Startseite » Einkauf »

Das Ende des Engpasses

Liefertreue durch Optimierung der Supply Chain
Das Ende des Engpasses

Das Ende des Engpasses
Herbert Reiß ist Prokurist bei Baumüller, Nürnberg, Martin Kotula ist Principal bei Kerkhoff Consulting, Düsseldorf
Engpässe bei der Bauteileversorgung gefährdeten die Lieferfähigkeit bei Baumüller. Um dieses externe Risiko zu minimieren, entschied sich der Automatisierungsspezialist für ein Sonderprojekt zur Versorgungssicherheit. Jetzt kann Baumüller auch bei starkem Bedarfsanstieg Liefertreue gewährleisten.

Die Wirtschaft erholt sich und die Einkaufs- und Auftragsaktivitäten entwickeln sich im Vergleich zum Vorjahr sehr positiv. Doch die teilweise rasant steigenden Auftragseingänge führen zu erheblichen Problemen in der Materialversorgung. Produktionskapazitäten wurden während der Krise signifikant reduziert und im gleichen Zug Lagerbestände abgebaut. Durch den Marktumschwung stehen viele Unternehmen seit Monaten vor dem Problem, die Produktionskapazitäten im gleichen Tempo wieder aufzubauen. Teilweise kommt es zu Lieferengpässen.

Ein mittelständisches Unternehmen, das ebenfalls von externen Lieferengpässen betroffen war, ist die Baumüller Nürnberg GmbH – ein Spezialist für Antriebs- und Automatisierungstechnik. In den vergangenen Monaten war die Versorgungssituation des Unternehmens insbesondere bei elektronischen aktiven und passiven Bauteilen kritisch. Hier musste Baumüller auf die Marktgegebenheiten und die wesentliche Erhöhung der Lieferzeiten von Zukaufteilen reagieren, während das Unternehmen seine Kunden üblicherweise mit viel kürzeren Lieferzeiten bediente, was die Kundenbindung gefährdete. Hinzu kamen Volatilitäten, theoretische Bedarfsmengen und Prognoseschwankungen, die den klassischen Peitschenschlageffekt in der Lieferkette hervorriefen. Gleichzeitig stiegen die Auftragseingänge stark an. Durch diese zwei konträr wirkenden Marktgegebenheiten wurde ein signifikantes Gefahrenpotenzial für das Unternehmen erkannt. Die Herausforderung bestand also in der Sicherstellung der Bauteileversorgung, da sich Engpässe abzeichneten.
Um dieses externe Risiko zu minimieren, entschied sich Baumüller, ein Sonderprojekt zur Versorgungssicherheit zu initiieren – in Zusammenarbeit mit der auf Einkauf und Supply Chain Management spezialisierten Unternehmensberatung Kerkhoff Consulting.
Prozess- und Kennzahlentransparenz zu erhöhen, waren daher die wichtigsten Ziele eines übergreifenden, ganzheitlichen Supply & Demand Chain Managements.
Dies erforderte die Durchleuchtung der gesamten internen Supply Chain von der Endkundenbestellung über die Produktionsplanung bis zum Materialbedarf. Dazu wurden Kennzahlen wie zum Beispiel Fehlteilequote oder potenzielle blockierte Umsätze erhoben. Im zweiten Schritt ermittelten die Berater und Baumüller kritische Aufträge und priorisierten diese entsprechend nach den gesetzten Kennzahlen. Die Identifizierung von Engpass-Teilen in Verbindung mit Kundenumsätzen stellte dabei das zentrale Element dar, um die Produktionspläne anzupassen und entsprechend mit Prioritäten zu belegen.
Darauf erfolgte die mittelfristige Planung und Mengensicherung durch Vereinbarung von Lieferplänen. Die ursprünglichen Lieferpläne wurden durch Orientierung an den tatsächlichen Bedarfsmengen in der Produktion abgeändert. Bisher wurde bei Baumüller teilweise der gesamte Monatsbedarf an einem einzigen Stichtag bestellt. Diesem Auftrag konnte der Lieferant aufgrund der Allokationsprobleme nicht mehr nachkommen, weshalb die Monatsbestellung auf mehrere kleinere Einzelbestellungen verteilt wurde. Die Transportkosten stiegen bedingt durch die Einzellieferungen zwar kurzfristig an, doch konnte die Lieferkette wiederhergestellt, die Bestellungen bedient und somit Umsatz generiert werden.
Funktionsübergreifende Teams aus Produktion, Einkauf, Vertrieb und Controlling waren eine wichtige Maßnahme. Diese Maßnahme wurde sowohl im Einkauf als auch im Vertrieb umgesetzt. Die Teams berichteten fortan direkt an die Geschäftsführung. In Workshops und Meetings übernahmen die Teams ihre Kernaufgabe: Die Sicherstellung der Produktion und der Liquidität.
Die Einkäufer von Baumüller arbeiteten vermehrt operative Maßnahmen ab, um die entsprechenden Teile zu beschaffen: Sie führten regelmäßige Telefonate mit Lieferanten, passten die Lieferpläne an, suchten nach alternativen Teilen und führten Preisverhandlungen. Gleichzeitig baute das Consultingunternehmen als „Notfallplan“ Alternativlieferanten auf. Mit dieser Multi-Sourcing-Strategie gewann Baumüller mehr Flexibilität. Auch insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Zahl von Lieferanten-Oligopolen wird diese Strategie immer wichtiger. Oft sehen Unternehmen bei technischen Bauteilen keine Alternativen zu ihren angestammten Lieferanten vor und gefährden dadurch akut die Versorgungssicherheit. Insbesondere, wenn sich eine Verknappung abzeichnet.
Mehr Lieferkontinuität erreichte das Unternehmen durch angepasste Lieferpläne. Besonders kritisch für die Versorgung sind spezielle Bauteile, die vom Standard- bzw. Serienprodukt abweichen und nur von wenigen oder gar nur einem Lieferanten bezogen werden können. So auch bei Baumüller: Die Kombination aus der Lieferproblematik einer Spezialfolie, die in Widerständen benutzt wird, sowie einer speziellen und kundenindividuellen Bauform führte zu einer stark verlängerten Lieferzeit. Diese Extremsituation war sowohl für Baumüller als auch für den Lieferanten nicht absehbar, was durch die Projektanalyse identifiziert wurde. Die funktionsübergreifende Zusammenarbeit von Vertrieb, Produktion, Einkauf und Controlling führte zur transparenten Priorisierung der Produktion im Falle von durch die Allokation betroffenen Produktgruppen. Um die Prozesse zu parallelisieren, wurden dazu zunächst Halbfabrikate gefertigt. Bauteile wurden so weit fertiggestellt wie möglich und dann zwischengelagert. Sobald das fehlende Teil geliefert wurde, konnten die Produkte endgefertigt und ausgeliefert werden. Damit hat Baumüller es geschafft, Lieferungen für seine Kunden rechtzeitig auszuführen.
Die Vereinbarung von verbindlichen Abnahmen über feste Lieferpläne sorgte dafür, dass keine theoretischen Mengen im Markt vorlagen und dem Produktionsplan entsprachen. Die Aufteilung der Liefermengen – anstatt einmal im Monat wurden nun wie bereits dargestellt wöchentlich Teilmengen bestellt – und die Glättung der zeitpunktbezogenen Produktionsplanung mit den „Lieferspitzen“ führte zwar im ersten Schritt zur Mengenreduktion, erhöhte jedoch die Lieferkontinuität und minimierte die hohe Volatilität in der Zulieferung.
Durch die zeitnahe Etablierung eines gemeinsamen Projekts zwischen dem Consultingunternehmen und Baumüller konnte das Unternehmen auf die absehbare Allokation adäquat reagieren und die Auswirkungen eines Versorgungsengpasses signifikant reduzieren. Zudem kann der Mittelständler jetzt auch bei starkem Bedarfsanstieg entsprechende Liefertreue gewährleisten. Darüber hinaus wurden präventive Maßnahmen etabliert, die ein Risikomanagement von kritischen Bauteilen ermöglichten. Durch den implementierten Maßnahmenkatalog wurden die internen Prozesse entsprechend geändert und nachhaltig stabilisiert.
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 4
Ausgabe
4.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de