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Ein Frühwarnsystem zur Vorbeugung

Beschaffungsrisiken rechtzeitig erkennen
Ein Frühwarnsystem zur Vorbeugung

Qualitätsmängel beim Low Cost Country Sourcing, schwankende Rohstoffpreise, Kinderarbeit bei Zulieferern, volatile Währungskurse und Insolvenzen bereiten den Einkäufern Kopfschmerzen. Die Prognose, dass die Beschaffungsrisiken auch in Zukunft nicht abnehmen werden, ist nicht sonderlich gewagt. Der Einkauf muss daher lernen, derartige Risiken proaktiv zu managen und darf nicht erst handeln, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Als Basis für ein professionelles Supply Risk Management benötigt der Einkauf ein geeignetes Tool.

Mate Balthazar Felix Theisinger, Detecon International GmbH, Bonn

Die Insolvenz des Cabriodachherstellers Edscha im Februar 2009 verdeutlicht wie abhängig die Automobilhersteller von einzelnen, hochspezialisierten Zulieferern sind. BMW zog aus diesem Fall die Konsequenz und hat 700 Millionen Euro als „Rettungsfonds“ eingeplant, um seinen angeschlagenen strategischen Zulieferer notfalls unter die Arme greifen zu können.
Zudem sind Unternehmen gut beraten, neben den eigenen Lieferanten auch die Zulieferer ihrer Zulieferer im Auge zu behalten. Besonders kritisch sind dabei Supply-Chain-Konstellationen, bei denen die miteinander konkurrierenden 2nd Tier Supplier von einem einzigen 3rd Tier Supplier versorgt werden. Derartige Konstellationen müssen im Rahmen des Supply Risk Managements identifiziert werden.
Um die externen Lieferanten- und Marktrisiken richtig einschätzen zu können, empfiehlt sich der Aufbau eines umfassenden Supply Risk Management Systems. Ziel dabei ist es, die Risikodimensionen Kosten, Qualität, Zeit und Strategie mit IT-gestützten Systemen abzubilden und zu bewerten. Die Datengewinnung und -auswertung muss weitgehend automatisiert ablaufen. Dies liegt nicht nur daran, dass die manuelle Datenerfassung fehleranfällig ist, sondern vor allem an der erfolgskritischen Aktualität und am erforderlichen Erhebungsumfang. Die hohe Anzahl der zu untersuchenden Lieferanten und Sub-Lieferanten schließt eine rein manuelle Bearbeitung aus. Risikokritisch sind schließlich nicht nur wenige Top-Lieferanten.
Lieferanten- und marktbezogene Daten ermitteln
Um die Risiken erfassen und bewerten zu können, benötigen Unternehmen in regelmäßigen Abständen entsprechendes Datenmaterial. Viele aussagekräftige Daten befinden sich in den vorhandenen Einkaufssystemen und lassen sich automatisch gewinnen. Diese „Hard Facts“ werden unter den Oberkategorien Preis, Logistik, Qualität und Technik zusammengefasst.
Ein wichtiges Bewertungskriterium in der Oberkategorie Preis ist etwa die „Preisentwicklung“. In der Logistik wird die „Termintreue“ gemessen und zur Einschätzung der Qualität die „Reklamationsquote“ herangezogen. Diese Kriterien lassen sich prinzipiell ohne größeren manuellen Aufwand erheben, sofern die erforderlichen Werte entlang der Standardprozessketten in den Einkaufs- und ERP-Systemen korrekt erfasst werden. In der Praxis liegen hier jedoch genau die Stolpersteine, weil beispielsweise die Lieferzeitpunkte zu ungenau erfasst werden (Erfassungs- statt Lieferzeitpunkt), um daraus die Termintreue ableiten zu können.
Weiche Kriterien („Soft Facts“), wie zum Beispiel der „Innovationsgrad“, lassen sich nur teilautomatisiert erfassen. Eine Möglichkeit besteht darin, standardisierte Befragungen durchzuführen, etwa mit Mitarbeitern aus Entwicklung, Produktion oder Qualitätsmanagement. Mit Supplier Evaluation Tools lassen sich web-basierte Fragebögen gezielt an bestimmte Benutzergruppen adressieren und die Antworten elektronisch auswerten.
Externe Kompetenzen nutzen
Um die allgemeine wirtschaftliche Situation sowie das Insolvenzrisiko („Existenz des Lieferanten“) der strategisch wichtigen Lieferanten einschätzen zu können, muss auch auf externe Wirtschaftsdatenquellen zugegriffen werden. Informationsdienste, wie zum Beispiel Bloomberg oder D&B, bieten hierfür externe Schnittstellen auf ihre umfangreichen Datenbanken an. So lassen sich die wesentlichen Finanzkennzahlen bezüglich Liquidität, Profitabilität und Kapitalstruktur tagesaktuell ermitteln.
Stark an Bedeutung gewonnen hat inzwischen auch die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards entlang der gesamten Supply Chain. Immer mehr institutionelle Anleger investieren ausschließlich in Unternehmen, die sich zur Einhaltung bestimmter Sustainability-Standards verpflichtet haben. Ferner können negative Medienberichte, etwa über Kinderarbeit oder Umweltverschmutzung bei Sub-Lieferanten einen irreparablen Imageschaden anrichten. In der Regel werden nicht die unbekannten Sub-Lieferanten, sondern die Markenhersteller des Endverbraucherprodukts an den Pranger gestellt. Sustainability-Informationen können inzwischen auch elektronisch abgefragt werden. So bietet beispielsweise E-TASC (Electronics – Tool for Accountable Supply Chains) detaillierte Informationen über das verantwortungsvolle Handeln („Corporate Responsibility“) von Herstellern in der Kommunikations- und Informationsindustrie an.
Darüber hinaus sollte in die Risikobetrachtung ein kontinuierliches Monitoring der Beschaffungsmärkte integriert werden; zumindest der Regionen, in denen strategisch wichtige Lieferanten und Sub-Lieferanten aktiv sind. Hierbei kann zum Beispiel der Corruption Perception Index (CPI) des Internet Center for Corruption Research berücksichtigt werden. Weitere externe Marktrisiken können aus den Datenbanken der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) gewonnen werden.
Gewichtung und Scoring der Risikodaten
Um eine aussagekräftige Bewertung vornehmen zu können, müssen lieferanten- sowie marktbezogene Daten gewichtet und ausgewertet werden. Hierfür hat sich ein Scoring-Modell bewährt, das die Werte in den unterschiedlichen Kriterien mit Gewichtungsfaktoren multipliziert. Die relevanten Risikokriterien sowie ihre Gewichtungsfaktoren sollten vorab von cross-funktionalen Teams festgelegt werden, denen neben den jeweiligen Materialkategorieleitern auch Verantwortliche aus Logistik, Qualitätsmanagement und Vertrieb angehören.
Die Ergebnisse werden schließlich mittels eines Bewertungsalgorithmus den Risikodimensionen Kosten, Qualität, Zeit und Strategie zugeordnet und in einem Einkaufscockpit dargestellt.
Zuvor müssen für jede Dimension geeignete Schwellenwerte festgelegt werden, bei deren Über- bzw. Unterschreitung eine rote Alarmlampe aufleuchtet. Für jede rote Ampel muss eine Experteneinschätzung und – sofern erforderlich – ein Maßnahmenplan hinterlegt werden.
Viele Unternehmen setzen für das Supply Risk Management keine eigene Applikation, sondern einfach nur Excel ein. Dieser weit verbreitete, manuelle Ansatz ist kostengünstig, flexibel und auch hinsichtlich der Darstellung lassen sich passable Ergebnisse erzielen. Die Grenzen bestehen jedoch in der Aktualität, Umfang und im Abdeckungsgrad. Daher werden oftmals nur die Top-Lieferanten in viel zu großen Abständen nur nach wenigen Risikokriterien beurteilt; dies ist unzureichend, aber viel mehr ist manuell mit Excel eben in der Regel kaum leistbar.
Auf dem Software-Markt werden sowohl von spezialisierten Einkaufslösungsanbietern als auch von ERP-Herstellern „Supplier Performance & Risk Management“ Applikationen angeboten. Eine von Detecon durchgeführte Evaluation im Auftrag eines DAX-Konzerns zeigte jedoch, dass diese Applikationen momentan noch funktionale Lücken aufweisen und die Anforderungen größerer Konzerne nur zum Teil erfüllen. Die Pläne und Roadmaps der Hersteller sind jedoch recht vielversprechend.
Zwei weitere Lösungsvarianten stehen zur Auswahl: Portale und Data Warehouse Systeme. Mit Hilfe moderner Portaltechnologien können Informationen unterschiedlicher Quellen in einer integrierten Benutzeroberfläche angezeigt werden. Auf diese Weise lässt sich ein professionelles Supply Risk Cockpit realisieren, das in verschiedenen Portlets alle erdenklichen Supply-Risk-Informationen übersichtlich darstellt. Der Haken ist jedoch, dass sich keine Gesamtbewertung ableiten lässt, weil faktisch keine auswertbaren Daten vorliegen. Das Portal sorgt lediglich für eine integrierte Darstellung nicht integrierter Daten.
Die umfassendste Lösung besteht darin, das Supply Risk Management System im vorhandenen Data Warehouse abzubilden. Bei diesem Ansatz werden alle risikorelevanten internen und externen Daten in einem eigenen „Supply Risk Cube“ gesammelt, aggregiert und mit Analyse- und Reporting-Tools ausgewertet. Der Aufbau beansprucht zwar einige Zeit, aber die Mühe lohnt sich. Die Implementierung kann schrittweise erfolgen und nach wenigen Wochen können erste Erfolge (Quick-wins) gefeiert werden. Für den Aufbau eines Risikomanagementsystems lässt sich je nach Größe und Komplexität des Unternehmens mit zwei bis vier Monaten rechnen.
Aufbau des Supply-Risk- Management-Cockpits
Abschließend sei betont, dass das Supply-Risk-Management-System zwar kritische Hinweise liefert, aber nicht menschliche Expertise ersetzen kann. Folglich kann Risikomanagement nur dann erfolgreich sein, wenn letztlich alle strategischen Einkäufer dies als ihre ureigenste Aufgabe begreifen und somit auch das bereitgestellte IT-basierte Frühwarnsystem als ihr Hilfsmittel ansehen und regelmäßig nutzen. Supply Risk Management lässt sich nicht vollständig an einen zentralen Risk Manager „abdrücken“. Schließlich können der jeweilige Materialkategorieleiter und Lieferantenmanager die identifizierten Risiken am besten beurteilen. Ein hoch integriertes und automatisiertes Frühwarnsystem unterstützt und entlastet sie dabei.

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