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Wissen als Machtfaktor?

Chancen und Risiken der Informationsgesellschaft
Wissen als Machtfaktor?

Wohl kaum eine Technologie hat jemals so große Hoffnungen und gleichzeitig so viel Angst ausgelöst wie die Informationstechnik. Das Internet, „Symbol“ der viel zitierten Informationsgesellschaft und Produkt hochentwickelter Technologie für interaktive Kommunikation, ist Projektionsfläche für Ängste, Wünsche und Visionen. Die Wirtschaft hofft auf riesige Profite, die Politik ist überfordert, und die derzeit mehr als 30 Millionen Internet-Nutzer weltweit stehen im Kontrast zu jenen, die die Vereinsamung der Menschen als den größten Nachteil fürchten.

Es ist schon eine faszinierende Vorstellung, mit dem Internet in eine Computerwelt eintreten zu können und weltweit, unabhängig von Ort und Zeit, mit Menschen zu kommunizieren, denen man im richtigen Leben wahrscheinlich nie begegnen würde. Für Propheten, Computerfreaks und Medienmanager ist diese Welt das Land der Zukunft. „Der wohl wichtigste Aspekt der kommenden Informationsgesellschaft ist die Globalisierung. Während Europa weiter zusammenwächst und sich die Freihandelszone in Amerika vergrößert, durchstreifen Anwender in globalen Netzen längst die ganze Welt“ (Bill Gates). Das Internet wird, wenn die Prognosen stimmen, bald jeden Aspekt des menschlichen Lebens verändern; Politik und Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft. Wohin uns diese Veränderungen bringen, ist allerdings unklar. Und die einfache Frage, ob diese Technologie nun nützlich oder schädlich sei, kann so unmöglich beantwortet werden.

Information – Rohstoff der Zukunft
Die heutigen Nutzer der globalen Informations-Highways tauschen E-Mails aus, rufen Informationen ab, beteiligen sich an Online-Diskussionen oder machen wissenschaftliche Erkenntnisse weltweit verfügbar. Die Daten, die tagtäglich per Telekommunikation um den Globus geschickt werden, übertreffen schon jetzt an Menge das Wissen, das dem Menschen im 19. Jahrhundert zur Verfügung stand. Überhaupt hat sich Wissen noch nie so schnell vermehrt wie heute. Tagtäglich erscheinen weltweit ca. 20.000 wissenschaftliche Arbeiten.
Aber die Tatsache, daß wir jederzeit über alle Informationen der Welt verfügen können, bedeutet nicht, daß wir „wissend“ sind. „Die kulturelle Leistung besteht darin, die richtigen Informationen zu finden und sie sinnvoll zu vernetzen. Informationen sind Rohstoffe für eine wissensbasierte Gesellschaft und Wirtschaft.“ (Dr. Jürgen Rüttgers) Nach Rüttgers ist der zentrale Wert der Informationsgesellschaft nicht Information, sondern Wissen. Und während man in vielen Bereichen dazu übergeht, Transparenz zu gewinnen und weiterzugeben, bekommt hier der Satz, Wissen ist Macht, wieder seine volle Bedeutung.
Von Informationsgesellschaft und Informationsüberflutung sprachen die Sozialwissenschaftler bereits in den siebziger Jahren. Und die Frage, ob sich der Mensch ob der Angebotsfülle in Zukunft „zu Tode“ konsumiert und informiert, hat heute mehr denn je Berechtigung. Wer sich zurechtfinden will, braucht Medienkompetenz.
Das Internet ist ein globales, dezentrales Netzwerk lokaler Netzwerke. Nach einheitlichen Standards konzipiert, kann es potentiell eine immense Anzahl von Nutzern erreichen. Cyberspace oder Information Super Highway sind Begriffe für eine weltumspannende Informations- und Kommunikationsstruktur, die viele Chancen, aber auch Risiken birgt. Man kann davon ausgehen, daß das Internet ebensowenig auf strukturelle Expansionsgrenzen stoßen wird, wie das Telefon.
Utopisten zeichnen denn auch die Vision einer gerechteren Gesellschaft, in der dank Internet direkte Demokratie durch die mögliche Partizipation jedes einzelnen am Entscheidungsprozeß realisierbar wird. Schließlich ermöglicht das neue Medium im Unterschied zu den herkömmlichen nicht nur die einseitige, vertikale Kommunikation, sondern Interaktion in beide Richtungen; sowohl Individual- als auch Massenkommunikation).
Man hofft auf den emanzipierten Mediennutzer, der sich nicht länger mit dem Konsum von Magazinen und TV-Sendern zufrieden gibt, sondern seine eigenen Gedanken einbringt. Diese Vision setzt allerdings die Grundversorgung der Bevölkerung in puncto Bildung voraus und verlangt nach breitem Training im praktischen Umgang mit den neuen Kommunikationsmedien. Und wenn man bedenkt, daß einer Emnid-Umfrage zufolge nicht einmal die Hälfte der Bundesbürger weiß, was das Internet ist, so ist das sicherlich ferne Zukunftsmusik.
Für die Wirtschaft ermöglicht das Medium den schnellen Austausch von Daten und Produkten zwischen weltweit verteilten Konzern-Vertretungen und Partnern. Videokonferenzen gehören bei vielen bereits zum täglichen Geschäft. Betriebliche Prozesse, ja ganze Unternehmen finden mehr und mehr auf Datennetzen statt. Multimedia, die Verbindung von Unterhaltungselektronik, Telekommunikation und Computertechnik, bekommt eine neue Dimension.
Firmen wie Deutsche Bank und Lufthansa gründen elektronische Filialen; jeder kann sich informieren über Reiseangebote und Kurverwaltungen, über den Bundestag und das Weiße Haus. Weiterbildungsprogramme und Aufbaustudien werden via Internet angeboten.
Die Vorstellung, mit seinem Powerbook am Strand unter Palmen Arbeit zu erledigen, ist die angenehme Seite einer Medaille. Die andere Seite sind laxere Arbeitsschutzgesetze und niedrige Löhne, die verlocken, per Telekommunikation in Ländern der Dritten Welt arbeiten zu lassen. Das lange vorherrschende Qualifikationsgefälle zwischen den Industriestaaten und den armen Ländern dieser Erde scheint sich aufzulösen.
Durch Telearbeit, Online-Shopping – das Internet als Einkaufsnetz – und Outsourcing sollen weltweit Tausende neuer Arbeitsplätze entstehen. Die Schätzungen für den europäischen Raum schwanken zwischen fünf und zehn Millionen, allein in Deutschland wird das Potential auf 800.000 geschätzt. Verläßliche Prognosen gibt es nicht, die Rationalisierungsfolgen werden häufig übersehen. Dennoch, 60% unseres Bruttosozialproduktes fließen heute bereits in den kommunikativen Aufwand.
Daten-Chaos und Sicherheitsprobleme
Wer direkt im Internet Wissen abrufen will und bestimmte Informationen sucht, ertrinkt in einer Flut von Informationen. Damit man sich im Datenchaos überhaupt zurechtfinden kann, bieten zahlreiche Suchservices ihre Dienste an. Denn in freien Katalogen und Archiven findet sich der Laie unmöglich zurecht, sogenannte Automatikarchive antworten bei Anfrage mit einem abschreckenden Infoschwall. So schlägt die Suchmaschine „Alta Vista“ z.B. auf die Frage nach Filminformationen mit 400 000 Einträgen zurück. Anders als das Internet selbst sind Online-Dienste mit Zugang zum Internet hierarchisch geordnet, die Inhalte systematisch gegliedert. Für die Kunden sind eigene Angebote der Dienste, wie Datenbanken, Nachrichtenagenturen oder Telebanking nutzbar.
Ein gravierendes Problem ist die mangelnde Datensicherheit aller Netze. Die wirtschaftlichen Potentiale können erst dann richtig genutzt und ausgeschöpft werden, wenn sich auch ein sicherer Zahlungsverkehr etablieren läßt. „Wer heute seine Kreditkartennummer zum Einkaufen im Internet nutzt, läuft Gefahr, daß sie in falsche Hände gerät“, (Dr. Fredy Weling). Als wichtigste Problembereiche werden von Weling der Schutz des geistigen Eigentums, die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für Inhalte, auch in Hinblick auf den Jugendschutz, und die Haftung der Dienste-Anbieter genannt.
Nationale Regelungen allein seien hier unbrauchbar. Es müßten vielmehr internationale Regelungen gefunden werden, die eine effektive Kontrolle an den Auf- und Abfahrten zur Info-Datenbahn ermöglichen. Es gelte, „Rahmenbedingungen zu schaffen: Damit Telearbeiter sozial abgesichert werden. Damit man beim Teleshopping keinen Telebetrügern aufsitzt. Damit persönliche Daten nicht in falsche Hände geraten. Damit Jugendliche im Netz nicht an Pornographie und Gewaltdarstellungen gelangen. Damit die neuen Informationswelten schließlich von mündigen Bürgern bewohnt werden“, (Dr. Fredy Weling).
Das Internet, aus dem für militärische Zwecke entwickelten amerikanischen Arpa-Datennetz entstanden, begann nach seiner Öffnung für Normalsterbliche anarchisch, unkontrolliert und ohne Plan zu wachsen – und es wächst täglich weiter.
Eine Betrachtung und Bewertung des Netzes beschränkt sich jedoch gewöhnlich auf die zu erwartenden Effekte auf Markt und Staat, also auf seine Potentiale als Instrument betrieblicher und volkswirtschaftlicher Rationalisierung, als Mittel politischen Einflusses und bürokratischer Verschlankung. Ein dritter Bereich, der das Netz bis heute wesentlich beeinflußt hat, bleibt außen vor, nämlich die Internet-Nutzer selbst, die sich das Netz zu privaten und öffentlichen Zwecken eingerichtet haben. Dieser Bereich trägt aber, dem gesellschaftlichen Verständnis des jeweiligen Staates entsprechend, wesentlich zur sozialen Reproduktion bei und darf nicht vernachlässigt werden.
Beim Verteilungskampf um die Kommunikationsmittel lassen sich unterschiedliche Positionen ausmachen: Diejenigen, die jegliche Staatseinmischung in die freie Entwicklung des Netzes ablehnen, auf den Wettbewerb kleiner Unternehmen setzen, auf die Innovationskraft der Netzbenutzer hoffen und ein Höchstmaß an Meinungsfreiheit erwarten.
Die maßgeblich beteiligten Konzerne der Telekommunikationsbranche streben hingegen starke Oligopole an; erlaubt, gewünscht und gefordert sind allenfalls staatliche Subventionen und Konsum-Anreize für die kommerzielle Nutzung. Wiederum andere bestreiten zwar nicht die Führungsrolle gewinnorientierter Investoren, wollen aber sichergehen, daß vom Markt vernachlässigte Nutzergruppen berücksichtigt und öffentliche Interessen gewahrt werden. Sie erwarten unter anderem die Freihaltung nichtkommerzieller Internet-Segmente.
In Europa wird häufig eine vom Staat eingerichtete und öffentlich kontrollierte Informations-Infrastruktur gefordert. Denn von dem Einfluß der Informationstechnologien werde alle Kulturen der Erde berührt; der Staat habe Vorsorge dafür zu treffen, daß die nationalen Interessen, die von den neuen Technologien berührt werden, nicht verwundbar sind. Das erfordere nicht mehr Staat, aber „in welcher Gesellschaft wir künftig leben wollen, ist zu allererst eine geistige und eine politische Frage… Um sie muß gerungen, nach den besten Zielen des künftigen Zusammenlebens muß gesucht werden“, (Prof. Dr. L. Kühnhardt).
Die Tendenz geht dahin, daß das Netz sich vor allem als Marktplatz etabliert und die Chancen der horizontalen Zweiweg-Kommunikation unterentwickelt bleiben. Dabei muß jetzt über gemeinsame, mögliche Ziele nachgedacht werden. Spätere Korrekturen sind schwierig, einer Kontrolle scheint sich das Netz schon längst zu entziehen. Das Internet ist „trotz aller Monopolbildung und Kontrollversuche letztlich nicht zentral steuerbar.“ Es ist „ein auto-evolutionäres System“, (Prof. Dr. C. Leggewie).
Eine echte Herausforderung
Die rasante Entwicklung der Kommunikationstechnologie ist so wenig aufzuhalten, wie man die Uhr zurückdrehen kann. Sie wirft technologische Fragen auf, wie Kapazität und Geschwindigkeit der verschiedenen Netze, die Entwicklung benutzerfreundlicher Schnittstellen von Mensch und Computer oder die Gewährleistung von Vertraulichkeit und Datenschutz. Außerdem ethische Fragen wie der diskrete und geschützte Umgang der Kommunikationspartner in anonymen Netzen, die Prävention extremistischer Propaganda und pornographischer Inhalte. Soziale Probleme sind zu klären, wie die Entwicklung dezentraler Telearbeitsplätze mit den entsprechenden Rationalisierungsfolgen, die Auswirkungen auf Konsum- und Freizeitverhalten, die Verschärfung der sozialen Trennlinie zwischen „Wissensbesitzern“ und „Habenichtsen“.
Der verantwortungsvolle Umgang und die Entwicklung von Medienkompetenz ist vielleicht zu erreichen, wenn die Technologie bereits in den Schulen einzug hält. Pädagogische Konzepte müssen entwickelt werden, damit Kinder und Jugendliche den Umgang mit den neuen Medien möglichst früh lernen. Das Projekt der Bundesregierung „Schulen ans Netz“ ist ein Anfang.
Der Weg zur Informationsgesellschaft birgt Chancen und Risiken. Er ist eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Eine optimistische Sicht ist dabei sicherlich hilfreicher, als pessimistische Verteufelung. Und wer mag mit dem Rückblick auf revolutionäre Neuerungen heute zuverlässige Prognosen für morgen stellen? Schließlich fürchtete man sich im 18. Jahrhundert vor der Lesesucht, heute wird bedauert, daß Menschen so wenig lesen. Mit Einzug des Telefons wurde vor der Vereinsamung der Menschen gewarnt, heute ist es ein unverzichtbares Kommunikationsmittel. n
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