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Alle ins Boot! Lohnt sich das?

Supply-Chain-Integration
Alle ins Boot! Lohnt sich das?

Alle ins Boot! Lohnt sich das?
Jeder spricht von Supply-Chain-Integration. Wie gut sie ist! Wie nötig! Wie nützlich! Aber stimmt das wirklich? Supply-Chain-Integration heißt verkürzt umschrieben: Je besser der Einkauf ein Unternehmen mit seinen Lieferanten strategisch, finanziell und auf der Prozessebene verknüpft, desto erfolgreicher ist das Unternehmen. So weit die Management-Modezeitschriften. Seltsam ist nur: Neben wissenschaftlichen Studien, die das bestätigen, gibt es auch etliche Studien, die keinen Nutzen der Lieferantenintegration nachweisen können. Ist die Integration also ein Mythos? Dieser Frage gingen SMI-Forscher in den letzten Monaten nach.

Prof. Dr. Gernot Kaiser, Prof. Dr. Inga-Lena Darkow, Heiko Wöhner Supply Chain Management Institute (SMI) der EBS Business School

Die Forscher untersuchten bei über 120 Unternehmen die faktische Supply-Chain-Integration. Sie bedienten sich dabei einer Unterscheidung, die jedem geläufig ist und maßen die Diskrepanzen zwischen Wollen, Können und Machen. So fanden sie zum Beispiel heraus, dass bei der gemeinsamen strategischen Planung von Vision und Zusammenarbeit die tatsächlichen Anstrengungen (Machen) den dafür angelegten Strukturen und Vorgaben (Können) hinterherlaufen. Was ein typischer Befund nicht nur für die Lieferantenintegration ist: Viele Unternehmen wollen auch bei anderen Vorhaben mehr, als sie faktisch können und machen. Bei der operativen Anbindung von Lieferanten, also bei der Verbindung mit IT-Systemen über definierte Schnittstellen, ist es erstaunlicherweise gerade umgekehrt: Hier überflügelt das Machen das Können. Denn hier integrieren Einkäufer oft mehr, als die vorhandene IT eigentlich hergibt. Weil Einkäufer beispielsweise auch schon mal zum Telefon greifen und den Lieferanten anrufen, wenn die IT „spinnt“. Bei der finanziellen Verflechtung zwischen Unternehmen und Lieferanten stellten die Forscher eine ziemliche Diskrepanz fest: Es sind kaum Strukturen (Können) dafür vorhanden. Also wird finanziell auch selten und wenig integriert – was paradox ist angesichts der Tatsache, dass kaum ein Thema derzeit populärer ist als Financial Supply Chain Management. Hier ist offensichtlich der Wunsch der Vater des Gedankens: Das Wollen ist überragend und übertrifft in seiner Intensität das Wollen fast aller anderen untersuchten Parameter. Doch das Können kann mit dem Wollen nicht Schritt halten. Bei der vierten Dimension der Integration, dem eigentlichen Lieferantenmanagement, treffen sich zwar Können und Wollen auf relativ niedrigem Niveau, doch die konkrete Anwendung (Machen) läuft beiden davon: Viele Einkäufer machen mehr als geplant und vor allem als von der obersten Führungsebene gewollt. Sie denken weiter, als sie sollen. Sie bitten beispielsweise bei Entwicklerrunden auch oft den Lieferanten des Lieferanten mit an den Tisch. Das verkürzt den Prozess, senkt die Kosten, verbessert das Ergebnis – ist aber oft aus welchen Gründen auch immer von der Unternehmensleitung weder so geplant noch so gewollt: Der „einfache“ Einkäufer maßt sich sozusagen strategische Kompetenz an. Was ein wenig an den Napoleon’schen Ausspruch erinnert, dass jeder einfache Soldat in seinem Tornister immer auch einen Marschallstab mitführt. Bei der Supply-Chain-Integration auf Ebene des Lieferantenmanagements benutzt er ihn offensichtlich ausgiebig.
Die Supply Chain macht den Markterfolg
Egal, wie die Lieferantenintegration in den vier Dimensionen ausgeprägt ist, den Praktiker wird nur eine Frage interessieren: Lohnt sich das jetzt oder nicht? Per se ist der Leistungseffekt des Einkaufs und damit auch der Integration nicht auf Anhieb sichtbar, da auf dem Weg zur Bilanz noch genügend andere Funktionsbereiche eines Unternehmens die Einkaufserfolge „kannibalisieren“ können. Das heißt, wer den monetären Nutzen der Supply-ChainIntegration nachweisen will, muss „ums Eck“ rechnen. Das taten die Forscher und stellten dabei Erstaunliches fest: Gemeinhin geht der Praktiker davon aus, dass die interne Integration der einzelnen Funktionsbereiche entscheidend ist für den Unternehmenserfolg. Was logisch erscheint: Je weniger Schnittstellen-Intrigen angezettelt und Abteilungsegoismen gepflegt werden, desto geringer sind Friktionskosten und Durchlaufzeiten. Was die Analyse der Forscher jedoch ergab, ist: Ihre erfolgsentscheidende Wirkung kann die interne Integration nur dann entfalten, wenn der Katalysator der Lieferantenintegration aktiviert wird. Das erscheint zunächst rätselhaft: Was hat ein Lieferant mit der Integration interner Abläufe zu tun? Des Rätsels Lösung ist so verblüffend wie einfach und jetzt auch empirisch bestätigt: Was nützt die geschmeidigste interne Prozesskette, wenn sie nicht von außen gefüttert wird? Wenn sie an der Schnittstelle zu den Lieferanten blockiert ist? Ohne Lieferantenintegration werden die vorhandenen internen Leistungspotenziale eines Unternehmens aufgerieben. Supply-Chain-Integration ist also nicht nur nützlich und lohnend, sondern für den Unternehmenserfolg absolut notwendig. In Zahlen: Nahezu die Hälfte der gemessenen Schwankungen des Unternehmenserfolgs sind auf Leistungsschwankungen der Lieferkette zurückzuführen. Was mancher bereits geahnt haben mag: Wir leben im Zeitalter der Globalisierung, realisieren aber oft nicht in vollem Umfang, wie stark die Performance unserer weit verzweigten Supply Chains auf den Unternehmenserfolg durchschlägt. Betrachten wir dazu ein Beispiel.
Eine erhöhte Flexibilität in der Supply Chain führt zu einer erhöhten Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an Nachfrageschwankungen und an geänderte Bedürfnisse der Kunden – ergo zur besseren Nutzung von Marktchancen. In Verbindung mit hoher Präzision der Lieferkette führt diese bessere Nutzung wiederum zu höherer Kundenzufriedenheit und mehr Neukunden – und das in Summe zu Wachstum von Umsatz und Marktanteil. Daraus resultiert letztendlich, verbunden mit einem geringen Ressourcenverbrauch in der Supply Chain, der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens. Oder platt formuliert: Eine sportlich geschmeidige Supply Chain verschafft einem Unternehmen überragende Anpassungsfähigkeit und damit gesteigerten Erfolg. Also lohnt sich Supply-Chain-Integration?
Die Antwort lautet: Nein, nicht unbedingt. Es kommt nämlich auf den Markt an, in dem sich ein Unternehmen befindet. Aus diesem Grund existieren Studien, die zeigen, dass Supply Chain Integration den Erfolg eines Unternehmens steigert und andere Studien, die das Gegenteil behaupten. Die Frage ist nicht, wer von beiden Recht hat. Die Frage ist: Was wurde übersehen? Offensichtlich das Marktumfeld.
Das Unternehmensumfeld bestimmt die Strategie
Der simple Zusammenhang: Supply Chain Integration steigert den Unternehmenserfolg – in einem stabilen Marktumfeld. In einem solchen ändern die Kunden nämlich nicht ständig ihre Wünsche. Deshalb hat der Einkauf Zeit und Muße, seine Lieferanten über Monate und Jahre hinweg aufzubauen, zu entwickeln und zu integrieren. In einem dynamischen Markt wäre das aber ein fataler Fehler: Der Einkäufer hat nämlich weder die Monate noch die Jahre, um seine Lieferanten zu integrieren. Die Strategieempfehlung ist eindeutig und klar: In einem dynamischen Markt sollte ein Unternehmen nicht seine Lieferanten integrieren, sondern seine Kunden. Kundenintegration bringt hier weit mehr als Lieferantenintegration. Der Umkehrschluss ist noch interessanter: In einem dynamischen Markt sollte der Einkäufer nicht nur nicht integrieren. Er sollte vielmehr förmlich darauf warten, dass er selbst integriert wird – von seinen Lieferanten. Was für den einen die Lieferantenintegration ist, ist für den anderen nämlich die Kundenintegration. In einem dynamischen Markt wartet der gewitzte Einkäufer, bis seine Lieferanten mit Integrationswünschen auf ihn zukommen. Er wird vom Integrator zum Kunden. Was wie eine ziemlich unsinnige Haarspalterei scheint: Warum ist es so wichtig, wer auf wen zugeht, wenn am Ende doch wieder alle am selben Tisch sitzen?
Warum sollte es einen Unterschied machen, wer wen an den Integrationstisch einlädt? Das ist eine wissenschaftlich noch ungeklärte Frage – und eine akademische obendrein: Man muss nicht unbedingt wissen, warum etwas so ist, wie es ist. Hauptsache man weiß, dass es so ist, wie es ist. Eine Spekulation bieten die Forscher jedoch an: In einem dynamischen Markt hat der Lieferant so viele Probleme mit der Dynamik, dass er von sich aus auf seine Kunden, also die Einkäufer, zugehen möchte, sollte und muss. Dass es durchaus von Bedeutung ist, wer wen einlädt, fanden die Forscher heraus, indem sie die an der Studie teilnehmenden Unternehmen in High, Medium und Low Performers kategorisierten. Dabei stellten sie erstaunlicherweise fest: High und Medium Performers unterscheiden sich nicht im Integrationsgrad. Das heißt: Die Medium Performers betreiben denselben Aufwand bei der Lieferantenintegration, erreichen damit aber eben keine High, sondern lediglich eine Medium Performance. Warum? Weil sie das Falsche machen! Sie integrieren in dynamischen Märkten, anstatt sich integrieren zu lassen. Das ist der kleine Unterschied, der den großen Unterschied macht: Geht der Impuls zur Integration vom Unternehmen oder vom Lieferanten aus? Diese Unterscheidung macht den Unterschied aus zwischen Champions League und DFB-Pokal.
Supply-Chain-Integration bringt ein Unternehmen voran – solange Unternehmen und Einkauf wissen, in welchem Markt sie sich befinden, wann sie also initiativ werden und wann sie stillhalten müssen. Eine Strategieempfehlung, die gar nicht so kompliziert ist – aber wie so manche Strategie nicht einfach umzusetzen.
Die Studie mit dem Titel „Integrierte Supply Chains: Wie macht sich Integration in der Wertschöpfungskette bezahlt?“ ist unter der ISBN 978–3–9813250–1–0 erhältlich.
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