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Warum Restmagnetismus so riskant ist

Entmagnetisierung von Teilen
Warum Restmagnetismus so riskant ist

Magnetismus ist allgegegenwärtig und ein nützlicher Helfer in der Industrie. Nahezu spielend leicht scheint es, wenn Elektromagneten tonnenschwere Gegenstände anheben und Blasmagneten zerstörerische Lichtbögen in Schaltanlagen löschen. Doch auch der Magnetismus hat „zwei Gesichter“ und ist anderorts die Ursache schwerwiegender Schäden.

Die Entmagnetisierung von Bauteilen gehört bereits in vielen Fertigungsbetrieben zum Standardprozedere. Viele Werkstücke werden sogar mehrfach entmagnetisiert, bevor sie den Transport zum Abnehmer antreten. Und hier zeigt sich das eigentliche Problem: viele Teile enthalten noch Restmagnetismus und remagnetisieren sich während des Transports. Beim Abnehmer angekommen, weisen sie dann erneut Feldstärken auf, die für qualitätsbewusste Hersteller inakzeptabel sind.

Seit über einem Jahrzehnt beschäftigt sich der Schweizer Magnetspezialist Albert Maurer mit den Möglichkeiten, den Restmagnetismus verlässlich aus dem Material herauszubekommen. Da herkömmliche Verfahren mehrheitlich versteckten Restmagnetismus im Material zurücklassen, entwickelte er sein eigenes Entmagnetisierverfahren. Maurers Verfahren neutralisiert das ferromagnetische Material mit ähnlichem Resultat, wie ein geschmiedetes Teil, das keinem Magnetismus durch Magnetheber oder Ähnliches ausgesetzt war. Messungen und die Erfahrungen vieler Anwender zeigen, dass das Maurer-Verfahren ähnliche entmagnetisierende Phänomene zeigt, wie hohe Permeabilität und magnetischen Selbstheilungseffekt.
Unentwegt weist Albert Maurer auf den durch Restmagnetismus entstehenden, volkswirtschaftlichen Schaden hin: „Das tückische am Restmagnetismus ist, dass verbleibende hartmagnetische Stellen und verzerrte magnetische Domänen oftmals das gesamte Bauteil remagnetisieren. „Reicht schon“ ist inaktzeptabel, gründliches Entmagnetisieren wird zur Verpflichtung für jeden verantwortungsbewussten Produzenten.“ Anhand von vier Anwendungsfällen soll aufgezeigt werden, welche Risiken von magnetisierten Teilen ausgehen können.
Partikelanhaftung
Werner Spicker, Betriebsleiter der KraussMaffei Technologies, stellte immer wieder nach den Zerspanungsprozessen eine Remagnetisierung der Bauteile fest. Außerdem führten die hohen Ströme im Verchromungsprozess von Hydraulik-Säulen zu einem Anstieg der magnetischen Feldstärken von bis zu 30 A/cm. Das Anhaften von Metallpartikeln an den magnetischen Säulen würde bei fast 400 bar Systemdruck zur Zerstörung der Dichtungen und zum Ausfall der Maschine führen. Der Spritzgießmaschinenhersteller schaffte eine Entmagnetisieranlage von Maurer Magnetic an und entmagnetisiert grundsätzlich alle Säulen der CX-Baureihe vor Einbau in die Maschine. Das Verfahren ist so gründlich, dass es keine messbaren Werte hinterlässt. Spicker zufrieden: „Wir hatten zuvor immer wieder unerklärlichen Schließdruckabfall bei der Inbetriebnahme. Diese Fälle haben sich drastisch reduziert.“
Auch bei Getriebeketten, welche in stufenlosen Getrieben, beispielsweise von Herstellern wie Audi und Subaru, verbaut werden, sorgt Restmagnetismus und die daraus resultierende Remagnetisierung für inakzeptable Verhältnisse. Ist die Kette nicht gründlich entmagnetisiert, verfangen sich abgeriebene Metallpartikel zwischen den Wiegedruckstücken der Getriebeketten. Die fatale Folge: Die Ketten können deformiert und sogar zersprengt werden. An einer gründlichen Entmagnetisierung kommen die Hersteller also nicht vorbei, wollen sie langlebige und verlässliche Produkte herstellen.
Die oberflächliche Einhaltung
von Branchenvorgaben
Der Verband der Automobilindustrie, VDA, empfiehlt in seiner „Prüfung der Technischen Sauberkeit“ eine maximale magnetische Feldstärke von 2 A/cm als unkritischen Wert für medienberührende Komponenten. Das angeblich „entmagnetisierte“ Rohmaterial, das viele Hersteller kaufen, entpuppt sich aber als Zeitbombe, weil es nach dem Zerspanungsprozess wieder magnetisch ist. Auch ein Hersteller von Benzinpumpen musste feststellen, dass nach dem Honen wieder alles beim Alten war. Albert Maurer: „Herkömmliche Entmagnetisierverfahren schaffen nur eine Pseudosicherheit. Der Effekt ist oberflächlich, tief im Material verbleiben die gefährlichen Domänen mit Restmagnetismus.“
Fehlorientierung vorprogrammiert
Während Abflügen vom Landeplatz eines Hospitals in der Ostschweiz bemerkten die Helikopterpiloten merkwürdige Störungen im Navigationssystem. Das Navigationssystem musste in der Folge neu gestartet werden. Solche Zwischenfälle sind aus Sicherheitsgründen absolut unzumutbar.
Die Ursache für die enormen Missweisungen der Instrumente war der verwendete Armierungsstahl, er war magnetisch. Die Magnetisierung erfahren die Stahlstäbe im Stahlwerk durch das Handling mit starken Elektromagneten. Die Stahlarmierung des Landeplatzes bewirkte eine erhebliche Verzerrung des Erdmagnetfeldes in dessen Nahbereich. Eine sehr teure Karbonarmierung wäre eine Alternative gewesen. Die Entmagnetisierung der Armierung am fertigen Rohbau ist viel kostengünstiger und bei Anwendung des richtigen Verfahrens auch eine verlässliche Dauerlösung.
Störung sensibler Messeinrichtungen
Eine irische Mikrochipfabrik betreibt eine Rundtaktanlage für das Wafer Processing. Die Basis für das Bearbeitungs-Karussell sind drei große ineinander liegende Wälzlager mit bis zu drei Metern Durchmesser. Die Rundtaktanlage wird in einem Hoch-Reinraum zusammen mit sehr empfindlichen Messgeräten in unmittelbarer Nähe betrieben. Der Auftraggeber hatte auf einer gründlichen Entmagnetisierung aller Komponenten bestanden. Während dem Betrieb des Systems stellte sich jedoch heraus, dass zwei Elektronenstrahlmikroskope immer wieder erheblich gestört wurden. Die Ursache war Magnetismus im Wälzlager. Das magnetische Feld war so stark, dass die Mikroskope, trotz Fremdfeldkompensationen, derart gestört wurden, dass sie nicht mehr korrekt arbeiteten.

Joachim Tatje, Fachjournalist in Bruchsal
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