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Brexit und Beschaffung: Auswirkungen auf bestehende und zukünftige Verträge

Brexit und Beschaffung
Auswirkungen des Brexits auf bestehende und zukünftige Verträge

Mit dem Brexit kommt die Unsicherheit. Der Austritt des Vereinigten Königreichs wird vielfältige Auswirkungen auf bestehende und zukünftige Verträge haben. Es gilt, bereits geschlossene Verträge unter die Lupe zu nehmen und in laufenden Vertragsverhandlungen vorausschauend zu agieren.

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,89 Prozent der Wähler für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Bis heute sind die Einzelheiten des Austritts noch nicht geklärt. Klar scheint jedoch, dass das Vereinigte Königreich die EU mit Ablauf des 23. März 2019 verlassen wird. Und sicher ist: Der Brexit wird gravierende Auswirkungen auf die politische und wirtschaftliche Architektur Europas haben. Das führt bereits heute zu Unsicherheiten bei den Akteuren in der Wirtschaft. Es zeigt sich, dass der Brexit nicht nur zur strategischen Herausforderung für die Chefetagen wird, sondern auch für diejenigen, die tagtäglich in der Vertragsgestaltung von Beschaffungs- und Vertriebsverträgen aktiv sind.

Große Unsicherheiten bei Territorialklauseln

Mit dem endgültigen Vollzug des Brexits ist das Vereinigte Königreich nicht mehr Teil des Territoriums der Europäischen Union. Nun nehmen aber viele Beschaffungsverträge, die häufig weit vor dem Referendum abgeschlossen wurden, Bezug auf das „Territorium der EU“, sei es in Wettbewerbs-, Liefergebiets- oder Exklusivitätsklauseln. In der Auslegung entsprechender Klauseln gibt es mit dem Brexit nun erhebliche Unschärfen: Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kann damit der damals aktuelle Bestand der EU-Mitgliedstaaten gemeint gewesen sein oder aber auch der jeweils aktuelle Bestand der EU-Mitgliedstaaten. Letzteres würde dann gelten, wenn die Klausel im Sinne einer dynamischen Verweisung zu verstehen ist. Mit Vollzug des Brexits würde dann das Vereinigte Königreich im ersten Fall sehr wohl, im zweiten Fall nicht mehr als Teil des Vertragsgebiets gelten.

Die Auslegung bestehender Verträge ist dabei stets sehr einzelfallabhängig und verschließt sich allgemeinverbindlichen Aussagen. Entscheidend wird dabei zunächst sein, welchen Kenntnishorizont die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatten. War der Brexit nach menschlichem Ermessen nicht absehbar, so dürfte einiges dafür sprechen, dass mit „Territorium der EU“ das Gebiet des Vereinigten Königreichs auch nach einem Brexit noch umfasst ist. War hingegen der Brexit bereits am Horizont zu erkennen, so dürfte ein solches Auslegungsergebnis nicht ganz so eindeutig sein. Zudem ist auch der Vertragsgegenstand selbst im Wege der Auslegung zu betrachten: Ist der Vertragszweck nur unter der Voraussetzung der Zugehörigkeit eines bestimmten Marktes oder Territoriums zum gemeinsamen Markt der Europäischen Union zu erreichen, so dürfte eher eine dynamische Verweisung vorliegen. Im Zweifel sind die Vertragsparteien aufgefordert, aktiv zu werden und Unsicherheiten durch entsprechende Klarstellungsvereinbarungen zu beseitigen. Dabei kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Interessenlagen der Vertragsparteien im Hinblick auf ein für sie jeweils „nützlicheres“ Auslegungsergebnis ganz unterschiedlich sein können. Sperrt sich ein Vertragspartner – etwa aus Eigennutz – gegen eine Klarstellungsvereinbarung, so stellt sich für die andere Partei die Frage nach dem richtigen Vorgehen.

Bestandskraft des Vertrags

Der Brexit kann für eine Partei vorteilhaft, für die andere jedoch nachteilig sein. Zu denken ist dabei an die Möglichkeit des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Zollunion, was jegliche wirtschaftliche Kalkulation in Beschaffungsverträgen zunichtemachen würde. Es sind also Fälle denkbar, in denen der Brexit den geschäftlichen Nutzen eines bestehenden Beschaffungsvertrags schwer nachteilig beeinflussen oder sogar gänzlich vernichten wird. Der betroffene Vertragspartner wird dann die Frage stellen, ob er sich vom Vertrag lösen kann oder zumindest ein Recht auf Anpassung hat. Grundsätzlich gilt, dass Verträge auch bei gravierenden Änderungen der Umstände bindend sind. Deshalb wird eine Kündigung aus wichtigem Grund unter Verweis auf den Brexit im Regelfall nicht ausreichen. Im Idealfall zeigt aber der Blick in den betreffenden Vertrag, dass der Fall des Brexits bei Vertragsschluss bedacht wurde und entsprechende Vorkehrungen wie etwa durch Sonderkündigungsrechte getroffen wurden. Ist dies nicht der Fall – was bei älteren Verträgen die Regel sein dürfte – können unter Umständen sogenannte „Force-Majeur-Klauseln“ Abhilfe schaffen. Diese Klauseln sollen Fälle höherer Gewalt abdecken. Im Normalfall sind damit Naturkatastrophen, Krieg oder schwere Terroranschläge gemeint. Ob der Brexit nun als solcher Fall höherer Gewalt gesehen wird, hängt von der jeweiligen Formulierung ab. Dass der Brexit für die Vertragsparteien nicht beherrschbar und beeinflussbar war, dürfte unzweifelhaft sein und für einen Fall höherer Gewalt sprechen. Problematisch ist jedoch, wenn die Gefahr eines Brexit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses schon absehbar war und die Parteien diesen Fall nicht geregelt haben. Dann wird zweifelhaft sein, ob die für einen Fall höherer Gewalt maßgebliche Unvorhersehbarkeit vorlag. Es wird jedenfalls genau zu beobachten sein, wie die Gerichte die Vielzahl an bestehenden Force-Majeur-Klauseln beurteilen werden.

Brexit und Vertragsanpassung

Insbesondere längerfristige Beschaffungsverträge und Rahmenverträge sollten dahingehend überprüft werden, welche wirtschaftlichen Effekte der Brexit auf sie haben wird. Wird festgestellt, dass diese Effekte so gravierend sind, dass der Vertrag schlechterdings nicht unverändert fortgeführt werden kann, so ist zu prüfen, ob eine Anpassung auch gegen den Willen des Vertragspartners durchgeführt werden kann. Liegt eine schwerwiegende Veränderung der Umstände vor, die Grundlage des Vertrags sind, und ist ein Festhalten an der ursprünglichen Regelung für die betreffende Partei unzumutbar, so könnte diese unter Umständen nach § 313 BGB auf Vertragsanpassung klagen. Im Bereich Zölle wird dies oft problematisch sein, denn wurden etwa die Incoterms „EXW“ gewählt, so trägt eindeutig der Käufer das Zollrisiko, während es bei Anwendung von „DAP“ genau umgekehrt ist. Eine Anwendbarkeit des § 313 BGB dürfte in diesen Fällen die Ausnahme sein. Und Folgendes kommt hinzu: Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 313 BGB ist, dass die Parteien den Vertrag bei Kenntnis der Umstände nicht oder nicht in der Form geschlossen hätten. Damit dürfte § 313 BGB für diejenigen Verträge nicht einschlägig sein, die nach der Ankündigung eines Brexit-Referendums geschlossen wurden. Betreffend die älteren Verträge sind die Erfolgsaussichten einer Klage höchst einzelfallabhängig. Sie würden jedenfalls dann erschwert, wenn ein Austrittsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich einen Interessenausgleich für solche Verträge schafft. Erschwerend kommt hinzu, dass es betreffend den Brexit noch keine höchstrichterlichen Entscheidungen gibt, die als Leitentscheidungen zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage herangezogen werden können. Dies überrascht nicht, da der aktuelle Verhandlungsstand zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich sowohl die Möglichkeit des „harten Brexit“ als auch diejenige eines geordneten Austritts („weicher Brexit“) noch weitgehend offen lässt.

Vorsicht vor einseitigen Brexit-Klauseln

Bei Beschaffungsverträgen, die aktuell verhandelt werden, ist es unverzichtbar, den Brexit und bestimmte damit verbundene Risiken zu regeln, etwa solche, die sich aus zukünftigen Schwankungen des Britischen Pfunds ergeben können. Wo immer möglich, sollten also geltende Verträge und laufende Vertragsverhandlungen einer „Brexit-Kontrolle“ unterzogen werden. Besondere Vorsicht hat in Vertragsverhandlungen mit Partnern aus dem Vereinigten Königreich zu gelten: In der Praxis konnte bereits der Versuch britischer Kanzleien beobachtet werden, für ihre Mandanten recht einseitig gestaltete Brexit-Klauseln durchzusetzen. Diese Klauseln sehen ein einseitiges (!) Recht für die britische Partei vor, im Falle von nachteiligen Auswirkungen des Brexits die Konditionen nachverhandeln zu dürfen. Für den Fall der Nichteinigung gilt dann freilich ein einseitiges Kündigungsrecht für die britische Partei. Solche Klauseln sollten keinesfalls akzeptiert werden.

Ein allgemeinverbindliches Vertragsrecht der EU gibt es nicht. Nichtsdestotrotz nimmt die europäische Rechtssetzung umfangreich Einfluss auf viele Bereiche des Wirtschaftslebens. Was passiert mit diesen Einflüssen nach dem Brexit? Hier herrscht große Unsicherheit. Die britische Regierung hat zwar eine sogenannte „Great Repeal Bill“ angekündigt. Das wäre ein Gesetz, das europäisches Recht in britisches Recht umwandelt. Die tatsächliche Verabschiedung eines solchen Gesetzes ist aber noch nicht absehbar. Unklar ist zudem, ob dieses Gesetz nur für bestehendes EU-Recht gilt oder auch einen Automatismus für die Zukunft vorsieht. Angesichts der Tatsache, dass die britische Regierung nach dem Brexit jegliche Mitspracherechte auf europäischer Ebene verlieren wird, erscheint die unveränderte Übernahme sämtlichen EU-Rechts für die Zukunft aber als eher unwahrscheinlich. Am wahrscheinlichsten ist vielmehr ein schrittweiser Rückgang der Harmonisierung zwischen dem europäischen und dem britischen Rechtsraum. Die Empfehlung lautet deshalb: Die Wahl des britischen Rechts ist zu vermeiden.

Im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr enthalten Beschaffungsverträge häufig Rechtswahlklauseln. Auch nach Vollzug des Brexits sind die Parteien bezüglich der Wahl des anzuwendenden Rechts frei. Es kann also ohne Weiteres das Recht des Vereinigten Königreichs gewählt werden. Aber Vorsicht: Für die Wahl des deutschen Rechts sprechen gewichtige Argumente. Eine fortdauernde EU-Mitgliedschaft Deutschlands bedeutet eine höhere Rechtssicherheit, während das Vereinigte Königreich zwar in Zukunft autonomer in der Gestaltung seines Rechts sein wird, dies aber auch zu einer gewissen Volatilität in der Rechtslage führen kann. Für bestehende Verträge gilt, dass auch hier durch Auslegung zu ermitteln ist, ob die Rechtswahlklausel nach dem Brexit überhaupt noch gelten soll.

Beschränkende Vertriebsverträge

Häufig enthalten Beschaffungsverträge wettbewerbsbeschränkende Regelungen. Das können etwa Preisklauseln, Gebietsbeschränkungen oder Wettbewerbsverbote sein. Hier besteht derzeit Rechtssicherheit, da die entsprechende vertikale Gruppenfreistellungsverordnung heute noch das Vereinigte Königreich umfasst. Dies ändert sich nach dem Brexit dahingehend, dass die Gruppenfreistellungsverordnung nicht mehr unmittelbar anwendbar ist. Sowohl aktuell gültige als auch zukünftige Verträge müssen nach dem Brexit somit auch dem nationalen britischen Wettbewerbsrecht angepasst werden. Hier ist aber noch abzuwarten, wie das nationale Wettbewerbsrecht des Vereinigten Königreichs zukünftig mit solchen Sachverhalten umgeht, bevor Anpassungen vorgenommen werden können. Sofern im Zeitpunkt des Vertragsschlusses diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, können Klauseln zur Vertragsanpassung das Mittel der Wahl sein.

Gerichtsstand

Nach Vollzug des Brexits wird die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungs-Verordnung nicht mehr als unmittelbar geltendes Recht im Vereinigten Königreich anwendbar sein. Diese Verordnung regelt unter anderem die EU-weite Vollstreckbarkeit von Urteilen. Folglich werden Urteile von Gerichten der übrigen EU-Staaten im Vereinigten Königreich nicht mehr ohne Weiteres automatisch vollstreckbar sein. Gleiches gilt für die Urteile britischer Gerichte im zukünftigen Gebiet der Europäischen Union. Da Erschwernisse bei der Vollstreckbarkeit für die berechtigte Vertragspartei höchst lästig und kostenträchtig sind, ist die Wahl eines britischen Gerichtsstands nur dann empfehlenswert, wenn das Vereinigte Königreich langfristig unverlässlich entsprechende Regelungen in das nationale Recht aufnimmt. Wohin hier die Reise geht, ist noch völlig unklar.

Empfehlung und Ausblick

Es empfiehlt sich dringend, bestehende Verträge sowohl in wirtschaftlicher als auch in rechtlicher Hinsicht fachkundig zu prüfen. Bestehende Unsicherheiten in rechtlichen Fragen können im Idealfall durch Auslegung oder Klarstellungsvereinbarungen beseitigt werden. Vereitelt der Brexit das wirtschaftliche Ziel des Vertrags, so sollte geprüft werden, ob eine Force-Majeur-Klausel dem betroffenen Vertragspartner ein wirksames Sonderkündigungsrecht gewährt oder ob die andere Vertragspartei zumindest auf Vertragsanpassung verklagt werden kann. Bei zukünftigen Verträgen sollte besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, alle denkbaren Auswirkungen des Brexits zu regeln. Da der konkrete Ablauf des Brexits politisch noch weitgehend ungeklärt ist, liegen die Anforderungen an die Qualität einer derzeitigen Vertragsgestaltung besonders hoch. Die jeweils aktuellen Entwicklungen müssen dabei stets genauestens im Blick behalten werden.


Info

Auswirkungen des Brexits

  • Wirtschaftliche Kalkulationen können obsolet sein
  • Ältere Verträge sind streitanfällig
  • Erhebliche Rechtsunsicherheiten zu erwarten
  • Grenzüberschreitender Rechtsverkehr wird komplizierter

Was ist zu tun?

  • Brexit-Check-up bei bestehenden Verträgen
  • Vorsicht bei vorgegebenen Brexit-Klauseln
  • Entwicklung im Blick behalten
  • Fachkundige Beratung einholen

Rechtsanwalt Dr. Christoph Bentele, LL.M., Reith Neumahr Rechtsanwälte,
Stuttgart

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