disziplin definiert werden. Neben diesen konzeptionellen Aspekten ergibt die SCM-Literatur sechs weitere Aufgabenfelder (Siehe Abbildung), die für das Erreichen von „Operational Excellence“ unerlässlich sind.
Zu den beiden wichtigsten zählen unzweifelhaft Logistik und Einkauf, die die größten Schnittmengen mit dem SCM aufweisen. Zumindest für Einkäufer und Logistiker wäre das ein einschneidender Paradigmenwechsel, der jedoch viele konzeptionelle Ungereimtheiten in Forschung und Praxis auflösen würde.
Literaturverzeichnis und Quellenangaben können Sie gerne in der Redaktion anfordern: ba.redaktion@konradin.de Stichwort: Prof. Walter

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