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Global vernetzt und dennoch sicher

Risikomanagement
Global vernetzt und dennoch sicher

Global vernetzt und dennoch sicher
Krisen breiten sich heute wegen der stärkeren globalen Vernetzung mit einer Vielzahl von Lieferanten schneller aus. Das führt zu steigenden Risiken auch in den globalen Zulieferketten. Unser Autor Detlef Harting zeigt, wie ein systematisches Supply Chain Risk Management (SCRM) aussehen könnte.

Detlef Harting

Es gibt Ereignisse, gegen die man so gut wie nichts machen kann. Vielleicht hilft die Installation eines Warnsignals und eine gute Vorbereitung auf den Tag X, der zum Beispiel eine Naturkatastrophe mit sich bringen mag. Dann aber gibt es Ereignisse, die von Menschen verursacht werden und sich ab einem bestimmten Zeitpunkt ziemlich klar abzeichnen. Und natürlich solche Paukenschläge wie die vergangene Finanz- und Wirtschaftskrise.
Im Durchschnitt ist alle zehn Jahre mit einer Wirtschaftskrise zu rechnen. Schwere Krisen sind zwar seltener, doch ist die in den Jahren nach 1929 beileibe nicht die einzige schwere Krise gewesen, z. B. dauerte die große Krise von 1873 bis 1900 weltweit. Und auch die jetzige Krise wird nicht die letzte sein.
Heute breitet sich eine Krise wegen der stärkeren globalen Vernetzung mit einer Vielzahl von Lieferanten, Vertriebspartnern, Händlern und Kunden schneller aus und das führt zu steigenden Risiken auch in den globalen Zulieferketten.
Risiken im Lieferantenmanagement
Ein Risiko ist ein mögliches künftiges Ereignis, welches das Erreichen eines geplante Ziels bzw. das Umsetzen einer Strategie in Unternehmen ganz oder teilweise verhindert. So können Veränderungen auf den globalen Beschaffungs- und Absatzmärkten das Unternehmensergebnis negativ beeinflussen und müssen daher rechtzeitig erkannt werden.
Risiken sind entweder von operativer oder strategischer Bedeutung. Operative Risiken sind erkennbare Ereignisse und Vorgänge aus den laufenden betrieblichen Handlungen, sie sind deligierbar.
Strategische Risiken sind in der Regel durch einen Bezug zum Zielsystem des Unternehmens gekennzeichnet. Sie gehören in den Bereich externer Ereignisse und Trends, die sowohl das Wachstum als auch den Shareholder Value von Unternehmen beeinträchtigen.
Alle strategischen Risiken sind natürlich nicht voraussehbar, aber wenn ein Risiko bezeichnend für alle Unternehmen in einer Branche ist, so können frühe Maßnahmen zu dessen Eindämmung einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bringen. Neben der dargestellten Unterscheidung von Risiken nach ihrem Ursachenbereich sind Unterscheidungen nach dem Zeithorizont und der Wesentlichkeit möglich. Nach dem Zeithorizont werden kontinuierliche Entwicklungen und punktuell auftretende Ereignisse unterschieden. Die Wesentlichkeit kann anhand von Relationen zu unternehmensspezifischen Kennzahlen beurteilt werden.
Risiken können exogenen oder endogenen Ursprungs sein, wobei die unternehmensinternen Risiken der Einflussmöglichkeit durch den Lieferanten unterliegen (Abb.)
Zu den endogenen Risiken zählen:
  • Know-how-Defizite des Lieferanten
  • Qualitätsprobleme bei Produkten und Service
Zu den exogenen Risiken zählen:
  • politische Instabilität im Beschaffungsmarkt
  • mangelnde Rechtssicherheit
  • Infrastrukturen, Komplexitätszunahme in der Supply Chain
  • Natürliche Risiken (Katastrophen)
Es sind also Nachfrage- und Versorgungsrisiken, rechtliche Auseinandersetzungen und Steuerungsrisiken entlang der gesamten Zulieferkette.
Neben der Komplexitätszunahme im logistischen Bereich – Vergrößerung der Distanzen und damit der Transportzeiten – kommen beim globalen Supply Chain Management (SCM) weitere Faktoren, wie z. B. kulturelle Unterschiede, sprachliche Schwierigkeiten, verschiedene Zeitzonen, inkompatible Steuerungssysteme hinzu.
Neue Risiken in der Globalisierung erfordern neue Konzepte für das Risikomanagement. Risikomanagement ist die Gesamtheit aller organisatorischen Regelungen und Maßnahmen unternehmerischer Betätigung. Diese Regelungen und Maßnahmen können grundsätzlich auf eine Risikobewältigung oder eine Risikoakzeptanz abzielen.
Das Risikomanagement hat in den vergangenen Jahren beachtliche Fortschritte gemacht. Viele der frühen Anwender befinden sich aber noch in einem rudimentären Stadium und betrachten das Risikoma- nagement eher als eine Erweiterung ihrer Betriebsprüfung oder gesetzlich vorgeschriebener Prüfmechanismen. Das heißt, die traditionellen ebenso wie die globalen SCM-Konzepte müssen um Methoden des Risikomanagements (SCRM) erweitert werden.
Das SCRM ist ein Konzept des SCM, zu dem ein zweckmäßiges Instrumentarium gehört, um auf technischer, personeller, organisatorischer und wirtschaftlicher Ebene Risiken zu identifizieren, analysieren, steuern und überwachen zu können.
Risiko ist das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines negativen Ereignisses und dem daraus resultierenden Schadensausmaß.
Reputation im Lieferantenmanagement
Z. B. können nach der Aufstellung der Liste von internen und externen Risiken Gefahren übersichtlich in einer sogenannten „Risikolandkarte“ aufgezeichnet werden. Dabei werden die Bedrohungen den Unternehmensbereichen zugeordnet, in deren Verantwortung sie fallen. So ist eindeutig festgelegt, wer für Maßnahmen zu ihrer Reduktion zuständig ist. Im nächsten Schritt werden die Risiken nach Eintrittswahrscheinlichkeiten und möglichem Schadensausmaß bewertet. So entsteht eine Rangfolge der größten Gefahren. Risiken lassen sich in Anlehnung an das Supply-ChainOperation-Referenzmodell (SCOR) in Angebots-, Prozess-, Nachfrage-, Planungs- und Kontrollrisiken sowie Umweltrisiken kategorisieren. Beim SCOR-Modell, das von der Non-Profit-Organisation Supply Chain Council (SCC) entwickelt wurde, werden Prozesse in PLAN – SOURCE – MAKE – DELIVER unterteilt. Ferner drohen Reputationsrisiken, da potenzielle Kontroversen etwa wegen Arbeitsbedingungen oder Kinderarbeit in Schwellen- und Entwicklungsländern innerhalb der Zulieferkette in der Wahrnehmung der Kunden dem Unternehmen zugerechnet werden und dessen Reputation schaden können. Der gute Ruf, die Reputation, ist einer der wichtigsten Vermögenswerte eines Unternehmens. Er spiegelt neben der rationalen Einstellung von Kunden, Mitarbeitern, Aktionären und anderen Gruppen auch deren emotionalen Urteile wider.
Interessant wäre es, die Einstellungen von Interessensgruppen (neudeutsch: „Stakeholder“) gegenüber einem Unternehmen zu messen und positiv zu beeinflussen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen herausragender Reputation und überdurchschnittlicher Profitabilität, ebenso zwischen der Einstellung gegenüber einem Unternehmen und Erfolgsgrößen wie Umsatz und Marktanteil.
Der Begriff Reputation fasst die Einstellungen und Meinungen verschiedener Bezugsgruppen zu einem Unternehmen zusammen. Reputation lässt sich auf einer dreistufigen Skala darstellen:
  • 1. Glaubwürdigkeit, sie entsteht, wenn eine wahrnehmbare, überprüfbare Übereinstimmung zwischen den Handlungen und der Kommunikation eines Unternehmens existiert, d.h. das Bild des Unternehmens ist in sich konsistent und widerspruchsfrei.
  • 2. Vertrauen bezeichnet die Annahme, dass Handlungen und Kommunikation übereinstimmen, auch wenn sich das nicht kontrollieren lässt.
  • 3. Wohlwollen ist einem Unternehmen gegenüber dann vorhanden, wenn Abweichungen zwischen den Handlungen und der Kommunikation – selbst in Krisenzeiten – ohne einen Schaden für die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen hingenommen werden.
Die Reputation ist ein strategisches Führungsinstrument, das sich nicht nur auf die kommunikative Ebene beschränkt, sondern auch erheblich die Handlungsebene beeinflusst. Die Akquisition eines Unternehmens oder die Finanzierung über Kapitalerhöhung können davon ebenso betroffen sein wie die Entlassung einer größeren Zahl von Mitarbeitern.
Die Krise bietet aber auch Chancen, gewachsene Strukturen und Prozesse bereichsübergreifend neu zu gestalten.
Der häufig „einfache Krisenreflex“, Kosten linear zu senken, greift deshalb zu kurz. Das Unternehmen verpasst vielleicht die Gelegenheit, seine Wettbewerbsposition zu verbessern.
Im Sinne einer umfassenden Betrachtung reicht es deshalb nicht mehr aus, nur die unternehmensinternen Aktivitäten nach nachhaltigen Gesichtspunkten optimal zu gestalten. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit sollte dieser Prozess entlang der gesamten Wertschöpfungskette ausgerichtet sein.
Nachhaltigkeit stößt organisatorische und technische Innovationen an, die sowohl den Umsatz als auch den Gewinn steigern. Es ist verlockend, sich so lange wie möglich an die niedrigsten Umweltschutzstandards zu halten. Aber es ist klüger, den strengsten Regeln zu entsprechen, bevor sie Vorschrift werden. Entgegen der verbreiteten Auffassung sparen Unternehmen Geld, wenn sie weltweit die höchsten Standards einhalten. Sobald Unternehmen nur den niedrigsten Ansprüchen genügen, müssen sie die Komponentenbeschaffung, die Produktion und die Logistik für jeden Markt getrennt steuern, weil in jedem Land andere Gesetze und Grenzwerte gelten. Aber Unternehmen, bei denen in all ihren Produktionsanlagen weltweit eine einzige Norm gilt, profitieren von Größenvorteilen und können ihre Lieferketten optimieren. Global integrierte Unternehmen haben bereits ein Blue Book, welches für alle Mitglieder des Buying Centers verbindlich ist.
Methoden des SCRM im Lieferantenmanagement
Ziel einer bereichsübergreifenden Optimierung sind Synergien, die den Aufwand und die Kosten senken, die Durchlaufzeiten reduzieren oder die Qualität erhöhen.
Ein Ansatzpunkt ist die Optimierung der Fertigungstiefe durch Business Prozess Outsourcing oder Near Offshoring, die Supply Chain zur globalen Supply Chain zu machen oder über Benchmarks vergleichbare Prozesse zu schaffen, u.z. mittels Metamodellen (Analysedaten in kleinste Einheiten zerlegen) an den Werten passender Referenzgruppen messen. Oder die Zulieferer lassen Einblicke in ihre Kostenkalkulation zu, als gut gemeinte Idee einer partnerschaftlichen Optimierung der Kostensituation.
– So meint man. –
In Wahrheit ist das alles etwas unsicher. In der gerade scheinbar überstandenen Krise zeigten sich Schwierigkeiten bei der Verlagerung von Wertschöpfungsfunktionen in deutschen Unternehmen. Neben sehr erfolgreichen Auslagerungen gibt es allerdings auch Misserfolge in zweistelliger Prozentsatzhöhe. Vieles wurde in diesen Verlagerungsprozessen falsch gemacht. Dabei lässt sich aus erfolgreichen Auslagerungen lernen und Fehler machen klug.
Die Auslagerung aus Kostengründen ist meist mit Qualitätseinbußen und mit einem erhöhten Koordinierungsaufwand verbunden. Wichtige Kostenbestandteile (Verlagerungskosten) werden vernachlässigt, es wird nur auf die Personalkosten geschaut. Besser wäre es, Verlagerungen vorzunehmen, um den Zugang zu neuen Märkten oder die Präsenz in ausländischen Absatzmärkten zu unterstützen.
Ferner sind die Komplexitätserhöhungen nicht zu unterschätzen. Ursachen sind Anzahl und Umfang der Funktionen, die gleichzeitig verlagert werden. Es empfiehlt sich, nicht gleichzeitig alle Funktionen in mehrere Länder verlegen, denn jedes Land ist anders. Besser wäre es, eine Funktion in ein Land zu verlegen oder aber gleichzeitig Teile mit mehreren Funktionen in das gleiche Land zu verlagern.
Sehr gute Ergebnisse entstehen, wenn sich die Verlagerung zunächst auf solche Funktionsteile erstreckt, die sich durch ein hohes Maß an Standardisierung und Abgrenzung auszeichnen.
Erfolgreich ist auch, zuerst in eine Near-shore-Region (z. B. Osteuropa) zu verlagern, bevor Funktionsteile in eine Far-shore-Region (Asien) verlagert werden.
Die oben beschriebene Zunahme des internationalen Wettbewerbs, der Zwang der Kostensenkung bei gleichbleibender Qualität und die Flexibilitätsverbesserungen werden in dieser Krise zu entscheidenden Einflussfaktoren in der Zusammenarbeit mit Lieferanten und Kunden.
Der Globalisierungsprozess erfordert deshalb bereits heute eine systematische Weiterentwicklung und Implementierung von Supply Chain und globalem Supply Chain Management. Eine dieser Weiterentwicklungen ist das Outsourcen der Entscheidungsfindung.
Es gibt sie bereits, Entscheidungsfindungs-Unternehmen wie Genpact, Mu Sigma, Market RX, Inductis, in denen man entscheiden lassen kann, und es geht weiter mit Unternehmen, die sich zunächst auf IT spezialisiert haben wie Cognizant, TCS Infosys usw.
Unternehmen, die Entscheidungen outsourcen, berichten über verbesserte Entscheidungsprozesse und -ergebnisse.
Das geht so:
Zunächst spielt die Projektstruktur eine Rolle, z. B. mit dem Modell „4-1-1“.
Vier Analytikfachleute des ausländischen Dienstleisters arbeiten zusammen mit einem Experten auf der Kundenseite, der weiterhin in der Zentrale sitzt, und mit einem erfahrenen Mitarbeiter des Kunden, der vor Ort im Team des Dienstleisters angesiedelt ist.
Der Experte auf der Kundenseite kümmert sich um die Kommunikation und Koordination zwischen dem Team des Dienstleisters und dem Auftraggeber. Der andere Mitarbeiter des Kunden überwacht vor Ort beim Dienstleister, dass die Datenanalyse auch mit jenen Entscheidungen vereinbar ist, die das Kundenunternehmen treffen möchte. Außerdem informiert er die verantwortlichen Führungskräfte über das Ergebnis.
Gerade in einer Wirtschaftskrise ist Kostenreduktion im Einkauf das wichtigste Ziel. Bei produzierenden Unternehmen sind es die Materialkosten. Andere Dinge, wie die Sicherstellung der Materialverfügbarkeit oder Produktqualität, treten fast völlig in den Hintergrund.
Chancen im Lieferantenmanagement
Den hohen Kostendruck geben die Einkäufer ungefiltert an den Lieferanten weiter und wollen daher Einblicke in dessen Preiskalkulation bekommen, um gemeinsam Einsparungspotenziale aufzuspüren. – So heißt es. – Doch allzu oft nutzen die Einkäufer das Offenlegen der Bücher nur dazu, die Preise zu drücken, partnerschaftlich heißt es – doch mit fadem Beigeschmack.
Die Marktmacht der Abnehmer zwingt die Zulieferer zu dieser „Kostentransparenz“. Mächtige Kunden können Gewinne abschöpfen, indem sie die Preise herunterhandeln, mehr Qualität verlangen, oder mehr Service und indem sie die Konkurrenten gegeneinander ausspielen.
Besonders viel Verhandlungsspielraum haben mächtige Kunden, wenn ihre Lieferanten hohe Fixkosten haben und auf eine Auslastung ihrer Kapazitäten angewiesen sind, wenn die Produkte standardisiert und austauschbar und die Wechselkosten gering sind. Sie können auch mit Rückwärtsintegration drohen.
Analysieren Kunden und Lieferanten gemeinsam die Kosten über mehrere Wertschöpfungsstufen hinweg, können sie größere Einsparungspotenziale realisieren als bei der Optimierung innerhalb der einzelnen Unternehmen möglich wäre.
Öffnet ein Lieferant seine Bücher, erfährt der Kunde, mit welcher Gewinnmarge der Zulieferer kalkuliert und kann dies zu seinem eigenen Vorteil nutzen. Der Anbieter wird daher versuchen, seine wahren Erträge zu verschleiern. Es gilt heraus zu finden, wie viel Transparenz jenseits aller Kooperationsromantik zwischen Anbietern und Abnehmern tatsächlich möglich ist. Wenn der Einkäufer meint, der Lieferant solle einen fixen Gewinn haben – alles andere geht auf das Konto Kostenreduzierung, ist das nicht immer die beste Lösung.
Ein bewusster Umgang mit Kostentransparenz kann die Risiken zumindest begrenzen, wenn auch für den Lieferanten nicht völlig eliminieren. In wirtschaftlich schlechten Zeiten kann die Offenlegung helfen, Verluste zu begrenzen.
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