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Zehn Erfolgsfaktoren moderner Einkaufsorganisationen

Internationales Benchmarking-Projekt, Teil II
Zehn Erfolgsfaktoren moderner Einkaufsorganisationen

Die Maßnahmen erfolgreicher Einkaufsorganisationen hat sich das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT im Rahmen seines diesjährigen Konsortial-Benchmarkings im Einkauf angenommen und besonders erfolgreiche Einkaufsabteilungen sowie deren Vorgehensweisen und Methoden analysiert. In der Juni-Ausgabe von Beschaffung aktuell stellten die Verantwortlichen vom Fraunhofer Institut bereits die ersten fünf Erfolgsfaktoren vor.

Prof. Dr.-Ing Dipl.-Wirt.Ing. Günther Schuh Dipl.-Wirt.Ing. Christoph Haag Dipl.-Ing. Henning Möller

Durch die Verlagerung des technologischen Know-hows auf den Zulieferer erhöht sich die Abhängigkeit des Unternehmens von den Lieferanten. Der Erfolg eines Unternehmens ist damit in zunehmendem Maße von den Fähigkeiten der Zulieferer abhängig. Durch diesen Wandel hat sich die Komplexität der beschafften Güter drastisch erhöht. In der Folge sind auf den Beschaffungsmärkten die Produktinformationen zwischen Einkäufer und Lieferant im Allgemeinen sehr ungleich verteilt. Während ein Lieferant die Qualität und Herstellkosten seiner Produkte kennt, vermag der Einkäufer häufig nur ein marktübliches Qualitätsniveau einzuschätzen und bildet sich einen entsprechenden Marktpreis. Diese Informationsasymmetrie führt zur sogenannten adversen Selektion: Gute Lieferanten werden vom Markt verdrängt, während schlechte am Markt verbleiben. Gelingt es dem Einkauf nicht, die Informationsasymmetrie abzubauen, beraubt er sich zwangsläufig seiner guten Lieferantenbasis. Damit ist die Auflösung der Informationsasymmetrie zentrale Aufgabe des Einkaufs geworden. Dies gelingt durch verschiedenste Maßnahmen, die von Lieferantenaudits, Einbindung der Lieferanten bis hin zur eigenen Mitarbeitqualifikation reichen.
Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT hat im Rahmen seines diesjährigen Konsortial-Benchmarkings im Einkauf sich dieser Thematik angenommen und besonders erfolgreiche Einkaufsabteilungen sowie deren Vorgehensweisen und Methoden analysiert.
Die ersten fünf Erfolgsfaktoren kurz zusammengefasst:
  • 1. Kosten- statt Preisreduktion: Signifikante Kostenpotenziale können nur mit den Lieferanten gehebelt werden.
  • 2. Keine „Einklassengesellschaft“ in der Lieferantenbasis: Potenzialbasierte Lieferantenklassifizierung ist ein wichtiges Werkzeug (vgl. Grafik).
  • 3. Entkoppelung der Lieferantenklassifizierung von der kurzfristigen Lieferperformance: Ganzheitliche Lieferantenbewertung und offene Kommunikation und Diskussion der Bewertungsergebnisse sichern eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
  • 4. Stage-Gate-Prozess für alle: Entwicklungskooperationen brauchen Schnittstellen im Einkauf und erfordern die Synchronisation des Einkaufs mit dem Stage-Gate-Prozess der Produktentwicklung – Frühzeitige Lieferanteneinbindung wird zum Erfolgsfaktor.
  • 5. Corporate Thinking: Orientierung aller Fachbereiche an den übergeordneten Zielen des Unternehmens auf Unternehmensebene und im Einkauf.
6. Sorgfaltspflicht beim Sourcing in Emerging Markets
Die Studie sowie die Unternehmensbesuche zeigen, dass der Einkauf die Potenziale aus Emerging Markets erschließen muss. Allerdings erweisen sich Zielvorgaben wie bspw. einen Volumenanteil von 30 Prozent aus Emerging Markets zu realisieren als nicht zielführend. Es zeigt sich vielmehr, dass die erfolgreichen Einkaufsabteilungen bei ihren Aktivitäten zur Verlagerung von Einkaufsumfängen in Emerging Markets deutlich selektiver vorgehen. So bezogen bspw. die besten 20 Prozent der befragten Unternehmen in 2005 einen Volumenanteil von ca. 3 Prozent aus China, wohingegen die Grundgesamt bei über 6 Prozent lag. In Osteuropa liegen die Erfolgreichen mit über 10 Prozent Volumenanteil deutlich über der Grundgesamtheit mit nur 7 Prozent. Nur exakte Marktkenntnisse und gezielte Anfragen führen zum Erfolg. Dafür müssen lokale Einheiten vor Ort tätig sein, die den Markt verstehen und die Qualität und Logistik vor Ort managen. Dies führt jedoch zu einer starken Fragmentierung des Einkaufs in viele kleine Einheiten, die zentral koordiniert werden müssen, damit der Zugriff auf die lokalen Einkaufbüros zielgerichtet erfolgt. Organisatorisch wird das beispielsweise durch ein Kompetenzcenter abgebildet. Dort sind Experten zu den verschiedenen Märkten beschäftigt, die engen Kontakt zu den lokalen Einkaufbüros halten und im Kompetenzcenter das gesamte Know-how über die Emerging Markets bündeln. Alle Anfragen in Emerging Markets werden über das Competence Center gesteuert. Damit wird gewährleistet, dass Anfragen nur in den Regionen platziert werden, in denen mit dem zu beschaffenden Produkt ein signifikanter Kostenvorteil erzielt werden kann. In enger Abstimmung mit den lokalen Einheiten werden dann Lieferanten gesucht, die das Bauteil technologisch realisieren können, die freie Kapazitäten haben und die die Qualität und Logistik sicherstellen können. Der Aufwand zur Angebotseinholung, zum Vergleich und zur Bewertung der Angebote kann dadurch deutlich reduziert werden.
7. Zentrale Koordination, lokale Umsetzung
Wie zuvor bereits aufgezeigt, ist eine zentrale Koordination und Steuerung der Aktivitäten einer global tätigen Einkaufsorganisation erfolgsentscheidend. Zudem muss eine klare Aufgabenzuordnung und Rollenverteilung zwischen zentralem Warengruppenmanagement und den lokalen Einheiten erarbeitet werden.
Kernaufgaben des zentralen Warengruppenmanagements sind die Strategie- und Konzeptentwicklung sowie die Ermittlung der Lieferanten- als auch der Beschaffungspotenziale. Demzufolge sind durch die zentralen Warengruppenverantwortlichen die Potenziale für die Vergabe von Umfängen in Emerging Markets zu prüfen. Entsprechend der identifizierten Potenziale müssen geeignete Produkte zur Vergabe sowie Lieferanten, die die gestellten Anforderungen erfüllen können, identifiziert werden. Die lokalen Einheiten platzieren die Anfragen bei den Lieferanten und führen deren Auswertung durch. Die Durchsetzung einheitlicher Standards und der Erfahrung aus anderen Bereichen unterstützt dabei der Warengruppenverantwortliche.
Die Aktivitäten in den Emerging Marktes scheitern jedoch nicht nur an dem fehlenden Qualitätsbewusstsein oder an unzureichend stabilen Prozessen der Lieferanten. Vielmehr werden von den Studienteilnehmern auch interne Gründe genannt. So stehen die fehlende Ressourcenbereitstellung durch andere Fachbereiche und die fehlende Unterstützung der Geschäftsführung im Vordergrund. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der von den Successful Practices deutlich besser gehandhabt wird. In den meisten Fällen wird immer nur von der Entwicklung und Befähigung der Lieferanten in den Emerging Markets und dem damit verbundenen hohen Aufwand gesprochen. Die Interaktion mit den Lieferanten findet jedoch über die lokalen Einkaufbüros statt. Wenn diese nicht ausreichend qualifiziert sind, kann natürlich der Lieferant auch nicht an die Standards und Prozesse des Unternehmens angenähert werden. Also legen die erfolgreichen Unternehmen einen gleichen Stellenwert auf die Ausbildung und Qualifikation ihrer Mitarbeiter der lokalen Einkaufbüros und führen regelmäßig interne Audits in diesen Einheiten durch.
8. Größerer Hebel durch Sublieferantenmanagement
Viele Einkaufsabteilungen fokussieren ausschließlich auf das Management ihrer 1st-Tier. Die Veränderung der Wertschöpfungsstrukturen hat jedoch nicht nur zu einer Verlagerung der Wertschöpfung auf die direkten Lieferanten geführt; dieser Wandel vollzieht sich vielmehr entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das hat in vielen Branchen dazu geführt, dass ein wesentlicher Umfang der wertschöpfenden Tätigkeiten von den 3rd – oder sogar 4th-Tiern durchgeführt wird (vgl. Grafik). Somit ist der Hebel für Preisverhandlungen oder auch Prozessoptimierungen deutlich verkleinert worden, insofern nur die Lieferanten der 1. Stufe betrachtet werden. Damit ist die Aufgabe für den Einkauf klar definiert: Es gilt für ausgewählte Komponenten eine Betrachtung und Bewertung der gesamten Wertschöpfungskette anzustreben, um weitreichende Potenziale für Kostenreduktionen zu identifizieren. Neben der Einzelbetrachtung der Lieferanten auf den verschiedenen Ebenen, bietet sich einem OEM zudem die Möglichkeit, die gesamte Supply Chain produktübergreifend zu optimieren. Durch geschickte Reorganisation der Supply-Chain hinsichtlich Lieferwegen, Materialverfügbarkeit, Kapazitäten der Lieferanten usw. lassen sich weitere Potenziale erschließen, ohne dass dadurch Nachteile für einzelnen Lieferanten entstehen.
9. Risikomanagement hat zwei Perspektiven
Klassischerweise werden durch den Einkauf verschiedenste Risiken wie beispielsweise das Insolvenzrisiko oder das Risiko von Lieferausfällen gemanagt. Dabei sind viele Einkaufsabteilungen inzwischen dazu übergangen, die Risikobetrachtung und -bewertung über die 1st-Tier hinaus auf die ganze Wertschöpfungskette auszudehnen. Das reicht aber noch nicht aus. Die erfolgreichen Einkaufsabteilungen haben erkannt, dass neben den angesprochenen Risiken die Kundenstruktur ihrer Lieferanten zum Teil wesentlich größere Risiken birgt. Oft sind die Abhängigkeitsverhältnisse der eigenen Lieferanten zu anderen Kunden als extrem kritisch zu bewerten. Ein einfaches Rechenbeispiel zeigt, welche Brisanz hierin enthalten sein kann. Angenommen wird ein Umsatzanteil von 15 Prozent mit dem größten Kunden und eine Marge von 5 Prozent. Bei einem Fixkostenanteil von 30 Prozent fährt der Lieferant bei Wegfall dieses Kunden bereits Verluste ein. Das Bild scheint überspitzt, spiegelt jedoch die aktuelle Situation wieder. Innerhalb eines halben Jahres kann ein Lieferant mit einer derartigen Kundenstruktur insolvent werden, sobald einer der größten Kunden seine Aufträge abzieht.
10. Role Player für den Einkauf
Die dargestellten Herausforderungen zeigen, dass die erforderlichen Fähigkeiten eines Einkäufers sehr vielfältig sein müssen. So wurden bei der Frage nach den zukünftigen Kompetenzen eines Einkäufers in der Studie von zwölf Kriterien über neun durch 90 Prozent der Befragten als besonders wichtig eingestuft. Die erforderlichen Kompetenzen reichen von Verhandlungsgeschick über betriebswirtschaftliche sowie technische Kenntnisse hin zu sozikulturellen Fähigkeiten. Dieses Anforderungsprofil kann von keinem Mitarbeiter vollständig erfüllt werden. Zur Bewältigung dieser Aufgabe verfolgen die erfolgreichen Einkaufsabteilungen zwei Strategien: Zum einen definieren sie so genannte Role Player, die ein definiertes Aufgaben- und damit Kompetenzprofil erfüllen müssen. Dies sind z. B. „Procurement Engineers“ mit fundierten technologischen Kenntnissen und zusätzlicher betriebswirtschaftlicher Qualifikation, die die Schnittstelle zwischen Entwicklung und Lieferanten bilden. Weiterhin gibt es beispielsweise „Lead Buyer“, die die Einkaufsaktivitäten weltweit für eine Warengruppe verantworten. Die Lead Buyer benötigen deswegen insbesondere Sprachkenntnisse, sozio-kulturelle Fähigkeiten ebenso wie Führungsqualitäten. Zum anderen bilden die erfolgreichen Unternehmen ihre Einkäufer gezielt weiter und haben i. d. R. eigene Schulungseinrichtungen dafür geschaffen. Unterstützt wird dies durch gezielten Personalaustausch über Landesgrenzen hinweg, um weltweit einheitliche Standards und Vorgehensweisen zu etablieren.
Fazit des Benchmarkings
Die Untersuchung hat gezeigt, dass der Einkauf eine Vielzahl von Herausforderungen bewältigen muss. Die identifizierten Successful Practices können sich hinsichtlich der Konzepte und vor allem deren Umsetzung deutlich von der Masse absetzten. Dabei hat sich gezeigt, dass die Herausforderungen branchenübergreifend vergleichbar sind.
Die aufgezeigten Lösungen der Successful Practices zielen insgesamt auf die Steigerung der Transparenz im Hinblick auf die zugekauften Komponenten ab, d. h. nur wer weiß, wie sich die zu zahlenden Preise zusammensetzen, kann zusätzliche Potenziale erschließen und die Liefersicherheit erhöhen. Demnach ist es Aufgabe eines erfolgreichen Einkaufs, durch die dargestellten Vorgehensweisen und Methoden die Informationsasymmetrie zwischen Lieferant und Einkäufer durch Transparenz zu ersetzen und somit der adversen Selektion entgegenzuwirken.
In der nächsten Ausgabe stellt
der BMW-Group-Einkauf
seine Successful Practice vor.

Zehn Vorgehensweisen für einen hervorragenden Einkauf
  • 1. Kosten- statt Preisreduktion
  • 2. Keine Einklassengesellschaft in der Lieferantenbasis
  • 3. Entkoppelung der Lieferantenklassifizierung
von der kurzfristigen Lieferperformance
4. Frühzeitige Lieferanteneinbindung wird immer mehr zum
Erfolgsfaktor
  • 5. Corporate Thinking
  • 6. Sorgfaltspflicht beim LCC-Sourcing
  • 7. Zentrale Koordination, lokale Umsetzung
  • 8. Größerer Hebel durch Sublieferantenmanagement
  • 9. Risikomanagement hat zwei Perspektiven
  • 10. Role Player für den Einkauf

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