Dunkle Zeiten“, so betitelt der Philosoph Markus Gabriel das 21. Jahrhundert. Ganz Unrecht hat er dabei nicht. Wir stehen als Gesellschaft vor großen Herausforderungen, der Klimawandel, die Corona-Pandemie und die Abwendung von demokratischen Staatsformen sind dafür nur einige Beispiele. Gabriel will in seinem Buch diese schweren Zeiten nicht verleugnen, sondern vielmehr einen Ausweg bieten: einen Ausweg, der eine Neubewertung moralischen Handelns voraussetzt. Dazu, so Gabriel, bauche es nichts weniger als eine neue moralische Aufklärung der Menschheit. Er sagt: „Ziel einer aufgeklärten Gesellschaft ist vielmehr die Autonomie – die Selbststeuerung ihrer Mitglieder durch moralische Einsicht“.
Universelle Moralsätze
Seine Argumentation beruht auf dem Grundgedanken, dass es „moralische Leitplanken“ gibt, die universell gültig sind, also für alle Zeiten und in allen Kulturen gelten, und somit „objektiv“ sind.
Ein starker Ansatz, waren doch in den letzten Jahrzehnten konstruktivistische Ansätze in der wissenschaftlichen Theoriebildung federführend – also die Idee, dass es keine bzw. verschiedene Realitäten gibt und diese nicht objektiv ergriffen werden können. Inzwischen ist der Hang zum Realismus, der eine objektiv erkennbare Wahrheit und Wirklichkeit zulässt, wieder auf dem Vormarsch. In diesem theoretischen Rahmen bewegt sich auch Gabriels Werk, der seine im Buch vorgestellte Theorie „Neuen Moralischen Realismus“ nennt.
Seine Grundthese ist ein Segen für eine menschliche Gesellschaft, die immer mehr zerbröckelt; ein „Zerfall“ in (immer radikalere) Kleinstgruppen, der sicherlich nicht in jahrelangem Beharren auf einer konstruktivistischen Weltsicht begründet liegt, in dieser aber gespiegelt wurde. Es ist höchste Zeit für ein Umdenken, wie es Gabriel hier vorlegt.
Das Werk besteht aus vier Teilen. Im ersten stellt Gabriel die universellen Werte vor und kontrastiert sie mit anderen Begriffen, wie dem Kulturrelativismus, dem Wertepluralismus und Meinungsfreiheit. Im zweiten Teil geht er genauer of moralische Tatsachen ein und erklärt, dass moralisches Handeln auch in einer komplexen, modernen Welt möglich ist. Im dritten Teil widmet er sich dann Themen wie dem Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit. Im letzten Teil verankert er seine Theorien noch einmal in den gegenwärtigen Herausforderungen wie der Corona-Krise und macht ganz deutlich: ein naturwissenschaftlich-technologischer Fortschritt kann uns nur dann weiterbringen, wenn er von einem moralischen Fortschritt begleitet wird, der mit diesen neuen Erkenntnissen und Technologien umzugehen weiß. Eigentlich ist dieser Zusammenhang mindestens seit der Erfindung der Atomwaffen unbestreitbar, aber es schadet nicht, auch im aktuellen Kontext immer wieder daran zu erinnern.
Bekehrtes Publikum
Schade ist es, dass Bücher wie diese, wie so oft, den Bekehrten predigen; wer sich für ein solches Buch interessiert, geht wohl kaum als Querdenker protestieren oder wochenends das Kapitol stürmen. Es ist also kein Werk, dass die Polarisierung der Gesellschaft aufheben kann. Auch Gabriel hat diese Einschränkung erkannt, ihm ist klar, dass er mit diesem Buch Extreme nicht zu Moralaposteln machen kann.
Dennoch muss man sein Unternehmen, universale, rationale Werte zu definieren, honorieren. Vor allem deshalb, weil solche Werte, je mehr Menschen nach ihnen handeln, einen Zusammenhalt schaffen können, an dem es unserer heutigen Gesellschaft erheblich mangelt.
Eine Rezension von Sanja Döttling,
Redakteurin Beschaffung aktuell.