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Wie verhandeln Einkaufsprofis?

Einsatz von verhandlungstheoretischen Konzepten in Verhandlungen mit Lieferanten
Wie verhandeln Einkaufsprofis?

Wie verhandeln Einkaufsprofis?
(Foto: McKinsey)
Regelmäßige Lieferantenverhandlungen sind ein Kernbestandteil des Aufgabenspektrums jedes Einkäufers. Obwohl die Verhandlungsergebnisse den Einkaufserfolg maßgeblich beeinflussen, gibt es wenig Untersuchungen über erfolgreiche Verhandlungsstrategien im Einkauf. Der folgende Beitrag beschreibt die Ergebnisse einer breit angelegten Online-Befragung, bei der Führungskräfte aus dem betrieblichen Einkauf von 69 Unternehmen Verhandlungsstrategien und -taktiken aus Sicht des Einkaufs bewertet haben.

Dr. Tilman Eichstädt, Senior Associate bei McKinsey & Company, Spezialist für Verhandlungen und Auktionen im Beschaffungsmanagement Dr. Nicolas Reinecke, Expert Principal bei McKinsey & Company und Leiter der globalen Purchasing and Supply Management Practice

Der bekannteste Ratgeber zu Verhandlungsstrategien ist sicherlich das Harvard-Konzept der sachgerechten Verhandlungen, das im Standardwerk „Getting to Yes“ von Roger Fisher, William Ury und Bruce Patton erstmals umfassend beschrieben wurde. Der Grundgedanke des Ansatzes „Hart in der Sache, aber weich gegenüber den Menschen“ spiegelt sich in den zentralen Handlungsempfehlungen der Harvard-Forscher wider.
Verhandlungen sind auch ein fester Bestandteil der spieltheoretischen Forschung, die auf der Annahme basiert, dass sich Akteure in Verhandlungen strikt rational verhalten. Ausgehend von den Forschungsarbeiten der Nobelpreisträger John Nash und Tom Schilling gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Untersuchungen zu Verhandlungsstrategien. Zentrales Element der modernen spieltheoretischen Analyse von Verhandlungen ist dabei häufig die Verteilung von Informationen zwischen den Verhandlungsparteien.
Im Gegensatz zur rational orientierten spieltheoretischen Verhandlungsanalyse konzentriert sich die sozialpsychologische Verhandlungstheorie auf psychologische und verhaltensbasierte Einflussfaktoren. So wird zum Beispiel aufgezeigt, welche Persönlichkeitstypen bestimmte Verhandlungsstile bevorzugen und welche psychologischen Fehler immer wieder vor und in Verhandlungen gemacht werden.
Daneben gibt es noch die strukturelle und die prozessorientierte Verhandlungstheorie. Bei der strukturellen Verhandlungstheorie wird untersucht, wodurch Verhandlungsmacht entsteht und wie diese in Verhandlungen genutzt wird. Ein wichtiger Aspekt dieser Forschungsrichtung ist die Berücksichtigung der BATNAs, der Best Alternatives to no Agreements, also der Alternativen für beide Verhandlungsparteien, da diese den Verhandlungsspielraum beider Parteien eingrenzen. Die prozessorientierte Verhandlungstheorie untersucht, welche Rolle die einzelnen Schritte bei einer Verhandlung im Sinne von Vorbereitung, Eröffnung, Hauptverhandlung, Abschluss etc. spielen und welches die wichtigsten Gestaltungshebel innerhalb dieser Prozessschritte sind.
Grundsätzlich zeigt sich, dass keines der verhandlungstheoretischen Konzepte insgesamt am wichtigsten oder grundsätzlich wenig wichtig für den Einkauf ist – vielmehr müssen Verhandlungen ganzheitlich betrachtet werden. Das bedeutet, dass man unterschiedliche Aspekte einer Verhandlung berücksichtigen muss und sich nicht auf ein einzelnes Theoriegebäude verlassen darf, da alle eine gewisse Rolle bei einer Einkaufsverhandlung spielen.
Acht zentrale Punkte
Prinzipiell beurteilten die Befragten keine einzige der ihnen vorgelegten 21 Empfehlungen nur als unwichtig bis wenig wichtig. Acht der Empfehlungen wurden als ziemlich bis sehr wichtig beurteilt, während die übrigen Empfehlungen nur als allgemein wichtig oder sogar als weniger wichtig bewertet wurden.
Die erste Empfehlung zur Vermeidung persönlicher Konflikte orientiert sich stark am Harvard-Verhandlungskonzept. Diese Strategie erhielt insgesamt die höchste Bewertung. Unabhängig von dieser einzelnen Empfehlung beziehen sich alle übrigen der als ziemlich bis sehr wichtig bewerteten Empfehlungen auf Praktiken, die nur mit einer fundierten Vorbereitung umsetzbar sind. Die Vorbereitung rückt damit in den Vordergrund einer jeden Verhandlungsstrategie für Einkäufer, und Einkaufsmanager sollten vor wichtigen Verhandlungen stets kritisch prüfen, ob die elementaren Bausteine einer umfassenden Verhandlungsvorbereitung in hinreichender Qualität erarbeitet wurden. Nur durch eine effektive Vorbereitung kann sichergestellt werden, dass die Einkäufer das maximal Mögliche an Forderungen in der Verhandlung durchsetzen können. Auf Basis der oben genannten Untersuchungsergebnisse lassen sich für eine effektive Verhandlungsvorbereitung drei Bausteine entwickeln:
  • Formale Vorbereitung der Inhalte
  • Umfassende Beschreibung des Lösungsraums
  • Psychologische Planung des Vorgehens.
Formale Vorbereitung der Inhalte
Die dritte als sehr wichtig beurteilte Empfehlung beschreibt den Kern einer jeden Verhandlungsvorbereitung: die Abschätzung der Interessen und Positionen beider Parteien. Zu Beginn jeder Verhandlungsvorbereitung muss bedacht werden, welche Verhandlungsaspekte für die eigene Seite im Vordergrund stehen (z.B. Preis, Qualität und Liefertreue für den Einkäufer) und welche für die andere Seite am wichtigsten sind (z.B. Preis, Lieferfrist und Verpackung für den Lieferanten). Dabei muss auch abgewogen werden, bei welchen Aspekten man selbst bereit ist, Kompromisse einzugehen und bei welchen kein oder kaum Handlungsspielraum besteht. Gleichzeitig muss eingeschätzt werden, welche Konzessionen seitens des Lieferanten einfach umzusetzen sind und welche für ihn eine substanzielle Belastung darstellen.
Wie in Empfehlung 8 dargestellt, muss zusätzlich abgeschätzt werden, wie weit man selbst gehen will und wie weit die andere Seite gehen wird. Dies ermöglicht die Analyse der möglichen Alternativen für beide Seiten, der BATNAs. Voraussetzung dafür ist aber eine gute Kenntnis des Lieferanten und seiner gegenwärtigen Marktsituation. Wenn der Einkäufer nicht weiß, wie die Auftragslage beim Lieferanten ist, wird er kaum in der Lage sein, dessen Alternativen zu einem Verhandlungsabbruch einzuschätzen. Um die eigene Verhandlungsmacht zu stärken, ist es wichtig, selbst möglichst viele und gute Alternativen zur Verhandlungslösung zu besitzen.
Hier kommt die zweite Empfehlung ins Spiel – nur wer konkurrierende Lieferanten oder alternative Optionen hinreichend berücksichtigt, hat überhaupt eine Chance, seine eigenen Interessen in der Verhandlung durchzusetzen. Wenn der Lieferant ahnt, dass der Einkäufer keine wirklichen Alternativen hat, kann er in der Regel alle seine Forderungen durchsetzen. In der betrieblichen Praxis, wo die Lieferanten häufig enge Beziehungen zur Produktion oder zur Entwicklung pflegen, wissen sie meist sehr genau, ob realistische Alternativen zu ihrem Angebot bestehen oder sie eine Monopolstellung innehaben.
Umfassende Beschreibung des Lösungsraums
Zusätzlich zur formalen Vorbereitung der Verhandlungsinhalte muss auch im Vorfeld schon ausgelotet werden, wie der Lösungsraum für die spätere Verhandlung aussehen wird. Dabei spielen erstens die Entscheidungskriterien und zweitens die Größe und Eingrenzung des Lösungsraums eine zentrale Rolle. Wie in der fünften Empfehlung dargestellt, muss bereits vorab entschieden werden, woran sich eine für beide Seiten akzeptable Verhandlungslösung messen lassen sollte. Für den Preis wird hierbei entweder auf externe Preisbenchmarks zurückgegriffen oder auf umfassende Kostenanalysen, die aufzeigen, welches ein angemessener Preis für den spezifischen Lieferumfang ist. Im Einkauf gut aufgestellte Unternehmen beschäftigen daher heute spezialisierte Kostenplaner, die detaillierte Kalkulationen zu den Entwicklungs-, Material- und Produktionskosten der Beschaffungsumfänge erstellen. Auf Basis dieser Kalkulationen kann dann in der Verhandlung ein fairer Preis festgelegt werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass alle Beteiligten bereit sind, gemeinsam und offen über interne Kostenkalkulationen der Lieferanten oder auch der Einkäufer zu diskutieren.
Neben der Festlegung der Entscheidungskriterien spielt die Eingrenzung des Lösungsraums eine weitere zentrale Rolle. Wie in der sechsten Empfehlung festgehalten, ist es hierbei hilfreich, auch weitere Lösungsalternativen zu berücksichtigen. Um während der Verhandlung keine Fehler zu begehen, müssen solche Alternativszenarien bereits vorab geplant und bewertet sowie häufig mit weiteren Entscheidungsträgern im eigenen Unternehmen abgestimmt werden. Mögliche Alternativszenarien im Einkauf sind typischerweise Vorabbezahlungen, Direktbezahlungen bestimmter Fixkosten wie Werkzeug- und Entwicklungskosten, alternative Logistikkonzepte oder auch Leasingmöglichkeiten. Solche Alternativen sind immer dann sinnvoll, wenn es bei der Verhandlung über strittige Punkte (wie z. B. den Preis) zu einer Blockadesituation kommt und die Verhandlung stockt.
Psychologische Planung des Vorgehens
Wenn die wesentlichen Inhalte geklärt und der Lösungsraum beschrieben ist, bleibt als Letztes zu klären, wie und mit wem man verhandeln wird. Die sozialpsychologische Verhandlungsforschung zeigt, dass es verschiedene Typen von Menschen gibt und dass diese unterschiedlich verhandeln. Vor diesem Hintergrund spielt die siebte Empfehlung eine wichtige Rolle – es muss vorab berücksichtigt werden, was die andere Verhandlungspartei persönlich ausmacht und wie ihr Verhandlungsstil ist. Bestimmte Personen lassen sich in der Regel nur durch logische Argumente von einer Verhandlungsposition überzeugen, während andere Typen eher auf emotionale Argumente wie den Hinweis auf die lange und gute geschäftliche und persönliche Beziehung reagieren. Einige Verhandlungspartner blockieren sofort alles, wenn Druck auf sie ausgeübt wird, und andere sind nur durch Druck zu Konzessionen zu bewegen. Hier spielt wieder die genaue Kenntnis der Lieferanten eine wichtige Rolle: Je besser man die Persönlichkeit auf der anderen Seite kennt, desto eher lässt sich die eigene Position durchsetzen.
Eng verzahnt mit der Kenntnis der Persönlichkeit ist der gezielte Einsatz von Sprache und Kommunikation. Wie in der vierten Empfehlung dargestellt, ist es bei Einkaufsverhandlungen besonders wichtig, bewusst mit Kommunikationstechniken zu arbeiten. Aktives Zuhören, Fragetechniken und Überzeugungsstrategien sollten daher erstens grundsätzlich geübt und zweitens vor dem spezifischen Verhandlungskontext genau geplant werden: Wie kann ich durch Zuhören meine Offenheit für die Positionen der Gegenseite signalisieren? Mit welchen Fragen lassen sich die Verhandlungsziele der anderen Seite offenlegen? Mit welchen Argumentationssträngen kann ich die andere Seite überzeugen und ihre Argumente aushebeln?

Die 8 wichtigsten Empfehlungen

Verhandlungsstrategien

  • 1. In erfolgreichen Verhandlungen sollte vermieden werden, dass aus inhaltlichen Gegensätzen persönliche Angriffe oder Konflikte entstehen.
  • 2. Die Konzeption erfolgreicher Verhandlungen sollte stets konkurrierende Lieferanten oder alternative Optionen berücksichtigen.
  • 3. In intensiven Vorbereitungen sollten die Interessen und Positionen beider Verhandlungsparteien abgeschätzt werden.
  • 4. Die Verhandlungsteilnehmer sollten Kommunikationstechniken (z.B. offene/geschlossene Fragen, aktives Zuhören) bewusst nutzen.
  • 5. Objektive Bewertungsstandards wie z.B. Preisbenchmarks oder Kostenanalysen erleichtern die Verhandlung strittiger Punkte.
  • 6. Neue, alternative Lösungsoptionen, die während einer Verhandlung aufgezeigt werden, können zu besseren Verhandlungsergebnissen führen.
  • 7. Bei erfolgreichen Verhandlungen sollten die Persönlichkeitsmerkmale der Gegenseite (z.B. Extrovertiertheit, Intelligenz, Reizbarkeit etc.) berücksichtigt werden.
  • 8. Für den Fall, dass keine Verhandlungslösung zustande kommt, sollten die bestmöglichen Alternativen (BATNAs) für beide Verhandlungsparteien schon im Vorfeld abgeschätzt werden.
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