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Industrieroboter:Roboterrevolution in Sachsen

Automatisierung im Mittelstand
Gestensteuerung revolutioniert Industrieroboter

Eine Software, mit deren Hilfe Menschen allein durch ihre Bewegungen Roboter steuern und ihnen so eine neue Aufgabe beibringen können, haben Informatiker des Dresdener Start-ups Wandelbots entwickelt.

Das Prinzip ist so einfach wie bestechend: In einer smarten Jacke, einem Stift oder einem anderen Gadget eingebaute Sensoren registrieren jede Bewegung ihres Trägers und geben sie an einen Computer weiter, der sie in Steuerbefehle für einen Roboterarm umwandelt. So kann der Roboterarm jede Geste, die ihm der bedienende Mensch vormacht, exakt nachahmen.

„Dahinter steckt die Idee, es jedem Menschen zu ermöglichen, dem Roboter Aufgaben beizubringen, die er ihm an Beispielen vormacht und zeigt. Das heißt im Prinzip, was früher gut ausgebildete teurere Experten gemacht haben, wird jetzt durch uns demokratisiert“, erklärt Christian Piechnick, einer der Mitgründer des Start-ups. „Damit geben wir jedem Menschen, unabhängig von seinem technologischen Hintergrund und seiner Ausbildung, die Möglichkeit, praktisch jeden Roboter zu programmieren.“

Bis dato war es sehr zeitaufwendig und teuer, Industrieroboter zu programmieren. Das erfordert profunde Kenntnisse in Programmiersprachen für Roboterplattformen wie Kuka oder Fanuk. Außerdem sind Programmierer rar gesät: Laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom waren 2018 in Deutschland 82.000 Stellen für IT-Fachkräfte unbesetzt – Tendenz stark steigend. Andererseits werden Roboter in der Fertigungsindustrie wie im Automobil-, Flugzeug- oder Maschinenbau immer wichtiger. In Deutschland kommen nach einer Erhebung der International Federation of Robotics (IFR) von 2018 auf 10.000 Beschäftigte 322 Industrieroboter. Das bedeutet weltweit Rang drei nach Südkorea und Singapur und ist ein Grund für die weltweite Spitzenposition der deutschen Wirtschaft.

Robotereinsatz selbst in Kleinserie attraktiv

Allerdings setzen hauptsächlich große Firmen Industrieroboter. „Mit der neuen Software haben jetzt auch der Mittelstand und kleinere Unternehmen die Möglichkeit, schwere oder monotone Tätigkeiten von Industrierobotern ausführen zu lassen“, sieht Piechnick den großen Vorteil. „Bis dato waren Roboter nur für Unternehmen mit einer Großserienproduktion effektiv. Für die Produktion kleiner Serien waren sie wenig attraktiv, da oftmals mehr als 70 Prozent der Gesamtkosten direkt mit der Programmierung der Software zusammenhängen. Mit unserer Software wird sich das jetzt ändern“, ist sich der Informatiker sicher.

Software lernt, was die Maschine zu tun hat

Um die Steuerung der Roboter für Industriearbeiter noch einfacher zu machen, haben die Dresdner Informatiker um Maria und Christian Piechnick noch eine Weiterentwicklung ihrer Gestensteuerung ausgetüftelt: den sogenannten Spur-Stift oder Trace-pen. Durch wechselbare Spitzen kann er in einen Schraubendreher, ein Schleifgerät, eine Lackierpistole oder andere Werkzeug verwandelt werden „Mit unserem neuesten Produkt steuert man nicht mehr den Roboter live, wie etwa mit der Jacke, sondern ich mache ihm einfach die Aufgabe direkt am Objekt vor, wie sonst mit einem üblichen Werkzeug. Die Software lernt dann anhand dieser Beispiele was der Roboter zu tun hat “, erklärt Maria Piechnick.

Allein die Geste programmiert Roboterarm

VW arbeitet schon viele Jahre mit Industrierobotern in der Fertigung und kennt den großen Aufwand für deren Programmierung. Umso mehr hat den Autohersteller die Einfachheit der Steuerung durch die Software des Dresdner Start-ups interessiert. In der „Gläsernen Manufaktur“ von VW in Dresden wird schon der erste durch Gestensteuerung programmierte Roboterarm getestet. Er trägt eine Grundierung auf den Fensterrahmen einer Autotür auf. Die Programmierung dafür, inklusive der Integration des Laserscanners, kann nun durch einen Mitarbeiter durchgeführt und bei Bedarf angepasst werden. Spezialwissen zur Programmierung von Robotern ist nicht mehr notwendig.

Der Leiter der Abteilung „Neue Mobilität & Innovationen“ bei VW Sachsen, Marco Weiß, ist vor allem davon begeistert, dass er durch die vereinfachte Steuerung und Programmierung nun einfacher Automatisierungslösungen umsetzen kann. „Um angesichts der rasanten Veränderungen und individuellen Wünsche der Kunden in der Automobilindustrie wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen wir Kosteneinsparungen und mehr Geschwindigkeit in den Bereichen Produktion und Automatisierung von Fertigungsprozessen“, erklärt Weiß. „Mit dem Angebot von Wandelbots kann die Installation und Einrichtung von Roboterlösungen unglaublich schnell umgesetzt werden. Die smarte Jacke ermöglicht es den Werksarbeitern, denselben Auftrag um ein Vielfaches schneller und günstiger als früher zu erledigen“, freut sich der Abteilungsleiter.

Bewegungen in kurzer Zeit gelernt

Und das ist nicht der einzige Vorteil: Schon lange werden durch die Individualisierung der Bevölkerung immer mehr und immer individuellere Automodelle gebaut. Es müssen also auch zunehmend mehr Programme für die Steuerung der Industrieroboter geschrieben werden. Das soll sich in Zukunft ändern: „Mit der neuen Software haben wir nun die Möglichkeit, unsere Automatisierungsprozesse schneller anzupassen und auf kürzere Produktzyklen schneller zu reagieren, indem wir unseren Robotern in kurzer Zeit völlig neue Bewegungen anlernen“, sagt Weiß.

Prof. Frank Fitzek von der TU Dresden sieht sogar noch größeres Potenzial für die neue Art, Roboter zu steuern. Der Leiter des „Deutschen Telekom-Lehrstuhls für Kommunikationsnetze“ programmiert mit der Gestensteuerung Roboter in der virtuellen Welt. Durch die extrem schnelle Datenübertragung der neuen Mobilfunkgeneration 5G kann dies mit einer minimalen Verzögerung vom Vormachenden zum virtuellen Roboter geschehen. Der virtuelle Roboter könnte dann quasi in Echtzeit jeden anderen „echten“ Roboter rund um den Globus herum steuern.

Roboter steuern sich gegenseitig

„In zukünftigen Kommunikationsnetzwerken ist die Latenz, also die Verzögerung, die wichtigste Eigenschaft. Und die muss möglichst klein sein. Da wir mit der Lichtgeschwindigkeit aber begrenzt sind, können wir nur bis zu einer bestimmten Distanz direkt mit den Robotern interagieren“, weiß Fitzek. Um dieses Problem zu lösen, bauen er und sein Team in der virtuellen Welt sozusagen einen digitalen Zwilling, der dann jeden x-beliebigen Roboter rund um den Globus steuern kann. Allerdings müsste 5G dafür auch weltweit reibungslos funktionieren.

Haltungs- und Rückenschäden verhindern

Und auch in der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden wird die neue Software von Wandelbots schon angewendet. Hier soll sie helfen, die Ergometrie des Arbeitsplatzes zu verbessern.

Das Prinzip ist einfach: Jeder Mitarbeiter steuert durch seine Gesten einmal den Roboter und dieser kennt dann die genau auf seine Größe zugeschnittene Bewegung. Danach erhält jeder Mitarbeiter einen Chip, und sobald dieser sich auf seinem Arbeitsplatz niederlässt, erkennt der Roboter die Person und führt eine auf ihre Größe zugeschnittene Bewegung aus. Die Daten dafür sind im Chip hinterlegt. „Das ist gerade aus arbeitsergonomischer Sicht ideal und kann langfristig Haltungs- und Rückenschäden verhindern“, betont der Leiter des Projektes, Professor Dirk Reichelt, den weiteren Vorteil.

Einen Wegfall von Arbeitsplätzen durch die neue Technologie befürchtet der Professor nicht: „Durch Automatisierung sinken die Produktionskosten. Die Betriebe werden also wettbewerbsfähiger. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach neuen Stellen, um die Automatisierung in den Unternehmen voranzubringen“, prognostiziert Reichelt. Diesen Zusammenhang sieht auch eine Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) aus dem Jahr 2018.


Eckart Granitza, freier Journalist in Berlin

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