Männer agieren rational, logisch und dominant, Frauen emotional, intuitiv und passiv. Männer fokussieren sich auf objektive Fakten, Frauen auf den Beziehungsaspekt des Miteinanders. Soweit die gängigen Klischees. Doch sie geben eine Ahnung, warum viele Frauen Verhandlungen ungefähr so angenehm wie eine Zahnwurzelbehandlung finden: Weil sie die – sehr reale und wissenschaftlich untermauerte – Befürchtung haben, dass engagiertes weibliches Verhandeln mit sozialen Sanktionen einhergehen kann. Höchste Zeit, die vorhandenen Stereotype auszuleuchten und sie nicht die Oberhand gewinnen zu lassen.
Die Forschung beschäftigt sich schon eine ganze Weile intensiv damit: Geschlechterunterschiede in der Verhandlungsführung sind evident und zum Teil auch statistisch nachweisbar. Je mehrdeutiger und komplexer eine Verhandlung ist, desto stärker dominiert die Subjektivität des Erlebens. Und umso wahrscheinlicher wird es, dass geschlechtsspezifische Trigger den Verhandlungsverlauf und das Ergebnis beeinflussen. Gemeint sind hier natürlich keine „angeborenen“ Unterschiede zwischen Männern und Frauen, sondern vielmehr tief verankerte Vorurteile, die nicht zuletzt auch das eigene Verhalten bestimmen.
So eilt Männern der Ruf des wettbewerbshungrigen Win-Lose-Verhandlers voraus, der seine Gegner unbedingt besiegen will. Von Frauen wird dagegen erwartet, eine zuvorkommende Win-Win-Verhandlerin zu sein, die der Beibehaltung bestehender (Geschäfts-)Beziehungen einen sehr hohen Stellenwert beimisst. Was lässt sich in der Praxis konkret beobachten oder auch belegen?
Männer steigen gerne mit einer hohen Forderung in eine Verhandlung ein und schätzen einen guten Kampf. Ihr Selbstvertrauen kann sogar Kompetenz übertrumpfen. Am besten sind Männer, wenn sie für sich selbst verhandeln – genannt „Principal-Ansatz“. In stressigen Situationen tendieren männliche Verhandler eher zum „Ausflippen“. Sie setzen generell viel häufiger distributive Taktiken ein – von Drohungen bis Ultimaten und Auge-um-Auge-Szenarien. Ihre Sprache ist deutlich schärfer als die von Frauen.
Wie Männer verhandeln
Das primäre Augenmerk liegt darauf, den Gegenpart zu überzeugen. Bringen ihnen weibliche Verhandlungspartner Aggressivität entgegen, fällt es ihnen schwer, mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Manche Männer wollen bei bestimmter auftretenden Frauen einen psychologischen Vorteil erzielen, indem sie an ihre Weiblichkeit appellieren. Sie streben zudem Einigungsergebnisse an, die gefühlte Machtungleichgewichte widerspiegeln. Untersuchungen zeigen auch, dass Männer Angst haben zu verlieren – insbesondere gegen weibliche Kontrahenten. Extreme Verhandlungsergebnisse akzeptieren sie eher, wenn diese von einem männlichen Gegenüber erzielt wurden.
Die „Waffen der Frauen“
Man kann es so zusammenfassen: Frauen machen meist vernünftige erste Angebote, die eine sichere Wahl für beide Seiten darstellen. Sie hegen oft den Wunsch, gemocht zu werden, zeigen weniger Selbstbewusstsein als Männer und tendieren – egal wie gut sie gewappnet sind – dazu, sich nicht ausreichend vorbereitet zu fühlen. Frauen verhandeln am besten im Namen von anderen – das entspricht dem „Agent-Ansatz“. Wenn es stressig wird, behalten Frauen in der Regel die Ruhe. Sie sind achtsamer mit Blick auf nonverbale Signale und besser in der Evaluation und Dokumentation von Verhandlungen. Frauen setzen meist kooperative, integrative Taktiken ein. Ihre Sprache ist ausgleichender. Sie hören sorgfältiger zu, was sie – oft unbemerkt – in eine machtvolle Verhandlungsposition versetzt. Während Männer nicht verlieren wollen, haben Frauen vermehrt Angst vor dem Erfolg. Studien machen deutlich, dass Frauen durch das Gewinnen ihre weibliche Wirkung gefährdet sehen. In kompetitiven Situationen fokussieren sie nicht so sehr auf sich selbst, sondern darauf, dass die anderen sich besser fühlen. Sie wollen nach Möglichkeit einen gerechten Austausch. Übrigens: Frauen sehen erfolgreiche Verhandlerinnen eher kritisch. Oft ist ihre Skepsis hier sogar größer als die von Männern.
Wer ist denn nun der bessere Verhandler?
Geht es in einer Verhandlungssituation nur um die Maximierung des Gewinns, weisen Frauen und Männer einen ähnlichen Erfolg auf. In einem kompetitiven, wettbewerbsorientierten Umfeld übertreffen Männer Frauen jedoch – das heißt immer dann, wenn die eigene Leistung gegenüber der einer anderen Person gemessen wird. Das liegt nicht daran, dass Frauen bei hohem Wettbewerbsdruck unterperformen. Männer sehen solche Situationen per se als Motivator und gehen hier mehr aus sich heraus.
Klar ist: Einige Rahmenbedingungen fördern eine überlegene Performance von Frauen, andere die von Männern. Wichtig ist es, darauf zu achten, dass die Männer-Frauen-Perspektive eine Verhandlung nicht dominiert. Es gibt Mittel und Wege, die Geschlechterfalle zu umschiffen und vorhandene Stärken besser zur Geltung zu bringen.
Aus der Praxis
Einige Empfehlungen – nicht nur für Frauen
Jede Verhandlung triggert Geschlechterstereotypen und Rollenerwartungen – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Überlegen Sie bereits im Vorfeld, wie sie darauf reagieren wollen. Das mindert den Überraschungseffekt. Frauen können sich zum Beispiel in Erinnerung rufen, dass sie im Namen einer Gruppe (Abteilung, Unternehmen etc.) verhandeln und dadurch ihre Performance steigern. Wenn Sie als Frau in einem hoch kompetitiven Umfeld verhandeln, „framen“ Sie Ihre Forderungen mit Ihren Leistungen für diese Gruppe. Argumentieren Sie aus Ihrer Position (Führungskraft, Bereichsleiterin etc.) heraus, nicht ausschließlich als Person. „Labeln“ Sie Zugeständnisse und stellen Sie sicher, dass diese als Entgegenkommen, nicht als Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden. Treten Sie bestimmt und selbstbewusst auf. Männer und Frauen, die von weiblichen Verhandlerinnen ein geringes kompetitives Verhalten erwarten, geben diesen Frauen einen Verhandlungsvorteil.
Egal ob Mann oder Frau: Machen Sie Ihre Hausaufgaben. Eine möglichst gute Vorbereitung ist das A und O. Dazu gehört es, Industriestandards, Präzedenzfälle, ältere Deals zu recherchieren oder mit erfahrenen Kollegen zu reden. Und: Stellen Sie sich Ihren Ängsten, indem Sie eine bevorstehende Verhandlung üben, bestimmte Situationen durchspielen oder ein Coaching in Anspruch nehmen. Das erhöht die kognitive und emotionale Bereitschaft.
Sie sind Entscheider, zum Beispiel im Einkaufsbereich, und schicken Ihre Mitarbeiter regelmäßig in kompetitive Verhandlungen? Dann sollten Sie ihre Performance-Erwartungen klar artikulieren und erreichbare, aber anspruchsvolle Ziele setzen. Dadurch schaffen sowohl Männer als auch Frauen gleich gute Ergebnisse. Hohe und dennoch machbare Ziele, die nicht auf das „Ausquetschen“ des Gegenübers ausgelegt sind, können vor allem für Verhandlungsführerinnen von Nutzen sein.
Calin-Mihai Isman,
Negotiator & Mediator,
Isman & Partner, Köln