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Hermes Fulfilment: Ressourcenschonender Betrieb der Förderstrecken

Ressourcenschonender Betrieb von Förderstrecken
Energetische Modernisierung

Was tun, wenn gut laufende Anlagen in die Jahre kommen? Hermes Fulfilment hat für ein 1994 in Betrieb genommenes Versandzentrum die Entscheidung getroffen, die Anlagentechnik energetisch zu modernisieren und mit Blick auf die Verfügbarkeit funktional zu verbessern. Gemeinsam mit Transnorm und SEW-Eurodrive konnte der Logistikdienstleister Performance und Zuverlässigkeit steigern.

Die Badehose für den Sommerurlaub, das neue Paar Kinderschuhe oder die dicke Steppjacke mit Kapuze für den Winter: Es gibt wenig, was es nicht gibt auf den Förderstrecken von Hermes Fulfilment in Haldensleben. Die Bandbreite an Form und Gewicht bringt erhebliche Herausforderungen an die technische Realisierung mit sich. Besonders die Versandabwicklung von Bestellwaren, die in Tüten ihren Empfänger erreichen, bringt Anlagenplaner schnell an ihre Grenzen. Denn die klassischen Rollenbahnen sind dafür nicht gut geeignet.

„Bei den Tüten ist vor allem das Griffloch ein Problem“, sagt Matthias Melahn, Gruppenleiter Prozess- und Steuerungstechnik. Gerade am Griffloch neigt die Verpackungsfolie dazu, sich in den Spalt zwischen zwei Rollen hineinziehen zu lassen und die Anlage zu blockieren. Folglich fällte man bei Hermes Fulfilment die Entscheidung, Gurtförderer einzusetzen – den Auftrag hat die Transnorm System GmbH erhalten. „Die machen das sehr gut und sind meines Erachtens einer der innovativsten Hersteller, auch von Gurtförderern“, so Melahn.

Redundanz als Motivation

Bis dato hat Hermes Fulfilment aufgrund der Herausforderungen beim Tütenhandling eine Sortieranlage (Sorter) ausschließlich für Tüten im Einsatz. „Doch was machen wir, wenn der Sorter mal aufgrund einer Störung oder auch im Zuge geplanter Wartungen steht?“, fragt sich Melahn. Die Modernisierung hatte neben der energetischen Ertüchtigung deshalb vor allem das Ziel, eine Förderstrecke sowie eine Sorter-Ausgleichsstrecke so umzubauen, dass sich darüber auch Tüten fahren lassen und dadurch eine immanent wichtige Anlagenredundanz zu schaffen. Bisher mussten Versandtüten bei einer längeren Störung per Lkw in ein anderes Versandzentrum gefahren werden. Das kostete jedes Mal Zeit und Geld – von den Umweltauswirkungen ganz abgesehen. „Die Redundanz war für uns die Hauptmotivation für die Investition“, fasst Melahn zusammen.

Neben der Anlagenverfügbarkeit mit der Möglichkeit, Störungen effektiv zu umfahren, erhält das Versandzentrum in Haldensleben einen weiteren Produktivitätsschub durch die Staufunktion der Fördertechnik. Die Förderstrecken wurden so konzipiert, dass sie abseits des Normalbetriebs auch als Pufferstrecke dienen können. „Dafür brauchen wir die Antriebe von SEW-Eurodrive“, erklärt Melahn. Mit Abschluss der Modernisierung verfügt der Anlagenbereich über zwölf Pufferbänder. Steht zum Beispiel ein Sorter, fahren die Pufferbänder so lange weiter, bis sie bis auf den letzten Platz gefüllt sind. Damit ist Hermes Fulfilment in der Lage, punktuelle Verzögerungen in einzelnen Bereichen durch Pufferung der Sendungen zu überbrücken. Vor dem Hintergrund, dass sowohl Sendungen von wenigen Hundert Gramm als auch bis zu 30 Kilogramm schwere Tütenwannen über die Strecke transportiert werden, zeigt sich die Komplexität der Antriebsauslegung.

Bei den Förderstrecken mit Staufunktion handelt es sich um lange Gurtförderer, die taktfähig sind. Füllt sich das Pufferband mit Ware, müssen die Antriebe höhere Lasten beim Anfahren beschleunigen. Die Losbrechmomente gehen dabei über den üblicherweise herrschenden S1-Betrieb hinaus. Das können 25 Tüten oder auch 25 Pakete sein, die auf der Strecke sind. Am ungünstigsten sind sogenannte Tütenwannen mit bis zu 30 Kilogramm Gewicht. „Wir sind schnell über einer halben Tonne, die wir takten. Auch dann darf keine Welle abreißen oder ein Antrieb aussteigen“, betont Melahn.

Gelöst wird diese Aufgabe mit „Movigear performance“ aus dem Automatisierungsbaukasten Movi-C, das die Energieeffizienz verbessern und, durch die hohe Überlastfähigkeit bis 300 Prozent, die Losbrechmomente beim Takten beherrschen soll. Mit der bewussten Ausnutzung des Spielraums bei der Überlast verringert das System die energetisch wenig vorteilhafte Überdimensionierung.

Leiser und wirtschaftlicher

Materialflussanwendungen sind laut Hersteller ein prädestiniertes Einsatzgebiet für die Antriebseinheit. Sebastian Hartmann, Konstrukteur für Großprojekte bei Transnorm System, schätzt die Antriebseinheit vor allem aus folgenden Gründen: geringe Geräuschentwicklung, Antriebsmoment, Energieeffizienz, Temperaturverhalten, universelle Bauform, großer Drehzahlstellbereich und reduzierte Anschlussleistung. Im Vergleich zu einem konventionellen Getriebemotor bringt es die lüfterlose Antriebseinheit gerade einmal auf etwa 65 dB. „Das ist fast eine Halbierung der Schalldruckleistung. Die Antriebe sind also deutlich leiser.“

Die Energieeffizienz der Antriebe mit ihrem permanent erregten Synchronmotor entspricht der Wirkungsgradklasse IE5 und hat im Dauerbetrieb eines Logistikzentrums laut SEW auch an anderer Stelle Vorteile. Der hohe Wirkungsgrad soll wirksam thermische Verluste begrenzen. Die Antriebe geben also weniger Abwärme an ihre Umgebung ab, was den energetischen Aufwand für das Kühlen der Gebäude begrenzt. „Der gestiegene Wirkungsgrad und die hohe kurzzeitige Überlastfähigkeit haben ebenfalls den Effekt, dass sich die Anschlussleistung reduziert“, berichtet Hartmann. „Bei einem Retrofit mit Movigear performance schaufeln wir wieder Reserven in der Transformatorenstation frei – und die lassen sich dann für Betriebserweiterungen nutzen, ohne dafür in einen neuen Trafo kostspielig investieren zu müssen“, fasst Erik Ressel von SEW-Eurodrive zusammen.

Die dezentralen Antriebseinheiten übernehmen abseits der eigentlichen Aufgabe auch den Empfang und die gebündelte Weitergabe der Daten der angeschlossenen Sensorik. Hierzu zählen vor allem Lichtschranken. Hartmann: „Die bekommen wir direkt mit den On-Board-I/Os von Movigear performance verbunden. Das spart dann dezentrale I/O-Stationen.“ Die Kommunikation erfolgt über Profinet und Profisafe.

Zahlen belegen Potenzial

Mit der Antriebseinheit aus Motor, Getriebe und Umrichter in einem schlanken Gehäuse lassen sich Anlagenmodernisierungen weitgehend ohne Restriktionen in puncto Platz und Verkabelung realisieren. Der dezentrale Umrichter aus dem Automatisierungsbaukasten Movi-C erlaubt hierbei einen Einsatz in allen gängigen Ethernet-basierten Infrastrukturen. Ein weiterer Vorteil: Die neue Antriebsgeneration von SEW-Eurodrive wiegt auch noch weniger als der Vorgänger. Die Baugröße 2 – diese ist bei Hermes Fulfilment am meisten im Einsatz – wiegt 16 Kilogramm und kann folglich von einer Person ein- und ausgebaut werden. Sind höhere Leistungen beziehungsweise Drehmomente gefragt, kommt die Baugröße 4 zum Einsatz. Sie wiegt 26 Kilogramm. In Haldensleben gibt es davon zwei Stück. „Der Austausch ist wirklich simpel: Stecker runter, Antrieb von der Welle ziehen, neuen Antrieb wieder drauf, Stecker wieder drauf – fertig, und zwar ohne Inbetriebnahme. Die Applikationsparameter holt sich Movigear performance über Profinet“, erklärt Ressel.

Die durchgeführten Energievergleichsmessungen an einer der Förderstrecken haben das energetische Einsparpotenzial bestätigt. Die Zahlen: 1710 kg/Jahr geringerer CO2-Fußabdruck, 34 Prozent Energieeinsparung der gemessenen Förderstrecke, 57 Prozent durchschnittliche Energieeinsparung pro Antrieb, 50 Prozent Lärmreduzierung durch lüfterlose Antriebe.


Bild: SEW

Andrea Balser

ist Referentin Fachpresse bei SEW-Eurodrive in Bruchsal.



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