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„Für ein digitales Ökosystem braucht es einen agilen Einkauf“

Thomas Holzner, Digital Procurement Transformator, Siemens
„Für ein digitales Ökosystem braucht es einen agilen Einkauf“

„Für ein digitales Ökosystem braucht es einen agilen Einkauf“
Thomas Holzner gründete 2017 mit vier Kolleginnen und Kollegen das DigiNetwork. Bild: Siemens
Die Siemens AG ist ein Mischkonzern mit den Schwerpunkten Automatisierung und Digitalisierung in der Industrie, Infrastruktur für Gebäude, dezentrale Energiesysteme, Mobilitätslösungen für den Schienen- und Straßenverkehr sowie Medizintechnik. Mit Thomas Holzner, Digital Procurement Transformator bei Siemens, sprach Beschaffung aktuell über Agilität im Einkauf, Engpässe in der Lieferkette und die Erfolgsgeheimnisse von Bottom-up Projekten im Supply Chain Management

Beschaffung aktuell: Herr Holzner, Sie beschäftigen sich seit langem bei Siemens mit dem Thema Digitalisierung und haben vor ein paar Jahren das SCM DigiNetwork gegründet. Was ist das für ein Format und was ist die Idee dahinter?

Thomas Holzner: Die Digitalisierung ist für Siemens ein immens wichtiges Thema. Und eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung ist es, auch wirklich alle Mitarbeiter einzubinden und auf die digitale Transformationsreise mitzunehmen. Wir haben vor ein paar Jahren festgestellt, dass wir mit der bestehenden Kommunikation nicht alle Mitarbeiter erreichen. Die Frage war also: Wie bekommen wir beispielsweise eine größere Offenheit hinsichtlich der Nutzung von Software und der Akzeptanz von Neuerungen? Dafür braucht es eine Änderung des Mindsets, damit die Menschen sagen, das ist cool, also nutze ich das auch. Ich glaube, es ist ganz normal, wenn Mitarbeiter, die von einer Plattform, die sie bereits kennen und nutzen, zu einer anderen wechseln sollen, erstmal skeptisch sind. Wir haben dann ein Team zusammengestellt mit Kollegen aus jeder Division inklusive IT und Human Ressources, das zunächst die Erwartungen an das Projekt definiert hat. Alles auf freiwilliger Basis und ohne Beteiligung des Managements, denn das Ganze sollte Bottom-up funktionieren. Bei diesen Treffen sind wir schließlich zu dem Ergebnis gekommen, dass wir eine Digitalisierungsstrategie für das Supply Chain Management im Unternehmen brauchen.

Bei der Entwicklung dieser Strategie haben wir auch das Management-Team mit eingebunden. Zunächst haben wir die Software-Landschaft von Siemens SCM abgebildet. Damals waren es zehn Divisionen, jede mit eigenen Software-Lösungen, was im Rahmen einer einheitlichen Strategie nicht wirklich Sinn macht. Bei der Frage, wie wir damit ohne Anordnung von oben umgehen sollten, wurde das eigentliche Digi-Netzwerk gegründet, als Place to go für Digitalisierung im Unternehmen. Hier geht es einerseits darum, die Nutzung der vorhandenen Software zu steigern, aber auch um die Implementierung neuer Ideen. Dafür haben wir ein Format entwickelt, den so genannten Kickstarter, bei dem jeder aus dem Supply Chain Management eine Idee einreichen kann. Diese Idee muss etwas mit SCM zu tun haben, der Value Case muss auf eine Seite passen und so formuliert sein, dass direkt im Anschluss an die Präsentation darüber abgestimmt werden kann. Bei mehr als 50 Prozent Zustimmung wird das Projekt unterstützt, sowohl finanziell als auch mit Projektmanagement und IT-Integration. Es muss dann innerhalb von drei Monaten implementiert und danach derselben Runde wieder vorgestellt werden.

Im Laufe der Zeit sind immer mehr Kollegen dazugekommen, weil wir durch erfolgreiche Projekte wie Digital Leader, ein Workshop für Führungskräfte, oder Supply Chain Control Tower konzernweit bekannt geworden sind. Wir gehen im Rahmen der so genannten Digital Safari auch an andere Standorte und stellen dort verschiedene Software-Tools vor. Darüber hinaus gibt es einen Webcast, das Digi-Sofa, bei dem jeder, der dabei ist, in einem Chat live Fragen stellen kann. Während der Corona-Pandemie war dieser Webcast rein virtuell, inzwischen sind wir wieder auf einem echten Sofa im Studio und machen auch sehr erfolgreiche Podcasts.

Ein Grund für den Erfolg war sicher auch, dass das Topmanagement diese Digitalisierungsstrategie immer unterstützt hat und dass sie cross-funktional angelegt ist. Beim Digi-Netzwerk sind nicht nur Commodity-Manager dabei, sondern auch Kollegen von HR undIT, Cost & Value-Ingenieure und Kollegen aus den Regionen. Auch Internationalität ist wichtig. Wir haben das Format sehr erfolgreich in den USA, China und Indien implementiert.

Welchen Stellenwert haben neue Technologien wie Blockchain oder KI?

Holzner: Meiner Meinung nach wird es Firmen, die sich nicht mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzen, auf lange Sicht nicht mehr geben. Bei Siemens nutzen wir KI bereits im Einkauf. Wir sind relativ gut durch die Pandemie gekommen, vor allem was die Materialverfügbarkeit betrifft, und das liegt sicher auch daran, dass wir ein sehr gutes KI-gestütztes Risk Management haben – bei uns ging die erste Warnmeldung im Januar 2020 ein. Außerdem nutzen wir sie für die Analyse von Zahlungsmustern von Lieferantendaten. Der Einkauf verfügt ja über eine enorme Menge an Daten, und das Potential, das KI hier zur Analyse bietet, ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Blockchain sehe ich persönlich als eine der Technologien der Zukunft, allerdings eher im Logistikbereich als im strategischen Einkauf. In einem Showcase haben wir zum Beispiel nur die Hashtags abgespeichert, um den Datensatz klein zu halten. Jeder Mitarbeiter kann dann auf seinen Geräten den dazugehörigen Datenpool abspeichern. Der Vorteil ist, dass man dabei für die Nutzung keine besonders große Rechnerleistung mehr benötigt, was ja ein Grund dafür ist, dass so viele Unternehmen vor der Nutzung der Blockchain-Technologie noch zurückschrecken. So etwas kann allerdings vermutlich erst in ein paar Jahren kommerziell genutzt werden, da es sehr komplex ist.

Ist der Einkauf generell gut aufgestellt, was zukünftige Herausforderungen betrifft?

Holzner: Das kann man sicher nicht pauschal sagen aber mein Eindruck ist: Unternehmen, die einen guten CPO haben, haben inzwischen auch eine gute digitale Roadmap. Wenn ein CPO dagegen permanent das Gestrige verteidigt, mit den Lieferanten verhandeln will und Druck ausübt, um auch noch den letzten Cent einzusparen, anstatt auf eine Partnerschaft mit seinen Lieferanten zu setzen, wird es nicht mehr lange funktionieren. Was wir brauchen, ist ein digitales Ökosystem, und dafür muss der Einkauf agil sein. In der IT ist das schon Standard, auch die Produktentwicklung ist bei vielen Unternehmen auch bei Siemens, schon agil ausgestaltet. Im Einkauf ist da noch viel Luft nach oben. Deshalb glaube ich, dass nach der Digitalisierungswelle jetzt die Agilitätswelle kommt, und genau daran wird sich zeigen, ob im Einkauf jemand ist, der agil denkt und handelt oder eher noch oldschool ist. Ich denke aber, dass der Einkauf bereit dafür ist, schon weil er eine sehr große externe Schnittstelle mit den Lieferanten hat und dadurch per se schon offen und kommunikativ unterwegs sein muss.

Kann Agilität Unternehmen dabei helfen, Krisen besser zu bewältigen?

Holzner: Natürlich. Unser Projekt Digital Leader, der Workshop für Führungskräfte, ist in erster Linie ein agiler Workshop. Und Agilität hilft auf alle Fälle, Krisen gut zu meistern. Das wird in Zukunft auch immer wichtiger werden. Das Thema Digitalisierung ist ja inzwischen nicht mehr Kür, sondern Pflicht. Ein moderner Einkauf muss einfach digital arbeiten, weil wir so viele Informationen und Daten haben, dass man die auf die klassische Art und Weise gar nicht mehr bearbeiten und nutzen kann. Und für digitales Arbeiten muss das Setup agil sein.

Wo sehen Sie für sich und für Ihre Einkaufsorganisation die größten Herausforderungen in den nächsten Jahren?

Holzner: Für unser Unternehmen und für den Einkauf generell ist auf jeden Fall das Thema Materialverfügbarkeit eine der größten Herausforderungen. Elektrochips sind beispielsweise ein großer Engpass. Bedingt durch den Krieg in der Ukraine fehlt auch Stahl, vor allem Spezialstahl. Plastik ist im Elektronikbereich seit über zwei Jahren ein Engpassmaterial. Und diese Bandbreite von Engpässen von Chips über Stahl, Plastik oder auch Holz zusammen mit dem Mangel an Spezialisten, der ja noch dazukommt, ist eine der größten Herausforderungen für den Einkauf, auch aufgrund des Zeitraums. Unsere Kollegen vor allem in den Elektronikwerken machen ja kaum etwas anderes als Material zu jagen, und das seit dem Frühjahr 2020. Engpässe kommen ja immer mal wieder vor, aber in dieser Breite und Intensität haben wir das noch nicht gehabt. Hinzu kommt die disruptive Entwicklung bei der konsequenten Nutzung der neuen digitalen Tools, über die wir schon gesprochen haben, auch das ist für mich eine enorme Herausforderung.

Für Beschaffung aktuell stellte die Fragen Ulrike Dautzenberg, freie Journalistin, Wiesbaden.


Thomas Holzner

… studierte Fertigungstechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und ist seit 1998 beim Siemens-Konzern. Hier war er unter anderem als CPO für Siemens South Africa, Siemens Transformers und Siemens Windpower tätig. Von 2015 bis 2019 leitete er das konzernweite, X-funktionale Purchase-2-Pay Programm. 2017 gründete er mit vier Kolleginnen und Kollegen das DigiNetwork, das er seit 2019 fulltime betreut.

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