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Einkauf 3.0 – Quo vadis Sourcing?

Der toolgestützte Beschaffungsprozess
Einkauf 3.0 – Quo vadis Sourcing?

Um den stetig wachsenden Aufgaben des Einkaufs gerecht werden zu können, werden optimale Methoden und Werkzeuge benötigt. Welche Methoden wendet der Einkauf also an, welche Werkzeuge können zum Einsatz gebracht werden und wie sieht das Tagesgeschäft in diesem komplexen, vernetzten Umfeld aus? Eine Skizze eines idealtypischen Einkaufsablaufs gewährt Einsicht in den Einkauf 3.0.

Gehen wir ein paar Jahre zurück – etwa 15 Jahre reichen dabei aus: 1995 befanden wir uns alle im Einkauf 1.0.

Der Einkauf ist nur in wenigen Unternehmen tatsächlich global. Die Übermittlung der Bedarfe innerhalb des Unternehmens erfolgt handschriftlich mittels Bedarfsscheinen und Investitionsanträgen, über hausinterne elektronische Nachrichten oder über ERP-Systeme. Als Hilfsmittel stehen den Einkäufern PCs mit Office-Anwendungen zur Verfügung. Die Spezifikationen sind Kopien (von Kopien) von Zeichnungen. Anfragen und der Angebotsrücklauf erfolgen postalisch, per Fax oder telefonisch mit den Lieferanten. Die Angebote werden manuell vergleichbar gemacht und in tabellarischen Angebotsspiegeln zusammengestellt. Der Einkaufsprozess selbst stellt dabei nicht das größte Problem dar, dieser wurde bereits in den vergangenen Jahrzehnten verfeinert und ist in vielen Firmen fachlich hervorragend. Der Zeitaufwand für administrative Tätigkeiten wie das manuelle Zusammenstellen und Versenden der Spezifikationen, das Konsolidieren der Angebote sowie das Nachhalten der Verhandlungsschritte und Verhandlungsergebnisse ist allerdings enorm.
Einkauf 2.0. Der Einkauf erfährt sein erstes euphorisches „Upgrade“. In den späten Neunzigerjahren wenden die ersten deutschen Unternehmen Auktionen als Preisverhandlungsmechanismus an und testen den Einkauf von C-Artikeln über Desktop-Purchasing-Systeme oder auf Marktplätzen. In der Regel haben diese Projekte allerdings Pilotcharakter. Auch eine exakte Abgrenzung der verschiedenen Geschäftsprozesse findet zu dieser Zeit noch nicht statt. E-Sourcing-Prozesse werden oft mit E-Procurement oder E-Auktionen gleichgesetzt.
Zwischen 1998 und 2003 hatten Auktionen Hochkonjunktur – auf jeden Fall in der Presse. An dieser Medienpräsenz haben sicherlich die komfortablen Marketingbudgets der Auktionsdienstleister ihren Anteil, die diese wiederum ihren Venture-Capital-Gebern verdankten. Zum Millennium zählte Berlecon Research weltweit rund 1000 virtuelle B2B-Marktplätze, täglich entstanden neue Marktplätze. Der Trend zum Marktplatz gipfelte 2000 in der Ankündigung der Automobilhersteller-Einkaufsplattform Covisint. Covisint wurde ein revolutionäres Potenzial zur Änderung der Supply Chain in der Automobilindustrie zugeschrieben: das Ziel, die Einkaufstätigkeiten von Ford, General Motors, DaimlerChrysler, Renault und Nissan zu konsolidieren. Das Projekt scheiterte, da sich die beteiligten Unternehmen im strategischen Einkauf offensichtlich nicht auf gemeinsame Standards einigen konnten.
Auch die meisten übrigen Marktplatzkonzepte im B2B-Bereich verschwanden bis Mitte 2004, retteten sich in Nischen oder änderten ihr Geschäftsmodell komplett. Für das C-Artikel-Management hat sich die Nutzung von Marktplätzen allerdings etabliert.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass sich bei den Themen Sourcing und Lieferantenmanagement das Marktplatzkonzept nicht etabliert hat. Die großen einkaufenden Unternehmen und Konzerne nutzen individuelle Lieferantenportale, um ihre eigenen Prozesse und Strategien in Systemen abzubilden.
Die Synthese. Wenn wir von Einkauf 3.0 reden, sprechen wir von der ersten Korrektur einer Reaktion (2.0) auf eine bestehende Situation (1.0). Der alles entscheidende Unterschied zwischen Einkauf 1.0 und Einkauf 3.0 besteht in der Nutzung eines für die Kommunikation zwischen den beiden Geschäftspartnern geeigneten Mediums. Der Austausch von Informationen im Sourcing-Prozess per Post, Fax, E-Mail und ERP, mit den bereits dargestellten Nachteilen, wird also durch eine prozessführende Software, in der Regel ein Lieferantenportal, ersetzt.
Im Unterschied zu Einkauf 2.0 sprechen wir im Einkauf 3.0 nicht mehr über die Abwicklung von wenigen Einzelprojekten, sondern über eine umfassende Umstellung der Prozesse auf einen integrierten, IT-unterstützten Weg.
Die Unternehmen, die die Evolution im Einkauf aktiv mitgestaltet haben, liegen dabei noch vorne. Ein gutes Beispiel ist die Automobilindustrie, die als eine der führenden Industrien in der Geschäftsprozessorientierung – insbesondere im Einkauf – anerkannt ist.
Selbstverständlich nutzen Unternehmen aus anderen Branchen ebenfalls Lieferantenportale im Tagesgeschäft. Objektiv betrachtet lässt sich feststellen, dass jede Einkaufsentscheidung für A-, B-Artikel, für direkte wie indirekte Warengruppen, Produkte und Dienstleistungen, egal, in welcher Branche oder Wertigkeit, den gleichen Weg nimmt. Sogar die grundsätzliche Entscheidung, von welchem Lieferanten ein Unternehmen in Zukunft seine Bedarfe im C-Artikel-Bereich elektronisch über VMI oder Katalogmanagement decken lässt, ist eine Sourcing-Entscheidung.
Softwaregestützte Sourcing-Lösungen gestalten den Entscheidungsprozess in seiner Logik nicht neu. Sinn und Zweck der Software ist es, den etablierten Prozess zu beschleunigen, abzusichern, zu protokollieren und Tätigkeiten zu übernehmen, die wiederkehrend und deterministisch sind. Vorteile der IT-gestützten Prozesse:
  • Senkung der Einstandskosten um 9 bis 15 Prozent,
  • Objektivierung der Vergabeentscheidung durch einheitliche, transparente Prozesse,
  • Prozesskostenreduzierung um 5 bis 13 Prozent durch die Verkürzung von Durchlaufzeiten und medienbruchfreie Informationsübergaben.
Change Management. Warum nutzen angesichts dieser Vorteile nur rund 40 Prozent aller 2009/2010 im „BME-Stimmungsbarometer Elektronische Beschaffung“ befragten Unternehmen Sourcing-Anwendungen? Gehen wir einige der typischen Abwehr-argumente durch und versuchen zu erkennen, aus welchem Grund die anderen 60 Prozent dies (noch) nicht tun:
Argument 1: „Wie sicher sind Sourcing-Anwendungen?“
Die Sicherheit der Sourcing-Anwendung wird durch eine moderne Software in einer zeitgemäßen IT-Architektur erreicht und kann durch Penetrationstests überprüft werden. Die Hersteller bewegen sich bei professionellen und äußerst sicherheitsbedürftigen Unternehmen im unternehmenskritischen Umfeld. IT-Sicherheitsdienstleister bieten White- und Blackbox-Tests nach BSI-Richtlinien an. Seriöse Anbieter von Sourcing-Lösungen lassen derartige Tests zu oder haben diese Tests bereits mehrfach bestanden. Blickt man zurück zum Einkauf 1.0 (Versand von Zeichnungen und Daten per E-Mail und Fax), so erkennt man zum einen die verbesserten Sicherheitsmöglichkeiten durch den Einsatz einer Software und zum anderen die gestiegenen Anforderungen an die Sicherheit des Datenaustauschs.
Argument 2: „Wir brauchen kein Drittsystem, das kann unser ERP-Anbieter auch.“
Der Markt in Deutschland ist geprägt von mittelständischen Spezialisten, die in den vergangenen Jahren alle Anforderungen der Einkaufsabteilungen in ihre Softwareprodukte eingebracht haben. Nach herrschender Meinung haben die Sourcing-Funktionalitäten der Best-Practice-Anbieter bzgl. der Bedürfnisse von professionellen Einkaufsabteilungen mit komplexen Einkaufsprozessen rund zwei Jahre rollierenden Vorsprung. Durch die offenen Architekturen der großen ERP-Systeme lassen sich inzwischen sowohl JAVA- als auch .NET-Anwendungen sicher und mit geringem Aufwand in die Vor- und Folgeprozesse der ERP-Systeme einbinden. Bei genauer fachlicher und technischer Betrachtung dürfte sich also das Beste aus den zwei Welten ERP- und Drittanwendungen kombinieren lassen. Das Ergebnis kann eine perfekte Abbildung der eigenen Einkaufsprozesse durch die Spezialisten-Systeme und die Einbettung dieser Anwendung in Vor-, Folgebelegflüsse und Portalumgebungen des ERP-Systems sein.
Argument 3: „In meiner Materialgruppe lässt sich der Anfrageprozess nicht über ein Lieferantenportal abbilden.“
Der Anfrageprozess entspricht immer demselben Muster: Spezifizieren – Anfragen – Bewerten – Bestellen. Egal, ob es sich beim Beschaffungsgegenstand um Bauleistungen, Facility-Management, Werkzeugbau, Marketingdienstleistung, Stanzteile, Investitionsgüter oder Spritzgussteile handelt, folgt dieser Prozess dem immer gleichen Prinzip. Selbst wenn Lead Buyer aktuelle Preissteigerungen in bestimmten Materialgruppen abwehren müssen, bleibt dennoch die Vergabe – auch in Märkten mit Allokation – eine Vergabe. Der Prozess, die Preisentwicklungen, die Vergabeentscheidungen und -parameter müssen gut protokolliert sein.
Argument 4: „E-Sourcing kommt für uns nicht infrage – denn der Preis ist nicht das alleinige Kriterium!“
E-Sourcing ist auch nicht mit einer schlecht vorbereiteten Auktion gleichzusetzen, die qualitativ unterschiedliche Angebote um des besseren Preises willen miteinander gleichstellt. Diesen Fehler könnten Sie übrigens bei jeder konventionellen Verhandlung auch begehen. Zusätzlich zu den kaufmännischen Parametern werden Bewertungen der Technik, der Qualität, der Logistik und anderer Aspekte bei guten E-Sourcing-Anwendungen problemlos, standortübergreifend und objektiv abgebildet.
Argument 5: „Unsere Lieferanten möchten bestimmt nicht über unser E-Sourcing-Portal anbieten.“
Lieferanten präsentieren sich naturgemäß nur ungern vollständig transparent und vergleichbar. Aber die Aufgabe des Einkaufs ist es, die USPs der Lieferanten zu bewerten und alle übrigen Angebotsparameter vergleichbar zu machen. Bei der Gegenüberstellung der Vergleichskriterien unterstützt das Sourcing-Tool optimal. Werden alle Anfragen nur über das Portal verteilt, so hat der Lieferant nicht länger die Auswahl, ob er den softwaregestützten Anfrageprozess mitgehen möchte. Sollte das einkaufende Unternehmen für den Lieferanten als Kunde keine strategische Relevanz haben oder sollte der Lieferant gezwungen sein, Listing-Gebühren für eine Teilnahme zu bezahlen oder sollte der Lieferant nur sehr selten Anfragen über das Portal erhalten, wird die Argumentation gegenüber dem Lieferanten natürlich ungleich schwerer.
Ein konstruktives Lieferantenmanagement mit konsequenten Entwicklungswegen in einem guten Lieferantenportal erleichtert beiden Geschäftspartnern die tägliche Arbeit und führt zu einer Win-win-Situation. Tatsächlich haben viele Lieferanten die Möglichkeit erkannt, Lieferantenportale als Vertriebsinstrument zu nutzen und haben die eigenen E-Sourcing-Fähigkeiten ausgebaut.
Argument 6: „Diese Systeme sind zu kompliziert oder bilden unsere Bedürfnisse im Einkauf nicht ab.“
Tatsächlich bilden Sourcing-Systeme einen komplexen Prozess ab und es ist eine Herausforderung, den Spagat zwischen Komplexität und einfacher Bedienung für den Nutzer zu bewerkstelligen. Schulungen und Helpdesks sind in den ersten Wochen der Nutzung ein sinnvoller Bestandteil der Rollout-Planung. Je besser der Einkauf geschult wird und je intensiver und regelmäßiger die Systeme eingesetzt werden, umso schneller werden die Nutzer die Vorteile für sich erkennen und realisieren können. Bei den Sourcing-Anwendungen gilt: „softwarefollows (bestpractice) process“, wobei die Software in der Regel implizit einen Prozessstandard bereitstellen kann. Es bleibt die Aufgabe, den unternehmenseigenen Prozess für die Umsetzung im System zu beleuchten. Professionelle Systeme sind in der Lage, individuelle und unternehmenseigene Prozesse so abzubilden, dass die Nutzer davor bewahrt bleiben, mit der vollen und oft sehr breiten Funktionalitätsvielfalt umgehen zu müssen.
Wie bei jeder Einführung einer Unternehmenssoftware sind die folgenden Parameter auch bei der Einführung eines kombinierten E-Sourcing- E-Auction- und Lieferantenmanagementsystems erfolgsentscheidend:
  • die Auswahl des passenden Softwareprodukts,
  • ein ausgewogenes Verhältnis von Top-Down-Vorgaben (Compliance, Controlling und IT) und Bottom-Up-Mitwirkung (Fachprozess) und
  • ein professionelles Projekt- und Change-Management.
Verantwortlich hierfür sind der Prozess-Owner und der jeweilige Projektmanager.
Werden nach dem ersten Schritt die gesetzten Meilensteine konsequent im Auge behalten, steht einer Erfolgsgeschichte des softwareunterstützten Einkaufsprozesses im eigenen Unternehmen nichts mehr im Wege.
Zusammenfassung. (1) Die Entscheidung, welcher Lieferant einen gegebenen Bedarf in Zukunft decken wird, ist eine strategische Entscheidung von höchster wirtschaftlicher Bedeutung. Dieser Entscheidungsprozes lässt sich nur dann sinnvoll steuern und kontrollieren, wenn alle Geschäftsprozesse nach der Devise „No Portal – No Business“ in einem System zusammengefasst sind. Professionelle E-Sourcing-Anwendungen sind fachlich und prozessseitig ausspezifiziert und bieten eine optimale Unterstützung des Einkaufsprozesses.
(2) E-Sourcing-Anwendungen sind ein integrativer Teil der Unternehmenssoftware. Verschiedene Systemwelten wachsen durch intelligente Integrationen über EAIs und Portalanwendungen mit dem ERP zusammen und operieren vernetzt. Moderne Softwareprodukte sind sicher, hoch integrationsfähig und technisch ausgereift.
(3) Unternehmen, die den komplexen Einkaufsprozess weiterhin mit Bordmitteln, also per Fax, E-Mail oder mit ERP-Systemen durchführen, nehmen hohe Opportunitätskosten in Kauf. Die Systeme sind bereit, eingeführt zu werden und der ROI sollte innerhalb von einem halben bis max. innerhalb von zwei Jahren erreicht werden.
(4) Die Einkäufer müssen ihren Sourcing-Prozess nicht neu erfinden, sie verwenden lediglich ein geeignetes Medium, um mit ihren Lieferanten Informationen auszutauschen.

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