Was ist gute Führung? Lektionen aus dem Fußballstadion

Carlo Ancelotti legt ein Buch mit dem bezeichnenden Titel „Quiet Leadership – Wie man Menschen und Spiele gewinnt“ vor, das unterhaltsam und lehrreich Fußball mit Führung verbindet. Für ihn liegt in der Ruhe die Kraft. Der Erfolgscoach, der bei den besten Clubs der Welt arbeitete und gefeiert, aber auch gefeuert wurde, meint, dass eine Führungskraft nicht mit eiserner Faust regieren müsse, um Autorität zu behaupten. „Es ist wirkungsvoller, Macht und Einfluss indirekt auszuüben.“ Zuhören, Vertrauen aufbauen, Meinungen einholen, sich für Persönliches interessieren, empathisch sein, gelassen bleiben, Ruhe ausstrahlen – darauf komme es an. Die Methode Ancelotti kontrastiert damit stark mit dem Führungsstil anderer Top-Trainer wie etwa Diego Simeone oder José Mourinho, die alles andere als ruhig sind. Ancelotti weiß, dass für manche „Quiet Leadership“ wie Nachgiebigkeit oder gar Schwäche aussehen mag, aber genau das bedeutet es für ihn nicht.

Der sympathische italienische Coach hat ausgesprochenen Familiensinn und klare Wertvorstellungen. Für ihn steht fest, dass Spieler nur dann ihr Bestes geben, wenn sie sich wohlfühlen und dies in der „Familie“ des Clubs. Schwer zu führende Stars wie Zlatan Ibrahimovic oder Cristiano Ronaldo loben ihn dafür. Der Weltfußballer Ronaldo betont: „Carlo gibt einem das Gefühl, man werde Teil seiner Familie.“

Ancelotti sieht sich im positiven Sinne als Kümmerer. Er will erster Freund seiner Spieler sein. Daher schirmt er sie ab vor den Spontaneitäten egomanischer Clubpräsidenten. Ihm geht es darum, die Superstars stets als Menschen anzusprechen und zu Höchstleistungen zu führen. Auf dem Platz hält sich der „Divenflüsterer“ indessen nicht an feste Konzepte oder Ballspielideologien (z. B. Ballbesitz-Dogma); vielmehr ist er durch und durch Pragmatiker. Wichtig ist ihm, Führungsspieler und Wasserträger im Team zusammenzubinden. Ruhig bleibt er auch, wenn er sich über seine ehemaligen Chefs äußert: Er klagt nicht und klagt nicht an. Von seinem Engagement beim FC Bayern verspricht er sich, in einer professionell-familiären Atmosphäre erfolgreich arbeiten zu können.

Das Buch von Sir Alex Ferguson, der als Trainer von Manchester United (1986 bis 2013) 38 Titel gewann, weist Parallelen auf. Auch Sir Alex ist ein Familienmensch mit klaren Wertvorstellungen (harte Arbeit, Disziplin), der seine Führungsphilosophie in der wohl bewusst mit Leading und nicht mit Leadership betitelten Schrift darlegt. Das Buch ist eine systematisierte Ansammlung von Anekdoten mit bekannten Spielern. Sir Alex‘ Mantra lautet: „Meine Aufgabe war es, jedem begreifbar zu machen, dass das Unmögliche möglich ist.“ Darin sieht er völlig zu Recht den Unterschied zwischen Führen und Managen. Er hat sich selbst nie als Manager, wohl aber als An-Führer mit Obsession für den Titelgewinn gesehen. Das Buch mit seinen vielen Fußballreminiszenzen zeigt, dass seine Laufbahn vom Arbeiterkind in Glasgow zum Top Coach eine außergewöhnliche Mischung aus persönlichem Durchhaltevermögen, Willenskraft und Führungsqualität war. Diese Eigenschaften alleine reichten jedoch nicht für den Erfolg; sie waren ganz ähnlich wie bei Ancelotti gepaart mit menschlicher Wärme und Empathie für andere. Das Buch macht deutlich wie eine einzelne Person eine Organisation prägen kann. Dies gilt umso mehr, wenn sie sich ihren Erfolgshunger bewahren kann. Sir Alex würde dies wohl mit dem Begriff „Beständigkeit“ basierend auf Vorbereitung, Beharrlichkeit und Geduld umschreiben. Bei Entscheidungen verlässt er sich ähnlich wie erfolgreiche Firmengründer auf seine Augen, seine Ohren und seinen Instinkt.

Prof. Dr. Robert Fieten, fachlicher Berater der Beschaffung aktuell, Köln