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Vom Material- zum Informationsmanager

Zusammenarbeit zwischen Einkauf und Disposition
Vom Material- zum Informationsmanager

DV-gestützte Produktionsplanungs- und Materialdispositionssysteme werden mit der Erwartung eingesetzt, Puffer in den Beständen und Kapazitäten durch Informationen zu ersetzen: Frühzeitige und präzise Informationen über den Bedarf an Enderzeugnissen, Baugruppen und fremdbezogenem Material erlauben, bezogenes Material und eigengefertigte Produkte termingerecht bereitzustellen und machen Puffer überflüssig.

Prof. Dr. Melzer Ridinger

Teil 10: Der Disponent als Lieferant und Empfänger von Informationen
Um diesen Erwartungen gerecht zu werden, muß sich der Disponent vom Materialmanager zum Informationsmanager entwickeln. Er darf sich nicht darauf beschränken, Bedarfs- und Bestandsinformationen passiv zu verwalten, sondern muß die betrieblichen und unternehmensübergreifenden Informationsflüsse aktiv gestalten.
Zunächst muß der Informationsbedarf der Entscheidungsträger systematisch analysiert werden:
lWer braucht wann welche Informationen?
lWie verläßlich und genau muß die Information sein?
lIst die Information eine Hol- oder eine Bringschuld?
Im Rahmen der mittelfristigen Planung fungiert die Disposition – wie im Teil 2 der Serie dargestellt – als Informationsdrehscheibe; sie liefert und benötigt die folgenden Informationen:
lDie Disposition soll verbindliche Informationen über Liefertermine geben.
lDie Disposition soll für den Einkauf den mittelfristigen Materialbedarf, zur Vorbereitung für Verhandlungen und für Entscheidungen über Kontrakte mit Liefer- und Abnahmeverpflichtungen, bestimmen.
lDie Disposition soll Bestandsplanungsdaten für die jährliche Budgetplanung liefern.
lDie Disposition braucht artikelpezifische Absatzprognosen mit einem Prognosehorizont, der mindestens der Gesamtdurchlaufzeit entspricht.
lDie Disposition braucht verläßliche Termine für geplante Substitutionen und Neueinführungen. Die Vorlaufzeit ist von der Lagerreichweite und der Gesamtdurchlaufzeit sowie von der Laufzeit eventueller Kontrakte mit Lieferanten abhängig.
lDie Disposition braucht Informationen aus dem Einkauf über (drohende) Versorgungsstörungen und aus der Fertigung über (erwarteten) Kapazitätsausfall.
lDie Disposition braucht verläßliche Vorhersagen über Kapazitätsungleichgewichte, um diese durch Belastungsanpassungen bewältigen zu können, ohne die benötigten Vorprodukte im Engpaßmanagement zu beschaffen und zu produzieren.
Die Leistungsfähigkeit des Informationsmanagements in der mittelfristigen Produktionsplanung und Materialdisposition ist daran erkennbar, in welchem Umfang die Probleme schlechte Auslastung, Fehlmengen, Engpaßmanagement und erhebliche Puffer in den Beständen, Durchlaufzeiten und Kapazitäten gleichzeitig auftreten.
Diese Probleme treten im wesentlichen wegen der Bedarfsunsicherheit auf. Zentrale Aufgabe der Disposition muß daher sein, die betrieblichen und unternehmensübergreifenden Informationsflüsse so zu gestalten, daß die Bedarfsunsicherheit reduziert wird.
Von besonderer Bedeutung ist die Planung des Primärbedarfs (Auftragserfassung und Absatzprognose), weil falscher Primärbedarf nicht nur falschen Material- und Kapazitätsbedarf auf der Stufe der Vorprodukte auslöst, sondern – durch die Losbildung – nervöse Systemreaktionen verursacht, wie das folgende Beispiel zeigt:
Zur Herstellung des Endprodukts wirdjeweils ein Vorprodukt benötigt.Lagerbestände Beginn Woche 1:
Endprodukt: 12Vorprodukt: 15
Geplanter Lagerzugang des Vorprodukts in Woche 5.
Losgrößen: Endprodukt:
Bedarf dreier aufeinanderfolgender Wochen Vorprodukt: 20 Durchlaufzeit: Endprodukt: 2 Wochen Vorprodukt: 5 Wochen
Die bisherige Praxis, Bedarfsunsicherheit durch rollierende Planung zu „bewältigen“, erweist sich als untauglich, wenn Änderungen auf der Ebene des Primärbedarfs noch vorgenommen werden, wenn auf vorgelagrten Fertigungsstufen oder in der Materialbeschaffung bereits feste Aufträge ausgelöst wurden oder dort Terminengpässe entstehen.
Der Bedarfsunsicherheit wird im weiteren dadurch Rechnung getragen, daß ein Sicherheitsbestand gehalten wird. Die systemgestützte Materialdisposition und Programmplanung terminiert die Aufträge so, daß der planmäßige Lagerzugang erfolgt, wenn der disponierbare Bestand negativ würde.
Die Software ignoriert bei der Planung von Betriebsaufträgen etwaig vorhandene Sicherheitsbestände auch dann, wenn auf vorgelagerten Ebenen Terminengpässe entstehen.
Die Ausführungen machen deutlich, daß eine aktive Gestaltung der Informationsflüsse sich um organisatorische Maßnahmen bemühen sollte, die Bedarfsunsicherheit zum Zeitpunkt der Auftragsfreigabe des ersten dadurch ausgelösten Bestellauftrags zu reduzieren. Hier können die folgenden Ansätze diskutiert werden:
–Verbesserung der Nachfrageprognosen durch Einbezug zukunftsorientierter Informationen und durch Berücksichtigung von Bestandsinformationen auf den Absatzmärkten und in den Vertriebsgesellschaften,
–Disziplin des Vertriebs bei Zusage von Lieferterminen,
–Änderungen und Zusagen an Kunden erst nach Absprache mit Disposition und Einkauf,
–bessere Informationen über die Bestände im logistischen Kanal (beim Lieferanten und beim Abnehmer) und
–Belastung des Vertriebs mit Kosten infolge schlechter Prognosen.
Die Disposition hat in der strategischen Planung meist eine ausschließlich passive Rolle: Um Investitionsanträge und Personalanforderungen zu begründen, soll sie aufgrund produktspezifischer Prognosen der Absatzentwicklung arbeitsplatzspezifische Auswertungen vornehmen, um den langfristigen Kapazitätsbedarf zu ermitteln.
Die für die Disposition relevanten strategischen Rahmenbedingungen werden häufig ohne Einflußnahme ihrerseits durch Marketing/Vertrieb, Fertigung und Entwicklung/Konstruktion entschieden. Hier besteht die Gefahr, daß Entscheidungen über
ldie quantitative und qualitative Kapazitätsausstattung (Flexibilität und Engpässe),
ldie Anzahl der zu koordinierenden Fertigungsstufen,
ldie Anzahl zu planender Produktvarianten,
lWertzuwachs
aus der Sicht der entscheidenden Abteilung getroffen werden, ohne deren logistische Konsequenzen in ausreichender Weise zu berücksichtigen. Aufgabe der Disposition ist es, bei den Entscheidungsträgern Überzeugungsarbeit zu leisten und einerseits die logistischen Konsequenzen strategischer Entscheidungen offenzulegen und andererseits die strategische Lösung operativer Dispositionsaufgaben anzumahnen.
Ein weiteres Ergebnis der strategischen Planung sind strategische Zielvorgaben über
lBestände,
lLieferservice und
lKapazitätsauslastung.
Hier besteht die Gefahr, daß die Zielvorgaben nicht aufeinander abgestimmt sind und sich – zumindest bei den aktuellen Rahmenbedingungen – im Konflikt zueinander befinden.
Die Vernachlässigung von Konflikten bei der strategischen Zielvorgabe kann der Disposition erhebliche Probleme bei der Erfüllung der operativen Aufgaben bereiten. Als Beispiel sei die Vorgabe des Ziels „Reduzierung der Durchlaufzeiten“ für Identnummern, die Engpaßkapazitäten belegen, genannt:
Reduziert der Disponent die als Stammdaten hinterlegten Soll-Durchlaufzeiten, wird die Steuerung häufiger und in stärkerem Umfang mit dem bekannten Dilemma der Ablaufplanung konfrontiert. Da der Betriebsauftrag weniger Puffer in der Soll-Durchlaufzeit hat, darf er keine oder nur geringe Liegezeiten haben, um seinen geplanten Endtermin einzuhalten (Terminzuverlässigkeit).
In der Maschinenbelegungsplanung werden dadurch die Freiheitsgrade eingeschränkt, eine Auftragsreihenfolge zu wählen, bei der die rüst- und ablaufbedingten Stillstandszeiten der Arbeitsplätze möglichst gering sind (Kapazitätsauslastung). Die Maschinenbelegungsplanung muß sich ausschließlich am Kriterium „Einhaltung der Endtermine“ orientieren und muß Stillstandszeiten der Arbeitsplätze hinnehmen.
Die Verkürzung von Durchlaufzeiten bei Aufträgen muß demnach mit Kapazitätsverlust erkauft werden Dieser ist unproblematisch, wenn die Arbeitsplätze Überkapazität aufweisen. Stillstandszeiten der Arbeitsplätze gefährden jedoch die Termineinhaltung, wenn die betroffene Kapazitätseinheit einen Engpaß bildet.
Dieser Konflikt zwischen Stillstandszeiten der Arbeitsplätze und Liegezeiten der Aufträge tritt in starkem Maße dann auf,
lwenn die Rüstzeiten an den Arbeitsplätzen von der Auftragsreihenfolge abhängig sind und
lwenn die Belegungszeiten der Aufträge an den Arbeitsplätzen unterschiedlich lang sind.
Aufgabe der Disposition ist es, diese Zielbeziehungen offenzulegen und klare Vorgaben über Zielprioritäten einzufordern bzw. die notwendigen strategischen Rahmenbedingungen darzustellen, die für eine Zielerreichung erforderlich sind.
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