Startseite » Allgemein »

Verhalten bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Spielregeln im Umgang mit Behörden und Staatsanwalt
Verhalten bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Die Verantwortlichen der deutschen Industrie sehen sich einer Fülle immer komplizierter werdender Gesetze, Verordnungen und Vorschriften gegenüber. Das trifft besonders für die Bereiche Umwelt- und Betriebssicherheit sowie Produkthaftung zu.

Zudem hat das Ausmaß der Ermittlungstätigkeit der Behörden in den letzten Jahren stark zugenommen. Es könnte also jedem Unternehmensleiter und jeder Führungskraft leicht passieren, in ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, beispielsweise wegen Organisationsverschulden, verwickelt zu werden. Denn nach deutschem Recht sind nicht die Unternehmen, sondern verantwortliche Mitarbeiter strafbar. Sie übernehmen mit ihrer Arbeit daher immer auch persönlich Verantwortung. Bei einem Ermittlungsverfahren sollte so früh wie möglich ein Rechtsanwalt eingeschaltet werden. Ebenfalls hilfreich ist eine Straf-Rechtsschutz-Versicherung, die beispielsweise bei der Gerling- oder der Hannoverschen Rechtsschuztversicherung abgeschlossen werden kann. Denn die Versicherungen vermitteln spezialisierte Rechtsanwälte und fachspezifische Gutachter.

Kommt es zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft oder einer Ordnungsbehörde wegen eines Stör- oder Betriebsunfalls mit Folgen für Menschen und Umwelt, sollte sofort die Rechtsabteilung oder ein Rechtsanwalt eingeschaltet werden. Das oberste Gebot von Anfang an ist es, jede Einlassung gegenüber Dritten bezüglich des Ermittlungsgegenstands zu vermeiden. Der Bericht für die Betriebsleitung sollte sich auf die Darstellung des äußeren Geschehensablaufs beschränken und keine persönlichen Wertungen und Erwägungen zur Schuldfrage enthalten.
Vernehmung von Betroffenen
Bei der Vernehmung durch die Ermittlungsbeamten ist es wichtig zu wissen, ob Mitarbeiter als Beschuldigte oder als Zeugen vernommen werden, denn es gelten unterschiedliche Rechte und Pflichten. Beschuldigter ist, wer verdächtig ist, Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu sein. Der Zeuge dagegen ist nicht tatverdächtig und kann zur Tat aussagen. Die Vernehmungsbeamten sind verpflichtet, die Vernommenen über Rechte und Pflichten zu belehren. Auf diese Auskunftspflicht sollte in jedem Fall bestanden werden.
Vernehmung von Zeugen
Für Zeugen gibt es keine Pflicht, vor der Polizei oder vor Aufsichts- und Ordnungsbehörden zu erscheinen oder zur Sache auszusagen, und im Zweifel sollte dieses Recht ausgeübt werden. Er muß allerdings Angaben zu seiner Person machen. Will sich ein Zeuge äußern, sollte er dies schriftlich mit Hilfe eines Rechtsanwalts tun. Der weiß unüberlegte Aussagen zu vermeiden, die den Zeugen oder andere Personen belasten könnten.
Lädt jedoch die Staatsanwaltschaft zur Vernehmung vor, muß der Zeuge nach §161 a StPO erscheinen und grundsätzlich zur Person und zur Sache aussagen. Sein Erscheinen vor dem Staatsanwalt ist durch Zwangsmittel, wie Ordnungsgeld oder eine zwangsweise Vorführung nach §161 a Abs. 2 StPO, erzwingbar. Auch hier ist der Zeuge berechtigt, einen Juristen hinzuzuziehen, das Recht auf eine schriftliche Aussage liegt aber im Ermessen des Staatsanwalts. Nur wenn er vom Zeugnisverweigerungsrecht gemäß §§ 52-55 StPO Gebrauch machen kann, braucht er nicht auszusagen.
Das Recht kann er beanspruchen, wenn er bestimmte verwandtschaftliche Beziehungen zum Beschuldigten oder Angeklagten nach § 52 StPO hat, zu einer Berufsgruppe mit Schweigepflicht nach §53 StPo gehört oder sich der Gefahr der Selbstbelastung nach § 55 StPO aussetzt. Das Recht zur Zeugnisverweigerung sollte auf jeden Fall beansprucht werden, wenn nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, daß sich der Zeuge bei der Aussage selbst belastet. Dabei ist die sichere Erwartung der Verfolgung nicht nötig, die drohende Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Zeugen genügt. Möglicherweise müssen die zur Zeugnisverweigerung berechtigten Tatsachen durch eine eidesstattliche Versicherung nach §56 StPO glaubhaft gemacht werden. Dabei besteht die Gefahr, die Vernehmungsbeamten auf eine Mitverantwortung aufmerksam zu machen. Deshalb sollte sich der Zeuge vorher unbedingt von einem Rechtsanwalt beraten lassen.
Vernehmung von Beschuldigten
Bei einer Vorladung eines Beschuldigten durch die Verwaltungsbehörde besteht für diesen keine Pflicht, zu erscheinen. Die Behörde gibt dann jedoch die Sache an den Staatsanwalt weiter, wo der Beschuldigte bei ordnungsgemäßer Vorladung erscheinen muß. Entschließt er sich aber zur Aussage, braucht er nur zur Person und nicht zur Sache aussagen. Will er zur Sache aussagen, sollte er im Zweifel auf eine schriftliche Aussage bestehen.
Ein Bechuldigter sollte so früh wie möglich einen Rechtsanwalt einschalten. Ob ein Anspruch beim Vernehmen durch Verwaltungsbehörden besteht, ist umstritten. Erfahrungsgemäß wirkt jedoch der Hinweis, bei der Verweigerung eines Rechtsanwalts nicht auszusagen. Das Recht zur Verweigerung der Aussage zur Sache besteht zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens.
Wurde der Beschuldigte bei der Vernehmung durch die Beamten nicht über dieses Recht aufgeklärt, so dürfen seine Aussagen nach dem Verwertungsverbot BGH, NStZ 1992, S. 294 nicht verwendet werden. Wurde ihm vor seiner ersten Vernehmung verweigert, sich von seinem Rechtsanwalt beraten zu lassen, sind seine Angaben auch dann unverwertbar, wenn er zuvor gemäß § 136 Abs. 1, S. 2 StPo belehrt worden ist (BGH, NJW 1993, S. 338).
Bei der Vernehmung eines Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft muß er der Vorladung Folge leisten. Auch vor dem Staatsanwalt hat er das Recht, die Aussage zur Sache zu verweigern, seine Aussage schriftlich zu äußern und sich von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen. Er hat aber die Pflicht, zur Person auszusagen.
Durchsuchung und Beschlagnahme
Mit Durchsuchungen und Beschlagnahmungen beschaffen die Behörden Beweismittel und stellen sie sicher. Beschlagnahme ist die förmliche Sicherstellung eines Gegenstandes durch Überführung in amtliches Gewahrsam oder die Anordnung der Sicherstellung. Mit einer Durchsuchung sollen Gegenstände gefunden werden, die der Beschlagnahme unterliegen oder auch Beschuldigte ergriffen werden. Damit belastendes Material zuvor nicht vernichtet oder in Sicherheit gebracht werden kann, werden die Maßnahmen durchgeführt, bevor die Betroffenen von der Ermittlung erfahren.
Beim Erscheinen der Durchsuchungsbeamten sollte zunächst nach dem Grund des Erscheinens gefragt und die Rechtsabteilung oder der Rechtsanwalt des Hauses informiert werden, der nach Möglichkeit während der ganzen Durchsuchungsdauer anwesend ist. Es besteht nach BVerfG NJW 1976, S. 1735 ein Rechtsanspruch darauf, die Dienstausweise der Beamten zu sehen und sich die Personalien zu notieren. Auch sollte sich das betroffene Unternehmen den Inhalt der Durchsuchungsanordnung abschreiben oder kopieren. Häufig versuchen die Beamten durch Befragen der Anwesenden, weitere Informationen zu bekommen. Dabei besteht gegenüber der Polizei keine Aussagepflicht, nur dem Staatsanwalt gegenüber müssen Fragen beantwortet werden, wenn nicht das Aussageverweigerungsrecht greift. Es darf dazu jedoch ein Rechtsanwalt hinzugezogen werden.
Am besten ist es, bei Erscheinen der Beamten diese von der Pforte zur Rechtsabteilung oder der Geschäftsleitung zu führen. Es besteht grundsätzlich keine Mitwirkungspflicht bei der Durchsuchung, aber die Beamten dürfen auch nicht behindert werden. Es empfiehlt sich jedoch, die Beamten ständig zu begleiten und sich Notizen über den Ablauf der Durchsuchung zu machen. Beim Durchsuchen sind die Beamten berechtigt, verschlossene Räume, Schreibtische, Büroschränke, Aktentaschen und ähnliches zu öffnen oder aufzubrechen. Und sie dürfen auch Gegenstände sicherstellen, die in keinem Zusammenhang mit dem eigentlichen Durchsuchungszweck stehen, sofern sie auf eine andere Straftat hindeuten. Auch hierbei dürfen sie nicht behindert werden.
Wenn die Beamten fündig geworden sind und Unterlagen beschlagnahmen, sollte vorsorglich Widerspruch zu Protokoll gegeben werden, falls kein Rechtsanwalt zugegen ist. Außerdem sollte eine Bescheinigung gefordert werden, in der neben dem Grund der Untersuchung auch alle sichergestellten Unterlagen detailliert bezeichnet werden. Hierauf besteht nach § 107 StPO ein Rechtsanspruch. Werden die Unterlagen von Polizeibeamten und nicht vom Staatsanwalt beschlagnahmt, besteht zusätzlich ein Recht darauf, daß diese verschlossen und versiegelt werden. Es besteht zwar kein Rechtsanspruch darauf, die beschlagnahmten Unterlagen zu kopieren. Aber mit dem Argument, nur so den Geschäftsablauf aufrecht zu erhalten, könnten es die Beamten zulassen.
Aufgabe des Sachverständigen
Die Staatsanwaltschaft wird einen Sachverständigen einschalten, um die Tat nachzuweisen. Dadurch wird es auch für das betroffene Unternehmen notwendig, einen fachspezifischen Sachverständigen einzuschalten, um seine Beweisführung zu entkräften. Er ist es auch, der den technischen Teil der Verteidigung vorbereitet. Dadurch hat der Rechtsanwalt die Möglichkeit, sich für die Verteidigung in die technischen Problemfragen einzuarbeiten. Durch das sofortige Einschalten eines Sachverständigen kann auch verhindert werden, daß während des Ermittlungsverfahrens eine Publizität entsteht, die dem Ansehen des Unternehmens schadet. Dies sollte vor allem in den Risikobereichen Umwelt-, Produkt- und Betriebsstättenverantwortung vermieden werden.
In einigen Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft nicht konkret weiß, wer als Beschuldigter in Betracht kommt, leitet sie ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt oder Verantwortliche des Unternehmens ein. Es wäre jedoch falsch, abzuwarten bis sich die Ermittlungen namentlich gegen Mitarbeiter des eigenen Unternehmens richten. Durch Passivität geht unnötig Zeit verloren, falsche Reaktionen könnten die Folge sein. Bereits in dieser Phase sollte der Rechtsanwalt das Unternehmen verteidigen, obwohl das Unternehmen selbst noch nicht strafrechtlich handeln kann. Es wird dadurch aber erreicht, daß die Mitarbeiter einheitlich argumentieren. Eine Erörterung der möglichen Schuld von Mitarbeitern muß jedoch unbedingt vermieden werden.
Die sogenannte Firmenstellungnahme kann die öffentliche Meinung und damit das Ermittlungsverfahren posititv beeinflussen. Um das zu erreichen, sollte die Stellungnahme in einer allgemein verständlichen Sprache verfaßt sein sowie ökologische und technische Zusammenhänge erklären und die richtigen Relationen herstellen. Bei Umwelt-Strafverfahren muß der ökologische Schaden erörtert werden, denn die Öffentlichkeit kann das Ausmaß nicht realistisch einschätzen und überschätzt ihn oftmals. Findet der Sachverständige auch andere mögliche Ursachen, könnte eine sogenannte Multikausalität vorliegen, die die eigene Verantwortung in Frage stellen kann. Insgesamt wird durch eine Stellungnahme die Öffentlichkeit und die Staatsanwaltschaft nachdenklich gemacht und im günstigsten Fall die Einstellung des Verfahrens erreicht. (mw)
n
Vernehmung von Beschuldigten
lein Rechtsanwalt sollte frühzeitig eingeschaltet werden
lder Rechtsanwalt muß bei der Vernehmung zugelassen werden
lkeine Erscheinungspflicht besteht bei Vorladung zur Vernehmung durch die Polizei oder Verwaltungsbehörden
lErscheinungspflicht besteht bei Vorladung durch den Staatsanwalt
les besteht keine Pflicht, zur Sache auszusagen
lin jeder Lage des Verfahrens besteht das Recht, die Aussage zur Sache zu verweigern
les besteht das Recht, sich auf eine schriftliche Aussage zu beschränken; sie ist der mündlichen vorzuziehen
Behördliche Maßnahmen auf dem Firmengelände
1.Verhalten bei Erscheinen der Durchsuchungsbeamten:
lnach dem Grund des Besuchs fragen
lRechtsanwalt oder -abteilung sofort informieren
ldie Beamten von der Pforte zur Rechts- oder Geschäftsabteilung führen
lVorlage der Dienstausweise und des richterlichen Durchsuchungsbeschlusses verlangen
lPersonalien der Beamten notieren
lInhalt der Durchsuchungsanordnung notieren
leventuell Fotokopien anfertigen
lwährend der ganzen Durchsuchungsdauer sollte ein Jurist anwesend sein
2.Verhalten während der Durchsuchung
ldie Durchsuchungsbeamten ständig begleiten
lden Ablauf der Durchsuchung notieren (Diktiergerät)
ldie Beamten sind keinesfalls zu behindern
lsie sind berechtigt, Schränke, Aktentaschen und ähnliches zu öffnen oder aufzubrechen
les besteht keine Mitwirkungspflicht für Betroffene
lwenn kein Jurist anwesend ist, sollte vorsorglich Widerspruch zu Protokoll gegeben werden
leine Bescheinigung mit Beschreibung der sichergestellten Unterlagen verlangen
lsichergestelle Unterlagen versiegeln und verschließen lassen
lVersuchen, die sichergestellten Unterlagen zu fotokopieren; darauf besteht zwar kein Rechtsanspruch, aber ein Hinweis auf die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes kann helfen
Vorschriften
Wichtige Vorschriften nach dem Strafgesetzbuch (StGB)
§ 153 falsche uneidliche Aussage§ 257 Begünstigung§ 258 Strafvereitelung§ 145 d Vortäuschen einer Straftat§ 164 Falsche Verdächtigung
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 3
Ausgabe
3.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de