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Interview zum plattformbasierten Ersatzteilmanagement

Plattformbasiertes Ersatzteilmanagement
„Instandhaltungslager wären nicht mehr notwendig“

Die Bestellung eines Ersatzteiles sollte sich nach Vorstellung von Partscloud nicht von anderen Online-Bestellung unterscheiden. Das junge Unternehmen stellt hierfür eine Plattform zur Verfügung, verbindet notwendige Ressourcen und macht diese verfügbar. Der Fokus liegt auf kleinen und mittelständischen Maschinenbaubetrieben, schildert Benjamin Reichenecker, Gründer und Geschäftsführer.

Das Interview führte Yannick Schwab, Beschaffung aktuell.

Beschaffung aktuell: Herr Reichenecker, wollen Sie Partscloud einmal vorstellen?

Benjamin Reichenecker: Firmen, die Maschinen herstellen oder nutzen, müssen sich in der Regel mit dem Ersatzteilmanagement beschäftigen. Sowohl beim Produzenten als auch beim Betreiber solcher Anlagen entsteht ein Ersatzteilbedarf. Ein Hersteller, der langlebige Gebrauchs- und Investitionsgüter an die Produktionsbetriebe verkauft, muss auch für die Verfügbarkeit von Ersatzteilen geradestehen. Kauft ein Betrieb eine Maschine, möchte dieser schnell Reparaturen durchführen können.

Bezogen auf den Lebenszyklus beschäftigen wir uns mit der Phase des Betriebs von Maschinen und Anlagen. Wir ärgern uns regelmäßig drüber, dass die Kundenbetreuung in diesem langen Zeitraum organisatorisch oft nicht so organisiert ist, wie sie es verdient hätte. Dort findet die Kundenbindung statt. Wenn der Kunde merkt, dass die Firma Ersatzteile liefern kann, ist er eher gewillt wieder bei der Firma zu kaufen.

Wie und wann ist das Unternehmen entstanden?

Reichenecker: Die Idee zu Partscloud ist bei meinem letzten Job im Spezialfahrzeugbereich entstanden. Dort ist das Ersatzteilmanagement ein großes Thema. Davor war ich über acht Jahre als Berater für Maschinenbauunternehmen tätig und habe das Thema aus verschiedenen Perspektiven intensiv kennengelernt. Dadurch hatte ich das Bewusstsein, dass eine funktionierende Ersatzlogistik das Fundament für ein erfolgreiches, serviceorientiertes Geschäftsmodell ist.

Meinen Partner, der die Problematik aus der Sicht des Endnutzers kennt, konnte ich Mitte letzten Jahres überzeugen. Seitdem sind wir auf Kundenfang und implementieren dieses Jahr die ersten Kunden. Wir haben letztes Jahr eine Finanzierungsrunde abgeschlossen und ein siebenköpfiges Team aufgebaut. Ende des Jahres wollen wir rund 20 Mitarbeiter beschäftigen. Dieses besteht aus drei Bereichen: Technik & Produkt, Vertrieb & Business Development sowie Operations & Projektmanagement.

Auf welche Branche fokussieren Sie sich?

Reichenecker: Wir haben uns auf den Maschinen- und Anlagenbau spezialisiert. Die Hersteller sind oft kleine und mittelständische Unternehmen. Wenige sind groß genug, um das Ersatzteilgeschäft im großen Stil zu bearbeiten. Die meisten deutschen Maschinenbauer, die Sondermaschinen oder Maschinen in kleiner Stückzahl herstellen, haben ein Problem damit, den Prozess der Ersatzteillogistik professionell durchzuführen. Das Volumen an Sendungen, die zum Kunden gehen, ist nicht groß genug, um sich komplexe Logistik-Konstrukte aufzubauen.

Wie sieht das klassische Ersatzteilmanagement aus?

Reichenecker: Das vorherrschende Geschäftsmodell war bisher, dass Hersteller eine Maschine und dazu ein Ersatzteilpaket verkauft haben – das Sahnehäubchen im Vertrieb des Maschinenherstellers. Bei einer Investition in eine Maschine kann es sich um einen Millionenbetrag handeln. Dazu gibt es ein Ersatzteilpaket für sagen wir 300.000 Euro. Die Maschine wird zu Selbstkosten verkauft. Hinterher holt sich der Hersteller das Geld über das Ersatzteilpaket. Denn die Ersatzteile werden mit einem ordentlichen Preisaufschlag verkauft.

Müssen die Betriebe die Ersatzteile direkt bei sich einlagern?

Reichenecker: Genau, so sind die großen Instandhaltungsabteilungen entstanden. Schaut man sich einen Automobilkonzern an, gibt es in der Produktion riesige Bestände an Ersatzteilen, die vorgehalten werden. Denn die Maschinen müssen immer am Laufen gehalten werden und das schnelle Beschaffen eines Ersatzteils ist kostspielig. Es wurden auch schon Ersatzteile per Helikopter eingeflogen.

Hätte man früher digitale Matching-Algorithmen nutzen können um Bestände zu bündeln und Volumina zusammenzufassen, wären diese Instandhaltungslager größtenteils nicht notwendig. Dann wären die Voraussetzungen erfüllt, damit die Maschinenhersteller ihre Ersatzteile ‚on demand‘ verkaufen können. Inzwischen ist das möglich. Da es ein lukratives Geschäftsmodell ist, haben die Hersteller aber bisher nicht den intrinsischen Veränderungswunsch. Sie verkaufen weiterhin ihre Erstausstattungspakete. 60 Prozent der darin enthaltenen Ersatzteile werden nie gebraucht. Deshalb wird über Rückkaufoptionen diskutiert, damit nicht benötigte Ersatzteile wieder zurückgegeben werden können.

Ansonsten gibt es keine Alternativen?

Reichenecker: Die Maschinenbetreiber suchen nach alternativen Beschaffungsquellen – insbesondere für Teile, die häufig kaputt gehen oder bei anderen Anbietern schneller lieferbar sind. Da kommen die großen Komponentenhersteller ins Spiel. Diese haben das Volumen und die Logistik, die Teile im Ersatzteilfall schnell zur Verfügung zu stellen. Deshalb kaufen die Betreiber oft direkt dort ein. Was dazu führt, dass der Maschinenbauer einen Teil seines Marktanteils am Ersatzteilgeschäft verliert.

Der Anteil des Maschinenbauers an den Servicekosten des Betreibers liegt teilweise unter 25 Prozent. Der Großteil geht an andere Lieferanten, die das gleiche Ersatzteil günstiger und vor allem schneller liefern. Darüber hinaus gibt es sogenannte ‚Ersatzteil-Piraten‘ die am Hersteller vorbei – am besten noch in minderer Qualität – Ersatzteile direkt an die Betreiber verkaufen. Für gewisse Komponenten ist das mittlerweile Standard, zum Beispiel bei klassischen Kugellagern oder Dichtungen.

Wie kann Partscloud hier unterstützen?

Reichenecker: Wir helfen dem Maschinenbau dabei seinen Marktanteil zurückzuerobern und eine Ersatzteillogistik aufzubauen. Damit ist er in der Lage weltumspannend Logistik zu betreiben und innerhalb von Stunden oder Tagen Ersatzteile zu liefern. Mit den Entwicklungen durch Covid-19 und den dadurch entstehenden Lieferverzögerungen sowie massiven Einschränkungen bei der Erbringung von Transportdienstleistungen werden die Erstausstattungspakete immer seltener akzeptiert und die Beschaffungsabteilungen schauen genauer hin, welche Pakete sie kaufen sollen. Die Alternative ist ‚on demand‘ einzukaufen. Das kann ich aber nur mit Lieferanten, die ihre Ersatzteillogistik im Griff haben.

Bei vielen Ersatzteilsendungen pro Tag würde es sich für den Maschinenbauer lohnen eine mehrstufige Lagerlogistik aufbauen – ein Zentrallager für den europäischen Markt, ein regionales Warehouse in Asien und eins in den USA. Je nachdem wo die Kunden sind vielleicht noch weitere Servicehubs. Viele Betriebe haben eine Vorform dieser Struktur und agieren aus der Produktions- bzw. Intralogistik heraus. Sie senden Ersatzteile aus ihrem Lager für Produktionsvormaterialien. Das ist organisatorisch kompletter Irrsinn. Während der Maschinenbauer sehr genau weiß, welche Maschinen er wann produziert, ist nicht vorauszusehen, wann der Kunde ein Ersatzteil bestellt. Das Unternehmen muss also einen Sicherheitsbestand vorhalten. Auch der Ablauf ist ein anderer. Es macht also Sinn diese beiden Lager zu trennen.

Kommen sich ansonsten auch die Abteilungen in die Quere?

Reichenecker: Das ist eine alte Diskussion im Maschinenbau: Wer hat die Bestandshoheit? Wer hat den Vortritt, wenn die Produktion und der Service ein Teil brauchen? Die meisten Firmen entscheiden sich leider für die Produktion, weil der Auftrag viel größer ist. Aber ein Kunde, der seine Maschine noch nicht hat, der produziert noch nichts auf der Maschine. Der Ersatzteil-Kunde braucht vielleicht nur eine Komponente für 100 Euro. Aber wenn er die nicht sofort geliefert bekommt, kauft er unter Umständen nie wieder eine Maschine bei diesem Hersteller.

Dieses Bewusstsein setzt sich so langsam durch, weil die Menschen es mittlerweile gewohnt sind, Produkte online zu bestellen und schnell geliefert zu bekommen. Der Umstand, dass Maschinenbauer dieses Problem jetzt in Angriff nehmen, spielt uns in die Karten. Die Lösung, die wir entwickelt haben, packt dieses Problem an der Wurzel.

Und wie macht sie das?

Reichenecker: Der einzelne Maschinenbauer wird es nicht schaffen, eine performante Logistik für das Ersatzteilgeschäft aufzubauen. Wir reden hier von zehn bis einhundert Sendungen am Tag. Das ist nichts im Vergleich zu einem Großkonzern. Gleichzeitig ist es ein sehr komplexer Prozess mit vielen Zwischenschritten: Einlagern der Ware, Lagerung, Auslagern, Verpacken, Definition der Verpackungen für technische Teile, Zollanmeldung, Export, Retourenmanagement und das Managen der Carrier.

Auf unserer Plattform fassen wir diese vielen kleinen Maschinenbauersatzteillager zusammen und lagern sie über einen Standardprozess in Lagerhäusern ein, die von professionellen Dienstleistern betrieben werden. Die Teile gehören nach wie vor unseren Kunden, aber wir lagern sie in der Nähe von Frachthubs oder Endkunden. Dabei prüfen wir, welches Warehouse mit seinem Standort und seinen Services zu welchem Kunden passt. Im zweiten Schritt sprechen wir mit den Warehousing- Partnern. Mit den Carriern verhandeln wir Großkundenpreise, da wir das entsprechende Volumen mitbringen.

Wenn wir unseren Job richtig machen und die Maschinenbauer in die Lage versetzen ihre Ersatzteile künftig ‚on demand‘ zu liefern, benötigen produzierende Unternehmen ihre großen Instandhaltungslager nicht mehr. Das gilt nicht sofort und nicht für alle Bereiche, aber sukzessive für immer mehr Produktgruppen.

Wo sind sie mit ihren Lagern und Kunden aktiv?

Reichenecker: Wir konzentrieren uns auf Deutschland und hier stark auf den Süden. Dort ist die Dichte an Maschinenbauern sehr groß. Wir versuchen lokal zu starten, um möglichst wenig Aufwand bei der Kundenakquise zu schaffen. Die nächsten Schritte werden für uns die Schweiz und auch Großbritannien sein. Diese profitieren besonders stark davon, dass wir innerhalb der EU innerhalb von 24 Stunden ohne Verzollung verschicken können. Aufgrund der zentralen Lage bietet sich Deutschland als Lagerstandort an.

Die Plattform-Anwender sind ausschließlich die Maschinenbauer?

Reichenecker: Der Maschinenbauer in der Mitte ist der erste und wichtigste Teilnehmer. Der Gedanke bei der Plattformökonomie ist aber, dass sich mehrere Player treffen und voneinander profitieren. Wenn ein Maschinenbau dazukommt, haben wir mehr Teile auf der Plattform und können nach Pooling- Potenzial schauen. In der Regel sind das zwischen 20 und 100.000 Teilenummern, die ein Maschinenbauer im Gepäck hat. Die Logistikpartner profitieren auch: Sie erreichen über den zusätzlichen Vertriebskanal Kunden, die für sich genommen zu klein wären.

Der Betreiber der Anlage wird zukünftig sicherlich auch in unser Ökosystem einsteigen. Wir sprechen mit unseren Kunden bereits über Shop- oder E-Commerce-Lösungen. Und wenn es nur ein Ersatzteilkatalog ist, den wir mitanbieten. Dann kann auch der Betreiber über Partscloud bestellen. Er wird aber das Gefühl haben, dass er im Online-Shop des Maschinenbauers ist.

Die Challenge für den Hersteller bei Ersatzteilen ist, dass man einerseits geringe Volumen hat und andererseits lange Verfügbarkeitszeiten, in denen das Ersatzteil zum Verkauf bereitgehalten wird, geben muss. Da kommt eine Plattform gerade recht: In einem zweiten Schritt muss der Hersteller das Ersatzteil nicht mehr selbst einkaufen, sondern beschafft die Kaufteile über die Plattform mitsamt Bündelungseffekten. Im ersten Schritt geht es aber darum, den Maschinenbauern die operative Logistik abzunehmen.

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