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Ist die BWL zur Betriebswirtschaftsleere mutiert?

Buchrezension
Ist die BWL zur Betriebswirtschaftsleere mutiert?

Ist die BWL zur Betriebswirtschaftsleere mutiert?
Axel Gloger: Betriebswirtschaftsleere. Wem nützt BWL noch? Verlag Neue Zürcher Zeitung und Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt a. M. 2016, 199 Seiten, 19,90 €
Das Buch des Chairmans der Denkfabrik Trend Intelligence ist für Betriebswirte insbesondere für die vielen Professoren eine einzige Provokation. Es ist eine Abrechnung mit der BWL, so wie sie an den meisten Hochschulen in unserem Lande (und bei unseren Nachbarn) gelehrt wird. Wer das Massenfach BWL studiert, braucht kaum mitzudenken. Stures Auswendiglernen reicht. Dies ist die Grundthese des Autors, der selbst ein Wirtschaftsstudium in Bonn absolvierte.

Das handliche Buch ist harter Tobak für die Zunft der vielen BWLer in unserem Lande. Es ist verwunderlich, dass noch kein Aufschrei der wütenden Empörung aus dem Kreis der vielen BWL-Professoren zu vernehmen ist. Könnte es also sein, dass Axel Gloger im Kern Recht hat, wenn er an der Disziplin, so wie sich heute darstellt, kein gutes Haar lässt?

Das Studium der BWL öffnet – so die Hoffnung der vielen jungen Studienanfänger, die sich vielfach aus der Verlegenheit heraus für das Fach entscheiden – angeblich die Türen zu den besten Konzernen. Es gilt als Eintrittskarte zur Karriere und garantiert – so die irrige Annahme – ein ordentliches Gehalt. Hiervon ausgehend ist BWL in Deutschland zum meiststudierten Fach geworden. Und tatsächlich schafft es eine Minderzahl der Absolventen wirklich ganz nach oben. Für die erdrückende Mehrzahl der jährlich etwa 40 000 Studienanfänger gilt dies jedoch nicht. Wie sollte es auch in Anbetracht solcher Zahlen? Insofern stehen 200 000 Studenten – so Glogers verschreckende Diagnose – vor ungewissen Aussichten, und die werden nicht besser! Die Mehrzahl der BWLer schafft es allenfalls bis zum Sachbearbeiter. Sie übernehmen Aufgaben, für die früher der Abschluss einer kaufmännischen Lehre reichte (und eigentlich noch immer reicht, Anm. Red.).
Fehlender Praxisbezug im Elfenbeintrum
In Anbetracht der von Gloger ausgemachten intellektuellen Armut des Studiums, bei dem es nach seiner Einschätzung zu sehr um das Pauken von praktisch irrelevanten theoretischen Sachverhalten und Formeln gehe, und bei dem die inspirierende Interdisziplinarität kaum gefragt sei, seien für viele Absolventen die vier bis fünf Studienjahre leider verschenkte Jahre, in denen sie nicht die Kompetenzen entwickelten, die für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gefragt seien. Das liege natürlich auch an den BWL-Professoren, die in ihrem Elfenbeinturm abgeschottet von den Niederungen der unternehmerischen Realität lebten, sich nicht als Realproblemlöser sähen und stattdessen in erster Linie daran interessiert seien, Artikel in gerateten amerikanischen wissenschaftlichen Zeitschriften zu publizieren. Ihnen fehle der Praxisbezug zu dem eigentlichen Objekt ihrer Disziplin. Im Hochschulsystem gebe es auch keine Anreize für die Professoren, hieran etwas zu ändern. Ganz im Gegenteil: Wer sich zu sehr mit der Lösung betriebswirtschaftlicher Problemstellungen aus der Unternehmenspraxis befasst, gilt als unwissenschaftlich und seicht. Vor diesem Hintergrund seien auch die führenden Lehrbücher wenig zielführend. Sie seien – so Gloger – zu einseitig konzernorientiert und blendeten die mittelständischen Unternehmen, das in aller Welt hochgelobte Herzstück der deutschen Wirtschaft, aus. Sie seien zudem zu theoretisch und nervtötend bei der Lektüre. Dies gelte etwa für das Standardwerk der deutschen BWL schlechthin, die tausendseitige „Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ des verstorbenen Saarbrücker Professors Günter Wöhe, kurz „der Wöhe“ genannt. Dieses Werk liefert ohne Zweifel eine Klassifizierung des aktuellen Wissens , wirke dabei aber wie eine in die Jahre gekommene Stoffsammlung, die leider das, was man heute brauche, nicht oder nur ungenügend abdecke. Gloger bemängelt – und dies zu Recht – dass die große Enzyklopädie der „betriebswirtschaftlichen Wissenshäppchen“ noch immer nicht digitalisiert sei. Lehrbücher aus dem Angloamerikanischen setzen hier ganz andere Standards, sehr zum Vorteil für die Studierenden. Gloger kritisiert darüber hinaus, dass in Deutschland immer noch die Frontalvorlesung dominiere und dass zu wenige Vorlesungen von Top-Professoren im Internet hinterlegt seien.
Bei so viel beißender Kritik, die Gloger viel zu gebetsmühlenartig und nervig präsentiert, stellt sich die Frage, ob er auch etwas Konstruktives zu bieten hat. Er hat. Er skizziert, wie eine Runderneuerung des Faches aussehen sollte: andere, moderne Didaktik, mehr Fokussierung auf Inhaberunternehmen, mehr Interdisziplinarität und Bildung sowie vor allem Verfeinerung des gesunden Menschenverstandes, der insbesondere unsere Hidden Champions groß gemacht habe. Die klassische BWL ist in den neuen Curricula nicht mehr alles, aber ein Element. Es lohnt sich, die Disziplin neu zu erfinden.

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Prof. Dr. Robert Fieten, fachlicher Berater der Beschaffung aktuell, Köln
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