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Die Trägheit des Elefanten

Beschaffungsmarkt Indien
Die Trägheit des Elefanten

Im Land des Elefanten läuft manches nicht so flott wie in Europa. Meist ist ein hoher persönlicher Einsatz nötig, um die Dinge in die gewünschte Richtung zu treiben. Auf der Habenseite Indiens als Beschaffungsmarkt steht zweifelsohne das Preisniveau. Und: Deutsche Unternehmen und deutsche Einkäufer haben ein hohes Ansehen in Indien.

Allzu häufig wird Indien noch immer als Armenhaus der Welt angesehen. Doch dieses Vorurteil ist nicht mehr so gerechtfertigt: Indien hat sich verändert. Mit den Wirtschaftsreformen im Jahre 1992 hat das Land des Elefanten den Lebensstandard seiner Bevölkerung erfreulicherweise signifikant erhöht. Eine kaufkräftige Mittelschicht ist herangewachsen: Mehr als 150 Millionen Menschen verdienen mehr als 5000 Euro im Jahr. Das Wirtschaftswachstum in der Zukunft stützt sich auf eine im Vergleich zu Deutschland (Durchschnittsalter 46 Jahre) junge Bevölkerung, die im Schnitt nur 26 Jahre alt ist. Der Subkontinent stellt kaufkraftmäßig bereits Asiens drittgrößte Volkswirtschaft dar, besitzt die fünftgrößten Devisenreserven in der Region und hat ein prognostiziertes Wachstum von jährlich rund sechs Prozent in den nächsten zehn Jahren.

Folgende Eckdaten machen Indien als Beschaffungsmarkt besonders interessant:
  • Geografische Nähe zu Europa (im Vergleich zu China)
  • Englisch ist als Verkehrssprache allgegenwärtig
  • Niedrigere Arbeitskosten als China bei hohem Produktivitätspotenzial
  • Hohe Kaufkraft der Indischen Rupie bis zum Fünffachen des Euros
  • Stabiles Rechts- und Bankensystem
  • Leistungs- und exportorientierte Privat- sowie Familienunternehmen dienen als gute Lieferantenbasis
  • Der indische Markt deckt die gesamte Bandbreite an Beschaffungsgütern ab; auch der Hightech- und der IT-Bereich sind in Indien bestens vertreten
Zu den Unternehmen, die bereits selbst Einkaufsaktivitäten auf dem Subkontinent erfolgreich unternommen haben, zählen sowohl Konzerne als auch Mittelständler. Viele europäische Betriebe erweitern sogar ihr Einkaufsportfolio und wollen den indischen Standort mehr und mehr als internationalen Supply-Chain-Management-Hub noch intensiver ausbauen und nutzen.
Alternative zu China Dabei entwickelt sich Indien zunehmend als Alternative oder Ergänzung zu China. Nach dem Motto „Never put all eggs in one China-basket“, weicht auch der europäische Mittelstand nach Indien aus, um nicht beschaffungsseitig ganz auf eine Karte setzen zu müssen.
Bei indischen Geschäftsleuten stehen deutsche Produkte hoch im Kurs. „Made in Germany“ und „German Engineering“ haben einen hohen Stellenwert in Indien. Bosch und Siemens sind das erfolgreiche Aushängeschild deutschen Engagements in Indien und befinden sich unter den Top Ten der ertragsstärksten Unternehmen (Marktkapitalisierung) Indiens. Außerdem schätzen indische Lieferanten an deutschen Kunden deren Geradlinigkeit, Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit. Auch deutsche Einkäufer haben ein hohes Ansehen in Indien.
Dieses sehr gute Image ist auf die über 500 Jahre enge Verbundenheit der beiden Staaten zurückzuführen. Nicht zu vergessen: die Verdienste des deutschen Sanskritgelehrten Friedrich Max Müller (1823-1900). Der deutsche Indologe hat als erster die heiligen Schriften Upanishaden und Veden entziffert und damit dem modernen Indien erhalten. Als Anerkennung werden die Goethe-Institute Max Müller Bhavan (MMB) nach ihm benannt.
Logistische Herausforderungen Der Verkehr stellt das infrastrukturelle Nadelöhr Indiens dar. In diesem Land, das flächenmäßig neunmal so groß ist wie Deutschland, ist der Nachholbedarf riesig. Im laufenden Fünfjahresplan hat die Regierung in New Delhi umgerechnet rund 500 Mrd. USD für den Ausbau der Infrastruktur bereitgestellt. Schätzungsweise wird dieses Ziel erst Ende der Dekade erreicht werden. So müssen im Vergleich zu Westeuropa Transportzeiten veranschlagt werden, die in Indien oftmals das Fünffache an Zeit und mehr benötigen. Manchmal kommt die Ware auch beschädigt an. Der Radius für die Lieferantensuche sollte nicht zu groß gewählt werden, maximal 300 km sind empfehlenswert. Bei wichtigen Lieferungen sollte selbst nachvollzogen werden, wie die Ware sich ihren Weg vom Lieferanten zum Hafen bahnt. Das Beste ist, diesen Weg einmal abzufahren, um das Risiko und die Dauer eines solchen Transportes zu bemessen. Viele deutsche Unternehmen gehen dazu über, die Ware bei ihrem indischen Lieferanten von einem Speditionsdienstleister abholen zu lassen. In jedem Fall muss eine angemessene Pufferzeit in den Zeitplan vor Schiffsbeladung eingeplant werden, damit nicht die Ware im Hafen verbleibt, ohne dass sie an Bord gelangt.
Klimatische Widrigkeiten Der Monsun mit seinen taifunartigen Regenfällen beeinträchtigt das Wirtschaftsleben immens, und das im Jahr bis zu sechs Monate. Die ganze Infrastruktur liegt brach. Fabriken werden überschwemmt oder sind für die Mitarbeiter nicht zugängig. Just-in-time-Lieferungen in Indien sind angesichts der Monsunzeit unrealistisch. Oft sind durch das feuchte und/oder heiße Wetter Lagerschäden an der Tagesordnung. Sinnvoll ist es, mit dem Lieferanten gerade den Einfluss des Monsuns auf seine Fabrik etc. anzusprechen und vorbeugende Maßnahmen mit ihm zu besprechen. Beispielsweise kann die Erhöhung des eisernen Lagerbestandes helfen, etwaige Engpässe nicht erst entstehen zu lassen. Selbst Extra-Lieferungen prophylaktisch vor Beginn der Regenzeit sollten genutzt werden, um bei der Weiterverarbeitung in Deutschland keine Stillstandzeiten zu erzeugen.
Aber auch das wirtschaftliche Klima hatte lange unter Widrigkeiten zu leiden. Bis zum Jahre 1991 war Indien eine Kommando- bzw. Planwirtschaft nach Moskauer Vorbild. Durch die Öffnung und die industrielle Modernisierung Indiens entwickelte sich die Fertigung von der „reinen“ Output-Orientierung zum qualitativen Output. Dieser Prozess hin zu mehr Qualität im westlichen Sinne ist noch nicht ganz abgeschlossen. Aus diesem Grund sollten auch die Vormaterialien (Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe) auf Güteanforderungen beim Lieferanten kontrolliert werden. Um teilweise oft auftretende Qualitätsschwankungen zu vermeiden, muss die Erfüllung von Qualitätsanforderungen nach jedem Produktionsschritt (In-Prozess-Prüfung) in einem engmaschigen QS gewährleistet sein. Die Erfahrungen deutscher Einkäufer zeigen, dass auch Qualitäts-Sicherungs-Vereinbarungen mit einem Lieferanten zu einem positiven Betriebsergebnis beitragen.
Lieferantenentwicklung Die Lieferantenentwicklung ist das A und O in diesem Land Asiens. Ein hohes Erfordernis an Zeit und Ressourcen zur Weiterentwicklung von indischen Lieferanten ist die Regel. Technische Unterstützung zur Optimierung von Produktions- und Qualitätsprozessen werden vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt. Zur Vor-Ort-Betreuung gehört auch, dem indischen Lieferanten hilfreich in Organisations- und Investitionsfragen zur Seite zu stehen. Erfahrungsgemäß entfallen auf die Zusammenarbeit „Lieferantenentwicklung“ 65 bis 75 Prozent der Input-Ressourcen (Zeit, Geld, Manntage etc.). Währenddessen beanspruchen die Lieferantenauswahl i. R. nur 10 bis 15 Prozent und die Betreuung „Erstbemusterung/Fertigungsaufnahme“ nur durchschnittlich 20 Prozent.
Eine der unangenehmsten Geiseln des Landes ist Kinderarbeit. Ihr entgegenzuwirken ist eine unternehmerische Verantwortung. Im Liefervertrag sollte verankert werden, dass dem Lieferant sofort gekündigt werden kann, wenn er gegen die Klausel Kinderarbeit verstößt. Empfehlenswert ist aber auch vertraglich zu fixieren, dass aufs Geratewohl, also unangekündigt, jederzeit der Kunde das Recht hat, den Lieferanten zu besuchen. Externe Inspektoren oder ein eigenes Team vor Ort müssen solche Kontrollaufgaben übernehmen, d. h. die Fabrik unangemeldet besuchen können. Börsennotierte Gesellschaften beispielsweise in den USA und in der Schweiz lassen sich das Credo gegen Kinderarbeit auch vertraglich in der Wertschöpfungskette des jeweiligen Lieferanten zusichern. Damit kann der Auftraggeber sogar, wenn der Sublieferant des eigentlichen indischen Vertragspartners dagegen verstößt, den Liefervertrag uno actu kündigen.
Kostenvorteile Unter Total-Cost-Gesichtspunkten ist ein Preisvorteil in Höhe von mindestens 30 Prozent notwendig, damit sich bei Lagerbildung, Risiken oder Aufwand in Indien wirklich lohnen. Qualitätskontrolle vor Ort und sicherlich ein eigenes Beschaffungsnetzwerk zur Systementwicklung des Lieferanten, das sind alles Investitionen, die gegengerechnet werden müssen. Im Vergleich zu den Produktionskosten in den USA ist Indien wettbewerbsfähiger als China und ein Einsparungspotenzial in einer solchen Größenordnung bei Erhöhung der Effizienz langfristig denkbar (siehe Grafik).
Die Zahlen sprechen für sich. Deutsche Unternehmen erhöhen ihre Einkaufvolumina stetig. Seit dem Jahre 2000 beziehen deutsche Kunden von indischen Lieferanten in zweistelligem Milliardenbereich Waren. Alleine der Exportwert zu Beginn des Jahrtausends (2,4 Mrd. Euro ) verfünffachte sich bis jetzt.

Unerschöpflicher Regen

Klima

Anfang Juni beginnt in Indiens Süden gewöhnlich der Monsun, ein scheinbar unerschöpflicher Regen, der im Laufe des Monats den Norden erreicht, nordwestliche Gebiete Indiens aber durchaus auch schon mal auslassen kann. Der Monsun bringt sehr starke Regenfälle, die das vielerorts völlig vertrocknete Land nicht nur bewässern, sondern teilweise in stark überschwemmte und schlammige Gebiete verwandeln. Hatten die Bauern zuvor mit der Dürre zu kämpfen, so steht ihnen nun der Kampf mit dem Wasser bevor. Der Regen ist warm, bringt aber oft (vor allem an der Küste) starke Winde mit sich. Bisweilen kann es viele Tage hindurch ununterbrochen regnen. Die Regenfälle werden im September wieder schwächer, im Oktober bleiben sie fast ganz aus.

Für Einkäufer

Praxistipps

  • Vertrauen Sie nicht auf Mittelsmänner, Agenten oder Industrievertretungen – der Einkäufer muss sich selbst ein Bild vom Lieferanten machen und ihn nach westlichen Standards auditieren.
  • In vielen indischen Betrieben entsprechen die Prozesse nicht dem europäischen Standard. Es empfiehlt sich daher, die Einhaltung von Terminen und eine konstante Qualität seitens des Geschäftspartners im Auge zu behalten.
  • Eine persönliche vertrauensvolle Lieferantenbeziehung ist mit Kontaktpflege und regelmäßigen Aufenthalten vor Ort verbunden.
  • Für Beschaffungsaktivitäten in Indien ist eine Präsenz vor Ort unabdingbar. Sofern diese aus Europa heraus nicht gewährleistet werden kann, ist ein verlässlicher Partner oder eine eigene Vertretung sehr zu empfehlen.
  • Ohne Kenntnisse der örtlichen Gepflogenheiten und bürokratischen Hemmnisse bleibt der Geschäftserfolg aus.
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