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Wertstrom auf Knopfdruck

Industrie 4.0 – Bedeutung für Einkauf und SCM
Wertstrom auf Knopfdruck

Dass mit Industrie 4.0 ganz andere Anforderungen auf die Unternehmen und deren Zusammenspiel zukommen, ist allgemein unstrittig. Bisher standen dabei die Aspekte Daten und Vernetzung im Fokus. Doch gerade für den Mittelstand wird die durchgängige Steuerung der Supply Chain zu einer echten Herausforderung, wie eine Diskussionsrunde im Rahmen des 50. Symposiums Einkauf und Logistik in Berlin zeigt.

Industrie 4.0 zum plakativen Leitmotiv von Zukunftsforen zu machen, ist inzwischen geübte Praxis. Die Diskussion darüber hat nun ein Stadium erreicht, diesen Ansatz auf einzelne Managementdisziplinen herunterzubrechen und Chancen, aber auch mögliche Risiken, auf den operativen Ebenen auszuloten. Dabei ist gerade dort bislang noch keine wirklich konsistente Definition etabliert, die zur Basis für konkrete Handlungsempfehlungen werden könnte.

Allerdings hält Prof. Dr. Elmar Bräkling, Allg. BWL/Beschaffung und Logistik, Hochschule Konstanz, diesen begrifflichen „Nebel“ zum jetzigen Zeitpunkt für etwas „total Normales“. Auch in der Wissenschaft sei eine genaue Definition weiterhin „im Fluss“, bekannte der Hochschullehrer anlässlich einer Diskussionsrunde im Rahmen des 50. Symposiums Einkauf und Logistik Mitte November 2015 in Berlin.
Derzeit arbeitet die Deutsche Akademie der Wissenschaften an einer Definition. Nach seinen Worten besteht die Basis in der physischen Supply Chain. Im Zusammenhang mit Industrie 4.0 werde über diese Supply Chain quasi eine digitale Supply Chain gelegt. Dabei werden umfangreiche Datensätze über den gesamten Prozess hinweg über das Internet als Medium transportiert und in Clouds gespeichert. Gleichzeitig sind auch die benötigten Maschinen, Transportmittel und Logistikläger mit eigenen Informationen beteiligt. Zwischen den einzelnen Prozessbeteiligten entsteht eine umfangreiche Kommunikation, die u. a. vor- und nachgelagerte Stufen miteinander vernetzt und autonom steuert. Dazu wird allerdings eine durchgängige Datenkette benötigt.
Bis dato bestehen allerdings vor allem Dateninseln, zumeist in Form von ERP-Systemen. Bis zu einer Durchgängigkeit von Informationen und Wertschöpfung werde es allerdings „noch länger dauern, bis es wirklich Realität geworden ist“. Dann allerdings bestünden große Chancen, „an der Schraube Effizienz richtig zu drehen“. So könnten Einkäufer in ihrer bisherigen Rolle über Big Data auf Knopfdruck genaue Informationen über den Wertstrom ihrer Lieferanten erhalten. Damit könnte neben dem Material und der Technologie auch die Organisation der Supply Chain zum Steuerungs- und Effizienzhebel werden. An einen betriebsübergreifenden Standard glaubt allerdings auch Bräkling nicht: „Dazu spielen viel zu viele individuelle Interessen herein.“
Für die Ausbildung von Einkäufern und Logistikern sieht Bräkling künftig einen stärkeren Trend zu einer cross-funktionalen Ausrichtung. So dürften Wirtschaft und Technik bei Wirtschaftsingenieuren genauso stärker verschmelzen wie Beschaffung, Logistik und Wirtschaftsinformatik zu Operations Management.
In der Praxis vieler kleinerer und mittelgroßer Unternehmen wirken solche Vorstellungen allerdings noch sehr realitätsfern. Dabei ist der Austausch elektronischer Daten eine auch auf dieser Ebene seit Jahren bereits geübte Praxis. So werden beim mittelständischen Automobilzulieferer Mekra Lang, zu dessen Portfolio Spiegelsysteme und Kamerasysteme für Nutzfahrzeuge gehören, Forecasts und Abrufe der Kunden entsprechend im ERP-System verarbeitet, Bestandslisten erstellt und Bestellungen ausgelöst. Auch von den eigenen Lieferanten werden selbstverständlich Lieferavise auf elektronischem Weg erwartet. Während die größeren Unternehmen hier mitziehen, beklagen die kleineren Lieferanten den damit verbundenen Aufwand, vor allem für die zusätzliche Man Power, berichtete Okko Goldhammer, Geschäftsbereichsleiter Logistik & Material Services, Mekra Lang GmbH & Co. KG. Die anfallenden Kosten werden zum Verhandlungsgegenstand.
In anderen Fällen beteiligen sich Lieferanten zwar am EDI-Prozess, doch sehen die ausgedruckten Lieferscheine anders aus als die übermittelten Daten. Das Problem: Der eigene Zulieferer verfügt über kein EDV-System und schickt die Daten per Excel an die Zentrale, die diese manuell und damit fehleranfällig einspielt und übermittelt. Auch auf der anderen Seite bestehen Probleme: An den Kunden werden Avise über die anstehenden Lieferungen geschickt, was gängige Praxis sein sollte. Allerdings möchte der Kunde die Daten in ein Webportal integriert haben. Die bereits elektronisch versendeten Daten müssen also wieder manuell in das Portal eingetippt werden. „Für uns sind die elektronischen Daten in vielen Bereichen sinnvoll, aber sie bedeuten auch Arbeit“, konstatiert Goldhammer. Die Herausforderung bestehe demnach darin, „einheitliche Schnittstellen zu schaffen, um die Daten von A nach B zu übergeben“. Solange kein wirklicher Mehrwert absehbar wäre, hätten die Systeme Priorität, die heute bestehen.
Dass sich „die Logistik auf das Thema Digitalisierung stürzt“, ist für Dirk Petzold, Head of Logistics, Maintenance & Facility Management, MAN Diesel & Turbo SE, wenig überraschend. Dabei sei die inhärente Aufgabe der Reduzierung von Medienbrüchen nichts wirklich Neues. Dabei präge die Stärke eines Unternehmens in der Kette die Praxis auch stärker als andere Aspekte wie beispielsweise der Internationalisierungsgrad der Kette. „Das Spannende für die Industrie und Logistik 4.0 sind daher solche Branchen, wo wir Medienbrüche haben.“ Neu sei heute, dass überhaupt Anwendungen „für alle zur Verfügung stehen“, ohne dass hohe Summen in teure Projekte investiert werden müssen. Auch die Optionen, Daten differenzierter als bisher zu teilen, also zum Beispiel erwartete Aufträge an eigene Lieferanten zu übermitteln, haben sich deutlich erweitert. Darin liege, so Petzold, „eine große Chance“, die nicht verpasst werden sollte.
Die vielfältigen Möglichkeiten, Daten zu sammeln, führen allerdings zwangsläufig zu der Frage, wie mit diesem Potenzial sinnvoll umzugehen ist, ohne Unruhe in die Organisation zu tragen: „Was für einen Logistiker noch kein Problem sein kann, kann einen Projektmanager durchaus vor ein gefühltes Problem stellen.“ Insgesamt könne die Logistik als Querschnittfunktion durchaus eine Vorreiterrolle für Industrie 4.0 spielen, allerdings seien auch hier noch viele Hausaufgaben in der eigenen Organisation zu machen.
Als ein evolutionärer Prozess stellt sich die Industrie 4.0 für Christan Satzek, Head of Strategic Procurement bei der Stabilus GmbH, dar. Für den marktführenden Hersteller von Gasfedern und Dämpfern gehe es nach etablierter ERP-Anbindung jetzt um die „nächsten Steps“. Dabei erscheine Industrie 4.0 nicht mehr als ein „Schnittstellenmanagement, eine Verschlankung von Prozessen und eine Optimierung der kompletten Lieferkette“. Aus strategischer Perspektive gehe es um die Frage der internen und externen Anbindung als Schnittstelle zwischen der eigenen Produktion, Endkunden und Lieferanten. Es gehe also um die Einbindung in bestehende Systeme: „Es gibt nicht wirklich den Weg, wie digitalisieren wir uns.“ Vielmehr müsse jedes Unternehmen seinen Weg finden und die Bedarfe ableiten. Der große Vorteil liegt laut Satzek darin, viel näher und ohne Time-lag zu Asien und Amerika an den Informationen zu sein und den Einkauf über Plattformen viel schneller gestalten, neue Lieferanten finden und eine neue Supply Chain aufbauen zu können. Damit verbindet sich aber für den Manager ein Rollenwandel für den künftigen Einkäufer und Logistiker: „Wir werden 2020, 2025 ganz andere Funktionen haben. Die Aufgaben werden sich ineinander zu Plattform-, System- und Netzwerkmanagern verschieben, die die komplette Supply Chain selbst steuern können“.
Eine künftige Herausforderung für Unternehmen wie Mekra Lang und Stabilus dürfte vor allem darin liegen, auch die eigenen Lieferanten bzw. die gesamte Lieferantenkette zu digitalisieren. Bisher sei alles andere als klar, wie gemeinsame Plattformen in diesem Kontext aussehen könnten, betonte Goldhammer. Laut Christian Satzek kann ohnehin nicht in einem Schritt digitalisiert werden. Vielmehr sollten Cluster gebildet werden, in denen Bedarfe entsprechend priorisiert werden.
Das künftige Plattform- und Schnittstellenmanagement dürfte auch in Zeiten zunehmend digitalisierter Beschaffungs- und Supply-Chain-Prozesse eher zusätzliches Personal mit den entsprechenden Qualifikationen erfordern. Allerdings werde es gerade auch im Beschaffungswesen künftig wichtig bleiben, weiter vor Ort zu bleiben: „Wir werden im Lieferantenmanagement nicht in einer digitalisierten Scheinwelt leben, ohne Verknüpfung zum Lieferanten“, so Satzek. Auch aus der Sicht des Hochschullehrers Bräkling lassen sich die „Peoples-Business“-Funktionen des Einkäufers und Logistikers nicht vollständig digitalisieren. Deren Rolle werde sich verändern, aber nicht verschwinden.
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