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Dr. Klaus Staubitzer: Bereit für die Zukunft – Think hard, act smart

Dr. Klaus Staubitzer, Siemens-CPO
Bereit für die Zukunft – Think hard, act smart

Prinzipiell sind sich alle in Konzernen einig, dass der Einkauf die Digitalisierung nutzen und neue Prozesse sowie Tools entwickeln muss. Spannend sind die unterschiedlichen Wege hin zu einer zukunftsstarken Organisation. Dr. Klaus Staubitzer, Siemens-CPO, sprach mit Dr. Robert Fieten und Beschaffung-aktuell-Redakteurin Sabine Schulz-Rohde über das erforderliche Change Management in seinem Ressort.

Dr. Robert Fieten: Welche Neuerungen stehen im Siemens-Lieferkettenmanagement in den nächsten Jahren an? Gibt es ein „next big thing“?
Dr. Klaus Staubitzer: Ich glaube an die Technologien wie Artificial Intelligence und Robotic Process Automation. Es gibt heute technische Möglichkeiten, die gerade für das Supply Chain Management wertvoll sind, weil sie Transparenz schaffen und das Leben der Einkäufer wirklich erleichtern. Nun kommt es darauf an, diese Chancen, die uns die Technologie bietet, smart zu nutzen. Und den Transformationsprozess verantwortungsvoll zu begleiten.

Sabine Schulz-Rohde: Haben Sie ein Beispiel?
Staubitzer: Wir nutzen auch eine interne Siemens-Software für das Cost and Value Engineering zur Analyse von Produkten und Systemen. Die Lieferanten sind meist sehr überrascht, wenn wir konkrete Vorschläge machen, wie man das Produkt vereinfachen kann, um Kosten zu sparen – ohne Qualitätseinbußen in Kauf zu nehmen.
Wie hoch sind die Overhead-Kosten? Wo verstecken sich die Kostentreiber? Und wie genau setzen sich die Preise beim Lieferanten zusammen? Diese Fragen können wir im Cost and Value Engineering beantworten. Wir setzen CVE auch ein, um Kosten nachträglich zu optimieren. Dabei ist die Überprüfung von bis zu 300 Schlüsselkomponenten in einem Projekt keine Seltenheit.
Daher brauchen wir Leute im Einkauf, die eine entsprechende Materialexpertise haben und die Sprache der Techniker sprechen. Sonst sagt der Konstrukteur: Die Preise kann ich selbst nachschauen.Wenn er jedoch erlebt, dass er im Einkäufer einen Kollegen oder eine Kollegin hat, die ihm auch in der Kalkulation und sogar bei der Konstruktion hilft, entwickelt sich eine ganz andere Beziehung mit mehr Akzeptanz für einander.

Fieten: Ist dieses Tool eines der Next Big Things?
Staubitzer: CVE ist nur ein digitales Element, das wir im Supply Chain Management nutzen. Auch der Einsatz von Augmented Reality lässt uns schneller und effizienter werden. Wir können Abnahmen durchführen und jede relevante Stelle prüfen, als wären wir selbst vor Ort. Digitalisierung an sich ist jedoch nicht das Allheilmittel.

Fieten: Das ist richtig. Digitalisierung wird oft völlig falsch verstanden. In den meisten Unternehmen wird es als Automatisierung bestehender Prozesse verstanden, und genau das ist falsch.
Staubitzer: Wenn Sie mit Digitalisierung nicht den Zustand erreichen, dass das Leben für Ihre Mitarbeiter oder für die Organisation leichter, einfacher und besser wird, dann wird Digitalisierung auch irgendwann zur Last. Und wenn es zur Last wird, dann hat es keine Akzeptanz und funktioniert nicht.´Das war auch einer der Gründe, warum wir keinen zentralen Top-down-Masterplan entwickelt haben, sondern auf breiter Front im sogenannten Digi-Network arbeiten. Wir haben die Siemens-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter einfach angesprochen: Überlege mal, was man in deinem Umfeld an Digitalisierungsthemen machen könnte, was würde für dein Geschäft Sinn machen?
Wir lassen die Projekte entstehen und unterstützen die Projektteams dabei, die entstehende Komplexität im Zaum zu halten. Die Mitarbeiter sind aktiv dabei und haben nicht das Gefühl, dass sie von oben irgendetwas aufgedrückt bekommen.

Schulz-Rohde: Heißt das in der Konsequenz, dass die Standorte unterschiedliche Prozesse haben?
Staubitzer: Die Basisprozesse wie der Source-to-Contract und Purchase-to-Pay sind einheitlich. Wenn darüber hinaus die Notwendigkeit für eine besondere Anwendung besteht, können die Teams sie selbst entwickeln. Eine gewisse Modularität, die früher nicht überall erwünscht war, nehmen wir jetzt bewusst in Kauf.

Fieten: Sie haben zum einen die Komplettlösung ESI Plus, Electronic Supplier Integration zur Optimierung des operativen Beschaffungsprozesses. Zum anderen ist die strategische Einkaufsplattform STAR im Einsatz für das gesamte Lieferanten- und Vertragsmanagement sowie auch E-Sourcing-Events.
Staubitzer: Wir wollen sicherstellen, dass die Lieferanten möglichst einmal erfasst werden. Auch bei den Verträgen wollen wir den Überblick behalten und eine Struktur pflegen. So stellen wir sicher, dass das, was wir verhandeln, auch zur Anwendung kommt. Und dafür sind sowohl im Direct als auch im Indirect Material Tools und Plattformen nach wie vor wichtig.

Schulz-Rohde: Wie organisieren Sie die Datenpflege?
Staubitzer: Supplier Master Data ist eine Aufgabe, die routiniert und konstant gemacht werden muss. Natürlich nutzen wir zur Unterstützung auch technische Systeme. Aber letztendlich ist es eine Sache der Disziplin und der Kontinuität.

Schulz-Rohde: Manche lösen dieses Problem, indem sie die Lieferanten ihre Daten selbst in das System einpflegen lassen.
Staubitzer: Bei einigen Lieferanten mit den ganz einfachen B2B-Themen machen wir das. Doch Fehler sind menschlich und oft vergisst der eine oder andere Partner mal ein Update.

Fieten: Ist zum Thema Kollaboration mit Lieferanten noch etwas in der Pipeline?
Staubitzer: Die Lieferanteninnovation hat für uns einen großen Stellenwert. Bisher waren wir oft nur in unserer eigenen Lieferantenbasis unterwegs. Heute kommen viele Innovationen von außerhalb. Dafür probieren wir mit unseren Kollegen aus Forschung und Entwicklung externe, offene Plattformen aus, wie NineSigma, und auch das eigene Lieferantenportal. Damit bieten wir den Lieferanten weltweit die Möglichkeit, ihre Ideen vorzustellen.

Fieten: Steht bei Ihnen SAP S/4 HANA auf der Agenda?
Staubitzer: Wir sind einer der ersten Pilotanwender von SAP HANA. Deren Data Lakes [Anm. Red.: riesige Datenbanken] sind die Basis für viele neue Anwendungen. Das ist eines der wesentlichen Kernelemente, um die Komplexität in den Griff zu kriegen. Sie benötigen diese Data Lakes, um zum Beispiel Tools, die sämtliche Abläufe im Unternehmen analysieren und visualisieren, einsetzen zu können.

Schulz-Rohde: Welche Tools meinen Sie konkret?
Staubitzer: Um Prozesse zu simulieren und zu visualisieren, nutzen wir Tools wie Celonis. Wenn man damit ein Process Mapping macht und sieht, wie oft beispielsweise eine Bestellung noch mal angefasst wird, dann wird einem schnell klar, an welchen Problemen man arbeiten muss.
Diese Tools machen ja nichts anderes, als dass sie Fakten aus den realen Daten rausholen und visualisieren. Dieses Visualisieren ist sehr überzeugend und für alle greifbar. Dabei achten wir auf zwei Dinge: Auf die Qualität der Daten und auf möglichst konkrete Formulierung der Fragestellungen. Durch die unendlichen Auswertungsmöglichkeiten würden wir sonst Gefahr laufen, in der Datenflut zu versinken.

Fieten: Welchen Stellenwert werden Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen sowie RPA (Robotic Process Automation) in Zukunft spielen?
Staubitzer: Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Themen nicht nur für den Einkauf wichtig sind, sondern für das ganze Operations Management. Bereits heute laufen viele Operationen integriert ab und müssen somit abgestimmt sein. Das erzeugt eine Transparenz, die wir so noch nie hatten. Es wird uns ermöglicht, Dinge auch vorausschauend zu entscheiden. Unsere Aufgabe ist es, die Wege aufzuzeigen, wie die Organisation mit diesen neuen Möglichkeiten spielen kann. Deswegen habe ich meinen Vortrag bei den 9. BME-E-Lösungstagen „Digitalization of Procurement – Think hard, act smart!“ betitelt. Das ist eine Transformation, die tief greift.

Fieten: Wie sieht Ihre digitale Roadmap aus?
Staubitzer: Digitalisierung ist keine Pauschalreise, bei der alle einen genauen Plan haben und genau wissen, was als Nächstes ansteht. Ich sehe die Digitalisierung eher als eine Abenteuerreise. Und deswegen suche ich Menschen, die flexibel agieren und offen für Neues sind. Ich denke, je breiter wir Digitalisierung in die Organisation streuen und je mehr Kompetenzen in der Organisation vorhanden sind, desto besser werden wir für diese Abenteuerreise gerüstet. Nur mit Offenheit im Denken und im Handeln werden wir neue Ideen ausprobieren können.

Schulz-Rohde: Es gibt Konzerne, die haben eine eigene Abteilung, die außerhalb des täglichen Geschäfts experimentieren darf. Gibt es so was bei Ihnen auch?
Staubitzer: Ich glaube, dass solche separierten Abteilungen zwar gut arbeiten können, aber irgendwann müssen sie das, was sie in den Silos erarbeitet haben, in die Breite überführen. Und dieser Schritt kann in der Organisation starke Widerstände erzeugen. Deswegen bin ich ein Fan davon, möglichst viele Kolleginnen und Kollegen in der Breite zu begeistern und sie an den Ideen mitarbeiten zu lassen.

Schulz-Rohde: Wie gehen Sie denn mit Fehlern um? Wenn man etwas Neues wagt, muss man ja auch damit rechnen zu scheitern.
Staubitzer: Ich sage: Lasst uns das mal ausprobieren. Und wenn dann mal ein Fehler passiert, dann lernen wir eben daraus und probieren wieder was Neues. Ja, ich bin dafür, eine Fehlerkultur einzuführen, und glaube, dass wir dazu noch viel Beispiel- und Überzeugungsarbeit leisten werden.

Schulz-Rohde: Wie stellen Sie sicher, dass die Mitarbeiter auch bei den künftigen Entwicklungen mitgehen?
Staubitzer: Wir haben ein sogenanntes Online Competence Assessment eingeführt. Dort ist pro Funktion im Einkauf ein Anforderungsprofil hinterlegt. Jeder Einkäufer und Commodity Manager kann anhand dieses Profils selbst prüfen, was sie oder er kann beziehungsweise noch nicht kann – und anschließend ein empfohlenes Online- Training absolvieren.
Darüber hinaus haben wir ein Negotiation-Excellence-Training, an dem in wenigen Monaten organisationsweit Tausende teilgenommen haben. So machen wir unsere Leute fit für die heutigen und künftigen Herausforderungen.

Schulz-Rohde: Was ist neu dazugekommen?
Staubitzer: Wir wollen künftig noch intensiver mit Plattformen arbeiten, auch um Datenqualität zu gewährleisten. Auch das funktionsübergreifende Zusammenarbeiten ist wichtig. Hier muss der Einkauf im Unternehmen Flagge zeigen und die benötigte Kompetenz entwickeln, damit wir frühzeitig in die Produktentwicklungsprozesse eingebunden werden. Dafür werden entsprechende Marktkenntnisse und ein gewisses Durchsetzungsvermögen benötigt.

Schulz-Rohde: Was muss darüber hinaus ein Einkaufsleiter können?
Staubitzer: Je weiter es in der Hierarchie nach oben geht, desto mehr sind auch Social Skills gefragt, damit Sie in einem Kreis mit CEOs, Entwicklungs- und Fertigungsleitern nicht untergehen, sondern Ihre Themen überzeugend präsentieren können.

Fieten: Wir haben jetzt über den Wandel der Einkäufer gesprochen. Wenn wir das jetzt mal auf den CPO beziehen: Wie verändert sich dessen Rolle?
Staubitzer: Wenn wir uns das Einkaufsvolumen vor Augen halten – oft sind es bis zu 70 Prozent der gesamten Kostenstruktur – dann wäre es nicht gut, wenn dieses Thema sich selbst überlassen wäre. Also muss man eine Struktur finden, um dieses Volumen bestmöglich für das Unternehmen zu managen. Und ob das dann ein Value Officer ist oder ein COO, ein Chief Operating Officer, oder ein CPO, das kann durchaus unterschiedlich sein, denn auch die Industrien sind sehr unterschiedlich.


Der Mann

Dr. Klaus Staubitzer (54) ist seit Mai 2013 Siemens Chief Procurement Officer. Er gehört dem börsennotierten Technologiekonzern seit 1996 an. Seitdem hatte er sowohl operative als auch strategische Funktionen bei Siemens inne. So war Staubitzer vor seiner Tätigkeit als CPO unter anderem in verschiedenen Geschäftssegmenten und Businessunits als CEO und CFO innerhalb von Siemens tätig.


Weitere Informationen

Supply Chain Management

Weiterführendes zum Thema finden Sie unter: www.siemens.com/scm

Hier werden unter anderem Nachhaltigkeit und Wertschöpfung innerhalb der Lieferkette thematisiert sowie ein Überblick über das Siemens-SCM gegeben. Lesen Sie außerdem, warum Innovation Teamwork ist und was die aktuellen Trends im Einkauf sind.

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