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Eine Sache für Spezialisten

Hedging im Stahleinkauf
Eine Sache für Spezialisten

Eine Sache für Spezialisten
Die Unterschiede der vielen Stahlsorten sind so groß, dass das Hedging leicht zum Risikogeschäft werden kann, wo es doch eigentlich Risiken nehmen soll (Foto: Steinweden Stahl)
Für die Absicherung von Stahlpreisschwankungen durch Hedging spielt es eine wesentliche Rolle, dass Stahl kein homogener Rohstoff ist, sondern ein Werkstoff, der mit unterschiedlichen Eigenschaften, Legierungen, Formen und Abmessungen nachgefragt wird. Hedging ist hier etwas für Spezialisten, meint unser Autor Andreas Möhlenkamp.

Wer Hecken setzt, mag die Blicke der Nachbarn nicht. Er will seinen Ziergarten vor Wind sichern oder Einbrecher vom Haus fernhalten. Hecken dienen dem Schutz. Das ist in der Finanzindustrie nicht anders. Hedging dient der Absicherung eines anderen, oft risikoreichen Geschäfts. Solche Geschäfte können Finanztransaktionen, Devisengeschäfte oder Rohstoffkontrakte sein. Dass „Hedging“ von vielen genau anders herum mit einem erhöhten Risiko in Verbindung gebracht wird, ist jedenfalls im ursprünglichen Sinne sicherlich falsch. Aber was bedeutet Hedging für den Stahleinkauf?

Bekannt ist Hedging bisher lediglich für börsennotierte NE-Metalle, etwa für Aluminium, für Kupfer oder für Nickel, das als Legierungsmetall eingesetzt wird. Für Stahl dagegen fehlen bislang akzeptierte Hedging-Angebote im Markt. Das scheint sich in den vergangenen Wochen und Monaten verändert zu haben. Der Ruf nach Hedging in der Stahlindustrie ist lauter geworden. Erstmals nach der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hatte die Stahlindustrie seit Anfang 2010 wieder deutlich höhere Stahlpreise gefordert. Und die Vertragslaufzeiten sollten von Jahresfristen auf Quartalsabschlüsse umgestellt werden. Die Stahlindustrie ziehe den Rohstofflieferanten nach, so die Begründung im Vertrieb. Die Schwankung der Stahlpreise würde zunehmen. Eine Gefahr für alle Unternehmen, die sich ihren Kunden gegenüber, etwa in der Automobilindustrie, längerfristig binden müssen. Was ist aber dran am Hedging im Stahleinkauf? Ist die Idee ein Segen oder ein Fluch?
Neue Entwicklungen in der Stahlverarbeitung
Zunächst das Prinzip: das Grundgeschäft und das Hedge-Geschäft werden so miteinander gekoppelt, dass Verluste aus dem einen Geschäft durch Erlöse aus dem anderen ausgeglichen werden. Die Kosten des Hedgings sind die Gebühren der Dienstleister im Finanzmarkt. Erforderlich für ein erfolgreiches Hedging ist die Börsennotierung für den abzusichernden Vermögensgegenstand oder jedenfalls ein funktionierender Derivate-Markt. Hedging durch nicht-standardisierte Derivate wird auch im außerbörslichen („over-the-counter“) Bereich angeboten.
Beim Hedging für Stahlerzeugnisse handelt es sich um eine relativ neue Entwicklung. Seit April 2008 bietet die London Metal Exchange (LME) Derivate für Stahl an. Bisher werden sog. „Billets“ (Knüppel mit Betonstahlqualität) aus verschiedenen Regionen der Welt gehandelt. Im ersten Handelsjahr wurden ca. 1,5 Mio. Tonnen gehandelt. Die LME berichtet über einen steigenden Zuspruch und meldete für April 2010 mit knapp 700 000 Tonnen einen neuen Handelsrekord. Dennoch scheint es – soweit erkennbar – in der Breite der Stahlerzeugnisse noch zu keiner durchgreifenden Akzeptanz der LME-Produkte für die Absicherung von Stahl-Geschäften gekommen zu sein. Im Verhältnis zur monatlichen Weltstahlproduktion, die im Jahr 2009 im Durchschnitt bei etwa 85 Mio. Tonnen lag, ist dieser Umsatz ohnehin noch immer ein sehr geringer Teil (0,82 %) und damit kaum aussagekräftig.
Futures-Kontrakte auf Stahl werden auch an den Börsen von Dubai (für Betonstahl, seit 2007), Schanghai (Betonstahl und Walzdraht, seit 2009), Chicago (Warmband, seit 2008) sowie an zwei Börsen in Indien gehandelt. Im außerbörslichen Bereich sind in den vergangenen Jahren ebenfalls neue Angebote entwickelt worden, die das Hedging mit Stahlerzeugnissen ermöglichen sollen. Zu nennen sind z. B. Angebote wie „The Steel Index“, „Steel Benchmarker“ oder „CRU Index“, die sich auf die Ermittlung von Stahlmarktpreisen spezialisiert haben, auf deren Basis Over-the-Counter-Händler und vereinzelt Banken Absicherungsgeschäfte anbieten. Damit hat sich in diesem Bereich ein zwar dynamischer, aber schwer überschaubarer Markt entwickelt, der derzeit in den meisten Fällen nur von wenigen Spezialisten in Anspruch genommen wird. Für die Absicherung von Stahlpreisschwankungen durch Hedging spielt es eine wesentliche Rolle, dass Stahl kein homogener Rohstoff ist, sondern ein Werkstoff, der mit unterschiedlichen Eigenschaften, Legierungen, Formen und Abmessungen nachgefragt wird. Stahlpreise können produktspezifisch einen unterschiedlichen Verlauf nehmen. Das bedeutet salopp formuliert für das Hedging: Wer nicht aufpasst, hat Äpfel gegen Birnen gewettet. Es kommt hinzu, dass viele Unternehmen im Stahl verarbeitenden industriellen Mittelstand – noch – nicht mit den Mechanismen des Hedgings vertraut sind. Basis für das Hedging sind komplexe Finanztransaktionen, die gut bekannt sein müssen, wenn aus der Risikoreduktion nicht eine Steigerung des Risikos für das Unternehmen werden soll. Schließlich stellt sich die Frage, wer die Kosten des Hedgings entlang der Wertschöpfungskette trägt. Dauerhaft müssen diese Kosten an den Endkunden weitergegeben werden. Bis sich allerdings ein gemeinsames Verständnis über das Hedging und seine Kosten entwickelt hat, können wirtschaftliche Nachteile zulasten des industriellen Mittelstands nicht ausgeschlossen werden.
Alternativen zu Hedging
Es gibt Alternativen zum Hedging. Denn das Phänomen stark schwankender Stahlpreise ist lange bekannt. Preisschwankungen sind auch stets ein existenzielles Problem für Unternehmen in der Stahl- und Metallverarbeitung, da der Vormaterialanteil für die Produkte dieser Branche 70 Prozent und mehr betragen kann. Mechanismen zur Bewältigung des Preisschwankungsrisikos sind bisher z. B. möglichst kongruente Vertragslaufzeiten im Einkauf und Verkauf, Preisgleitklauseln, Schrottpreis- oder Legierungszuschläge, Re-Sale-Programme durch den Kunden, Rückvergütungssysteme, Nachverhandlungen und unendlich viele Mischformen von alledem. Diese Alternativen sollten neu überdacht und noch effizienter in die Verträge eingebaut werden. Zwar sind einige Herausforderungen auch hier zu meistern. So steht das Kartellrecht der Vereinbarung eines allgemeinen Indexwertes, der eine branchenweite Basis für eine vertragliche Rohstoffschwankungsklausel sein könnte, entgegen. Aber individuelle Vereinbarungen über einen Standard sind erlaubt – und im Laufe der Zeit mag sich ein Index-Standard als branchenüblich herausbilden.
Hedging ist weder Segen noch Fluch, weder Allheilmittel noch gänzlich unbrauchbar. Hedging ist ein eingeübtes Instrument des Finanzmarktes, das geeignet ist, Risiken von Preisschwankungen abzufangen. Unternehmen auf allen Wertschöpfungsstufen müssen selbst entscheiden, ob sie zum Instrument des Hedgings greifen wollen. Wichtige Voraussetzungen für ein gelungenes Hedging sind beim Stahl jedoch nicht gegeben. So gibt es keinen ausreichend gesicherten Standard für Stahlderivate an den Börsen. Ferner sind die Produktunterschiede bei verschiedenen Stahlsorten so groß, dass das Hedging leicht zum Risikogeschäft werden kann, wo es doch eigentlich Risiken nehmen soll. Ferner gibt es die berechtigte Sorge, dass die Schwankungen für den Stahlpreis noch zunehmen und sich damit auch die verbliebenen Restrisiken des Hedgings für Stahl noch weiter erhöhen. Schließlich gibt es keine hinreichenden Kostenvergleiche für Hedging-Produkte. Der WSM Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung hält eine Diskussion über das Hedging, dem gerade die kleineren Unternehmen der Branche möglicherweise nicht gewachsen sind, für verfrüht. Wichtige Voraussetzungen für ein wirksames Hedging müssten für den Stahlmarkt erst noch entwickelt werden. Vorrangig sollten die Unternehmen vorhandene vertragliche Alternativen verbessern.
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