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Energieeinkauf – Erfahrung gesucht

Lieferverträge auf dem Prüfstand
Energieeinkauf – Erfahrung gesucht

Die Beschaffung von Strom, Gas und Öl ist derzeit die größte Herausforderung für den Einkauf. Dabei muss eine gründliche Analyse bestehender und zukünftiger Lieferverträge im Hinblick auf Preisanpassungen, Kündigungsmöglichkeiten und „versteckte“ Risiken erfolgen.

Obwohl der Energieeinkauf durch Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck mittlerweile Chefsache ist, herrscht im Winter 2022/2023 auf dem Energiemarkt große Unsicherheit. Niemand weiß, wie stark die Preise noch steigen, wie lang und kalt der Winter wird, wie die europäischen Nachbarländer mit ihren Vorräten zurechtkommen, wann uns ausreichend alternative Bezugsquellen zur Verfügung stehen.

Klauseln unter der Lupe

Jedes Fitzelchen Sicherheit ist in einer solchen Situation kostbar. Ein Energieliefervertrag kann in unsicheren Zeiten eine solche „sichere Bank“ sein. Doch wie sieht es mit Preisanpassungen, Kündigungsmöglichkeiten und Laufzeiten aus? Welche Sicherheiten, aber vor allem welche Risiken bestehen aus juristischer Sicht und müssen beim Energieeinkauf erkannt werden?

Grundsätzlich herrscht in Deutschland Vertragsfreiheit. Verträge können so abgeschlossen werden, wie die Vertragsparteien es wollen. Entsprechend breit ist das Spektrum an Energielieferverträgen gefächert. „Es reicht von All-inclusive-Verträgen, bei denen der Lieferant neben der Bereitstellung der Energie auch deren Transport bis zur Abnahmestelle des Kunden übernimmt, über Voll- und Teilversorgungsverträge bis hin zu sogenannten unterbrechbaren Energielieferverträgen“, sagt Dr. Carmen Schneider, Rechtsanwältin in der Kanzlei Oppenhoff in Hamburg. „Der Vertrag richtet sich nach den individuellen Anforderungen des jeweiligen Unternehmens, etwa ein besonders hoher Energieverbrauch oder ein atypisches Lastprofil.“

Aktuell interessiert vor allem, was in Bezug auf die Preisstabilität vereinbart wurde oder in einem neuen Vertrag vereinbart werden soll. Auch hier gibt es etliche Varianten an Klauseln, momentan wird verstärkt mit Preisanpassungsklauseln gearbeitet. Der Regelfall (und für den Kunden Glücksfall) ist jedoch die eingeschränkte Preisgarantie. „Die vollumfängliche Preisgarantie verhindert im Grundsatz Preiserhöhungen jeglicher Art, während die eingeschränkte Garantie hiervon regelmäßig die staatlich veranlassten Preisbestandteile ausnimmt: Umlagen, Abgaben, Steuern“, erläutert Juristin Schneider. „Für die von der Garantie umfassten Preisbestandteile übernimmt der Energieversorger hingegen das Risiko des Marktpreisanstiegs.“ Folge: gestiegene Beschaffungs- und Vertriebskosten kann er in einem solchen Fall grundsätzlich nicht an den Kunden weiterreichen. „Auch nicht“, betont die Energiewirtschaftsexpertin, „unter Berufung auf die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB – wie jüngst des Öfteren geschehen.“ Tue er dies dennoch, sollten betroffene Unternehmen der Preisanpassung unverzüglich schriftlich widersprechen und Rechtsrat einholen.

Dauerlieferverträge?

Wer über einen langfristigen Liefervertrag mit seinem Energieversorger verfügt, hat in der Krise gute Karten. Das Problem: „Viele Unternehmen haben 2021 auf eine Trendwende bei der Preisentwicklung gesetzt und damit leider falsch gelegen“, resümiert Dr. Wolfgang Hahn, Geschäftsführender Gesellschafter der ECG Energie Consulting GmbH in Kehl. Noch vor einem Jahr ging so manche Einkaufsabteilung davon aus, dass die gestiegenen Energiepreise bald den Peak erreicht haben und in Folge wieder sinken würden, und deckte ihren Bedarf deshalb nur mit kleinen Bestellmengen zur Überbrückung. „Hier bleibt jetzt eigentlich nur, sich relativ kurzfristig einzudecken – zum Beispiel für zwölf Monate – und eine spotmarktnahe Preisgestaltung zu wählen“, lautet der Rat des Profis.

Das ist auch aus juristischer Sicht nicht unklug. Denn bei langfristigen Lieferverträgen bestehen immer auch langfristige Bindungen und Risiken, und zwar für beide Seiten. Sowohl Preisanpassungsklauseln auf der einen Seite als auch Festpreisabreden als Extrem auf der anderen Seite können sich zu Gunsten oder zu Ungunsten des Kunden auswirken, je nach Marktentwicklung. „Der Energiesektor gehört zu den dynamischsten Sektoren überhaupt, auch was den Rechtsrahmen betrifft; dieser ändert sich ständig“, gibt Rechtsanwältin Schneider zu bedenken. Bei Langfristverträgen empfiehlt sie die Aufnahme einer sogenannten Change-in-Law-Klausel oder Wirtschaftsklausel in den Vertrag. „Sie gibt der betroffenen Vertragspartei ein Recht zur Vertragsanpassung, wenn sich die rechtlichen Rahmenbedingungen grundlegend ändern, beispielsweise durch eine Gesetzesänderung.“ Können sich die Parteien nicht auf eine Anpassung der Vertragsbedingungen einigen, gibt es immerhin ein Kündigungsrecht.

Zeit für Veränderungen?

Die Freiheit, Verträge auszuhandeln, besteht derzeit nur theoretisch. „In der aktuellen Situation haben Unternehmen bei Neuabschlüssen wenig bis keinen Verhandlungsspielraum“, berichtet Energieberater Hahn. Doch auch aus einer schlechten Verhandlungsposition heraus darf man sich nicht alles diktieren lassen. „Vorsichtig sollten Einkäuferinnen und Einkäufer vor allem dann sein, wenn es um ein einseitiges Preisbestimmungsrecht des Lieferanten geht“, warnt Rechtsanwältin Schneider.

Wer keine Lust hat auf einseitig diktierte Vertragsbedingungen, galoppierende Energiekosten und Marktprognosen aus der Glaskugel, der kann die Krise als Chance sehen und auf einen völlig neuen Energiemix umstellen, inklusive Eigenerzeugung. „Die Weichenstellungen der Vergangenheit müssen angesichts des völlig veränderten Preisgefüges unbedingt auf den Prüfstand“, rät Consultant Hahn. Denn jetzt macht es nicht nur aus Nachhaltigkeits- und Klimaschutzgründen Sinn, weniger fossile Energieträger einzusetzen, sondern auch mit Blick auf die Preise. Mit Green PPAs zum Beispiel (siehe Kasten) lässt sich vielleicht aus der Not eine Tugend machen.


Die Autorin: Anja Falkenstein,

Rechtsanwältin, Karlsruhe


Green PPAs – Direktlieferverträge für grünen Strom

In Zeiten angespannter Energiemärkte können Direktlieferverträge für grünen Strom eine nachhaltige Alternative darstellen. Ein Power Purchase Agreement (PPA) ist ein langfristiger Stromabnahmevertrag, der eine verlässliche Kalkulationsgrundlage bietet und gleichzeitig etwas für den Klimaschutz tut. Merkmal einer solchen komplexen vertraglichen Vereinbarung ist der festgelegte Preismechanismus für die direkte oder indirekte Stromlieferung über einen längeren, im Vorfeld definierten Zeitraum, in der Regel fünf bis fünfzehn Jahre.

„PPAs bieten in der betrieblichen Beschaffungsstrategie die Möglichkeit, sich langfristig gegen schwankende Energiepreise abzusichern und die grüne Eigenschaft des Stroms direkt und anlagenbezogen zu erwerben“, betont Dr. Sebastian Boley, Bereichsleiter Energie, Umwelt, Industrie beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Während PPAs im Ausland weit verbreitet sind, tun sich Unternehmen in Deutschland noch schwer damit. „Direkt bezogener grüner Strom ist weltweit in vielen Unternehmen fester Bestandteil unternehmerischer Klimaschutzstrategien“, weiß Boley. Insbesondere bei einem hohen Energiebedarf kann sich der Aufwand lohnen, die durchaus komplexen Regelwerke im Unternehmen zu managen.

Boley verweist auf die „Marktoffensive erneuerbare Energien“, die der DIHK mit ins Leben gerufen hat. Sie klärt mit interessierten Unternehmen, ob das Modell für sie in Frage kommt. Auch für kleinere Verbraucher sollen bald passende PPAs zur Verfügung stehen.

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