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Europa und Russland

Wie sicher ist unsere Energieversorgung?
Europa und Russland

Europa und Russland
Rohstoffmacht Russland. Eine globale Energiegeschichte. Jeronim Perovic. Böhlau Verlag, Köln 2022, 264 Seiten, 39 Euro, ISBN: 9783412524425 Bild: Böhlau Verlag
Das vorliegende Buch, das vom Direktor des Center for Eastern European Studies der Universität Zürich verfasst wurde, analysiert fundiert, wie Russland zur Rohstoffmacht wurde und Deutschland und Europa in eine gefährliche Abhängigkeit gerieten. Der Autor zeigt auf, wie der Energiehandel mit der Sowjetunion bzw. später mit Russland auch immer im politischen Kontext stand.

Jeronim Perovic hat als Historiker mit einem Faible für Wirtschaft ein Anliegen: Er will in seinem Buch aufzeigen, dass die Energiegeschichte die Dynamik der Ost-West-Beziehungen weit stärker beeinflusst hat, als bisher bewusst und bekannt war. Nach seiner wohl begründeten Einschätzung ist ein genauer Blick auf den Umgang Russlands mit seinem Rohstoffreichtum insbesondere im Bereich der Energie von zentraler Bedeutung, um den Entwicklungsweg des Landes und sein außenpolitisches Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart zu verstehen.

Der Schweizer Autor zeigt auf, wie die Entwicklung der russischen Energiewirtschaft in den letzten einhundert Jahren parallel zu einer immer engeren energetischen Verflechtung mit der Welt und insbesondere mit Europa, dem wichtigsten Absatzmarkt nicht nur für russische Energie, sondern auch für andere natürliche Rohstoffe, verlief. Dabei bietet er einen Längsschnitt durch die Geschichte von Lenin bis Putin.

Perovic legt dar, wie die Sowjetunion in Zeiten des Kalten Krieges das Thema Exporte von Öl und Erdgas sehr pragmatisch und damit für die europäischen Abnehmer berechenbar anging. Dies hat sich leider im Zuge der aktuellen Eskalation völlig geändert. Die Sowjetunion war zur Kooperation mit dem Westen bereit, denn sie brauchte Devisen aus dem Export von Öl und Gas. Sie brauchte auch Röhren und moderne Fördertechnik aus dem Westen, um ihre Rohstoffquellen in Sibirien zu erschließen. Es war die Zeit großer Abkommen wie etwa des 1970 abgeschlossenen Erdgas-Röhren-Vertrages mit der Bundesrepublik Deutschland. Im Oktober 1973 floss erstmals „rotes“ Gas aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik. Es entwickelte sich eine starke und – wie wir heute sehen – nur schwer aufzulösende wechselseitige Abhängigkeit zwischen beiden Seiten.

Turbulenzen gab es dann in den „wilden 1990er-Jahren“. Die russische Energiewirtschaft ging in die Privatisierung; Oligarchen nutzten für sich die Gunst der Stunde. Unter Putin fand dann die Rückkehr des Staates statt und Energielieferungen wurden zur politischen Waffe. Energie und Macht dank Energie spielten wieder eng zusammen. Das Putin-Regime nährt sich bis heute aus den Milliarden-Einnahmen, die aus dem Verkauf von Öl, Gas und anderen fossilen Energieträgern erzielt werden.

Wechselseitige Abhängigkeit

Trotz aller Bekenntnisse zur Abkehr von fossilen Energieträgern sind die europäischen Wirtschaften noch immer auf Öl, Gas und Kohle angewiesen. Bei deren Import ist Europa nach wie vor abhängig von denjenigen Staaten, die diese Vorkommen besitzen. Auf der anderen Seite – und dies sollte man in der aktuellen Aufregung nicht vergessen – haben die ressourcenreichen Staaten wie auch Russland ein massives Interesse daran, bestehende Abhängigkeiten zu wahren, um ihre Rohstoffe auch in Zukunft möglichst gewinnbringend verkaufen zu können. In der aktuellen, total verfahrenen Situation ist diese wechselseitige Abhängigkeit der seidene Faden, an dem die (trügerische?) Hoffnung auf eine Rückkehr der Vernunft der russischen Politik hängt.

Fazit: Ein unbedingt lesenswertes politisches Buch, das zur richtigen Zeit kommt und unseren Unternehmen klar vor Augen führt, in welchem Spannungsfeld sie ihre Versorgungsstrategien entwickeln müssen.


Prof. Dr. Robert Fieten

wissenschaftlicher Berater der Beschaffung aktuell, Köln

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