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Die Digitalisierung ist einer der wesentlichen Treiber für Veränderungen

Ingo Zschocke, CPO, Knauf Gruppe, Iphofen
Die Digitalisierung ist einer der wesentlichen Treiber für Veränderungen

Die Knauf Gruppe ist ein Familienunternehmen mit Sitz im unterfränkischen Iphofen und zählt zu den führenden Herstellern von Baustoffen und Bausystemen in Europa. Beschaffung aktuell sprach mit CPO Ingo Zschocke über das neue Lieferkettengesetz, den CO2-Footprint einer Platte Gipskarton und die Notwendigkeit, Einkauf und Logistik ganzheitlich zu betrachten.

Für Beschaffung aktuell führte
Ulrike Dautzenberg das Interview.

Beschaffung aktuell: Herr Zschocke, Sie leiten als CPO den Einkauf von Knauf. Wie ist Ihre Einkaufsorganisation strukturiert?

Ingo Zschocke: Knauf ist grundsätzlich ein dezentrales Unternehmen, da wir uns in verschiedenen lokalen Märkten bewegen. Unsere Lieferanten agieren aber global, sodass wir bei uns eine dezentrale, beim Lieferanten dagegen häufig eine zentrale Struktur haben. Wir müssen also in einem dezentralen Umfeld zentralisieren, da es nicht zielführend ist, wenn jeder unserer Standorte einzeln mit den Lieferanten im jeweiligen Land verhandelt. Das bündeln wir und treffen mit unseren globalen Lieferanten ganzheitliche Vereinbarungen für alle Standorte. Von dem, was wir in Summe an direkten und indirekten Materialien einkaufen, ist ein ungefähr ein Drittel zentral, aber das Gros ist dezentral. Bei Knauf gibt es zwei verschiedene Einkaufsabteilungen unter dem Dach des globalen Einkaufs, eine für den direkten und die andere für den indirekten Einkauf, für all das, was wir global zentralisieren. Darüber hinaus haben wir ein zentrales Qualitätsmanagement für die Lieferanten und auch ein zentrales Contract Management. Unsere dezentralen Einheiten berichten fachlich an mich, wir geben die Struktur und die Prozesse vor, auch die IT-Tools, und wir koordinieren alle Aktivitäten. Damit haben wir eine etwas losere Struktur als im Zentraleinkauf und schaffen so den Spagat zwischen all den Anforderungen.

Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Lieferanten aus?

Zschocke: Wir haben einen Total Cost of Ownership-Ansatz und versuchen damit fast alle Felder numerisch umzuwandeln. Aber natürlich ist es zunächst einmal ein Produkt, ein Material oder ein Service, das wir einkaufen. Wir bewerten das Produkt und seine Herstellung in einer Spezifikation. Dabei achten wir natürlich auf die Qualität und schauen uns auch an, wie wir Synergien nutzen können. Lieferanten werden bei uns klassifiziert und bewertet, das bildet die die Basis für die Lieferantenentwicklung. Ein wesentlicher Treiber ist natürlich der Preis, aber er ist bei weitem nicht alles. Die Verlässlichkeit des Lieferanten spielt ebenso eine Rolle wie die allgemeine Risikobewertung. Wir bewerten die finanziellen Risiken ebenso wie Umweltrisiken. Es ist also ein sehr holistischer Ansatz, mit dem wir unsere Lieferanten auswählen.

Gab es aufgrund der Corona-Pandemie Engpässe in der Lieferkette?

Zschocke: Es war natürlich, wie bei anderen Unternehmen auch, eng. Plötzlich waren wir mit Herausforderungen konfrontiert, die so nicht in einem Risk Management berücksichtigt worden sind. Wer ist zum Beispiel davon ausgegangen, dass man für eine knappe Woche die serbische Grenze faktisch für den Güterverkehr schließt? Das war eine Komplexität, die wir, wie alle anderen auch, nicht auf dem Radar hatten. Wir haben damals sofort eine Task Force gegründet und die Lieferantenmärkte noch einmal gründlich analysiert. Dabei hat uns sicherlich geholfen, dass wir schon vor der Pandemie ein hohes Maß an Datentransparenz hatten und deshalb sehr schnell über ein genaues Bild der Warenströme verfügen konnten. So konnten wir verhindern, in der Coronakrise Werke aufgrund fehlenden Materials stilllegen zu müssen.

Welches sind Ihre wichtigsten Einkaufsmärkte?

Zschocke: Grundsätzlich versuchen wir, lokal einzukaufen, da wir dann geringere Lieferkettenprobleme haben – auch Fragen der Inflation oder des Wechselkurses fallen weg. Außerdem kaufen wir zum Beispiel viel Sand ein, den wir nicht über Tausende von Kilometern transportieren wollen, es sei denn, wir müssen es, weil es in einem Land keinen Sand gibt. Inzwischen beginnt ja auch Sand ein knappes Gut zu werden, auch da werden wir uns vielleicht anpassen müssen. Aber wir versuchen natürlich auch die Opportunitäten der Märkte zu nutzen. Es gibt viele Produkte, die durch Global Player dominiert oder zumindest stark beeinflusst werden. Für uns ist es wichtig, so einzukaufen, dass unser Total Cost of Ownership richtig ist. Da spielen asiatische Märkte eine Rolle, der europäische Markt ist sehr wichtig für uns, aber auch der russische, je nachdem, wo wir Opportunitäten hinsichtlich einer nachhaltigen Belieferung sehen und in Bezug auf Preis und Kosten, Liefersicherheit, Qualität und Nachhaltigkeit über einen sehr langen Zeitraum sicher aufgestellt sind.

Welchen Stellenwert hat die Nachhaltigkeit dabei?

Zschocke: Wie für andere Unternehmen auch, wird das Thema Nachhaltigkeit für uns immer wichtiger. Zum Beispiel das neue Lieferkettengesetz: Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette spielen eine große Rolle, das halte ich sowohl persönlich als auch als Vertreter eines Unternehmens für essenziell. Wir müssen uns natürlich davor schützen, nicht in einen administrativen Moloch zu geraten, aber dass wir Verantwortung für unsere Produkte übernehmen und auch dafür, dass diese anständig produziert werden, ohne dass dabei jemand zu Schaden kommt oder ausgebeutet wird, ist für mich selbstverständlich. Es gibt ja auch schon vergleichbare Gesetze beispielsweise in England oder Frankreich, an denen man sich orientieren kann.

Auch das Thema CO2-Footprint wird eine zunehmende Rolle spielen. Ich glaube, die Anforderungen des Marktes an uns als Hersteller und auch diejenigen von uns an unsere Lieferanten, den CO2-Ausstoß in der Lieferkette transparent zu gestalten, werden immer größer werden. Wie viel CO2 steckt in einer Platte Gipskarton? Bisher gibt es diese Anforderungen bei uns noch nicht, aber ich glaube, das wird eine Zukunft sein, der wir uns nicht verschließen wollen.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Ihrer Organisation und in Ihrem Unternehmen?

Zschocke: Das Thema Digitalisierung spielt bei uns eine sehr große Rolle. Wir haben sogenannte „Must-win-battles“ ausgerufen – Themen, von denen wir überzeugt sind, dass sie für uns besonders wichtig sind und bei denen wir uns dementsprechend stark aufstellen müssen. Dazu gehört zum Beispiel das Thema People – wir wollen der beste Arbeitgeber für die besten Mitarbeiter sein. Und auch das Thema Digitalisierung gehört dazu. Digitalisierung wird für uns ganz fundamental sein, sowohl für den Einkauf als auch für das gesamte Unternehmen. Wir sind gerade im Begriff, eine Procurement Suite einzuführen, die unsere internen Abläufe digitalisiert. Unsere Procure-to-Pay-Prozesse haben wir bereits komplett standardisiert, als nächstes sind die Source-to-Contract-Prozesse an der Reihe. Das ist ein wesentlicher Schritt für uns und aus meiner Sicht absolut notwendig. Die Welt digitalisiert sich, Schnittstellen werden standardisiert, und wer da nicht mitmacht, wird abgehängt. Die Digitalisierung ist einer der wesentlichen Treiber für Veränderungen im Einkauf.

Sie haben vorhin kurz das Thema People angesprochen und auch, dass sich die Anforderungen an Einkäufer ändern. Wie sieht denn bei Ihnen der typische Einkäufer aus und was erwarten Sie von neuen Mitarbeitern?

Zschocke: Unsere Einkäufer müssen in der Lage sein, eine Warengruppe in ihrer Gänze zu durchdringen und sie weiterzuentwickeln. Ein gewisses technisches Verständnis gehört dazu, ebenso wie ein Verständnis des Marktes. Das hört sich einfach an, ist aber sehr komplex. Ein Einkäufer muss natürlich verhandeln können, das ist von enormer Bedeutung. Er sollte ambitioniert in die Verhandlungen gehen, ohne zu extrem zu werden, denn wir wollen ja eine nachhaltige Partnerschaft mit unseren Lieferanten, ohne dabei das Wohl unseres Unternehmens aus dem Blick zu verlieren. Vieles ändert sich derzeit, und ein wesentlicher Treiber ist die Digitalisierung. Das betrifft vor allem strategische Fragen – bisher sind strategische Prozesse immer von Menschen definiert worden, aber ich habe so meine Zweifel, ob das auch in 20 Jahren noch so sein wird. Für einfache Sourcing-Themen wie die Beschaffung von hoch standardisierten Produkten wird es Automatisierungsmöglichkeiten geben. Das wiederum wird auch den Einkäufer verändern, denn dann wird eine smarte IT-Struktur über den Erfolg entscheiden, und das setzt eine ganz andere Qualifikation beim Einkäufer voraus.

Sehen Sie drüber hinaus aktuell noch weitere Trends und Herausforderungen im Einkauf?

Zschocke: Lieferketten werden immer relevanter. Angesichts der zunehmenden Komplexität unserer Welt – Nachhaltigkeit in der Lieferkette, CO2-Footprint, Schließung von Märkten durch Protektionismus einzelner Länder – kann ein Einkauf langfristig nicht mehr agieren, ohne die Supply Chain als Ganzes zu betrachten. Früher gab es Logistik und es gab den Einkauf, aber beides wächst immer mehr zusammen und ist nicht mehr trennbar, deshalb müssen wir es ganzheitlich betrachten. Derzeit betrachten wir Tier-1 und ein Stück weit vielleicht auch Tier-2-Lieferanten, aber nicht viel mehr. Das wird sich ändern, und dann werden wir uns überlegen müssen, mit wie vielen Lieferanten wir noch zusammenarbeiten können. Können wir uns eine so große Anzahl von Lieferanten noch erlauben oder müssen wir uns auf bestimmte Lieferanten konzentrieren?

Ich glaube außerdem, dass die Volatilität in den Märkten steigt, die Extremausschläge sowohl ins Positive als auch ins Negative sind größer geworden und die Zyklen sind nicht mehr so verlässlich. Wir hatten in den Nullerjahren die Finanzkrise, jetzt haben wir die Corona-Pandemie – so eine Dimension hatte, wenn überhaupt, nur die Ölkrise in den 1970er Jahren. Das heißt also, zwei der drei größten weltweiten Krisen seit dem 2. Weltkrieg waren in den letzten 13 Jahren. Zufall oder Trend? Ich denke, die Globalisierung führt nicht nur zu einer Absicherung der Märkte, sondern auch zu einer immer stärkeren Verflechtung, und wenn an einer Stelle der berühmte Dominostein fällt, dann hat das eine große Konsequenz für alle. Mit diesen Volatilitäten werden wir mehr und mehr zu rechnen haben.


Ingo Zschocke

… studierte von 1988 bis 1994 Maschinenbau an der TU Darmstadt. Nach dem Abschluss als Diplom-Ingenieur arbeitete er bei Mannesmann VDO (später Siemens VDO, Continental) als Kosten- und Wertanalytiker und hatte danach verschiedene Rollen im Einkauf in mehreren Divisionen des gleichen Unternehmens. Nach drei Jahren als CPO bei Wincor Nixdorf leitet Ingo Zschocke seit 2017 den weltweiten Einkauf der Knauf Unternehmensgruppe.


Bild: Knauf

Knauf

Das im Jahr 1932 gegründete Unternehmen Knauf in Iphofen ist führender europäischer Hersteller von Baustoffen. Das in Familienbesitz befindliche Unternehmen ist heute mit zahlreichen Gesellschaften an über 290 Standorten in über 80 Ländern tätig. Knauf Werke produzieren moderne Trockenbausysteme, Putze und Zubehör, Wärmedämm-Verbundsysteme, Farben, Fließestriche und Bodensysteme, Maschinen und Werkzeuge für die Anwendung dieser Produkte ebenso wie Dämmstoffe. Im Jahr 2020 erwirtschaftete die Unternehmensgruppe Knauf mit rund 35.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 10,5 Mrd. Euro.

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