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IT-Dienstleistung

Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten beim Einkauf von IT-Dienstleistungen
Der optimale agile IT-Projektvertrag

Größere Umstellungen der IT schaffen die wenigsten Fachabteilungen im Alleingang. Die Vertragsgestaltung für externes Personal, das hinzugezogen werden muss, weist einige juristische Besonderheiten auf, die der Einkäufer kennen sollte – erst recht, seit agiles Projektmanagement angesagt ist.

Sprints kannte man lange nur von der Tartanbahn im Stadion oder von der Bushaltestelle. Doch seit einiger Zeit hat der Begriff noch eine andere Bedeutung. Bei komplexen IT-Projekten, die mittels agiler Methodik durchgeführt werden (siehe Kasten), bezeichnet ein Sprint einen bestimmten Projektabschnitt. Erst wenn dieser erreicht ist, entscheiden die Projektbeteiligen über den nächsten Schritt = Sprint. Wo alles flexibel und vieles spontan ist, ist es umso wichtiger, die Rahmenbedingungen juristisch festzuzurren.

Sozialversicherungsrechtliche Gefahr

„Bei der agilen Softwareentwicklung ist die Zusammenarbeit zwischen internen und externen Fachleuten sehr eng, es muss eine tägliche Abstimmung erfolgen“, erläutert Volker Lopp, IT-Einkaufsberater aus Montabaur. Aus diesem engen Eingebundensein ergibt sich ein ernstes Problem: die mögliche Scheinselbstständigkeit der externen Experten. Wer nach außen als Selbstständiger auftritt, tatsächlich aber wie jeder andere Mitarbeiter des Kundenunternehmens agiert, wird gegebenenfalls bei einer Betriebsprüfung als Arbeitnehmer eingestuft, sodass Sozialversicherungsbeträge nachzuentrichten sind – und zwar vom Unternehmen. Bei selbstständigen Programmierern etwa, die über einen längeren Zeitraum täglich in einem Unternehmen tätig sind, summieren sich hier schnell hohe Beträge. „Zudem könnte sich der Externe auf ein Arbeitsverhältnis mit dem Kundenunternehmen berufen und entsprechende Arbeitnehmerrechte geltend machen“, warnt Rechtsanwalt Carsten A. Senze, Partner bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft in Stuttgart.

Deshalb müssen die wesentlichen Abgrenzungsmerkmale nicht nur vertraglich festgehalten, sondern im Arbeitsalltag auch sichtbar sein: Der Externe darf nicht den Weisungen des Auftraggebers unterworfen sein, er darf nicht so fest in den Betrieb eingegliedert sein, dass keine Unterscheidung zu den dortigen Arbeitnehmern möglich ist und er sollte nachweislich selbst als eigenständiger Unternehmer am Markt auftreten – idealerweise mit mehreren Auftraggebern. „Dennoch muss ein gewisses Restrisiko einkalkuliert werden“, sagt Jurist Senze mit Verweis auf die teils widersprüchliche Rechtsprechung der Gerichte.

Werkvertrag mit Vorteilen

Beim Einkauf von IT-Dienstleistungen sollte man den für die Tätigkeit passenden Vertragstyp wählen. „In der Praxis dominieren weitgehend Einkaufs-AGB“, sagt Thomas Kriesel, Bereichsleiter Steuern, Unternehmensrecht und -finanzierung beim Digitalverband Bitkom, und spricht von „Nachfragemacht“. Doch wo individuell verhandelt wird, ist stets zwischen Werkvertrag und Dienstvertrag zu unterscheiden. Dabei zählt nicht, wie der Vertrag bezeichnet ist, sondern sein tatsächlicher Inhalt. „Die Kurzformel lautet: Bei einer projekthaften Zusammenarbeit ist der Werkvertrag typisch“, erläutert Berater Lopp. Er schätzt das Verhältnis von Werkverträgen zu Dienstverträgen in der Praxis auf etwa 20 zu 80. „Meiner Meinung nach sollte sich das genau umkehren, denn der Werkvertrag bietet für den Einkäufer mehr Sicherheit und auch geeignetere Instrumentarien zum Beispiel bei Verzögerungen.“

Bei einem Werkvertrag mündet die Tätigkeit des Auftragnehmers in ein bestimmtes Werk – dem Vertragsgegenstand. Auch für Anhänger der agilen Vorgehensweise ist der schlussendliche Projekterfolg das Ziel. „Bei agilen Softwareentwicklungsprojekten bestehen im Regelfall bereits am Anfang bestimmte, wenn auch vielleicht nur grobe, Grundvorstellungen zum Projektziel und am Ende soll eine funktions- und lauffähige Software stehen“, sagt Rechtsanwalt Senze. „Der Werkvertrag ist immer dann der richtige Vertragstyp, wenn mangels eigener Kompetenzen des Auftraggebers das Risiko für den Projekterfolg und die Ausführungsverantwortung beim Entwickler liegen sollen.“ Sollen dagegen nur personelle Ressourcen und Kompetenzen für ein Projekt eingekauft werden, ist der Dienstvertrag die richtige Wahl. Damit übernimmt der Auftraggeber aber auch das volle Risiko. „Bei agiler Softwareentwicklung sollte der Dienstvertrag deshalb nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen“, resümiert Rechtsanwalt Senze.

Bedarfsanalyse und Abnahme

Doch was wird eigentlich genau benötigt für ein bestimmtes IT-Projekt? „Für viele Einkäufer und Fachabteilungen ist es eine große Hürde, den eigenen Bedarf genau zu benennen und in einem Pflichtenheft festzuhalten“, sagt Sourcing-Experte Lopp. „Dabei ist das die Grundvoraussetzung für einen gelungenen Werkvertrag.“ Unsicheren Kunden rate er, sich bereits hierzu externe Expertise ins Haus zu holen. „Wenn Leistungsbeschreibung und Pflichtenheft von einem kundigen Dritten mitgestaltet werden, wird man mit diesen Unterlagen in der Regel gut und schnell den passenden Dienstleister finden, der das Projekt dann tatsächlich umsetzt“, so Lopps Erfahrungen aus der Praxis.

Soll ein IT-Projekt per agiler Methodik durchgeführt werden, empfiehlt es sich, Projektzweck und -ziel als Produktvision im Vertrag zu beschreiben – quasi als Präambel oder Vorbemerkung. Neben den Mitwirkungspflichten des Kunden, den Rollen und den Verantwortlichkeiten sind die Abnahme und die Abnahmekriterien wichtige Punkte. „Es kommen etwa Teilabnahmen am Ende der einzelnen Entwicklungseinheiten und eine Gesamtabnahme am Ende des Projekts in Betracht, bei der die Gesamtfunktionalität getestet und abgenommen wird“, sagt IT-Rechtler Senze.

Vergütungsmodelle: agiler Festpreis

Gerade bei agilem Projektmanagement muss man bei der Vergütung flexibel sein. Der Einkäufer, der eine verlässliche Budgetierung und Kostenkontrolle braucht, kann hier mit Obergrenzen arbeiten, aber auch mit Bonus-Malus-Regelungen. „Man teilt die einzelnen Sprints in leicht/mittel/schwer ein, belegt sie jeweils mit bestimmten Laufzeiten und bepreist sie“, erklärt Berater Lopp das Vorgehen. „Auf Abweichungen nach oben oder unten reagiert man dann mit Zu- und Abschlägen.“ Möglich ist auch, die einzelnen Sprints jeweils als einzelne kleine Werkverträge anzusehen und mehrstufige Festpreise zu vereinbaren. Jurist Senze weist noch auf ein besonders kreatives Bepreisungsmodell hin: den „agilen Festpreis“.

Spätestens hier wird klar, dass die Vertragsgestaltung für agile Softwareentwicklung kein Sprint, sondern eher ein Dauerlauf ist.


Hintergrund

Agile Softwareentwicklung

Um die Komplexität der Softwareentwicklung zu vereinfachen, bedient man sich häufig der Methodik des agilen Projektmanagements. Es handelt sich, vereinfacht gesagt, um ein schrittweises Vorgehen, bei dem das Team den jeweils nächsten Schritt immer erst auf Grundlage des vorangegangenen Schrittes plant und durchführt und sich so allmählich dem gewünschten Ergebnis annähert („iterativ“). Der nächste Schritt baut immer auf den Erkenntnissen des vorangegangenen Schrittes auf („inkrementell“). Das ermöglicht eine große Transparenz, eine hohe Flexibilität und verringert das Risiko, etwas zu übersehen. Das Team kann schnell auf Veränderungen reagieren und vermeidet durch wiederholtes Überprüfen schwere Fehler. Interne und externe Fachleute arbeiten dabei Hand in Hand und in enger, konstruktiver Abstimmung. Starre Regeln sind verpönt. So will man möglichst schnell und schlank zu einem sicheren und guten Ergebnis kommen.


Die Autorin

Anja Falkenstein, Rechtsanwältin, Karlsruhe

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