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Was die Wirtschaft 2023 erwartet

Wirtschaftsprognose für das anstehende Jahr
2023 – Es steht Spitz auf Knopf!

2023 – Es steht Spitz auf Knopf!
Bild: gopixa/stock.adobe.com
Noch im Herbst 2022 wurde fest davon ausgegangen, dass die deutsche Industrie auf eine Rezession in 2023 zusteuert. Zum Jahreswechsel gibt es leise Hoffnungsschimmer, dass unsere Industrie glimpflicher durch die nächsten Monate kommt. Aber ist das so? Dr. Robert Fieten analysiert die großen Herausforderungen, vor denen unsere Industrie steht.

Selten lagen die Wirtschaftsforscher mit ihren Prognosen so daneben wie in 2022. Denn mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 kam alles anders.

Der über viele Jahre im Zeitalter der regelbasierten globalen Vernetzung dominierende Glaubenssatz „Wandel durch Handel“ ist durch den Angriffskrieg Russlands schwer verwundet worden – hoffentlich ist er noch nicht tot! Fakt ist, dass die geopolitischen Spannungen aber auch die protektionistischen Tendenzen weltweit in bedrohlicher Weise zunehmen. Es wird mehr als deutlich, dass die Welt wieder in einander feindlich gesonnene Blöcke zu zerfallen droht. Europa und insbesondere die Exportnation Deutschland drohen zerrieben zu werden zwischen Amerika und China. Zu allem Überfluss kommt hinzu, dass Europa und die USA zurzeit vor einem neuen Handelskonflikt stehen (Stichwort Inflation Reduction Act).

Für das deutsche Geschäftsmodell – die Basis unseres Wohlstands – verheißt die eingetretene Zeitenwende nichts Gutes. Das bisher so erfolgreiche deutsche Geschäftsmodell, das auf Innovation beruht und eine kostengünstige Energieversorgung und offene Weltmärkte voraussetzt, gerät immer mehr unter Druck und bedarf nicht nur einer Runderneuerung sondern einer Neuerfindung, von der aber noch nicht viel zu sehen ist.

2023 – ein Jahr großer Unsicherheit und Risiken

Die Ökonomen sind sich einig: Das Jahr 2023 wird ein Jahr der Unsicherheit und der großen kaum kalkulierbaren Risiken. Krisen kommen in immer kürzeren Abständen und lassen sich in den ökonometrischen Prognosemodellen nicht mehr einfangen. Dennoch: Vor dem Hintergrund etwas aufgehellter Geschäftserwartungen der Unternehmen sahen sich viele Analysten zum Jahreswechsel veranlasst, ihre Wachstumsprognosen in den leicht positiven Bereich zu hieven – zumindest vorläufig!

Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich aufgehellt. Der ifo Geschäftsklimaindex ist im Januar auf 90,2 Punkte gestiegen, nach 88,6 Punkten im Dezember. Dies war auf merklich weniger pessimistische Erwartungen zurückzuführen. Die Unternehmen waren jedoch etwas unzufriedener mit den laufenden Geschäften. Die deutsche Wirtschaft startet zuversichtlicher ins neue Jahr. Bild: Ifo
Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich aufgehellt. Der ifo Geschäftsklimaindex ist im Januar auf 90,2 Punkte gestiegen, nach 88,6 Punkten im Dezember. Dies war auf merklich weniger pessimistische Erwartungen zurückzuführen. Die Unternehmen waren jedoch etwas unzufriedener mit den laufenden Geschäften. Die deutsche Wirtschaft startet zuversichtlicher ins neue Jahr. Bild: ifo

Tatsächlich haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen jüngst verbessert.

– Das Risiko eines akuten Gasmangels, der die Unternehmen zwingen würde, ihre Produktion stillzulegen, ist nach wie vor vorhanden ist aber geringer geworden. Voraussichtlich muss das Gas im Winter 2023 (wohl eher im Winter 2024) noch nicht rationiert werden. Dies liegt auch an dem nicht unerheblichen Zufluss von Flüssiggas. Sofern es nicht noch zu einem längeren strengen Kälteeinbruch kommt, dürfte Deutschland ohne Engpässe durch das Winterhalbjahr zu kommen. Allerdings werden sich die Energiepreise auch in 2023 weiterhin auf sehr hohem Niveau bewegen und sich für die Unternehmen als existenzbedrohende Cash-Flow-Fresser erweisen.

– Die Disruptionen in den Lieferketten, die die Unternehmen in 2022 daran hinderten, ihre vielen Aufträge abzuarbeiten, haben zurzeit nachgelassen. Laut ifo Institut klagten im November 2022 knapp 60 Prozent der Unternehmen über fehlende Vorprodukte und fehlendes Material. Ende 2021 waren dies noch mehr als 80 Prozent. Auch in der Containerschifffahrt gibt es Entspannung, und die aufgeblähten Frachtraten sind deutlich gefallen.

– Zur Stützung der volkswirtschaftlichen Nachfrage hat die Bundesregierung mehrere milliardenschwere Entlastungspakete im Wert von insgesamt fast 300 Mrd. Euro für Unternehmen und Haushalte auf den Weg gebracht. Diese stabilisieren die Konjunktur; allerdings belasten sie die öffentlichen Haushalte. Zudem dürften sie sich als Inflationstreiber erweisen und konterkarieren die Bremswirkungen der Zinserhöhungen.

Aus der temporären Verbesserung der Rahmenbedingungen zu schließen, es werde wohl doch nur eine Konjunkturdelle geben, ist reichlich optimistisch. Die verbesserten Rahmenbedingungen stehen auf tönernen Füßen. Das Problem einer kostengünstigen Energieversorgung ist keineswegs gelöst. Weil Russland kein Gas mehr liefert, droht der EU laut Internationale Energieagentur (IEA) demnächst eine Versorgungslücke von 30 bis 60 Milliarden Kubikmeter Gas. Das weltweite Angebot an Flüssiggas wird in 2023 um lediglich 20 Milliarden Kubikmeter zunehmen. Auf mehr als die Hälfte davon hat China ein Vorkaufsrecht. Ohne weitere Maßnahmen werden die Gasspeicher in Europa Ende 2023 zu 70 Prozent leer. Gasrationierungen sind dann wohl kaum zu vermeiden (Quelle: Wirtschaftswoche vom 23.12.2022).

Die erwartete Konjunkturschwäche in Verbindung mit den deutlich angestiegenen und weiter steigenden Zinsen trübt das Investitionsklima ein.

Vor allem die Bauwirtschaft wird in 2023 Einbußen hinnehmen müssen, denn sie ist unmittelbar von der Zinsentwicklung abhängig. Die extrem niedrigen Hypothekenzinsen haben in den vergangenen Jahren eine Bonanza ausgelöst, der jetzt eine vermutlich länger anhaltende Flaute folgt. Immerhin: Die Zinsen für zehnjährige Hypothekendarlehen haben sich seit Jahresbeginn 2022 mehr als verdreifacht – auf über vier Prozent, und dies ist noch nicht das Ende. Hinzu kommen für die Häuslebauer die gestiegenen Kosten für Baumaterialien und Handwerkerleistungen. So kann es nicht überraschen, dass die Preise für Häuser und Wohnungen in jüngster Zeit erstmalig wieder seit 2011 gesunken sind und dass Bauprojekte gestoppt werden.

Auch im Wirtschaftsbau werden Investitionen zurückgestellt. In den ersten neun Monaten dieses Jahres schrumpften die Genehmigungen im Gewerbebau real um sieben Prozent. Der öffentliche Bau kann die Rückgänge nicht ausgleichen.

Fazit: Die Jahre, in denen wachsende Ausrüstungsinvestitionen und der Bau die Konjunktur ankurbelten, sind zunächst einmal vorbei.

Getrübtes Investitionsklima und lahmende Exporte

Die Aussichten für den Außenhandel haben sich deutlich eingetrübt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) beklagt, dass alle drei großen Wirtschaftsräume – USA, China und Europa – synchron schwächeln.

Die US-Wirtschaft steuert infolge der kräftigen Leitzinserhöhungen der Federal Reserve auf eine Rezession zumindest aber eine Slowcession zu. Der Wohnungsbau in den USA geht bereits zurück, und der Konsum schrumpft, weil die hohe Inflation die Kaufkraft massiv schwächt.

IWF-Sorgenkind Nummer eins ist jedoch China. Waren bisher die von der Null-Covid-Politik induzierten umfassenden Lockdowns der vergangenen Monate für die Wirtschaftsschwäche Chinas verantwortlich, so belasten nun horrende Infektionszahlen das Land. Die abrupte Abkehr von der Null-Covid-Politik hat Chinas Wirtschaftstätigkeit im Dezember 2022 auf das niedrigste Niveau seit Februar 2020 gedrosselt. Hinzu kommt, dass die Wirtschaft nach wie vor unter der Krise am Immobilienmarkt, der mit einem Anteil von rund 30 Prozent an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung ausmacht, leidet. Der Caixin-Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe sank im Dezember von 49,4 auf 49 Punkte im Vergleich zum Vormonat. Das Wachstumsziel von mehr als fünf Prozent dürfte die chinesische Regierung verfehlen. Im Ergebnis verliert China immer mehr seine Bedeutung als globaler Wachstumsmotor, es wird sogar zur größten gefährlichen Unbekannten für die Weltwirtschaft.

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Bild: tradingeconomics.com/china/manufacturing-pmi

Mit der Synchronschwäche der großen Wirtschaftsräume gehen auch die goldenen Zeiten für deutsche Exporteure, in denen sich Waren made in Germany rund um den Globus ausgezeichnet absetzen ließen, zu Ende. Zu beachten ist auch, dass wegen der hohen Energiekosten die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exporteure verloren geht. Es kann daher nicht überraschen, dass die Volkswirte der Commerzbank für 2023 mit einem Minus bei den Ausfuhren rechnen.

Wie geht es weiter mit Konjunktur und Inflation?

Der Ukraine-Krieg ließ die Energiepreise in Europa explodieren und induzierte das in der Vergangenheit unvorstellbare Risiko von Blackouts. Damit einher gingen massive Preissteigerungen bei Lebensmitteln zeitweise auch bei Rohstoffen, die jedoch im Dezember 2022 überwiegend seitwärts tendierten. Die in den letzten zehn Jahren schon totgesagte Inflation kletterte in den zweistelligen Bereich, hat sich jedoch im Dezember vermutlich temporär auf 8,6 Prozent reduziert. Im Jahresdurchschnitt 2022 werden wir wohl auf eine Inflationsrate in Höhe von 8 Prozent kommen. In 2023 wird sie sich etwas abschwächen, dürfte aber immer noch rund 6 bis 7 Prozent erreichen, sofern kein China-Kracher einschlägt. Die Jahre mit superniedriger Inflation sind jedoch zunächst einmal vorbei. Dies hat nicht nur kurzfristig massive Auswirkungen auf die Kaufkraft der Bürger und die Ausrüstungs- und Bauinvestitionen und damit auf die volkswirtschaftliche Nachfrage.

Vor diesem Hintergrund wird das Wirtschaftswachstum 2022 nur bei (immerhin) 1,8 Prozent liegen; in 2023 wird es allenfalls mit ca. 0,2 Prozent nur noch marginal positiv sein und sich danach auch nur sehr langsam erholen. Diese Prognose steht unter dem Vorbehalt, dass es nicht zu einer Eskalation der geopolitischen Spannungen und einer neuen Pandemiewelle kommt.

Die fatale Kombination aus steigenden Preisen und schrumpfender Wirtschaft, die sich in 2023 verfestigen könnte, lässt böse Erinnerungen an die Ölpreiskrisen der 1970er-Jahre hochkommen. Nur die Älteren werden sich noch entsinnen, wie damals der Ölpreisschock die Wirtschaft lahmlegte und die Inflation in die Höhe trieb. Die jetzt aktive Managergeneration kennt solche Entwicklungen nicht und tut sich schwer damit professionell umzugehen. Krasse Fehlentscheidungen der Unternehmen etwa beim Pricing sind daher zu erwarten.

Die beschriebene Zurückhaltung beim Konsum, die Krise am Bau und die Schwäche bei Investitionen und Exporten führen dazu, dass die deutsche Wirtschaft 2023 zum zweiten Mal binnen drei Jahren in eine milde Rezession rutschen dürfte. Dafür spricht auch, dass die Niedrigzinspolitik als Treiber der Konjunktur ausfällt. Es ist sicher, dass die EZB in 2023 weitere Zinsschritte nach oben realisieren wird, um die Inflation zu bekämpfen. Hinzu kommt, dass die EZB ab März 2023 ihre riesigen Anleihebestände in Höhe von mehr als 5 Billionen Euro schrittweise abschmelzen will und den Geschäftsbanken dadurch Liquidität entziehen wird. Auch dies dürfte die Konjunktur in 2023 und darüber hinaus spürbar dämpfen und auch einen Effekt auf die Preisentwicklung haben, denn zurzeit ist die in unserer Volkswirtschaft kursierende Geldmenge im Hinblick auf die Geldwertstabilität rund 10 Prozent zu hoch.

Trotz aller Anstrengungen der EZB ist die Inflation gekommen, um zu bleiben. Ein großes Risiko für 2023 besteht in einer nicht auszuschließenden Lohn-Preis-Spirale. In 2023 werden die Tarifverträge für elf Millionen Beschäftigte neu ausgehandelt. Auch der Kampf gegen den Klimawandel und der wachsende Protektionismus wirken strukturell preistreibend.

Folgen für Einkäufer und Supply Chain Manager

In dem skizzierten Umfeld einer schwächelnden Wirtschaft dürfen die Einkäufer und Supply Chain Manager wegen der in vielen Feldern besseren Materialverfügbarkeit auf etwas Entspannung hoffen:

  • Ihre Position gegenüber den nach Aufträgen suchenden Lieferanten wird tendenziell gestärkt. Wenn Lieferanten versuchen, Materialkostenzuschläge in ihre Verträge einzubauen, sollte nachgefasst werden.
  • Bei vielen (nicht bei allen) Rohstoffen und Vorprodukten wird es Preissenkungen geben. Immerhin sind die Einkaufspreise im Dezember den dritten Monat in Folge gesunken.
  • Allerdings wird die Energieversorgung auch in 2023 weiterhin Sorgen machen.
  • Die Disruptionen der Lieferketten nehmen ab. Allerdings könnten die hohen Corona-Zahlen in China und die damit verbundenen Produktionsausfälle die internationalen Lieferketten wieder aus dem Gleichgewicht bringen.

Trotz der Entspannungen bleibt die Herausforderung, die Lieferketten resilienter zu machen und dies nicht zuletzt durch Diversifizierung der Lieferquellen und Reshoring – Aspekte, die im Übrigen auch bei der Umsetzung des LkSG zu beachten sind.


Prof. Dr. Robert Fieten

wissenschaftlicher Berater, Köln

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