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Wie sich Recht und Blockchain vertragen

Wie sich Rechtsordnung und Blockchain vertragen
Blockkette oder blockierte Kette

Das aktuelle Lieblingswort in der Industrie lautet: Blockchain. Die neue Technik lässt die Akteure träumen: Von blitzschnellen, fehlerfreien Transaktionen, von sicheren Informationen ohne Papier und Verwaltung, vom gänzlich grenzenlosen Welthandel. Doch durch die Blockchain werden Gesetze und rechtliche Rahmenbedingungen nicht entbehrlich. Noch ist beides nicht ausreichend aufeinander abgestimmt.

Derzeit löst ein Trend den anderen ab. Vieles, was zunächst geheimnisvoll klang und Argwohn erweckte – Platooning etwa oder Internet of Things –, ist dabei, sich zu etablieren. Diese Zukunft wünscht man auch der Blockchain. Die dezentrale Datentechnik, die Datensätze („Blocks“) mittels kryptografischer Verfahren miteinander verkettet, soll Transaktionen und Bezahlvorgänge so schnell und sicher wie nie machen. Wo bisher Papierkram, Formalien und unterschiedliche Systeme Prozesse verlangsamten, soll die Blockchain den vollautomatischen Ablauf von Geschäften, Transporten und Warenverkehr über Grenzen und Bedenken hinweg ermöglichen. „Die Technologie wird zu einer Vereinheitlichung der heute noch sehr unterschiedlichen Trackingsysteme in der globalen Lieferkette und einer Synchronisierung der rechtlichen Vorgaben im grenzüberschreitenden Warenverkehr führen“, ist sich Rechtsanwalt Sebastian Schulz vom bevh, dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland, sicher. „Manuelles Handling und Prüfungen werden dann weitestgehend überflüssig.“ Disruptiv nennt man solch eine Entwicklung.

Damit könnten viele herkömmliche Abläufe in Einkauf, Beschaffung und Logistik völlig neu gedacht werden. „Die auf Tausenden, vielleicht auch Hunderttausenden oder Millionen von Computern verteilten dezentralisierten Verzeichnisse könnten die bislang im elektronischen Geschäfts- und Rechtsverkehr erforderlichen Vertrauensintermediäre, also Banken, Kreditkartenorganisationen, Notariate, Grundbuch und Handelsregister, über weite Strecken ablösen“, sagt Prof. Dr. Dr. Walter Blocher, Jurist und Wirtschaftsinformatiker am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Kassel. „Durch Smart Contracts erscheint sogar auf bestimmten Gebieten die staatliche Rechtsdurchsetzung überflüssig.“ Eine einfache Prognose könnte lauten: Je weniger „Dazwischengeschaltete“ wie Zollämter oder Hafenbehörden, umso weniger Produktions- und Logistikkosten. „Als Nebeneffekt dürften perspektivisch auch Transaktionen über geringere Werte und vor allem immer feingranularere Transaktionen wirtschaftlich abbildbar sein“, erwartet Verbandsjurist Schulz.

Rechtsdienstleistungen oder gesetzliche Formvorschriften wie Schriftform, notarielle Beurkundung, Eintrag ins Handelsregister, könnten durch Blockchain-Einträge ersetzt werden. „Auch über Blockchain-gestützte Mobiliarregister zur Ermöglichung besitzloser Sicherheiten sollte nachgedacht werden, da diese gerade den grenzüberschreitenden Handel deutlich erleichtern könnten“, so Experte Blocher. Dazu seien mittelfristig Kriterien für die rechtliche Relevanz einzelner Blockchains aufzustellen und Zertifizierungsverfahren zu etablieren.

Kaum ein Unternehmen, das etwas auf sich und seine Innovationskraft hält, versäumt es derzeit, seine Ideen und Fantasien zum Thema zu verbreiten. Konkrete Anwendungsbeispiele existieren, spielen sich aber derzeit noch im Kleinen ab. Beispiel: Palettenschein, steter Quell des Ärgers an der Laderampe. „Er gehört als Papiervariante heute noch zum Tagesgeschäft eines jeden Lkw-Fahrers und sorgt für Ineffizienz und Intransparenz im Palettentauschprozess“, erläutert Regina Haas-Hamannt, Leiterin Innovation bei GS1 Germany, dem Standardisierungsunternehmen aus Köln. „Oftmals wissen die Betreiber gar nicht, welche Akteure in der Lieferkette am Tauschprozess beteiligt sind, und es gibt keinen Intermediär, der den extrem unübersichtlichen Prozess überwacht.“ Klingt nach einer Top-Anwendung für die Blockchain. Haas-Hamannt gibt sich entsprechend optimistisch: „Wenn sich der Palettentausch auf diesem Weg effizienter und transparenter verwalten lässt, wäre das ein Quantensprung für alle Beteiligten.“ Viele bekannte Unternehmen nehmen an dem Projekt teil, das bis Jahresende erste Ergebnisse aus dem Testlauf vorstellen will.

Blockchain in der Logistik

Ein weiterer Anwendungsfall ist der Austausch von Sendungsdaten, wie ihn der Transportriese Kühne + Nagel mit seinen Partnern derzeit ausprobiert. Die Schweizer haben zudem herausgefunden, wie gedruckte Frachtpapiere durch einen Blockchain-Prozess ersetzt werden können. „Die Transport- und Logistikbranche kann so jährlich Hunderte von Millionen Dollar einsparen“, ist man sich dort im Konsortium sicher.

Datensicherheit und -verlässlichkeit

Klar ist: An die Speicherung der jeweiligen Information in der Blockchain müssen höchste Anforderungen gestellt werden. Nur wenn sichergestellt ist, dass die richtigen Informationen in der Datenbank verankert sind, kann die Kette Fehler durch menschliches Verhalten vermeiden. Doch wie so oft: Das Recht blockiert Innovationen. „Nicht wenige ziehen die Vereinbarkeit der Blockchain mit dem Datenschutzrecht infolge der persistenten Datenspeicherung offen in Zweifel“, weiß Rechtsanwalt Schulz, beim bevh Leiter Rechtspolitik und Datenschutz. „Es bleibt nur zu hoffen, dass der Gesetzgeber seiner Verantwortung gerecht wird und die Nutzung der neuen Technologie auf eine rechtssichere Basis stellt.“

Wer „Blockchain“ sagt, der muss auch „Smart Contracts“ sagen. Die schlauen Verträge sollen selbst für ihren Vollzug sorgen und somit Vertragsstreitigkeiten minimieren. Sie sind eher als Programme zu verstehen, die sich automatisch selbst auslösen, wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt.

Beispiel: Bei einer verspäteten Warenlieferung wird automatisch eine Vertragsstrafe ausgezahlt. Ein Spediteur verpflichtet sich in einem smarten Vertrag, dass das Transportgut nicht ausgeliefert wird, wenn die Telematikdaten des Transporters eine Unterbrechung der Kühlkette melden.

Die Juristen wissen noch nicht so recht, wie sie die smarten Verträge einordnen sollen. „Ob etwa komplexe vertragsrechtliche Regularien, einschließlich Fragen der Anfechtung oder der Nichtigkeit, auch auf diese programmierten, im Kern simplen ‚Wenn, dann-Entscheidungen‘ Anwendung finden sollen, ist durchaus zweifelhaft“, so Schulz.

Bleibt die Blockchain also ein Thema nur für den Golfplatz, wie jüngst in der Presse zu lesen war? Auf jeden Fall ist, so Hochschullehrer Bloch, noch „eine steile Lernkurve“ zu bewältigen, bevor in Unternehmen das Potenzial der Technik erkannt und erste Projekte in Angriff genommen werden.


Distributed-Ledger-Technologie

Technik hinter der Blockchain

Die Distributed-Ledger-Technologie, kurz DLT, macht die Blockchain erst möglich. Einen Distributed Ledger kann man als eine Art dezentrale Datenbank verstehen, die auf mehrere Standorte, Regionen oder Teilnehmer verteilt ist. Alle Teilnehmer können alle Datensätze anzeigen. DLT kann eine überprüfbare Historie aller Informationen erstellen, die in einem bestimmten Datensatz gespeichert sind. Dazu werden die Daten einer Transaktion im Detail erfasst und an mehreren Orten gleichzeitig gespeichert; zentrales Speichern und Verwalten wird obsolet. In einem Distributed Ledger verarbeitet und überprüft jedes Element der Kette, jeder Knoten eine Transaktion oder Information, erzeugt dadurch eine Aufzeichnung dieses Elements und schafft damit einen Konsens über dessen Wahrhaftigkeit. Eine der bekanntesten Distributed-Ledger-Technologien ist die Blockchain.


Oftmals wissen die Betreiber gar nicht, welche Akteure in der Lieferkette am Tauschprozess beteiligt sind.“
Regina Haas-Hamannt


Manuelles Handling und Prüfungen werden weitestgehend überflüssig.“
RA Sebastian Schulz


Durch Smart Contracts erscheint sogar auf bestimmten Gebieten die staatliche Rechtsdurchsetzung überflüssig.“
Prof. Dr. Dr. Walter Blocher


Anja Falkenstein,
Rechtsanwältin,
Karlsruhe

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