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Projekteinkauf unter der Lupe

Projekteinkauf unter der Lupe, Teil 1
Der Projekteinkauf als Schnittstelle

Im Projekteinkauf laufen viele Fäden zusammen: Er ist als Schnittstelle verantwortlich für die interne und externe Koordination von Zusammenarbeit und Kommunikation. Dabei kommt es zu verschiedenen Koordinations- und Anreizproblemen. Die Wissenschaftler Prof. Dr. Roman Bartnik und Dr. Uwe Holtschneider beschreiben Lösungsvorschläge für diese Problematiken. Dies ist der erste Teil unserer Serie zum Projekteinkauf.

Innovation: Auf kaum einen anderen Begriff werden heute so viele Hoffnungen zur Lösung unternehmerischer Probleme gesetzt. Bei zunehmender Arbeitsteilung wächst natürlich auch die Bedeutung der Beschaffung für Innovationen: immer mehr externe Leistung muss in die Unternehmensstruktur eingebunden werden.

Spezialisiert auf solche Neuprojekte ist aus Beschaffungssicht der Projekteinkauf. Er verantwortet die frühe Phase eines Beschaffungsprojektes – typischerweise bis zum Serienstart (Schuh 2014, S. 42–45). Der Projekteinkäufer vernetzt die Beschaffung mit anderen Funktionen und gilt als One-Stop-Problemlöser. Das breite Wissen des Projekteinkaufs komplementiert dabei die tiefe Spezialisierung des Commodity-Einkaufs; zusätzlich ist der Projekteinkauf das Bindeglied zwischen Beschaffung und anderen Abteilungen sowie Lieferanten.

Dass dies in der praktischen Umsetzung zu einigen Reibungspunkten führt, ist zu erwarten. Das Organisationsproblem einer Schnittstellenfunktion wie dem Projekteinkauf lässt sich unter Rückgriff auf Studien zum Projektmanagement in Koordinations- und Anreizprobleme unterscheiden (Söderlund 2012). In diesem Artikel geht es vor allem um die Zusammenarbeit mit internen Schnittstellen, wie dem Vertrieb, der Entwicklung und der Produktion.

Koordination in der Schnittstelle

Die erste Gruppe der Probleme betreffen die Koordination. Erstens müssen die komplexen Anforderungen, Informationen und Präferenzen der verschiedenen Abteilungen und Lieferanten erfasst und in ein Koordinationskonzept umgesetzt werden. Aufgrund der Komplexität der Informationen und der Dynamik in Beschaffungsprojekten ist die Erfassung der Informationsflut und die Umsetzung in koordiniertes Handeln ein Hauptproblem.

Anreizprobleme in der Schnittstelle

Andererseits haben die beteiligten Stakeholder unterschiedliche Ziele, müssen aber dazu bewegt werden, zusammenzuarbeiten. Dies nennt man Anreizprobleme. Interne Stakeholder wie Vertrieb, Entwicklung und Produktion, aber auch externe Stakeholder wie Lieferanten, Logistik und Serieneinkauf haben alle Einzelziele, die für eine gelungene Organisation des Projektes berücksichtigt werden müssen (Ellram et al. 2019).

Auf der folgenden Doppelseite skizzieren wir typische Koordinations- und Anreizprobleme, die zwischen dem Projekteinkauf und internen Abteilungen in der Frühphase entstehen können und nennen Lösungsansätze.

Schnittstellenfunktion leben

Wie in einem Netz laufen viele Fäden bei den Projekteinkäufern zusammen. Ob junge Projekteinkäufer zu souveränen Puppenspielern werden, die Freude aus den Fäden ziehen, oder ob sie sich verheddern, können Unternehmen beeinflussen, indem sie die Herausforderungen der Schnittstellen anerkennen und systematisch durch Standardisierung, Stabstellen und Trainings unterstützen. Wie eingangs erwähnt ist die frühe Projektphase zu wichtig, um sie einfach „laufen zu lassen“.

Im den nächsten beiden Beiträgen dieser Serie werden die Autoren analysieren, wie diese Ratschläge für verschiedene Beschaffungssituationen angepasst werden können.

 


Im Überblick

Wissenschaftliche Serie: „Der Projekteinkauf unter der Lupe“

Die Serie setzt sich aus folgenden Teilen zusammen:

  • Teil 1: Der Projekteinkauf als Schnittstelle
  • Teil 2: Einmalige Geschäftstypen erkennen und bewerten – Veröffentlichung Oktober 2020
  • Teil 3: Langfristige Geschäftstypen analysieren und bewerten – Veröffentlichung November 2020

Der Projekteinkauf und die Entwicklung

Koordinationsprobleme

Zentrales Koordinationsproblem in der Schnittstelle zur Entwicklung ist die mangelnde Verknüpfung von technischen und Kostendaten. Die zentrale Frage: Welche (kostengünstigere) technische Alternativen gibt es? Können Entwickler sehen, welche Komponenten in großen Mengen beschafft werden und wer die präferierten Lieferanten sind?

Anreizprobleme

Zentrales Anreizproblem ist die Zieldifferenz zwischen technischen und kommerziellen Prioritäten. Oft bevorzugt die Entwicklung bewährte Partner für Neuprojekte, um Anfangsinvestitionen in den Beziehungsaufbau nicht wiederholen zu müssen.

Lösungsansätze

Damit präferierte Lieferanten auch in der Entwicklung bekannt sind, muss eine gemeinsame Datengrundlage in zwei Schritten geschaffen werden. Zunächst muss Entwicklern klar sein, welche Lieferanten für welche Komponenten präferiert werden. Hierfür lassen sich Übersichten und Checklisten erstellen. Man kann mit A-Komponenten beginnen. Im nächsten Schritt muss auf der Detailebene Transparenz geschaffen werden, indem technische und kommerzielle Daten verknüpft werden.

Eine 6- bis 12-monatige Roadmap für Neuprojekte sollte Beschaffungsthemen explizit einschließen. Zur Umsetzung können dann präferierte Lieferanten regelmäßig in Workshops eingeladen werden.

Um die Präferenz für bekannte Lieferanten abzuschwächen, kann man zwei oder mehr strategische Lieferanten gegeneinander antreten lassen. Um nachhaltige Motivation für die Zusammenarbeit sicherzustellen, sollten diese Lieferanten regelmäßig mit Aufträgen berücksichtigt werden.


Der Projekteinkauf und die Produktion

Koordinationsprobleme

In der Koordination mit dem Produktionsbereich ist der effiziente Austausch von Anforderungen sowie Kosten- und Qualitätsdaten wichtig. Welche Produktionsanforderungen und Lessons-Learned sollten den Lieferanten vermittelt werden? Welche Kosteneffekte können durch Nutzung anderer Komponenten erzielt werden? Welche Probleme bestehen mit Komponenten und welche Roadmaps bestehen, um diese zu reduzieren? Auch hier werden abteilungsbezogene und projektbezogene Verbesserungsaktionen nur unzureichend verknüpft.

Weiterhin besteht oft mangelnde Transparenz der Nutzungsdaten: Die Kosten unterschiedlicher Bestellmengen im operativen Ablauf sind für die Beschaffung nicht transparent, ebenso wie die Kosten von Lagerhaltung.

Anreizprobleme

Anreizprobleme ergeben sich daraus, dass die Produktion Liefersicherheit über Kostenziele priorisiert: die Produktion muss laufen. Andererseits können gerade in der Frühphase Probleme daraus entstehen, dass der Beschaffungsbereich geringe Anreize dazu hat, komplexe Fertigungsthemen mit Lieferanten zu verfolgen, da KPIs auf Kostensenkung ausgelegt sind. Werden im Projekteinkauf aber nur kurzfristige Kostensenkungen honoriert, so drohen langfristige Lernerfolge mit bewährten Lieferanten verschenkt zu werden.

Lösungsansätze

Es gilt, durch Kommunikation Transparenz zu schaffen: Was sind aus Produktionssicht die Prioritäten für einen Produkttyp? Was sind die Prioritäten in der Lagerhaltung? Welche Aktionen werden zur Erhöhung der Transporteffizienz mit Lieferanten verfolgt? Solche Frage sollten Projekteinkäufer spontan beantworten können. Die Antworten sollte der Produktionsbereich regelmäßig als 1-Pager zur Verfügung stellen. Nur durch klare Priorisierung und Kommunikation ist gute Koordination möglich.


 

 

 

Der Projekteinkauf und der Vertrieb

Koordinationsprobleme

Allgemein fehlt bei Neuprojekten oft die Verknüpfung von Projekt- und Abteilungsplanung zwischen Einkauf und Vertrieb. Koordination wird durch eine fehlende Strategie erschwert. Zu häufig wird „auf Sicht“ gefahren, statt mit einem Navigationssystem: Absprachen zwischen Vertrieb und Beschaffung erfolgen oft nur auf die aktuell dringenden Ausschreibungen. Wichtig wäre hier die Verknüpfung mit den Roadmaps der einzelnen Abteilungen: Wann werden Innovationen eingeführt, und was bedeutet dies für die Kostenkalkulation in den Anfragen?

Eine zentrale Frage für die Zusammenarbeit von Einkauf und Vertrieb ist: Wie werden Anforderungen für Beschaffungsobjekte definiert, verteilt und geändert? Aus Beschaffungssicht müssen Daten aus verschiedenen Quellen zusammengeführt und an potenzielle Lieferanten für eine Ausschreibung weitergeleitet werden. Diese Koordinationsaufgabe ist komplex. Speziell Medienbrüche führen häufig zu fehlenden oder falschen Spezifikationen.

Auch die Koordination des Änderungsmanagements bereitet Probleme. Ein Beispiel sind die Volumenprognosen für Neuprojekte, die Beschaffer für ihre Verhandlungen benötigen. Gerade in diesem Punkt schwanken Unternehmen oft zwischen den Extremen: Manche Unternehmen kalkulieren auch für Mehrjahresprojekte nur mit aktuellen Preisen und Overheads, was die Frage nach Produktivitätsverbesserungen aufwirft: Wird in der Zukunft wirklich keine Kostenverbesserung erwartet? Stretch-Targets sehen anders aus. Andere Unternehmen kalkulieren mit blindem Optimismus, als ob alle Neuprojekte gewonnen würden, was zu unrealistisch hohen Prognosen führt.

Anreizprobleme

Im Vertrieb besteht vor allem Abschlussinteresse, die Kundensicht wird priorisiert. Hierbei müssen wir einerseits über den Aufwand und andererseits über Zieldifferenzen nachdenken.

Aufwand bremst Kooperation: Saubere Dokumentation für andere Abteilungen kostet Zeit, bringt aber oft keinen direkten Gegenwert. Datenaustausch und Dokumentation wird daher vernachlässigt, wenn die Organisation keinen Anreiz oder effektive Unterstützung bereitstellt.

Zieldifferenzen verfälschen Kommunikation: Der Vertrieb hat wenig Anreiz dazu, Risiken von Neugeschäft zu betonen. Dies kann zu strategischem Informationsverhalten führen – alles wird rosig eingefärbt. Oft hört man, dass Kalkulationsvorlagen so lange bearbeitet werden, bis geforderte Zielwerte irgendwie erreicht sind.

Lösungsansätze

Die angesprochenen Probleme müssen durch Prozessanforderungen, Kalkulationsstandards und verbindliche Commitments zu Prognosen eingedämmt werden. Der Vertrieb hat einen geringen Anreiz, Druck auf Kunden auszuüben, um die Effizienz der Zusammenarbeit zu erhöhen (z.B. durch früheren Design Freeze, bessere Prognosen oder Anforderungsdokumente), denn zu lautes Insistieren könnte die Abschlusswahrscheinlichkeit verringern. Hier muss die Organisation durch klare Regeln gegensteuern, damit Effizienzgewinne nicht durch kundenbedingte Schwankungen konterkariert werden. Mit großen Kunden sollten daher Arbeitskreise zur Prozessverbesserung gegründet werden. Hier gilt: was nicht gemessen wird, zählt nicht. Nur durch Messung können Ineffizienzen im Bestellprozess diskutiert werden.

Durch Standardisierung, Unterstützung und klare Prozesse wird Transparenz erhöht und Dokumentationsaufwand minimiert. Die Ziele müssen sein: (1) keine Doppel-Eingabe von Daten, (2) kein Zeitaufwand für Visualisierung von Standard-Werten, (3) Reporting nur mit Standard-Vorlagen, die aus Datenbank-Einträgen generiert werden, (4) Verknüpfung aller Daten-Schnittstellen für Neuprojekte durch Workflows und (5) Beschleunigung der Dateneingabe durch Kick-Off und War-Room Meeting. Letzteres ist ein Tool, das viel zu wenig genutzt wird. Dabei kommen Abteilungsvertreter für mindestens einen Arbeitstag zusammen und arbeiten am Projekt. Was einmal sauber definiert wurde, muss nicht in jedem Projekt neu erfunden werden. Wie schwer wäre es, diese Daten per Datenbank auch für interne Kalkulationen zur Verfügung zu stellen? Im ersten Schritt lässt sich auch eine einfache Schnittstelle als CSV-Output aus Excel erstellen.

Für die größten Kunden sollte ein Projekt zur Standardisierung des Informationsaustauschs aufgesetzt werden. Wer hier die Dokumenteneingabe noch per Hand erledigt, macht etwas falsch. Standard-Interfaces für Hauptkunden aufzusetzen kostet nicht viel, bringt aber eine Entlastung von zeitintensiven Eingabetätigkeiten.

Weiterhin sollten Job Rotation und Hospitation innerhalb der Organisation genutzt werden, um die Kommunikation zu vereinfachen. Dies sollte als Teil des Schulungsplans verpflichtend sein. Wer meint, dass dafür keine Zeit ist, sollte nicht vergessen, wie viel Zeit durch ineffiziente Meetings und verbockte Kommunikation verschwendet wird. Durch solche Unterstützungsmaßnahmen steigt auch die Effizienz der Koordination: Warum nicht die Zeit bestimmter Regelmeetings um 50 Prozent reduzieren?


Die Autoren

Dr. Uwe Holtschneider ist Dozent für Lieferantenmanagement an der Cologne Business School und leitet den Bereich Supply Management/Methods and Tools bei Yazaki Europe Ltd.

Prof. Dr. Roman Bartnik lehrt und forscht an der Technischen Hochschule Köln zu den Themengebieten Supply Chain Management, Project Management und Lean Management.


Quellen

Ellram, Lisa M.; Tate, Wendy; Choi, Thomas Y. (2019): The Conflicted Role of Purchasing in New Product Development Costing. In: J Supply Chain Manag.
DOI: 10.1111/jscm.12217.

Schuh, Günther (2014): Einkaufsmanagement. Handbuch Produktion und Management 7. 2., vollst. neu bearb. und erw. Aufl. Berlin: Springer Vieweg (VDI-Buch).

Söderlund, Jonas (2012): Theoretical Foundations of Project Management: Suggestions for a Pluralistic Understanding. In: Peter W. G. Morris, Jeff Pinto und Jonas Söderlund (Hg.): The Oxford handbook of project management. Oxford: Oxford Univ. Press, S. 37–64.

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