Startseite » Allgemein »

Vertrauensperson Verkäufer

Ordentliche Beratung ist „Kardinalpflicht“
Vertrauensperson Verkäufer

Bei falschen Auskünften und fehlerhaften Beratungen hat der Einkäufer weitgehende Rechte, schreibt unser Autor Prof. Karlheinz Schmid. Denn die Gerichte sehen in der ordentlichen Beratung eine „Kardinalpflicht“.

Prof. Dr. Karlheinz Schmid

Die gekaufte Ware enttäuscht entgegen allen vom Verkäufer erweckten Erwartungen im praktischen Einsatz. Ein Sachmangel liegt nicht vor, weil das Produkt der mit dem Verkäufer vereinbarten Beschaffenheit entspricht. Ansprüche aus der Mängelhaftung kann man sich daher aus dem Kopf schlagen. Aber es können sich immer noch Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Beratung, also wegen eines so genannten Beratungsverschuldens, ergeben. Nach den kaufrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches ist ein Verkäufer zwar nicht ausdrücklich verpflichtet, einen Käufer oder Kaufinteressenten über Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten einer Ware zu beraten. Eine allgemeine Aufklärungspflicht besteht im Rahmen von solchen Vertragsverhandlungen also nicht.
Kommt der Verkäufer jedoch der Bitte um Beratung nach, müssen seine Aussagen fehlerfrei sein. Auch ohne eine entsprechende Bitte ist der Verkäufer zu einer weiterführenden Information verpflichtet, wenn – so die Rechtsprechung – besondere Umstände hinzutreten. Die BGH–Rechtsprechung verwendet dafür die Formel, es sei über „solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind“. Je größer der erkennbare Informationsbedarf auf Seiten des Käufers ist, umso schutzbedürftiger dieser also ist, desto näher liegt die Annahme, dass der Verkäufer zur Beratung und Aufklärung verpflichtet ist. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um schwierige Sachverhalte handelt, etwa um komplizierte Informationstechnologie
Im Grundsatzurteil vom 23. Juli 1997 (Der Betrieb 1997, S. 2071) stellte der Bundesgerichtshof fest: Hole sich der nicht genügend sachkundige Käufer bei dem Verkäufer als Fachmann im Zuge der Kaufvertragsverhandlungen Rat ein, so komme dem Verkäufer die Stellung einer Vertrauensperson zu. Ihn treffe dann die Verpflichtung zur sachgemäßen und umfassenden Aufklärung über die besonderen Eigenschaften des von ihm verkauften Produkts.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte schon mit Urteil vom 18. Oktober 1988 (CR 7/1989, S. 598) in seinem Leitsatz festgestellt: Wendet sich ein mittlerer Handwerksbetrieb als EDV-Einsteiger ohne ausreichende eigene EDV-Kenntnisse an einen fachlich ausgerichteten EDV-Lieferanten zum Zweck einer Problemlösung durch Systemverschaffung, dann ist der Lieferant verpflichtet, den Anwender darüber aufzuklären, dass der vertraglich vorausgesetzte Zweck nur in einem intensiven Dialog mit dem Anwender konkretisiert werden kann, dessen Ergebnis in der Regel in einem Pflichtenheft festzuhalten ist. Er muss von sich aus die Konkretisierung anbieten. Versäumt er dies und ist infolgedessen das System für den Anwender nicht brauchbar, so haftet er dem Anwender aus Verschulden beim Vertragsschluss.
Grundlage für Investitionen
„Der Lieferant, der Branchenlösungen vertreibt, kennt diese Kommunikationsprobleme; er hat die überlegenen Kenntnisse. Von ihm muss daher die Beratungsinitiative ausgehen; er muss den Erstanwender auffordern, im Dialog seine Vorstellungen zu konkretisieren und auf die Lösungsmöglichkeiten abzustimmen. Eine Demonstration ohne den direkten Bezug zum Betrieb des Anwenders reicht dazu nicht aus. Erst nach dieser Konkretisierung ist der Anwender in der Lage, seine Investitionsentscheidung sinnvoll zu treffen.“
In den AGB des Lieferanten, die unbestritten Grundlage des Vertrages waren, hieß es u. a., dass der Verkäufer nur für eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung haften müsse. Der Verkäufer hatte sich also auch für die Folgen eines leicht fahrlässigen Beratungsverschuldens frei gezeichnet. Zulässig? Dies war damals und ist auch heute im kaufmännischen Verkehr unzulässig, wenn eine vertragliche Hauptpflicht bzw., wie die Gerichte sagen, eine Kardinalpflicht verletzt wird. Die Beratungs- und Aufklärungspflicht des Verkäufers ist bei komplizierten Sachverhalten eine solche Kardinalpflicht, von der man sich als Kaufmann nicht freizeichnen kann. Aus § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ergibt sich der Grundsatz, dass bei der Verletzung von „wesentlichen Vertragspflichten“ die Haftung auch nicht für einfache Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden darf (vgl. Palandt – Heinrichs, § 307 Rn. 35).
Das Oberlandesgericht Köln sprach in seinem Urteil vom 22. Oktober 1993 (NJW 1994, S. 1355) ebenfalls von einer Pflicht des Software-Verkäufers, den Anwender bei der Auswahl der für diesen geeigneten Programme zu beraten, wenn er erkenne, dass dieser nicht über die notwendige Sachkunde verfüge. Dies gelte nur dann nicht, wenn der Anwender eine bestimmte Software verlange, weil er sich im Vorfeld anderweitig sachkundig gemacht habe. Das Beratungsverschulden lag in diesem Fall darin, dass der Verkäufer eine viel zu teuere Programmversion verkauft hatte. Der Leitsatz lautete wie folgt: Führt der Anbieter in seinem Sortiment mehrere unterschiedlich ausgestattete Programmversionen, deren Preise sehr unterschiedlich sind, so muss er sich über den Bedarf des Kunden vergewissern und darf diesem nicht die teuerste Version andienen, wenn die billigste (abgespeckte) Version den Bedürfnissen des Kunden ohne weiteres gerecht wird.
Berät der Verkäufer den Käufer über Eigenschaften oder die Verwendungsfähigkeit der Ware, dann ist regelmäßig von einer unselbstständigen Nebenpflicht des Verkäufers auszugehen (BGH, Urteil vom 27. 06. 2001, Der Betrieb 2001, S.1986). Auch wenn es sich nur um eine unselbständige Nebenpflicht und nicht um eine kaufvertragliche Hauptpflicht handelt, so darf dies keinesfalls unterschätzt werden! Verletzt nämlich der Verkäufer diese kaufvertragliche Nebenpflicht, hat er dem Käufer – unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens beim Vertragsabschluss (§§ 311 Abs. 2, 241, Abs. 2, 280 BGB) – den gesamten durch die fehlerhafte Beratung entstandenen Schaden zu ersetzen.
Damit hat der Verkäufer gegen eine Pflicht im Sinne von § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB verstoßen. Mit der Feststellung des Verstoßes gegen eine Haupt- oder Nebenpflicht, auch – wie hier – gegen eine vorvertragliche Schutzpflicht, liegt eine objektive Pflichtverletzung vor.
Ist der Verkäufer aber auch individuell für den eingetretenen Schaden verantwortlich? Liegt also auch eine für den Schadensersatzanspruch erforderliche subjektive Pflichtverletzung vor? In Betracht kommt ein vorsätzliches oder fahrlässiges Fehlverhalten. Dieses subjektive Verschulden des Verkäufers wird gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet. Der Käufer hat also insoweit keinerlei Beweispflichten. Der Verkäufer könnte aber den Nachweis führen, dass er die Pflichtverletzung nicht verschuldet hat, dass er also an der Pflichtverletzung – hier der fehlerhaften Beratung – nicht schuld ist. Diese Beweisführung wird ihm nur in den wenigsten Fällen gelingen, etwa wenn er bei einer fehlerhaften Beratung beweisen könnte, dass ihm der Beratungssachverhalt falsch dargelegt wurde.
Ob jedoch einem Verkäufer, der es übernommen hat, den Käufer über die Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten einer Ware zu beraten, eine Verletzung der hierdurch begründeten Beratungspflicht vorzuwerfen ist, hängt in erster Linie vom Umfang dieser Verpflichtung ab. Dieser Umfang, so das Urteil des Achten Senats des Bundesgerichtshofs vom 16. Juni 2004 (Der Betrieb 2004, S. 1823), bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, dass der Verkäufer nur im Rahmen seiner individuellen Fachkunde haftet.
Der Achte Senat präzisierte seine Aussage wie folgt: Es müsse vor allem auf die Sicht des Käufers abgestellt werden. Der Käufer könne berechtigterweise in einem Fachgeschäft eine größere Sachkunde des Verkaufspersonals erwarten als in einem Warenhaus und vom Hersteller eines Produkts wiederum eine größere Sachkunde als vom bloßen (Fach-)Händler. Diese Erwartung sei für den Verkäufer auch unschwer erkennbar, zumal dann, wenn der nicht bzw. nicht hinreichend sachkundige Käufer oder Kaufinteressent sich ausdrücklich nach einem geeigneten Material für einen bestimmten Verwendungszweck erkundigt.
Aus dem Wesen des Beratungsverhältnisses ergeben sich zugleich auch seine Grenzen. Wer sich mit der Bitte um Beratung an den nicht mit dem Hersteller identischen Verkäufer wendet, muss damit rechnen, dass er nicht über jedes denkbare Risiko, das mit der beabsichtigten Verwendung der Ware verbunden ist, lückenlos aufgeklärt wird. Bei einem Verkäufer wird er üblicherweise nicht dieselbe große Sachkunde voraussetzen können wie beim Hersteller der Ware. Ganz entfernt liegende Risiken, die sich möglicherweise erst durch aufwendige Untersuchungen feststellen lassen, muss ein Verkäufer nicht kennen. „Die wirtschaftlichen Folgen der Verwirklichung eines solchen Risikos kann deshalb der Käufer im Regelfall nicht dadurch auf den Verkäufer abwälzen, dass er ihn um Beratung über den Kaufgegenstand bittet. Insoweit bleibt es vielmehr bei dem Grundsatz, dass – außerhalb der kaufrechtlichen Gewährleistung – das Verwendungsrisiko beim Käufer liegt“(BGH, Der Betrieb 2004, S. 1284).
Der Verkäufer kann aber jederzeit eine weitere Beratung ablehnen, wenn er erkennen muss, dass seine Fachkenntnisse nicht ausreichen. Im Rahmen dieses vom Bundesgerichtshof begrenzten Beratungsverhältnisses ist der Verkäufer zunächst jedenfalls verpflichtet, den Käufer über alle für den vorgesehenen und ihm mitgeteilten Verwendungszweck wesentlichen – insbesondere auch ungünstigen – Eigenschaften der in Betracht kommenden Ware zu informieren, die ihm bekannt sind.
Besondere Beziehung
Hat jedoch der Verkäufer Bedenken gegen die uneingeschränkte Eignung der Ware oder liegen ihm gar konkrete Anhaltspunkte in dieser Richtung vor, so hat er dies dem Käufer zu offenbaren oder muss seine Zweifel durch Rückfragen beim Hersteller ausräumen.
„Darüber hinaus kann dem Verkäufer eine Erkundigungspflicht jedoch nicht angesonnen werden. Es würde schon in objektiver Hinsicht die Beratungspflicht des Verkäufers überspannen, wollte man ihm stets dann eine Pflicht zur Rückfrage auferlegen, wenn er zwar keine Kenntnis von einer bestimmten negativen Eigenschaft hat (und auch nicht haben muss), diese aber auch nicht mit letzter Sicherheit ausschließen könnte, falls er danach gefragt würde“(BGH, Der Betrieb 2004, S. 1824).
Bei einer Beratung des Käufers durch den Verkäufer kommt im Regelfall, auch wenn ein Produktberater des Herstellers hinzugezogen wird, nur eine unselbstständige nebenvertragliche Verpflichtung des Verkäufers in Betracht. Nur ausnahmsweise kann auch ein selbstständiger Beratungsvertrag vorliegen. Dieser kann ganz bewusst zwischen den Vertragsparteien abgeschlossen worden sein, dieser kann sich aber auch allein durch schlüssiges Verhalten der Beteiligten ergeben. „Bei einer Beratung durch den Verkäufer über Eigenschaften der Kaufsache ist die Annahme eines selbstständigen Beratungsvertrages zwischen Verkäufer und Käufer nicht für alle denkbaren Fallgestaltungen ausgeschlossen. Entscheidend sind auch hier die Umstände des Einzelfalls …“ (BGH, Der Betrieb 1997, S. 2071).
Folgt man der bisherigen BGH-Rechtsprechung, kann es nur dann gerechtfertigt sein, zwischen Käufer und Verkäufer eine besondere, selbstständig neben dem Kaufvertrag stehende Rechtsbeziehung, also einen selbstständigen Beratungsvertrag, anzunehmen, wenn die Beratung des Verkäufers eindeutig über das hinausgeht, was im Allgemeinen seitens des Verkäufers für die sachgemäße Anwendung oder den Einsatz des Kaufgegenstandes in beratender oder empfehlender Weise geleistet wird.
Der Unterschied kann im Einzelfall von Bedeutung sein. Bleibt es bei der bisher vom Bundesgerichtshof vorgenommenen Unterscheidung, dann gilt Folgendes: Wird eine unselbstständige Nebenpflicht verletzt, verjähren die Schadensersatzansprüche nach zwei Jahren (§§ 438 Abs. 1, Nr. 3; 437 Nr. 3 BGB). Liegt dagegen ausnahmsweise ein selbstständiger Beratungsvertrag vor, verjähren die Schadensersatzansprüche nach drei Jahren (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Bei Schadensersatzansprüchen wegen einer Pflichtverletzung (§ 280 BGB), auch wegen Verschuldens beim Vertragsabschluss (§§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB) beginnt die Verjährung des Anspruchs auf Schadensersatz mit der Entstehung des Schadens.
Unsere Webinar-Empfehlung
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 4
Ausgabe
4.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de